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Corona II: Wenn der Verteidiger in der HV keine Maske tragen will, oder: Trennung, Aussetzung, Kostentragung

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom OLG Celle. Es handelt sich um den OLG Celle, Beschl. v. 15.04.2021 – 3 Ws 91/21. Ein m.E. mehr als interessanter Sachverhalt 🙂 .

Entschieden hat das OLG über die Beschwerde gegen den Beschluss einer Wirtschaftsstrafkammer, die mit dem Beschluss das Verfahren gegen einen Angeklagten abgetrennt, die Hauptverhandlung gegen diesen nach § 145 Abs. 1 StPO wegen eines einem unentschuldigten Ausbleiben gleichzusetzenden Verhaltens seines Verteidigers in der Hauptverhandlung ausgesetzt und dem Verteidiger die durch die Aussetzung verursachten Kosten gemäß § 145 Abs. 4 StPO auferlegt. Hintergrund dieser Entscheidung war, dass der Verteidiger sich wiederholt geweigert hatte, der von der Kammer getroffenen Anordnung, im Gerichtssaal einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, und durch die die Kammer eine von dem Vorsitzenden zuvor getroffenen Anordnung bestätigt hat, zu folgen.

Die Kammer hat hierzu ausgeführt, die Anordnung, in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, sei aus Gründen des vorbeugenden Infektionsschutzes ergangen, zumal die Hauptverhandlung gegen zwei 74-jährige Angeklagte geführt werde, von denen einer auch unter Asthma leide und daher einer Risikogruppe zuzuordnen seien. Eine Fortsetzung der Hauptverhandlung unter Mitwirkung des Verteidigers sei ausgeschlossen, weil nicht das unnötige Risiko eingegangen werden könne, dass eine möglicherweise infizierte Person die Luft im Gerichtssaal durch Ausatmen mit Viren so anreichere, dass sich andere im Saal anwesende Personen infizieren könnten. Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes stelle hiernach das geeignetste und mildeste Mittel dar, um diesen Schutz zu gewährleisten. Das Befolgen der Anordnung sei dem Verteidiger ohne weiteres möglich gewesen; ein ärztliches Attest, welches ihm vom Tragen einer entsprechenden Maske hätte befreien können, habe dieser nicht vorgelegt. Die Kammer sehe in diesem Verhalten des Verteidigers einen Pflichtenverstoß, der einem Entfernen aus der Hauptverhandlung zur Unzeit oder einem Nichterscheinen gleichzusetzen sei. Von jedem Verfahrensbeteiligten dürfe erwartet werden, vor Gericht so aufzutreten und rechtmäßig ergangene Anordnungen zu befolgen, dass ihm unter Beachtung der Unversehrtheit der Rechtsgüter der anderen im Gerichtssaal anwesenden Personen der Aufenthalt gestattet werden kann. Dies gilt insbesondere in Zeiten einer Pandemie, die ihre Ursachen in einem über die Atem- und Raumluft durch Aerosole übertragbaren Virus habe. Bei dem Verhalten des Verteidigers handele es sich nicht um eine bloße Ungebühr, die vom Gericht zunächst zu tolerieren und gegebenenfalls auf berufsrechtlichen Weg zu ahnden wäre. Denn vorliegend gehe es um den Schutz der weiteren am Verfahren beteiligten Personen vor einer unnötigen Steigerung des Infektionsrisikos.

Die Beiordnung eines weiteren Verteidigers stelle nach 19 Verhandlungstagen und einer weitgehend durchgeführten Beweisaufnahme keine Alternative zur Aussetzung dar. Auch in Anbetracht des Verfahrensumfangs wäre einem neuen Verteidiger ein Zeitraum zur Einarbeitung zu gewähren, der eine dreiwöchige Unterbrechung der Hauptverhandlung übersteigen würde. Die Auferlegung der Verfahrenskosten gemäß § 145 Abs. 4 StPO sei geboten, da das schuldhafte Verhalten des Verteidigers die Aussetzung erforderlich gemacht habe. Der Verteidiger habe es ohne gewichtige Gründe abgelehnt, der Anordnung zu folgen. Auch die Möglichkeit der Beibringung eines ärztlichen Attests sei von ihm entgegen seiner Ankündigung vom 20. Hauptverhandlungstag nicht genutzt worden.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde des Angeklagten, mit welcher er sich namentlich gegen die Annahme eines Pflichtenverstoßes sowie die hierauf gestützte Abtrennung des Verfahrens, die Aussetzung der Hauptverhandlung sowie die Auferlegung der hierdurch verursachten Kosten wendet. Die Anordnung, im Sitzungssaal einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, könne nicht auf § 176 Abs. 2 GVG gestützt werden und entbehre daher einer rechtlichen Grundlage. Die Abstände im Sitzungssaal seien gewahrt, es werde regelmäßig gelüftet und auch um seinen Sitzplatz seien Plexiglaseingrenzungen installiert worden. Er selbst sei weder von der Hauptverhandlung ausgeblieben noch habe er sich geweigert, die Verteidigung zu führen. Überdies hätte ein anderer Verteidiger beigeordnet und die Hauptverhandlung hiernach fortgeführt werden können. Die Kammer habe ihr insoweit zustehendes Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Das OLG hat die Beschwerde verworfen. Ich stelle hier dann nur die Leitsätze des Beschlusse ein. Den Rest der umfassend begründeten Entscheidung bitte selbst lesen:

1. Eine auf § 176 GVG gestützte Anordnung, zum Schutz vor einer Covid19-Infektion in der Hauptverhandlung eine medizinische Maske zu tragen, ist regelmäßig nicht zu beanstanden.

2. Eine grundlose Weigerung des Verteidigers, dieser Anordnung zu folgen, kann eine Aussetzung des Verfahrens und hiernach eine Kostentragungspflicht nach § 145 Abs. 4 StPO zur Folge haben.

StPO III: Aussetzung der Hauptverhandlung nach einem Ablehnungsantrag, oder: Beschwerde unzulässig

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Für die dritte und letzte Entscheidung des Tages geht es dann quer durch die Republik, und zwar zum LG Schwerin. Das hat im LG Schwerin, Beschl. v. 12.03.2021 – 33 Qs 18/21 – über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Beschluss, mit dem die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist, entschieden.

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahrenwegen des Verdachtes der Zwangsprostitution. Das AG hatte die Hauptverhandlung auf den 02.03.2021 und den 16.03.2021 anberaumt. Zu dem Hauptverhandlungstermin am 02.03.2021 waren insgesamt sieben Zeugen geladen.

Zu Beginn der Hauptverhandlung stellten die Verteidiger des Angeklagten zwei Befangenheitsanträge, woraufhin das Gericht das Verfahren aussetzte. Dagegen dann die Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Das LG sagt: Unzulässig:

§ 305 Satz 1 StPO bestimmt, dass Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde unterliegen. Davon sind gemäß § 305 Satz 2 StPO bestimmte Entscheidungen ausgenommen, um die es hier jedoch ersichtlich nicht geht.

Ob es sich bei der Aussetzung der Hauptverhandlung um eine der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidung handelt, hängt vom Einzelfall ab, nämlich davon, aus welchen Gründen und zu welchem Zweck sie beschlossen wird (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 02. Mai 2013 — 2 Ws 76/13 —, juris; OLG Braunschweig NJW 1955, 565; KG JR 1959, 350). Wird die Aussetzung aus Gründen beschlossen, die in innerem Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen und soll durch diese das Urteil unmittelbar vorbereitet werden, ist die Beschwerde unzulässig.

So liegt der Fall hier:

Die Aussetzung des Verfahrens erfolgte im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung:

Vor einer Urteilsfällung steht die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung, anders ausgedrückt, jede notwendig durchzuführende Verfahrenshandlung in der Hauptverhandlung steht in einem inneren Zusammenhang mit der späteren Urteilsfällung.

Die Staatsanwaltschaft Schwerin führte in ihrer Beschwerdebegründung selbst aus, der Vorsitzende habe die Aussetzung mündlich sinngemäß damit begründet, dass eine etwaige doppelte Zeugenvernehmung verhindert werden solle. Diese Begründung stellt einen ausreichenden inneren Zusammenhang mit der späteren Urteilsfällung her:

Nachdem die Befangenheitsanträge in der laufenden Verhandlung angebracht worden sind, durfte der abgelehnte Richter die Hauptverhandlung nach § 29 StPO bis zu einer Entscheidung über diese Anträge nur noch in beschränktem Umfang leiten. Nach § 29 Abs. 2 StPO wäre es ihm allerdings nicht verwehrt gewesen, die für diesen Sitzungstag vorgesehene Verhandlung hin bis zu einer Vernehmung der geladenen und anwesenden Zeugen durchzuführen, ohne zuvor auf eine Entscheidung über die Befangenheitsgesuche zu warten.

Allerdings stand die Entscheidung, ob zuerst der Verhandlungstag wie ursprünglich geplant durchgeführt wird oder ob ausgesetzt wird, im Ermessen des Gerichts, von dem es auch nach Auffassung der Kammer in nicht angreifbarer Weise Gebrauch gemacht hat. Es besteht nämlich keine Pflicht, von der Möglichkeit der Fortsetzung der Hauptverhandlung Gebrauch zu machen, sie stellt allenfalls eine Möglichkeit dar, Verfahrensverzögerungen durch (missbräuchliche) Befangenheitsgesuche entgegenzuwirken. Erkennbar hat das Gericht die Voraussetzungen, unter denen die Hauptverhandlung fortgesetzt werden kann, gesehen und abgewogen, indem es ausgeführt hat, die etwaige doppelte Vernehmung der Zeugen nach § 29 Abs. 4 StPO solle vermieden werden.

In dem vorliegenden Fall sprechen folgende Umstände für die Sichtweise des Amtsgerichts: Die angebrachten Befangenheitsgesuche dienten nicht offensichtlich einer Störung oder Verzögerung des Verhandlungsablaufes, ohne dass die Kammer sich eine Beurteilung der Begründetheit der Anträge anmaßt. So entwickelte sich der zweite Antrag aus dem Gang der Hauptverhandlung heraus und nachdem die Verteidigung Umstände zur zuvor erfolgten Akteneinsicht des Nebenklägerbeistandes erfahren hatte.

Es gibt gute Gründe, eine Zeugenvernehmung zu verhindern, die möglicherweise nach § 29 Abs. 4 StPO zu wiederholen wäre:

Jeder Zeugenvernehmung wohnt die Gefahr einer suggestiven Beeinflussung von Zeugen inne, was es aus aussagepsychologischen Gründen bereits zu vermeiden gilt. Insbesondere in Jugendschutzsachen, aber auch in anderen Verfahren, in denen es um angebliche sexuelle Übergriffe geht, ist darüber hinaus eine besondere emotionale Belastung von Verfahrensbeteiligten, auch des Angeklagten, denkbar.

Etwas Anderes würde möglicherweise gelten, wenn vor der Aussetzungsentscheidung bereits wesentliche Teile der Hauptverhandlung stattgefunden hätten. Hier aber hatte die Hauptverhandlung erst begonnen, die Anklageschrift war noch nicht einmal verlesen.

Demgegenüber steht allenfalls der Ablauf der Frist des § 121 Abs. 1 StPO. Hierauf hat das Gericht jedoch mit seiner Vorlageverfügung vom 08.03.21 (BI. 103 RS) an das Oberlandesgericht den gesetzlichen Regelungen entsprechend reagiert.“

Corona II: Ablehnung der Terminsaufhebung wegen Corona-Pandemie, oder: Keine Beschwerde

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Die zweite Entscheidung des Tages hat dann auch mit Corona zu tun. Und zwar Terminsaufhebung in „Corona-Zeiten“. Der OLG München, Beschl. v. 20.03.2020 – 2 Ws 364/20 – ist zwar schon etwas älter – er stammt vom Anfang des Lockdown. Aber: Die entschiedenen Fragen können ja, wenn es eine zweite Welle geben sollte, – hoffenlich nicht – noch einmal an Bedeutung gewinnen.

Ergangen ist der Beschluss in einem Schwurgerichtsverfahren. Gegen den Angeklagten fand die Hauptverhandlung seit dem 12.11.2019 statt. 16 Verhandlungstermine waren bereits durchgeführt. Als weitere Termine für die Hauptverhandlung waren Montag, der 23.03.2020 und Dienstag, der 31.03.2020 bestimmt. Der Angeklagte und sein Verteidiger hatten wegen der Gefahr, sich mit Coronaviren anzustecken, beantragt, diese Termine aufzuheben und die Hauptverhandlung auszusetzen.Das ist abegelehtn worden. Dagegen die Beschwerde.

Das OLG hat die als unzulässig angesehen:

„Die Beschwerden gegen die richterliche Verfügung vom 18.03.2020 sind unzulässig, da nicht statthaft. Denn nach § 305 S. 1 StPO sind die Ablehnung der Aufhebung von Verhandlungsterminen und der Aussetzung eines Verfahrens grundsätzlich nicht anfechtbar, da solche Entscheidungen der Urteilsfällung vorausgehen und deshalb nur zusammen mit dem Urteil mit dem dagegen statthaften Rechtsmittel, hier der Revision, angefochten werden können (KK-StPO/Gmel, 8. Auflage 2019, StPO § 228 Rn. 14; KK – StPO/Zabeck, 8. Auflage 2019, StPO § 305 Rn. 6; BVerfG, Beschluss vom 22.11.2001 – 2 BvQ 46/01, NStZ-RR 2002, 113; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 2533; OLG Hamm, NJW 1978, 283).

Lediglich in Ausnahmefällen kann eine Beschwerde statthaft sein, etwa wenn die Terminaufhebung und Verfahrensaussetzung vom Gericht ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig abgelehnt wurde (OLG Celle, NStZ 2012, 176 für die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung; vgl. auch OLG München, NStZ 1994, 451).

Solches lässt sich hier jedoch nicht feststellen.

Zum einen ist trotz der erheblichen, nicht im Bereich der Justiz liegenden Einschränkungen aufgrund der Anordnungen der Bayerischen Staatsregierung der Grundsatz der Öffentlichkeit gewahrt. Denn nicht nur die Vertreter der Presse haben Zutritt zu der Verhandlung, sondern auch sonstige Personen, z.B. Angehörige, sofern sie sich im Rahmen der verhängten Ausgangsbeschränkungen halten. Eine absolute Ausgangssperre hat die Bayerische Staatsregierung nicht angeordnet. Deshalb werden stichprobenartige körperliche Untersuchungen von Zuhörern vorgenommen, um Verdachtsfälle auf Infizierung mit dem Coronavirus von vorneherein herauszufiltern und erst gar nicht in den Sitzungssaal zu lassen. Auch dürfen nicht alle vorhandenen Sitzplätze belegt werden, vielmehr müssen größere Abstände zwischen den einzelnen Zuhörern sein. Diese Sicherheitsvorkehrungen wären im Falle einer Ausgangssperre überflüssig. Dann könnte nämlich allen potentiellen Zuhörern mit Ausnahme der Vertreter der Presse der Zutritt zum Sitzungssaal ohne Prüfung auf eine Infizierung mit dem Coronavirus unter Berufung auf die staatlich angeordnete Ausgangssperre verweigert werden.

Zum anderen wurden in der angefochtenen Verfügung das Gesundheitsrisiko für die Verfahrensbeteiligten, mithin auch für den Angeklagten pp. im Falle der Durchführung der Hauptverhandlung einerseits und das Interesse der Allgemeinheit an der Durchführung des Strafprozesses andrerseits, damit dem staatlichen Strafanspruch Geltung verschafft werde, sorgfältig abgewogen. Auf die Verfügung vom 18.03.2020 wird Bezug genommen. Das Gericht hat nicht nur Sicherheitsvorkehrungen gegen eine mögliche Ansteckungsgefahr getroffen, sondern auch die Dauer des Verhandlungstermins erheblich verkürzt, um das Ansteckungsrisiko zu mindern. Zudem werden für alle Besucher des Strafjustizzentrums Kontrollen in Form von Selbstauskünften durchgeführt, um einer Verbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken.

Aus den genannten Gründen wären die Beschwerden, selbst wenn sie als statthaft und damit als zulässig erachtet würden, jedenfalls unbegründet.

Ob zusätzlich noch weitere Maßnahmen, wie etwa im Schriftsatz des Verteidigers vom 20.03.2020 beantragt, erforderlich sind, um die Gefahr einer Ansteckung möglichst gering zu halten, muss die 2. Strafkammer in eigener Zuständigkeit entscheiden.“

Wie gesagt: Die Problematik hat sich inzwischen „entschärft“, u.a. auch durch den § 10 EGStPO.

Corona: Auslieferung in Corona-Zeiten, oder: Covid-19 rechtfertigt Aussetzung der Überstellung nach Italien

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Die zweite Entscheidung hat dann auch mit „Corona“ bzw. der COVID-19-Pandemie zu tun. Es handelt sich um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.03.2020 – Ausl 301 AR 47/20.

An dem Aktenzeichen erkennt man, dass der Beschluss im Auslieferungsverfahren ergangen ist. Das OLG hat in dem Beschluss über die (Aussetzung der) sog. Überstellungsfristen entschieden. Ergangen ist der Beschluss in einem Auslieferungsverfahren, in dem ein albanischer Staatsangehöriger nach Italien ausgeliefert werden sollte.

Das OLG meint/sagt: Die COVID-19-Pandemie stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar, welcher bei einer Auslieferung aufgrund eines Europäischen Haftbefehls die Aussetzung von Überstellungsfristen rechtfertigen kann. Der Verfolgte hatte seiner Auslieferung nach Italien zur Strafvollstreckung zugestimmt, weshalb die Generalstaatsanwaltschaft diese am 23.03.2020 bewilligt hat. Sie hat jedoch keinen Termin zur Übergabe vereinbart, sondern mitgeteilt, dass aufgrund der weltweiten Pandemielage die Überstellung des Verfolgten bis zum 30.04.2020 aufgeschoben sei und danach die Lage neu zu bewerten wäre.

Das OLG „segnet“ das – zunächst – ab:

Die nach §§ 24, 26 IRG von Amts wegen durchzuführende Haftprüfung führt zur Anordnung der Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft.

1. Zwar ist nach der Bewilligung der Auslieferung mit dem ersuchenden Mitgliedstaat grundsätzlich sogleich ein Termin zur Übergabe des Verfolgten zu vereinbaren, wobei der Übergabetermin spätestens zehn Tage nach der Entscheidung über die Bewilligung liegen soll (§ 83 c IRG i.V.m. Art. 23 Abs. 2 Rb-EuHB). Allerdings kann in Fällen, in welchen die Einhaltung des Termins aufgrund von Umständen unmöglich ist, die sich dem Einfluss des ersuchenden Mitgliedstaates entziehen, ein neuer Übergabetermin innerhalb von zehn Tagen vereinbart werden. Kann ein solcher erster Termin zur Übergabe und auch ein Folgetermin nicht vereinbart werden, ist der Verfolgte aus der Auslieferungshaft zu entlassen (§ 83 d IRG). Jedoch kann die Vereinbarung eine solchen Übergabetermins im Hinblick auf eine gegen den Verfolgten im Geltungsbereich dieses Gesetzes laufende strafrechtliche Verfolgung oder Vollstreckung oder aus schwerwiegenden humanitären Gründen aufgeschoben werden (§ 83d Abs. 4 Satz 4 IRG).

Vorliegend hat die Generalstaatsanwaltschaft allerdings mit den italienischen Justizbehörden überhaupt keinen Übergabetermin vereinbart oder zu vereinbaren versucht, sondern lediglich mitgeteilt, dass aufgrund der weltweiten Pandemielage die Überstellung des Verfolgten bis zum 30.04.2020 aufgeschoben und danach die Lage neu zu bewerten sei.

2. Diese Vorgehensweise ist nicht zu beanstanden und rechtfertigt die Aufhebung der Haftanordnung nicht, denn bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände müssen die in § 83 c IRG aufgeführten Fristen nicht eingehalten werden, vielmehr hat in diesen Fällen die Bundesregierung Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis zu setzen (§ 83 c Abs. 5 IRG). Solche besonderen Umstände liegen hier vor.

Nach Mitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom 27.03.2020 gilt in Italien derzeit (Stand: 23.03.2020) aufgrund der aktuellen Krankheitswelle mit der COVID-19-Pandemie eine Notfallverordnung, welche auch für aus dem Ausland einreisende Personen gilt (vgl. hierzu auch die Hinweise des Auswärtigen Amtes unter: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/italiennode/italiensicherheit/211322. Diese Beschränkungen wirken sich auch auf den Auslieferungsverkehr mit Italien aus, weshalb Sirene Italien aufgrund der aktuellen Entwicklungen in Zusammenhang mit COVID-19-Pandemie verpflichtet wurde, alle Einlieferungen nach Italien zu verschieben, um jegliches Risiko für die Passagiere, die Verfolgten und die eingesetzten Beamten zu vermeiden. Aus diesem Grund hat SIRENE Italien die zuständigen deutschen Behörden um grundsätzliche Verschiebung geplanter Überstellungen nach Italien und somit um Verlängerung der Frist zur Übergabe um mindestens 30 Tage ersucht.

Wie sich aus der zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ergänzend heranzuziehenden Vorschrift des Art. 23 Abs. 4 RB-EuHB ergibt kommen als solche außergewöhnlichen Umstände vor allem schwerwiegende humanitäre Gründe in Betracht, wobei sich aus der dort nur beispielhaft erfolgten Erwähnung der Gefahren für Leib und Leben des Verfolgten selbst ergibt, dass die eine fristgemäße Überstellung des Verfolgten entgegenstehenden schwerwiegenden humanitären Gründe nicht auf seine Person beschränkt sein müssen, sondern auch – wie vorliegend – mit der in Zusammenhang mit der COVID-19-Epedemie verbundenen allgemeinen Ansteckungsgefahren begründet sein können (a.A. Böse in: Grützner/Pötz/Kreß/Gazeas, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Auflage 2012 § 83 c Rn. 10: Gründe in der Person des Verfolgten). Für eine solche Auslegung spricht auch der Umstand, dass vorliegend weder der ersuchende noch der ersuchte Staat die derzeit nicht mögliche Überstellung zu vertreten haben, sondern es sich um ein unabwendbareres Ereignis handelt (vgl. hierzu Hackner in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Auflage 2020, § 83 c Rn. 8).

3. Zwar führt eine bloße Fristüberschneidung mit Ausnahme der Sonderregelung des § 83 d IRG für sich gesehen nicht zu einer Haftentlassung des Verfolgten (so. Hackner, a.a.O, § 83 c Rn. 1), es ist jedoch stets zu prüfen, ob es zu vermeidbaren Verzögerungen bei der Überstellung gekommen ist und insbesondere ob die Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft noch verhältnismäßig ist (ebenso Böse, a.a.O., Rn. 1; Böhm in: Alhlbecht/Böhm/Esser/ Eckelmanns, Internationales Strafrecht, 2 Auflage 2018, Rn. 772), Letzteres ist in Anbetracht des schwerwiegenden Tatvorwurfs der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung und der deshalb durch das Gericht in A./Italien am 05.10.2016 verhängten Haftstrafe von zwölf Jahren ersichtlich der Fall.

Allerdings weist der Senat auf die Zwei-Monats-Frist des § 16 Abs. 2 Satz 1 IRG hin, so dass es ggf. der Vorlage des Europäischen Haftbefehls bedarf, wenn bis dahin weiterhin eine Überstellung des Verfolgten nach Italien nicht möglich sein sollte. Insoweit hat der Senat Termin zur Haftprüfung auf den 11.05.2020 bestimmt.

Corona-Virus: Hauptverhandlung im Strafverfahren nur, wenn „Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus weitgehend ausgeschlossen ist“

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Ich erhalte gerade vom Kollegen Siebers aus Braunschweig den VerfGH Sachsen, Beschl. v. 20.03.2020 – Vf. 39-IV-20 (e.A.). Der VerfGH hat in einem Strafverfahren – ein Umfangsverfahren, aber keine Haftsache – eine einstweilige Anordnung im Hinblich auf eine von den Verteidigern beantragte Aussetzung/Unterbrechung erlassen. Das LG hatte den Antrag unter Hinweis auf angeordnete Schutzmaßnahmen ablehnt.

Ich stelle den Beschluss, den ich selbst bislang nur überflogen habe, hier dann mal schnell – außerhalb des Tagesprogramms – online, weil er ja für andere Verfahren auch von erheblicher Bedeutung sein dürfte/kann. Bisher gibt es dazu ja auch wohl noch nichts.

Der VerfGH hat eine einstweilige Anordnung erlassen, und zwar u.a. mit folgendem Tenor:

1. Die 15. Große Strafkammer des Landgerichts Dresden wird angewiesen, in einem Zeitraum von einem Monat ab Erlass dieses Beschlusses die Hauptverhandlung in dem Strafverfahren 15 KLs 373 Js 147/18 mit der Maßgabe durchzuführen, dass die Dauer der Hauptverhandlungstermine und deren Teilnehmerzahl im Hinblick auf die zum jeweiligen Termin vorliegende Gefährdungslage durch das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) so weit begrenzt und durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt wird, dass eine Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus weitgehend ausgeschlossen ist.

2. Diesen Anforderungen entspricht der anberaumte Hauptverhandlungstermin am 23. März 2020 in der derzeit vorgesehenen Ausgestaltung nicht.

Rest bitte selbst lesen.

Ich würde dem Beschluss folgenden Leitsatz geben:

Jedenfalls dann, wenn die Durchführung eines Strafverfahrens im Raum steht, das keine Haftsache und auch nicht aus anderen Gründen unaufschiebbar ist, dürfen Angeklagte und Verteidiger und auch die weiteren notwendig anwesenden Personen ungeachtet etwa möglicher und gebotener Infektionsschutzmaßnahmen und sonstiger Sicherheitsvorkehrungen den mit einer voraussichtlich ganztägigen, jedenfalls aber mehrstündigen Verhandlung bei gleichzeitiger und teilweise wechselnder Anwesenheit zahlreicher Beteiligter einhergehenden Gefahren für die Gesundheit zur Durchsetzung des Interesses der Allgemeinheit an der Strafverfolgung nicht ausgesetzt werden (Stichwort: Coronakrise).

Besten Dank an den Kollegen für die schnelle Lieferung.