Und im Programm dann heute: StPO-Entscheidungen
Den Reigen eröffne ich mit einem Dauerbrenner aus der Rechtsprechung des BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 17.02.2021 – 4 StR 533/20 – noch einmal zur Frage der Augenscheinseinnahme, wenn der Angeklagte gemäß § 247 StPO aus der Hauptverhandlung entfernt worden ist, Stellung genommen.
Verurteilt worden ist der Angeklagte u.a, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen. Der Angeklagte hatte mit der Verfahrensrüge geltend gemacht, dass ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, die Einnahme eines Augenscheins von mehreren Lichtbildern . in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 230 Abs. 1 StPO). Der BGH meint: Zu Recht:
„a) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
In der Hauptverhandlung am 10. Juni 2020 ordnete die Strafkammer gemäß § 247 StPO für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin die Entfernung des Angeklagten aus dem Sitzungszimmer an. Während der anschließenden in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Zeugenvernehmung der Nebenklägerin wurden mehrere vom Verteidiger überreichte Lichtbilder in Augenschein genommen. Nach Abschluss der Befragung unterrichtete der Vorsitzende den wieder anwesenden Angeklagten über die Aussage der Nebenklägerin.
b) Aufgrund der Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls gemäß § 274 StPO steht fest, dass die Lichtbilder nicht lediglich als Vernehmungsbehelf Verwendung fanden, sondern Gegenstand einer förmlichen Beweiserhebung durch Einnahme eines Augenscheins waren. Nach dem im Regelungszusammenhang des § 247 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung eng auszulegenden Begriff der Vernehmung (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2010 . GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 90 mwN) ist die Erhebung eines anderweitigen Sachbeweises, selbst wenn sie in engem Zusammenhang mit der Vernehmung steht, nicht Teil der Vernehmung, so dass die Durchführung der Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch den Entfernungsbeschluss nach § 247 StPO nicht gedeckt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2014 . 4 StR 529/13, NStZ 2014, 223; vom 5. Oktober 2010 . 1 StR 264/10, NStZ 2011, 51). Die Inaugenscheinnahme hätte daher nach § 230 Abs. 1 StPO nicht in Abwesenheit des Angeklagten erfolgen dürfen.
c) Der Verfahrensverstoß ist nicht durch eine Wiederholung des Augenscheins in Anwesenheit des Angeklagten geheilt worden. Eine Verfahrenskonstellation, in welcher ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 . 4 StR 131/06, StV 2007, 20; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 247 Rn. 21 mwN), liegt ebenfalls nicht vor. Selbst wenn . was allerdings angesichts der unterbliebenen Mitwirkung des Angeklagten an und seiner fehlenden Kenntnis von der Beweiserhebung zweifelhaft erscheint . ein denkgesetzlicher Ausschluss des Beruhens in Betracht zu ziehen wäre, falls dem Angeklagten das Augenscheinsobjekt in einer nicht hinter der Augenscheinseinnahme zurückbleibenden Weise bekannt ist (offengelassen in BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 . 1 StR 264/10, aaO), lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Denn es steht weder . entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts . zweifelsfrei fest, dass die vom Verteidiger vorgelegten Lichtbilder vom Angeklagten stammen, noch besteht vor dem Hintergrund der Gegenerklärung des Verteidigers eine erfolgsversprechende Möglichkeit, die Herkunft der Bilder freibeweislich zu klären.
2. In Folge der Aufhebung des angefochtenen Urteils auf Grund der Verfahrensrüge kommt es nicht mehr darauf an, dass die Urteilsformel hinsichtlich der Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei der ausgeurteilten Fälle nicht mit der von den Feststellungen getragenen rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen in Einklang zu bringen ist.
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung ferner darauf hin, dass die Strafbarkeit wegen Herstellens einer kinderpornographischen Schrift nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassung eine auf die Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung der Schrift gerichtete Verwendungsabsicht des Täters voraussetzt. Der neue Tatrichter wird hinsichtlich dieses Tatvorwurfs gegebenenfalls auch die Frage der Verfolgungsverjährung zu prüfen haben.“