Immer wieder stößt man auf Vorkommnisse in Verfahren, bei denen man meint, dass es es sie nicht gibt bzw. geben sollte. Es gibt sie aber, wie die jeweiligen Entscheidungen beweisen, eben doch. Dazu gehört der OLG Celle, Beschl. v. 09.03. 2017 – 2 Ss 23/17 –, der ein – in meinen Augen handwerklich schlecht gemachtes – Urteil des LG Hannover zum Gegenstand hat. Das AG hatte den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG Hannover dann die Berufung des Angeklagten im Wesentlichen verworfen. Das OLG hat mit seinem Beschluss auf die in der Revision des Angeklagten erhobene Sachrüge das Berufungsurteils wegen eines Fehlers in der Beweiswürdigung – ich sage ja: handwerklich schlecht – aufgehoben. Und das OLG merkt auch noch an, die Verfahrensrüge des Angeklagten ggf. auch Erfolg gehabt hätte.
Mit seiner Verfahrensrüge hatte der Angeklagte beanstandet, dass das LG die Berufungshauptverhandlung durchgeführt habe, obwohl der Angeklagte in einem verhandlungsunfähigen Zustand gewesen sei, auf den das Gericht durch ein am Tag vor der Hauptverhandlung vorgelegtes ärztliches Attest eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ausdrücklich hingewiesen worden sei. Trotz der in dem vorgelegten Attest dargelegten Diagnosen (u.a. rezidivierende reaktiv-depressive Erkrankung, mittelschwere depressive Episode mit unterschwelligen Suizidgedanken) sowie der Einschätzung des Facharztes, dass für den Tag der Gerichtsverhandlung Verhandlungsunfähigkeit bei dem Angeklagten gegeben sei, habe das LG den Antrag auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins zurückgewiesen. Dem Angeklagten sei aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes die Wahrnehmung seiner Rechte in der Berufungshauptverhandlung unmöglich gewesen. Ein Indiz hierfür sei u.a. die Tatsache, dass der Angeklagte nach seiner Einlassung freiwillig den Sitzungssaal verlassen und sich bei geöffneter Tür in ein Nebenzimmer begeben habe. Dazu das OLG:
„In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat ergänzend, dass das im Protokoll der Hauptverhandlung dokumentierte freiwillige Verlassen des Sitzungssaales durch den Angeklagten während der Vernehmung der Zeugen von der Strafprozessordnung nicht gedeckt ist, auch wenn er der Verhandlung bei geöffneter Tür aus einem Nebenraum folgen konnte. Wer sich vor dem Sitzungssaal befindet, ist in der Hauptverhandlung nicht anwesend (Becker in: Löwe- Rosenberg, StPO 26. Auflage 2009, § 230, Rn. 17). Unabhängig davon, dass dieser Gesichtspunkt nicht Gegenstand einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge war, bleibt festzuhalten, dass die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben ist und das Gesetz nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gestattet. Insbesondere ist ein Verzicht des Angeklagten auf seine Anwesenheit unwirksam (BGH, Beschluss vom 27. November 1992 – 3 StR 549/92 –, NStZ 1993, 198). §§ 247, 247a StPO stellen für eine Vernehmung von Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten strenge Voraussetzungen auf und sind im Übrigen durch einen Gerichtsbeschluss anzuordnen, welcher laut Protokoll der Hauptverhandlung nicht ergangen ist. „
Das LG-Urteil hat dann auch noch einen Strafzumessungsfehler. Auf den komme ich dann noch einmal gesondert zurück.