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Angeklagter: „bin dann mal nebenan…“, oder: Wer nicht im Sitzungssaal ist, ist nicht anwesend

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Immer wieder stößt man auf Vorkommnisse in Verfahren, bei denen man meint, dass es es sie nicht gibt bzw. geben sollte. Es gibt sie  aber, wie die jeweiligen Entscheidungen beweisen, eben doch. Dazu gehört der OLG Celle, Beschl. v. 09.03. 2017 – 2 Ss 23/17 –, der ein – in meinen Augen handwerklich schlecht gemachtes – Urteil des LG Hannover zum Gegenstand hat. Das AG hatte den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung verurteilt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das LG Hannover dann die Berufung des Angeklagten im Wesentlichen verworfen. Das OLG hat mit seinem Beschluss auf die in der Revision des Angeklagten erhobene Sachrüge das Berufungsurteils wegen eines Fehlers in der Beweiswürdigung – ich sage ja: handwerklich schlecht – aufgehoben. Und das OLG merkt auch noch an, die Verfahrensrüge des Angeklagten ggf. auch Erfolg gehabt hätte.

Mit seiner Verfahrensrüge hatte der Angeklagte beanstandet, dass das LG die Berufungshauptverhandlung durchgeführt habe, obwohl der Angeklagte in einem verhandlungsunfähigen Zustand gewesen sei, auf den das Gericht durch ein am Tag vor der Hauptverhandlung vorgelegtes ärztliches Attest eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie ausdrücklich hingewiesen worden sei. Trotz der in dem vorgelegten Attest dargelegten Diagnosen (u.a. rezidivierende reaktiv-depressive Erkrankung, mittelschwere depressive Episode mit unterschwelligen Suizidgedanken) sowie der Einschätzung des Facharztes, dass für den Tag der Gerichtsverhandlung Verhandlungsunfähigkeit bei dem Angeklagten gegeben sei, habe das LG den Antrag auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins zurückgewiesen. Dem Angeklagten sei aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes die Wahrnehmung seiner Rechte in der Berufungshauptverhandlung unmöglich gewesen. Ein Indiz hierfür sei u.a. die Tatsache, dass der Angeklagte nach seiner Einlassung freiwillig den Sitzungssaal verlassen und sich bei geöffneter Tür in ein Nebenzimmer begeben habe. Dazu das OLG:

In diesem Zusammenhang bemerkt der Senat ergänzend, dass das im Protokoll der Hauptverhandlung dokumentierte freiwillige Verlassen des Sitzungssaales durch den Angeklagten während der Vernehmung der Zeugen von der Strafprozessordnung nicht gedeckt ist, auch wenn er der Verhandlung bei geöffneter Tür aus einem Nebenraum folgen konnte. Wer sich vor dem Sitzungssaal befindet, ist in der Hauptverhandlung nicht anwesend (Becker in: Löwe- Rosenberg, StPO 26. Auflage 2009, § 230, Rn. 17). Unabhängig davon, dass dieser Gesichtspunkt nicht Gegenstand einer den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge war, bleibt festzuhalten, dass die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung zwingend vorgeschrieben ist und das Gesetz nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen eine Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten gestattet. Insbesondere ist ein Verzicht des Angeklagten auf seine Anwesenheit unwirksam (BGH, Beschluss vom 27. November 1992 – 3 StR 549/92 –, NStZ 1993, 198). §§ 247, 247a StPO stellen für eine Vernehmung von Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten strenge Voraussetzungen auf und sind im Übrigen durch einen Gerichtsbeschluss anzuordnen, welcher laut Protokoll der Hauptverhandlung nicht ergangen ist. „

Das LG-Urteil hat dann auch noch einen Strafzumessungsfehler. Auf den komme ich dann noch einmal gesondert zurück.

Pflichtverteidigung, oder: Der überwiegend abwesende Pflichtverteidiger fliegt raus

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Vor dem Start ins Wochenende dann eine Entscheidung zur Entpflichtung des Pflichtverteidigers in einem Umfangsverfahren. Es ist der OLG Stuttgart, Beschl. v. 14.12.2015 – 2 Ws 203/15 – mit folgendem Sachverhalt: Es handelt sich um ein Verfahren, in dem StA in der Anklage dem Angeklagten Vergehen des gemeinschaftlichen Betruges im besonders schweren Fall zum Nachteil von insgesamt 568 Geschädigten zur Last. Der verursachte Gesamtschaden soll ca. 20 Millionen EUR betragen. Die 185-seitige Anklageschrift benennt insgesamt 645 Zeugen und Sachverständige. Aufgrund des Verfahrensumfangs mit 327 Stehordnern Ermittlungsakten und 118 Kartons Beweismitteln sowie elektronischen Dateien im Umfang von circa sechs Terabyte erfolgte am 11. 06. 2013 die Bestellung von Rechtsanwältin J. N. als weitere Pflichtverteidigerin des Angeklagten P. Auch dem Mitangeklagten wurde ein zweiter Pflichtverteidiger beigeordnet. Die zunächst am 26. 07.2013 begonnene Hauptverhandlung musste aufgrund Schwangerschaft einer Richterin der Strafkammer am 04.02.2014 ausgesetzt werden. In der nunmehr seit dem 25.03.2014 andauernden neuen Hauptverhandlung haben bis zum 19.11.2015 insgesamt 113 Sitzungstage stattgefunden. Weitere Hauptverhandlungstermine sind bereits bis zum 30.06.2016 bestimmt.

Mit Verfügung vom 13. 02. 2015 bestellte der Vorsitzende der Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Rechtsanwalt T. V. als zusätzlichen Pflichtverteidiger. Dem Mitangeklagten wurde ebenfalls ein dritter Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies wurde mit der unzureichenden Teilnahme der ursprünglichen Verteidiger an der Hauptverhandlung begründet. Am 27.04.2015 teilte Rechtsanwalt V. mit, seine Einarbeitung in den Verfahrensstoff sei abgeschlossen. Daraufhin nahm der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger des Angeklagten H. P. sowie von Rechtsanwalt O. W. als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten L. B. durch Verfügung vom 27.04.2015 mit sofortiger Wirkung zurück. Auf die Beschwerden der beiden Angeklagten wurde diese Entscheidung mit Beschluss des OLG vom 21.05.2015 aufgehoben, da keine ausreichende Abmahnung des Fehlverhaltens der Pflichtverteidiger erfolgt war. Durch Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer vom 23. November 2015 wurde die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger dann erneut mit sofortiger Wirkung zurückgenommen.

Hiergegen die Beschwerde – und dieses Mal hat das OLG die Entpflichtung gehalten. Begründung: Es liegt eine gewichtige Pflichtverletzung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Dr. E. liegt vor. Denn zusammengefasst:

  • Der Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung ist der Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall nur ungenügend nachgekommen. Die Anwesenheitszeiten des Pflichtverteidigers betragen nur 50,09%.
  • Seit Beginn des Verfahrens ist eine nur fragmentarische Anwesenheit der beiden ursprünglichen Pflichtverteidiger, insbesondere jedoch von Rechtsanwalt Dr. E., in der Hauptverhandlung zu verzeichnen.
  • Rechtsanwalt Dr. E. hat ausgeführt, „dass er auch anlässlich von Familienfeiern oder einem jährlich stattfindenden Stammtischausflug nicht gedenke, an der Hauptverhandlung vor dem LG Stuttgart teilzunehmen. Zwar ist insoweit die „Empfehlung“, die Staatsanwaltschaft möge seine Ehefrau oder ein namentlich benanntes Mitglied seines Stammtisches nach den entsprechenden Daten befragen, ironisch überspitzt, ändert jedoch nichts an der Aussage, private Belange über die Verpflichtungen aus dem Pflichtverteidigermandat zu stellen. Dies zeigt sich auch in einer eigenmächtigen Urlaubsabwesenheit während vier Hauptverhandlungsterminen zwischen dem 11. und 21. August 2015, obwohl für die Zeit zwischen dem 21. August und dem 21. September 2015 eine Sitzungsunterbrechung zur Sommerpause angekündigt war und auch stattfand.“
  • Das OLG hat auch „berücksichtigt, dass die eingeschränkte Anwesenheit in der Hauptverhandlung zumindest teilweise auch auf einer krankheitsbedingten Verhinderung beruhen mag, die der Pflichtverteidiger nicht zu vertreten hat. Führt letztere jedoch wie im vorliegenden Fall zu einer längerfristigen gravierenden Einschränkung der Verteidigertätigkeit, so kann sie ebenfalls eine Abberufung gebieten. Dies insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des für den Angeklagten nicht disponiblen Beschleunigungsgebots in Haftsachen, das einer – auch den Mitangeklagten treffenden – Verkürzung der Verhandlungsdauerdauer pro Sitzungstag entgegensteht. Die Entpflichtung eines Verteidigers stellt nämlich keine Sanktion für ein pflichtwidriges Verhalten in der Vergangenheit dar, sondern dient ausschließlich dazu, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand sowie einen geordneten Prozessablauf für die Zukunft zu sichern. Auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers kommt es mithin – zumindest im vorliegenden Fall – nicht an.“

Anhörung: Der (Pflicht)Verteidiger muss dabei sein, oder: Wenn das Anwesenheitsrecht zur Farce wird

© fotomek - Fotolia.com

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Machen wir heute noch einmal einen „Strafvollstreckungstag“, also Entscheidungen, die aus dem Vollstreckungsverfahren stammen. Zunächst zwei Beschlüsse, die sich mit der nicht erfolgten Teilnahme des Verteidigers an der Anhörung des Verurteilten im Verfahren über die Reststrafenaussetzung (§§ 57 ff. StGB; 454, 463 StPO) befassen. In beiden Fällen haben die OLG (mal wieder) das Recht auf eine faires Verfahren für den Verurteilten betonen müssen.

Das ist zunächst der OLG Nürnberg, Beschl. v. 02.12.2015 – 1 Ws 546/15. Da ist es ein wenig (zu) schnell gegangen bei der StVK. Anberaumung des Anhörungstermins am 14.10.2015 auf den 16.10.2015. Ladung des Verteidigers nicht per Fax, sondern auf normalem Weg, allerdings zunächst Eingang als Irrläufer bei einer anderen Anwaltskanzlei. Der Anhörungstermin findet dennoch statt, Strafaussetzung wird abgelehnt. Das OLG Nürnberg meint: So nicht. Denn:

„1. Der auf dem Rechtsstaatsprinzip basierende Grundsatz des fairen Verfahrens gibt dem Verurteilten das Recht, zu, seiner mündlichen Anhörung im Verfahren über die Aussetzung eines Strafrestes einen Rechtsbeistand seines Vertrauens hinzuzuziehen. Das Recht auf ein faires Verfahren gibt dem Verurteilten jedoch nicht schlechthin ein allgemeines Recht auf einen Rechtsbeistand, sondern gewährleistet dies lediglich in den Grenzen einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Abwägung zwischen den Verfahrensrechten des Verurteilten einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Effizienz des Verfahrens andererseits. So gehört es grundsätzlich nicht zu den Aufgaben des Gerichts, den Verteidiger von dem Termin zur mündlichen Anhörung zu benachrichtigen, sondern es obliegt dem Verurteilten, selbst dafür Sorge zu treffen, dass sein Rechtsbeistand zur mündlichen Anhörung erscheint und seine Interessen vertritt. Erfolgt die Anhörung jedoch kurzfristig, so hat das Gericht den Verteidiger zu benachrichtigen, da anders der Anspruch auf eine faire Verfahrensgestaltung nicht durchsetzbar ist (vgl. OLG Saarbrücken, NStZ 2011, 478, 479 m.w.N.).

2. Dies zu Grunde gelegt ist im vorliegenden Fall die unterbliebene Hinzuziehung des Verteidigers zum Termin zur mündlichen Anhörung als schwerwiegender Verfahrensfehler zu werten, der die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses notwendig macht. Zwischen der Terminsverfügung vom 14.10.2015 und dem Anhörungstermin vom 16.10.2015 um. 8.30 Uhr lag nur ein Tag. Nachdem die Terminsnachricht nicht per Fax erfolgte und überdies als Irrläufer am 15.10.2015 zunächst eine verfahrensfremde Anwaltskanzlei erreichte, erhielt der Verteidiger erst Nachricht vom Anhörungstermin, als dieser bereits stattgefunden hatte.“

Und der zweite Beschluss ist der OLG Hamm, Beschl. v. 16.06.2015 – 4 Ws 200/15. Da hatte die Anhörung über die Aussetzung einer Maßregel ohne den erkrankten Pflichtverteidiger statt gefunden. Hat dem OLG nicht gefallen:

„…. Jedoch gebietet es der im Rechtsstaatsprinzip verwurzelte Grundsatz des fairen Verfahrens, dem Verteidiger in entsprechender Anwendung der §§ 163, 168 c StPO auch bei der mündlichen Anhörung im Vollstreckungsverfahren die Teilnahme zu gestatten (zu vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.01.2006 – 2 Ws 23/06 -).

Dieses Recht hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn vorliegend verletzt. Angesichts der plötzlichen Erkrankung des Pflichtverteidigers hätte, was auch ohne weiteres möglich gewesen wäre, eine neue Anhörung anberaumt werden müssen. Davon war die Strafvollstreckungskammer auch nicht deswegen entbunden, weil die Untergebrachte bei der Anhörung geäußert hat, sie sei damit einverstanden, dass diese ohne ihren Pflichtverteidiger stattfinde. Denn die Rechtsprechung misst einem ausdrücklichen Verzicht eines Verurteilten nur insoweit rechtliche Bedeutung bei, als er selbst auf eine Anhörung verzichtet. Einem Verurteilten, der an der zu treffenden Entscheidung kein Interesse zeigt, wird die mündliche Anhörung nicht aufgedrängt (zu vgl. OLG Köln, a.a.O.). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Vielmehr wird das Anwesenheitsrecht des Pflichtverteidigers durch Erklärungen, wie sie die Untergebrachte hier abgegeben hat, nicht berührt. Der Pflichtverteidiger ist Beistand, nicht Vertreter des Untergebrachten. Seine Aufgabe verlangt von ihm, das Verfahren in eigener Verantwortung und unabhängig von dem Untergebrachten zu dessen Schutz mitzugestalten (zu vgl. OLG Köln, a.a.O.). Die dem Pflichtverteidiger gebotene Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme genügte ebenfalls nicht zur sachgerechten Wahrnehmung des Rechts der Untergebrachten. Vielmehr stellt dies eine Verkürzung ihrer Rechte dar. Denn nur die mündliche Anhörung bietet die ausreichende Gewähr für eine sachgerechte Stellungnahme durch den Verteidiger, insbesondere vor dem Hintergrund, insoweit die Sache mit dem Gericht und den weiteren Beteiligten – hier insbesondere den Betreuern und Bezugstherapeuten der Untergebrachten – zu erörtern.“

In beiden Fällen: Bitte noch einmal…. Und man fragt sich, warum man eigentlich einen Termin innerhalb von zwei Tagen anberaumt und dann, wenn der Verteidiger nicht da ist, auch durchzieht. Da wird das Anwesenheitsrecht des Verteidigers zur Farce. Dasselbe gilt letztlich, wenn ich den Anhörungstermin durchführe, obwohl der von der Kammer selbst beigeordnete Rechtsanwalt wegen Erkrankung nicht erschienen ist.

Zuschauen/Dabei stehen ist keine gemeinschaftliche Körperverletzung

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Die Rechtsprechung des BGH zur gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) ist recht vielfältig. Besonders häufig finden wir Entscheidungen zum „gefährlichen Werkzeug“ (Nr. 2). Daher ist dann aber auch mal eine BGH-Entscheidung, die sich mit einer der anderen Alternativen des § 224 Abs. 1 StGB befasst, von Interesse. So der BGH, Beschl. v. 21.07.2015 – 3 StR 261/15, der noch einmal zur Frage der „Gemeinschaftlichkeit“ (Nr. 3) Stellung nimmt.

Das LG hatte die Angeklagten u.a. wegen einer gefährlichen Körperverletzung verurteilt und war vom Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 3 – „gemeinschaftlich“ ausgegangen. Festgestellt worden ist ein Angriff der Angeklagten auf einen Taxifahrer. Der Angeklagte hatte diesen im PKW von hinten angegriffen und gewürgt. Man hatte den Taxifahrer dann 30 € und dessen Mobiltelefon weggenommen.Dazu der BGH:

„Diese Feststellungen belegen nicht, dass die Angeklagten die körperliche Misshandlung des Geschädigten gemeinschaftlich im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB begingen. Zur Erfüllung dieses Qualifikationstatbestandes ist zwar die eigenhändige Mitwirkung jedes Einzelnen an der Verletzungshandlung nicht erforderlich. Vielmehr kann es genügen, dass ein am Tatort anwesender Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 – 3 StR 158/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 4). Allein die Anwesenheit einer zweiten Person, die sich passiv verhält, erfüllt die Qualifikation jedoch noch nicht (BGH, Urteil vom 20. März 2012 – 1 StR 447/11, juris Rn. 12; MüKoStGB/Hardtung, 2. Aufl., § 224 Rn. 34 mwN). Lediglich ein solches passives Verhalten ist aber festgestellt. Die Urteilsgründe zeigen weder auf, dass die bloße Präsenz der Mitange-klagten in besonderer Weise den Geschädigten in seiner Lage beeinträchtigte, noch, dass die Mitangeklagte hinsichtlich der körperlichen Misshandlung überhaupt unterstützungsbereit war und hierdurch eine erhöhte Gefährlichkeit der konkreten Tatsituation begründete.“

Das Ganze führt dann zur Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch. denn:

„Da ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat den Schuldspruch selbst geändert und die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung entfallen lassen. Eine Abänderung des Schuldspruchs gegen den Angeklagten auf tateinheitlich verwirklichte Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) kommt nicht in Betracht, da die gemäß § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB erfor-derlichen Verfolgungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Weder hat der Geschädigte einen Strafantrag gestellt noch die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Eine solche (konkludente) Erklärung ist auch nicht der Anklage zu entnehmen, da diese nur den Vorwurf einer tateinheitlich zum Raubtatbestand verwirklichten gefährlichen Körperverletzung zum Gegenstand hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2015 – 2 StR 108/15, juris Rn. 4).“

Anderenfalls hätte der BGH im Zweifel „sicher ausschließen“ können, dass die Schuldspruchänderung Auswirkungen auf die Strafe gehabt hätte.

Klassischer Fehler XXVIII: SV nicht in der Hauptverhandlung, seine „Ausführungen“ aber im Urteil..

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Der Sachverständige war nicht in der Hauptverhandlung anwesend, seine „Ausführungen“ werden vom LG aber bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 21 StGB im Urteil „verwendet“. Da fragt man sich als Leser des BGH, Beschl. v. 10.06.2015 – 1 StR 193/15 dann doch: Geht das?

Nein, das geht so nicht, zumal auch sonst die „Ausführungen“ des Sachverständigen nicht in der Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Und damit liegt dann ein Verstoß gegen § 261 StPO vor, der zur Teilaufhebung führt:

Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO greift durch und führt zur Aufhebung des Strafausspruches. Die Ausführungen der Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung beruhen nicht auf dem Inbegriff der Haupt-verhandlung. Das Landgericht hat sich bei der Ablehnung der Voraussetzungen des § 21 StGB vor allem auf die gutachtlichen Äußerungen des Sachverständigen G. und dessen Eindruck vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt. Demgegenüber steht jedoch aufgrund des Sitzungsprotokolls, dessen Richtigkeit zudem von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bestätigt wurde, fest, dass der Sachverständige weder in der Hauptverhandlung anwesend war noch dessen Ausführungen in sonstiger Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurden.“

Man fragt sich aber nicht nur, „ob das geht“, sondern auch nach dem „Warum“. In meinen Augen ein Anfängerfehler. Und bitte keine Kommentare, dass das ja auch ein Fehler im Protokoll sein könne. Das hatte der BGH dann auch wohl erst gedacht und deshalb bei der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft nachgefragt. Und die hat die Richtigkeit des Protokolls bestätigt – was es nicht besser macht.