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U-Haft ist ultima ratio – wenn das doch nur immer beachtet würde…

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Zu berichten ist über einen m.E. sehr „schönen“ U-Haft-Beschluss des KG, und zwar den KG, Beschl. v. 07.03.2013 – 4 Ws 35/13.

Die Leitsätze:

1. Bei der Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft ist nicht zu fragen, ob diese angeordnet werden kann, sondern ob ihre Verhängung – als ultima ratio – wegen überwiegender Belange des Gemeinwohls zwingend geboten ist.
2. Zur Frage, ob für einen Beschuldigten, der in Kenntnis der seit Jahren anhängigen Ermittlungen, nach Anordnung strafprozessualer Zwangsmaßnahmen und in Kennt-nis eines mit der Anklageerhebung angebrachten Haftbefehlsantrags der Staatsanwaltschaft keine Anstalten gemacht hat, sich dem Verfahren zu entziehen, mit der Eröffnung des Hauptverfahrens und der geplanten zeitnahen Terminierung der Hauptverhandlung eine nachteilige „völlig neue Verfahrenssituation“ eingetreten ist, welche die Bejahung von Fluchtgefahr zu tragen vermag.
3. Zur Bedeutung von Sprachkenntnissen und Auslandsbeziehungen eines Geschäftsmannes, die dieser im Rahmen seiner geschäftlichen Betätigung schon mehrere Jahre vor der Zeit der im vorgeworfenen Taten geknüpft und seither unterhalten hat.

Lesenswerte Entscheidung, die manche Instanzgerichte sich mal zu Gemüte führen sollten.

Nachtrag: Leider sah der Beitrag vorhin etwas anders aus. PC-Absturz im falschen Moment 🙁

„Ein Haftraum ist kein „Briefkasten“……

Mal wieder etwas aus dem Strafvollzug, und zwar zur Ersatzzustellung im Strafvollzug. Einem Verurteilten wird im Strafvollstreckungsverfahren ein Beschluss der Strafvollstreckungskammer „zugestellt“, und zwar, da der Verurteilte wohl nicht in seiner Zelle anwesend war, im Wege der „Ersatzzustellung“ dadurch, dass der Beschluss – im wahrsten Sinne des Wortes – in der Zelle niedergelegt wird. Das OLG Hamm bezweifelt im OLG Hamm, Beschl. v. 11.04.2013 – 1 Vollz (Ws) 106/13 – die Wirksamkeit der Zustellung:

„Zwar war die Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 17.08.2012 womöglich unwirksam, da nach der Gefangenenzustellungsurkunde eine Ausfertigung des Beschlusses lediglich im Haftraum hinterlegt, hingegen nicht dem Gefangenen übergeben wurde. Es erscheint zweifelhaft, ob eine Hinterlegung der Sendung im Haftraum den Anforderungen an eine Ersatzzustellung nach §§ 120 StVollzG, 37 StPO, 180 ZPO genügt. Der Haftraum ist kein „Briefkasten“. Ob er als „ähnliche Vorrichtung“, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat, anzusehen ist, ist ebenfalls zweifelhaft. Für das Niederlegen von Sendungen an irgendeiner Stelle in der Wohnung des Adressaten durch den Postzusteller ist höchstrichterlich entschieden, dass dies die Anforderungen an die Ersatzzustellung nicht erfüllt, weil dies keine Gewähr mehr dafür bietet, dass der Empfänger die Mitteilung auch tatsächlich vorfindet, vielmehr besteht die Gefahr, dass er sie achtlos beiseite legt oder wegwirft, weil er sie an diesen Stellen üblicherweise nicht erwartet (BVerwG NJW 1973, 1945). Etwas anders kann nach Auffassung des Senats auch nicht für den Haftraum eines Sicherungsverwahrten gelten.“

Entscheiden musste der Senat die Frage nicht, da die Rechtsbeschwerde des Verurteilten aus anderen Gründen, auch wenn die Zustellung als unwirksam angesehen worden wäre, keinen Erfolg gehabt hätte.

Und wieder „Verteidigerfehler“ Verfahrensrüge – was ist daran denn so schwer?

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Ich habe ja schon öfters über die Begründung der revisionsrechtlichen Verfahrensrüge berichtet, über der das scharfe Schwert des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hängt. Beklagt wird häufig, dass die Revisionsgerichte, diese Vorschrift viel zu streng auslegen und man sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren kann, dass über den Weg der nicht ausreichenden, den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügenden Begründung der formale Weg zur Verwerfung der Revision gesucht (und gefunden) wird. Das mag alles sein und darüber kann man an dieser Stelle sicherlich nicht diskutieren. Andererseits kann/darf man aber auch nicht übersehen, dass von Verteidigern bei der Begründung der Revision häufig „Steilvorlagen“ gegeben werden, um das Rechtsmittel unter Berufung auf den § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu verwerfen.

Ein schönes (?) Beispiel ist da mal wieder der BGH, Beschl. v. 07.05.2013 – 4 StR 475/12. Gerügt wird mit der Verfahrensrüge, dass ein Ablehnungsgesuch des Verteidigers gegen eine Richterin der Strafkammer zu Unrecht verworfen worden sei, also § 338 Nr. 3 StPO. Zur Begründung dieser Rüge muss nach der Rechtsprechung alles vorgetragen werden, was mit dem Ablehungsgesuch zusammenhängt, also der Ablehnungsantrag, ggf. abgegebene dienstliche Äußerungen, der vom Gericht erlassene Beschluss. Aus dem Revisionsvortrag muss sich (natürlich) auch ergeben, was denn Anlass zu dem Verhalten des Richters gewesen ist, das den Ablehnungsantrag und die Besorgnis der Befangenheit begründen soll. Und an letzterem hat es im vom BGH entschiedenen Fall gehapert, so dass der BGH nur ganz knapp zur Verfahrensrüge Stellung nehmen konnte.

„1. Die Verfahrensrüge, das Ablehnungsgesuch des Verteidigers K. vom 20. Januar 2011 gegen Richterin am Landgericht S. sei zu Unrecht verworfen worden, entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. In der Revisionsbegründung wird der Inhalt des von Rechtsanwalt T. verlesenen Antrags, der zu der beanstandeten Reaktion der Richterin geführt haben soll, nicht mitgeteilt.“

Ich frage mich bei solchen Entscheidungen immer: Ist es denn wirklich so schwer, das Verfahrensgeschehen umfassend und für eine Verfahrensrüge ausreichend darzustellen? Manchmal liegen die Hürden sicherlich hoch, wenn nicht gar zu hoch. In diesem Fall aber m.E. nicht. Das sollte man können.

Immer wieder sagt der BGH: Schreibt nicht so viel

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Immer wieder oder „alle Jahre wieder“ gibt es einen Entscheidung des BGH, die man so zusammen fassen könnte: Schreibt nicht so viel Tatgerichte, denn ich muss es alles lesen. So dieses Jahr 🙂 der BGH, Beschl. v. 14.05.2013 – 3 StR 101/13 -, in dem der BGH noch einmal zum Umfang der tatgerichtlichen Entscheidungsgründe Stellung nimmt:

„Zur Darstellung der Vorstrafen ist es ausreichend, diejenigen Urteile aufzuführen, die das kriminelle Vorleben des Angeklagten prägen und für die Entscheidung von Bedeutung sind. Dabei kann es – etwa zur Feststellung von formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung – durchaus auch erforderlich sein, den Tag der Tat und der Rechtskraft des Urteils sowie den Vollstreckungsverlauf festzustellen. Die Wiedergabe des vollständigen Bundeszentralregisterauszugs unter Einschluss unbedeutender jugendstrafrechtlicher Maßnahmen ist bei einer Verurteilung wegen zweier Betäubungsmittelhandelstaten zu einer eher geringen Freiheitsstrafe hingegen unnötig. Erst recht ist es verfehlt, den Registerauszug in faksimilierter Form im Urteil wiederzugeben und dadurch Lesbarkeit und Verständnis der Urteilsgründe zu erschweren.

Die Beweiswürdigung soll keine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme enthalten, sondern lediglich belegen, warum bestimmte bedeutsame Umstände so festgestellt worden sind. Es ist regelmäßig untunlich, die Zeugenaussagen der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen und den Inhalt der überwachten Telekommunikation wörtlich oder auch nur in einer ausführlichen Inhaltsangabe wiederzugeben (hier UA S. 7 bis 19). Dies kann vielmehr die Besorgnis begründen, der Tatrichter sei davon ausgegangen, eine breite Darstellung der erhobenen Beweise könne die gebotene eigenverantwortliche Würdigung ersetzen. Dies wäre rechtsfehlerhaft und könnte unter – hier wegen der weiteren Ausführungen UA S. 21 bis 28 allerdings nicht gegebenen – Umständen den Bestand des Urteils gefährden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1998 – 4 StR 106/98, NStZ-RR 1998, 277 mwN).“

 

Drogenfahrt: Lallen und starkes Zittern? Reicht das?

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Hier dann nach Drogenfahrt: Weiß doch jeder, dass man nach kiffen nicht fahren darf…. und dem OLG Hamm, Beschl. v.21.12.2013 – III-2 RBs 83/12 die zweite Entscheidung zu § 24a Abs. 2 StVG. Es handelt sich um den OLG Hamburg, Beschl. v. 08.12.2011 -1 – 45/11 (RB).

Da haben dem OLG  die Ausführungen/Feststellungen des AG zur Fahrlässigkeit ebenfalls nicht gereicht:

Den Vorwurf der Fahrlässigkeit hinsichtlich des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (§ 24a Abs. 2 und 3 StVG) hat das Amtsgerichts darauf gestützt, dass die Betroffene die fortbestehende Wirkung des von ihr konsumierten Cannabis hätte erkennen können und müssen, weil die bei ihr festgestellten Auffälligkeiten zu zahlreich seien, als dass sie ihr hätten entgehen können (UA S. 3 erster und vorletzter Absatz). Zu diesen Auffälligkeiten gehören nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen, dass die Betroffene (unmittelbar nachdem sie bei einer Verkehrskontrolle angehalten worden war) gerötete Augen sowie eine leicht lallende Sprache hatte, stark zitterte und beim Rombergtest 20 Sekunden so lang wie 30 Sekunden empfand. Letzteres sei – wie der Sachverständige Dr. M. im Rahmen seines Gutachtens fundiert und nachvollziehbar ausgeführt habe – eine typische zeitliche Fehleinschätzung; denn nach dem Konsum von Cannabis würden Zeiträume üblicherweise als kürzer empfunden. Tatsächlich hat die Betroffene hier aber laut Urteilsgründen eine Zeitspanne von objektiv nur 20 Sekunden deutlich länger eingeschätzt. Ihr kam der Zeitraum so vor, als seien immerhin schon 30 Sekunden vergangen. Damit entfällt dieses Argument als ein typisches Anzeichen für eine Fehleinschätzung aufgrund des Drogenkonsums. Es wäre indes ohnehin nicht tragfähig, weil dieser Test erst nach der Fahrt unter Rauschmitteleinfluss durchgeführt worden ist, also nicht feststeht, dass die Betroffene bereits (spätestens) bei Antritt oder während der Fahrt hätte merken müssen, dass sie Zeitabläufe infolge des Betäubungsmittelkonsums nicht mehr annähernd zutreffend einzuschätzen vermochte. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchem Grunde der Betroffenen im maßgeblichen Zeitpunkt hätte klar sein müssen, dass ihr Zeitempfinden gestört war.

Soweit das Amtsgericht überdies auf die geröteten Augen der Betroffenen abgestellt hat, ist die Beweiswürdigung insofern lückenhaft, als in den Gründen des Urteils nicht dargelegt worden ist, auf welche Weise oder bei welcher Gelegenheit der Betroffenen selbst hätte auffallen müssen, dass ihre Augen gerötet waren.

Zwar verbleiben noch zwei recht aussagekräftige Indizien, nämlich die leicht lallende Sprache und das auch für die Betroffene deutlich wahrnehmbare starke Zittern, für die fortbestehende Wirkung des Cannabiskonsums.

Der Senat kann aber nicht ausschließen, dass das Amtsgericht eine fahrlässige Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG nicht mehr angenommen hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass die beiden zuerst genannten Gesichtspunkte als Grundlage für die Überzeugungsbildung ausscheiden. Denn das Amtsgericht hat in der Beweiswürdigung ausdrücklich ausgeführt, dass die festgestellten Auffälligkeiten „zu zahlreich seien, als dass sie der Betroffenen selbst hätten entgehen können. Damit beruht das Urteil im Sinne der Vorschrift des § 337 Abs. 1 StPO auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung.“