Schlagwort-Archive: Anforderungen

(Akten)Einsicht a la OLG Celle/Hamm: In meinen Augen Unsinn bei der Begründung der Rechtsbeschwerde

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

© Avanti/Ralf Poller – Fotolia.com

Duplizität der Ereignisse. Gestern hat mir der Kollege Geissler den OLG Celle, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 Ss (OWi) 82/16 übersandt. Und gestern hat der Kollege Gratz dann auch über den OLG Hamm, Beschl. v. 23.03.2016 – 4 RBs 50/16 (vgl. Sachverständiger er­hält Messdaten, Verteidiger nicht: Nach Urteil muss Einsicht wei­ter ver­sucht wer­den!) berichtet. In beiden Beschlüssen geht es u.a. um die Begründung der Rechtsbeschwerde bei verweigerter Einsicht in die Rohmessdaten. Und beide OLG machen den Blödsinn (ups schreibe ich lieber nicht, aber was schreibt man?, vielleicht besser Unsinn/) weiter, den die OLG, darunter auch Celle und Hamm, vor einiger Zeit bei verweigerter Einsicht in die Bedienungsanleitung angefangen haben. Sie legen insgesamt die Hürden mal wieder so hoch, dass kaum ein Betroffener drüber springen kann. Man hat schon den Eindruck – der Kollege Geißler formuliert: „…lässt die Tendenz erkennen Rechtsmitteln die Grundlage durch Förmelei zu entziehen … .

Und m.E. ist das, was die OLG machen, auch nicht zutreffend. Das OLG Celle führt aus:

„Die Verfahrensrüge zur Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtbeiziehung der Rohmessdaten erweist sich als unzulässig. Der Senat hat bereits entschieden, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Anforderungen an eine Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei beantragter Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung eines Messgerätes auf die Herausgabe von Rohmessdaten zu übertragen sind. Danach muss sich der Betroffene bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist um die Herausgabe und ggf. Entschlüsselung der Rohmessdaten bemühen und vortragen, welche Anstrengungen er insoweit bis zum Ablauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist unternommen hat (vgl. dazu Beschl. des Senats v. 21. März 2016, 2 Ss (OWi) 77/16). Der Betroffene muss sich außerhalb der Hauptverhandlung und ggf. auch unter Einsatz finanzieller Mittel darum bemühen, Anhaltspunkte für eine Fehlmessung zu ermitteln (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, NZV 2016, 140). Wenn das Amtsgericht es aus Amtsaufklärungsgesichtspunkten nicht für erforderlich erachtet, selbst in die Rohmessdaten Einsicht zu nehmen bzw. dazu ein Sachverständigengutachten einzuholen, weil keine konkreten Anhaltspunkte für eine Fehl-messung vorliegen, ist dies nicht zu beanstanden.“

Und bitte schön, liebes OLG: Was soll das an der Stelle noch bringen? Für das vorbereitende Verfahren mag die Ansicht ja noch nachvollziehbar sein – dazu verhält sich m.E. der OLG Düsseldorf-Beschluss. Aber für das Verfahrensstadium Rechtsbeschwerde? Was kann ich als Betroffener dann noch mit den Rohmessdaten anfangen, wenn ich sie erst jetzt erhalte? Ein Sachverständigengutachten erstellen lassen? Toll, die Hauptverhandlung ist beendet, wie soll ich das also ins Verfahren einführen. Und einen Beweisantrag formulieren – ebenso toll, denn – richtig – die Hauptverhandlung ist zu Ende. Also laufe ich gegen die Wand, bzw. befinde mich auch hier als Verteidiger/Betroffener in einem Teufelskreis. Es bringt mir nicht mehr, wenn ich mich weiter um die Daten bemühe.Oder?

Aber vielleicht bin ich inzwischen ja auch zu blöd zu erkennen, wo der Hase denn nun im Pfeffer liegt. Dann wäre es toll, wenn vielleicht mal ein OLG so nett wäre, es den staunenden Verteidigern und sonstigen interessierten zu erklären. So hat man wirklich den Eindruck, dass es darum geht, dass die Rechtsbeschwerden in dem gemeinsamen Kampf der OLG um die standardisierten Messverfahren „abgewürgt“ werden sollen. Warum auch immer?

Und vielleicht noch ein kleiner Hinweis nach Celle: Die Entscheidung ist in einem „Bußgeldverfahren“ ergangen, nicht in einem „Strafverfahren“ wie es im Beschluss steht.

Nur Auf- und Abstriche unter dem Urteil? – Das ist keine „Unterschrift“

© Gina Sanders Fotolia.com

© Gina Sanders Fotolia.com

Ich vermute mal, dass der Verteidiger in einem beim AG Tiergarten in Berlin anhängigen Bußgeldverfahren über die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteilsüberrascht gewesen sein wird. Manche Aufhebungen überraschen aber eben bzw. mit ihnen kann man nicht rechnen. So m.E. im Zweifel eben die durch den KG, Beschl. v. 02.02.2016 – 3 Ws (B) 60/16 — 122 Ss 188/15. Der Verteidiger hatte in einem Verfahren wegen eines Rotlichtverstoßes nach der Verurteilung des Betroffenen die Sachrüge erhoben. Die führt dazu, dass das Rechtsbeschwerdegericht das amtsgerichtliche Urteil umfassend auf materiell-rechtliche Fehler überprüft. Voraussetzung ist aber, dass überhaupt ein Urteil vorliegt. Und das setzt dann wiederum eine ordnungsgemäße Unterschrift unter der Urteilsurkunde voraus. Die hat das KG in dem Fall aber vermisst:

„…..Eine fehlende oder unzureichende Unterschrift stellt einen sachlich-rechtlichen Fehler dar (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2011, 348, Senat zfs 2014, 349 und Beschluss vom 16. September 2013 – 3 Ss 82/13 -), der nur innerhalb der Frist des§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO berichtigt werden kann.

Zu den Anforderungen an die Unterschriftsleistung hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift Folgendes ausgeführt:

„Die Unterschrift der Tatrichterin unter dem Urteil (BI. 154 d. A) vermag den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. KG Beschlüsse vom 16. September 2013 – (3) 161121/13 (82/13) -, vorn 7. März 2014 – (4) 161 Ss 45/14 (58/14) -, vom 27. November 2013 – 3 Ws (B) 535/13 – Juris — und vom 24. Oktober 2013 – 3 Ws (B) 534/13 -; OLG Köln NStZ-RR 2011, 348f.; Sander in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 275 Rdn. 37 m. w. N.) für eine wirksame Unterzeichnung im Sinne von § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht zu genügen. Erforderlich ist zur wirksamen Unterzeichnung ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender individueller Schriftzug, der charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert. Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Diese Grenze individueller Charakteristik ist insbesondere bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien eindeutig überschritten (vgl. KG und OLG Köln jew. a.a.O). Nach diesen Maßstäben liegt hier auch bei wohlwollender Betrachtungsweise keine Unterschrift vor. Das Urteil zeigt an der für die richterliche Unterschrift vorgesehenen Stelle nur einen Aufstrich, dem ein linksgerichteter Abstrich folgt, der wiederum in einen annähernd waagerechten Strich übergeht. Weder sind Buchstaben oder Buchstabenfragmente erkennbar noch ist sonst ein Hinweis dahin ersichtlich, dass es sich um Schrift handelt.“

Dieser Einschätzung kann sich der Senat nicht verschließen. Auch wenn an die Unterschriftsleistung keine allzu großen Anforderungen gestellt werden dürfen, hat sich in der Rechtsprechung doch Übereinstimmung gebildet, dass einzelne Buchstaben erkennbar sein müssen. Daran fehlt es hier. Damit aber liegt kein vollständiges schriftliches Urteil, sondern lediglich ein Entwurf vor, weshalb der Senat die ihm mit der Rechtsbeschwerde angetragene sachlich-rechtliche Prüfung nicht vornehmen kann.“

Tja, Frau Tatrichterin: Gehe zurück auf Los….. So richtig glücklich ist der Senat mit der Entscheidung übrigens nicht. Kann man m.E. aus der Formulierung „…nicht verschließen“ entnehmnen. Aber an der Aufhebung ging dann doch kein Weg vorbei.

Das „Kleine Einmaleins“ der ordnungsgemäßen Bezugnahme – man sollte es beherrschen…

entnommen wikimedia.org Urheber Photo: Andreas Praefcke

entnommen wikimedia.org
Urheber Photo: Andreas Praefcke

So ganz viel – erfolgversprechende – Möglichkeiten, im Bußgeldverfahren mit der Rechtsbeschwerde die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils zu erreichen, gibt es ja leider nicht (mehr). Aber, wenn es um die Täteridentifizierung anhand eines Lichtbildes, das von dem Verkehrsverstoß gefretigt worden ist, geht, dann stehen die Chancen nicht schlecht. Da werden dann doch häuifg/viele Fehler gemacht, die zur Aufhebung führen und damit Zeitgewinn bringen. Und das vor allem dann, wenn man an einen Amtsrichter „gerät“, der das „Kleine Einmal Eins“ der Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht beherrscht.

So der Amtsrichter in Berlin, der das dem KG, Beschl. v. 22.09.2015 – 3 Ws (B) 484/15 – zugrundeliegende Urteil abgesetzt hatte. Das passte nun gar nicht:

„Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin weist in ihrer Stellungnahme zu dem Rechtsmittel zutreffend darauf hin, dass das Urteil hinsichtlich der Feststellung zu der Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin an einem durchgreifenden Darstellungsmangel leidet. Ausweislich der Urteilsgründe hat der Tatrichter die Betroffene anhand der Fotos und der Aufzeichnungen der Rotlicht- und Geschwindigkeitsüberwachungsanlage als Führerin des maßgeblichen Fahrzeugs erkannt. Die bloße Darlegung jedoch, dass das Gericht die Fotos und Aufzeichnungen in die Hauptverhandlung eingeführt habe, stellt keine prozessordnungsgemäße Verweisung dar. Denn die Absicht, wegen der Einzelheiten des Inhalts auf die Lichtbilder Bezug zu nehmen, kommt damit nicht deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Oktober 2014 — 3 Ws (B) 550/14 —). Der Tatrichter muss insoweit ausdrücklich auf die in der Akte befindlichen Lichtbilder gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug nehmen. Lediglich dann werden diese zum Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsmittelgericht kann sie aus eigener Anschauung würdigen Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 267 Rdn. 10) und ist daher in der Lage zu beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich sind (vgl. BGH NZV 1996, 157 mit weit. Nachw.),

Wenn der Tatrichter jedoch — wie vorliegend — von der erleichternden Verweisung auf die In Augenschein genommenen Fotos und Aufzeichnungen gemäß den §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen hat, muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten sowie die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung der Lichtbilder die Prüfung ermöglicht wird, ob diese zu Identifizierung generell geeignet sind (vgl. BGH a. a. O.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, weil lediglich mitgeteilt wird, dass der Tatrichter die Betroffene anhand der Frisur und der Gesichtsform eindeutig wiedererkannt habe. Das Urteil kann daher, ohne dass es auf das weitere Beschwerdevorbringen ankommt, keinen Bestand haben.“

Ich bin dann immer wieder erstaunt, wenn ich solche Aufhebungen lese. Nicht über die Aufhebung, die ist klassich. Nein, über das AG-Urteil. Denn die Grundsatzentscheidung des BGH (BGHSt 41, 376) ist aus 1995 – da sollten sich die Grundsätze der Entscheidung doch allmählich herum gesprochen haben. Oder?

Klageerzwingung III: Die Hürden sind (zu) hoch, oder: Das BVerfG hilft

 © hati - Fotolia.com

© hati – Fotolia.com

Die von den OLG aufgestellten Hürden, um einen zulässigen Klageerzwingungsantrag zu stellen, sind sehr hoch. Viele/die meisten Anträge scheitern daran, dass den OLG der Sachvortrag nicht ausreicht. So auch in einem dem BVerfG, Beschl. v. 21.10.2015 -2 BvR 912/15 zugrunde liegenden Klageerzwingungsverfahren in Hamburg. In dem hatte das OLG Hamburg in einem Verfahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch zwei Ärzte das OLG den Antrag der Eltern des verletzten Kindes zurückgewiesen. Das BVerfG hat auf die Verfassungsbeschwerde diese Zurückweisung als verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar angesehen:

Lasst es, wenn ihr es nicht könnt…., oder: Schon wieder die unzulässige Nebenklägerrevision

© J.J.Brown - Fotolia.com

© J.J.Brown – Fotolia.com

(Über)Schreibe ich nun mit: „Und noch mal ….“ oder mit „Schon wieder…“. Das war für mich die Frage, und: Nein, ich habe mich für: „Lasst es, wenn ihr es nicht könnt….“, entschieden. Denn anders kann man den BGH, Beschl. v. 25.11.2015 – 1 StR 349/15 – nicht überschreiben. In ihm geht es um das leidige Thema der ausreichenden Begründung der Nebenklägerrevisionen, die beim BGH immer wieder/noch an  den Vorgaben des § 400 StPO scheitern. Ich kann die Male gar nicht mehr zählen, auch ich habe darüber schon öfters/oft berichtet.

Im Verfahren 1 StR 349/15 ging es um die Verurteilung von zwei Angeklagten, und zwar wegen gefährlicher Körperverletzung und Anstiftung zur versuchten gefährlichen Körperverletzung. Dagegen die Nebenklägerrevision, mit der offenbar eine Verurteilung wegen (versuchten) Mordes erstrebt wird. Dazu führt der BGH dann nur knapp aus:

„Die Revision der Nebenklägerin gegen dieses Urteil ist unzulässig.

Die Nebenklägerin hat zwar beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben, und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Sie hat es – nach der Verurteilung der Angeklagten wegen eines nebenklagefähigen Delikts (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) – aber versäumt, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist klarzustellen, ob sie das Urteil mit dem Ziel einer Änderung des Schuldspruchs wegen einer Gesetzesverletzung anficht, die zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt, oder nur den Strafausspruch beanstandet. Damit entspricht die Revisionsbegründung nicht den sich aus § 400 Abs. 1 StPO ergebenden Anforderungen (BGH, Beschlüsse vom 19. November 1992 – 4 StR 547/92; vom 7. Januar 1993 – 4 StR 610/92; vom 20. Mai 1999 – 4 StR 193/99; vom 8. Oktober 2002 – 4 StR 360/02, StraFO 2003, 15 sowie vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 514/08).“

Das war es. Mir bleibt dann nur die Frage: Warum legt man eigentlich Revision ein, wenn man sich dann nicht mit den Anforderungen an deren Begründung befasst? Die mit dem § 400 StPO für den Nebenkläger zusammenhängende Problematik sollte bekannt sein. Und wenn nicht, dann muss ich mich eben kundig machen, ob und wie ich die Revision begründe und ob ggf. für den Nebenkläger „Sonderregelungen“ gelten. Wenn ich das nicht will oder kann, dann lasse ich es mit der Revision oder beauftrage für den Mandaten einen erfahrenen Revisionsverteidiger. Sonst sitzt der Mandant auf den Kosten der Revision.

Die Sache ist hier – aus Sicht der Nebenklägerin – allerdings insofern glimpflich ausgegangen, als auf die Revision der Staatsanwaltschaft der BGH mit einer (zweiten) Entscheidung, dem BGH, Urt. v. 25.11.2015 – 1 StR 349/15 – das landgerichtliche Urteil aufgehoben und zurückverwiesen hat. Auch der BGH sieht die Verneinung der Mordmerkmale Heimtücke und Habgier durch das LG als rechtsfehlerhaft an.