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Rechtsmittel durch einfache Email?, oder Bloß nicht

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Und zum Schluss des Tages dann noch den OLG Hamm, Beschl. v. 28.12.2017 – 4 Ws 241/17. Der untermauert noch mal den Rat: Rechtsmittel durch Email? Das sollte man lieber lassen, denn:

„Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht in der nach § 306 Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Form, d.h. zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich, eingelegt worden ist. Der Verurteilte hat – trotz erhaltener Rechtsmittelbelehrung – das Rechtsmittel nur durch einfache, nicht über eine elektronische Signatur nach § 41a StPO verfügende E-Mail, gesandt an die Poststelle des LG Bielefeld eingelegt. Dies erfüllt die o.g. Formanforderungen nicht (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 536; LG Gießen NStZ-RR 2015, 344; LG Zweibrücken, Beschl. v. 07.07.2010 – Qs 47/10 – juris).“

Das mag demnächst anders werden/sein: §§ 32a ff. StPO, aber derzeit: Finger weg.

Und das gilt übrigens auch für das Bußgeldverfahren. Denn so – der AG Kassel, Beschl. v. 06.09.2017 – 384 OWi – 9433 Js 27079/17: Ein Einspruch durch einfache E-Mail ist unwirksam.

AG Kassel: Der Betroffene bekommt nur die Falldatei der konkreten Messung, nicht die der kompletten Messreihe

entnommen wikimedia.org
Urheber KarleHorn

Nachdem nun gestern bei meinem ersten Beitrag: „Nur drei Wochen darf unterbrochen werden, oder: Sachverhandlung?“ (fast) alles schief gelaufen ist – falsche Überschrift/falscher Ansatz und die Entscheidung, war schon mal gelaufen – habe ich heute morgen einen Kaffee mehr getrunken. Bin also wach – hoffentlich 🙂 .

Heute gibt es dann drei Owi-Entscheidungen, dioe noch nicht gelaufen sind. Zumindest bei mir nicht 🙂 . Ich eröffne mit dem AG Kassel, Beschl. v. 13.02.2018 – 386 OWi 58/18, den mir der „Hexer“ – der Kollege T. Geißler aus Wuppertal – übersandt hat. Thema ist der verfahrensrechtliche Dauerbrenner im Bußgeldverfahren, also die Einsicht/das Zurverfügungstellen der Messdaten. Der Verteidiger hatte bei der Verwaltungsbehörde beantragt, ihm die konkrete Falldatei sowie den  gesamten Messfilms zu übersenden sowie Auskunft über tatsächlich erfolgte Wartungen und/oder Reparaturen an dem verwendeten Messgerät zu erteilen. Die Bußgeldbehörde lehnt ab: Er habe keinen Anspruch auf die komplette Messreihe habe und die konkrete Falldatei könne er in den Räumlichkeiten der Behörde einsehen.

„Der Betroffene hat lediglich einen Anspruch auf Übersendung der Falldatei der konkreten Messung. Diese Falldatei nebst öffentlichem Schlüssel ist ihm zur Verfügung zu stellen. Diese Daten sind den Betroffenen auf einem durch ihn zur Verfügung gestellten Datenträger, der bei Übersendung versiegelt sein muss, zu speichern.

Der Betroffene hat hingegen keinen Anspruch auf Übersendung der digitalisierten Falldateien der kompletten Messserie. Die Messreihe ist nicht Aktenbestandteil. Bei einem Verkehrsverstoß ist das einzige Beweismittel das Messbild des Betroffenen mit den ihn betreffenden Messdaten in der ausgewerteten verbildlichten Form. Dieses befindet sich in der Gerichtsakte. Dieses Messbild beruht auf der digitalisierten Falldatei der Messung des Betroffenen, weshalb dieser einen Anspruch auf Übersendung dieser und nur dieser Falldatei hat.

Das Einsichtsrecht des Betroffenen gilt hingegen nicht für die gesamte Messreihe. Ein Anspruch auf Übersendung besteht hier nur, sofern der Betroffene tatsachenfundiert vorträgt, warum er die gesamte Messreihe benötigt und dabei in die grundrechtlich geschützten Rechte Dritter eingreifen will. Derartiges trägt der Betroffene nicht vor. Vielmehr wird pauschal vorgetragen, dass die Messreihe zur Überprüfung der Verkehrsfehlergrenzen und der Messbeständigkeit erforderlich sei. Beides wird jedoch bereits durch den Eichschein bestätigt.

Für die Rüge einer fehlenden Geräteakte gemäß S 31 MessEG gilt das gleiche. Reparaturund Wartungsbescheinigungen sind keine geeigneten Beweismittel, um tatsachenbegründete Zweifel an der Messrichtigkeit eines geeichten Messgerätes begründen zu können. Da eine Reparatur des Messgerätes ohne Zerstörung der Eichsiegel nicht erfolgen kann und diese Marken ausweislich des Messprotokolls vollständig, aktuell und unbeschädigt waren, folgt daraus zwangsläufig, dass keine Reparaturen seit der letzten Eichung erfolgt sind. Ob vor der letzten Eichung Reparaturen erfolgt sind, ist unbeachtlich, da durch diese Eichung bestätigt wird, dass das Messgerät zuverlässig die Verkehrsfehlergrenzen einhält.“

Na ja ….

Akteneinsichtspotpourri – von Karlsruhe über Kassel nach Lübben, oder: Geht doch!

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In meinem Blogordner haben sich einige Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren angesammelt, die ich in der letzten Zeit von Kollegen übersandt bekommen habe. Damit sie nicht „zu alt“ werden, bringe ich sie heute mal in einem Überblick – einem Akteneinsichtspotpourri. Es sind Entscheidungen quer durch die Republik, und zwar der:

1. Im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung hat der Verteidiger das Recht auf Einsicht in die gesamte Messreihe einschließlich der entsprechenden Datensätze. Das gilt auch dann, wenn sich diese nicht in der Akte, sondern bei der Bußgeldbehörde befinden. Datenschutzrechtliche Bedenken stehen der Einsicht in die gesamte Messreihe nicht entgegen.

2. Die Einsicht in die vollständige Messreihe kann dem Verteidiger durch Übersendung einer Kopie der Datensätze auf einem von ihm zur Verfügung zu stellenden Datenträger gewährt werden. Ggf. ist ihm der dazugehörige öffentlichen Schlüssel/Token zur Verfügung zu stellen.

  • AG Karlsruhe, Beschl. v. 29.12.2015 – 14 OWi 465/15 – der auf den OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15 – verweist und im Übrigena ausführt: „Auf eine mögliche Beiziehung des Messfilms erst im gerichtlichen Verfahren muss sich der Verteidiger nicht verweisen lassen, sondern kann – gegebenenfalls unter Beauftragung eines Sachverständigen – durch die Betrachtung aller Aufnahmen ermitteln (lassen), ob die Möglichkeit konkreter Messfehler besteht und diese sodann in einem Beweisantrag substantiieren.“
  • AG Lübben, Beschl. v.19.01.2016 – 40 OWi 6/16 E, der dem Verteidiger des Betroffenen ebenfalls hat ein weites Recht auf Akteneinsicht einräumt, das sich auf alle Akten, Aktenteile und weiteren Unterlagen oder Datenträger bezieht, auf die der Vorwurf gegen den Betroffenen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Auch das AG Lübben hat keine datenschutzrechtlichen Bedenken, „denn technisch sollte es ohne Weiteres möglich sein, hier Vorkehrungen zu treffen, z.B. indem die Kennzeichen und Gesichter der weiteren Betroffenen abgedeckt werden, was bei Beifahrern bisher auch so gehandhabt wird.

Kein Ausreißer 🙂 dabei. Geht also.

Akteneinsicht a la AG Kassel/in Hessen, oder: Danke bzw. es gibt in Hessen doch Gewaltenteilung

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

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In erinnere: Bei mir hat es vor einiger Zeit das Posting gegeben: Sondermeldung: Gewaltenteilung in Hessen wohl aufgehoben, oder: Hinterzimmermauschelei im Bußgeldverfahren? Da ging es um Schreiben des Regierungspräsidiums Kassel, das ein Kollege auf seine Anforderung von Messdaten von dort erhalten hatte. Kurzfassung: Messdaten gibt es nur eingeschränkt, darüber ist man sich „anlässlich einer Dienstbesprechung meiner Behörde mit Vertretern des OLG Frankfurt am Main und der hessi­schen Amtsgerichte am 23.04.2015″ einig geworden.

Nun, so einig – Gott sei Dank – nicht. Denn es gibt inzwischen den AG Kassel, Beschl. v. 23.12.2015 – 381 OWi 315/15 , der sich mit den Fragen (noch einmal) befasst; über den Beschluss hatte der Kollege vom Verkehrsrechtsblog ja auch schon berichtet hat. Die Leitsätze der Entscheidung, die noch einmal den Stand der Rechtsprechung schön zusammenfasst – einige der angeführten Entscheidungen hatte ich hier ja auch schon gebracht:

1. Im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung hat der Verteidiger das Recht auf Einsicht in die gesamte Messreihe einschließlich der entsprechenden Datensätze auch dann, wenn sich diese nicht in der Akte, sondern bei der Bußgeldbehörde befinden.
2. Datenschutzrechtliche Bedenken stehen der Einsicht in die gesamte Messreihe nicht entgegen, da das Interesse anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Recht des Betroffenen auf eine effektive Verteidigung zurückzustehen hat.
3. Die Einsicht in die vollständige Messreihe kann dem Verteidiger durch Übersendung einer Kopie der Datensätze auf einem von ihm zur Verfügung zu stellenden Datenträger gewährt werden. Erforderlichenfalls ist ihm der dazugehörige öffentlichen Schlüssel/Token zur Verfügung zu stellen.

Auf zwei Passagen will ich extra hinweisenn, nämlich:

…..Soweit die Verwaltungsbehörde der Auffassung ist, dass bei einem „standardisierten Messverfahren nicht ersichtlich sei, wozu die gesamte Messreihe benötigt werde“, unterliegt sie einem Zirkelschluss. Die Einsicht in den gesamten Messfilm ist erforderlich, um beispielsweise Unregelmäßigkeiten bei der Dateneinblendung, eine hohe Anzahl verworfener Messungen oder sonstige Hinweise auf eine Fehlfunktion des Geschwindigkeitsmessgerätes oder eine fehlerhafte Inbetriebnahme oder Bedienung des Gerätes durch den Messbeamten erkennen zu können. Aus den Aufzeichnungen der gesamten Messung können Schlüsse auf die Messung gezogen werden, mit der der Vorwurf gegen die Betroffene begründet wird…..

…….
In diesem Zusammenhang kann sich die Verwaltungsbehörde insbesondere auch nicht – wie zuletzt in anderen Verfahren zu beobachten war – unter pauschale Berufung auf vermeintliche datenschutzrechtliche Erwägungen aus der Verantwortung ziehen und den Betroffenen schlicht darauf zu verweisen, zunächst ein kostenträchtiges gerichtliches Verfahren anzustrengen, um dann über das Gericht Einsicht in den Messfilm zu bekommen. Eine derartige Verwaltungspraxis führt vielfach zu einer vermeidbaren Anrufung des Gerichts und ist für den Betroffenen unzumutbar. Betrachtet man die Rechtsprechung zu der Frage, ob dem Verteidiger im Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung die Einsicht in den von der Geschwindigkeitsmessung vorliegenden Messfilm bzw. Messdateiserie zu gewähren ist, ist festzustellen, dass diese Frage im Sinne des Betroffenen als geklärt anzusehen ist (siehe nur OLG Oldenburg, Beschl. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15; AG Bergisch Gladbach, a.a.O.; AG Königs Wusterhausen, Beschl. v. 17.03.2015 – 2.4 OWi 282/14; AG Fritzlar, a.a.O.; AG Stuttgart, Beschl. v. 01.04.2014 – 11 OWi 575/14; AG Duderstadt, a.a.O.; AG Luckenwalde, Beschl. v. 07.10.2013 – 28 OWi 122/13; AG Ulm, a.a.O.; AG Schleiden, Beschl. 23.10.2012 – 13 OWi 140/12 (b); AG Cottbus, a.a.O. sowie Beschl. v. 17.06.2008 – 67 OWi 1611 Js-OWi 17966/08 (174/08); AG Stuttgart, Beschl. v. 29.12.2011 – 16 OWi 3433/11; AG Heidelberg, Beschl. v. 31.10.2011 – 3 OWi 510 Js 22198/11; AG Senftenberg, a.a.O.). Angesichts dessen grenzt die unzulässige Beschränkung der Verteidigung durch die Nichtherausgabe kompletter Messreihen durch die Verwaltungsbehörde an eine bewusste Rechtsverweigerung, die abzustellen ist.“

Danke AG Kassel, es gibt dann doch auch in Hessen die Gewaltenteilung.

Ring frei zur nächsten Runde? oder: Geblitzt – ausgewertet von Privaten – Freispruch

© Coloures-pic - Fotolia.com

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Der Kollege Noack hat vor kurzem von einem von ihm erstrittenen Urteil des AG Parchim berichtet (vgl. Geblitzt von der Vetro GmbH – Freispruch!), in dem dieses seinen Mandanten vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen hat, offenbar weil die Messdaten von einer privaten Firma auswertet worden sind. Das Urteil des AG Parchim kenne ich (noch) nicht, mir ist aber von einem anderen Kollegen das AG Kassel, Urt. v. 14.04.2015 – 385 OWi – 9863 Js 1377/15 – übersandt worden.

Das hat den Betroffenen dort ebenfalls vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung frei gesprochen. Nach den Feststellungen des AG erfolgte die Auswertung der Messdaten, die aus einer eine stationären Geschwindigkeitsüberwachungsanlage 5350 der Firma Jenoptik stammten, ebenfalls faktisch durch die Fa. Jenoptik, ohne dass die Ergebnisse von der Behörde überprüft wurden. Das führt nach Auffassung des AG zur Unverwertbarkeit, also zu einem „Beweisverwertungsverbot“:

„Diese Umstände führen dazu, dass vorliegend faktisch ein Privatunternehmen die alleinige Auswertung der Datensätze übernommen hat.

Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine Geschwindigkeitsmessung im Rahmen eines Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens ureigene hoheitliche Aufgabe ist. Es ist daher völlig unverständlich, warum die Ordnungsbehörde ihre ureigene Aufgabe an ein Privatunternehmen vollständig delegiert und dieses nicht einmal überprüft. Unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen, dass das Privatunternehmen lediglich dann Geld für seine Arbeit bekomme wenn das Messergebnis verwertbar sei, ist hierfür der einzig nachvollziehbare Grund darin erkennbar, dass die Ordnungsbehörde die Delegation ihrer eigenen Aufgaben deshalb unternimmt, um eigene Kosten zu sparen. Hierbei verkennt die Ordnungsbehörde jedoch, dass es sich bei einer Geschwindigkeitsüberwachungen nicht um ein Erwerbsgeschäft handelt mit welchem ein Gewinn erworben werden soll, sondern einzig und allein um eine Maßnahme zur Sicherstellung der Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr.

Völlig unverständlich wird diese Situation spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass das hier faktisch auswertende Privatunternehmen, welches als GmbH satzungsgemäß ein Gewinnstreben unterliegt, lediglich dann einen monetären Ertrag für seine Arbeit erhält, wenn die Messung als verwertbar eingestuft wird. Die Entscheidung, ob die Messung verwertbar ist oder nicht, oblag vorliegend jedoch faktisch dem Unternehmen selbst. Das hierdurch entstehende Eigeninteresse an dem Ergebnis der Auswertung der Messung stellt ein Interessenkonflikt dar, der im Rahmen einer hoheitlichen Messung nicht zu akzeptieren ist.

Unter Berücksichtigung dieser Sachlage konnte das Gericht keine hinreichende Überzeugung davon finden, dass die Messergebnisse, wie sie dem Gericht von der Ordnungsbehörde vorliegend präsentiert wurden, unverändert sind. Ohne eine entsprechende Überzeugungsbildung dahingehen sieht sich das gilt jedoch nicht in der Lage den Betroffenen entsprechen des Bußgeldbescheids zu verurteilen.“

Ring frei zur nächsten Runde? Na ja, jedenfalls wird man das bei Jenoptik nicht so gerne lesen. Und: ich bin mal gespannt, ob das OLG Frankfurt sich äußern muss, ob also die Staatsanwaltschaft in die Rechtsbeschwerde geht.