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Pflichti: Kleine Sammlung zu Beiordnungsgründen, oder: Eröffnung Tatvorwurf, Rechtsfolge, Polizeizeugen

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So, es haben sich mal wieder einige Entscheidungen zu den §§ 140 ff. StPO – also Pflichtverteidigung – angesammmelt. Die stelle ich heute vor, allerdings nicht alle einzeln. Das würde den Rahmen sprengen. Ich habe daher versucht, die Entscheidungen thematisch zusammen zu fassen.

Ich starte hier dann mit den Entscheidungen zu den Beiordnungsgründen, und zwar:

Ein Fall der notwendigen Verteidigung unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage kann aufgrund der zu erwartenden umfangreicheren Beweisaufnahme durch Vernehmung einer Vielzahl von Polizeizeugen anzunehmen sein.

Der Begriff der Eröffnung des Tatvorwurfs ist nicht so eng auszulegen, dass nur förmliche Mitteilungen über die Bekanntgabe eines Ermittlungsverfahrens im Sinne von §§ 136, 163a StPO hinreichend sind. Vielmehr genügt es für die Eröffnung des Tatvorwurfs, dass der Beschuldigte durch amtliche Mitteilung oder auf andere Weise als durch amtliche Mitteilung von dem Tatvorwurf gegen ihn in Kenntnis gesetzt worden ist.

Das Vorliegen eines Falles der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge ist im Regelfall anzunehmen, wenn eine mögliche Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr im Raum steht. Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind grundsätzlich alle gegen den Beschuldigten derzeit geführten Verfahren zu berücksichtigen, wobei die Grenze auch dann gelten soll, wenn sie nur wegen einer erforderlichen Gesamtstrafe erreicht wird. Hierbei handelt es sich allerdings keinesfalls um einen Automatismus. Vielmehr kommt es stets auf eine konkrete Einzelfallbewertung an.

Ist dem Beschuldigten der Tatvorwurf nicht von einer zuständigen Ermittlungsbehörde eröffnet worden, sondern ist ihm anderweitig bekannt geworden, dass ein Ermittlungsverfahren geführt wird, kann nicht von einer als Eröffnung des Tatvorwurfs im Sinne des § 141 StPO ausgegangen werden.

Zur (verneinten) Bestellung eines Pflichtverteidigers, wenn die Staatsanwaltschaft ggf. nur den Erlass eines Strafbefehls beantragt und damit ein Bewährungswiderruf wenig wahrscheinlich ist.

Aktive Nutzungspflicht auch fürs FA im InsO-Verfahren, oder: Wenn das Finanzamt nicht glaubhaft macht

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Es mehren sich die Entscheidungen zur (neuen) aktiven Nutzungspflicht für elektronische Dokumente (Stichwort: beA). Ich hatte ja am vergangenen Samstag hier auch schon über zwei Entscheidungen berichtet (vgl. Aktive Nutzungspflicht des beA in laufenden Verfahren, oder: Fax zur Fristwahrung reicht nicht mehr).

Heute stelle ich hier im „Kessel Buntes“ eine weitere Entscheidung vor, und zwar zum Insolvenzantragsverfahren. Dazu hat der AG Hamburg, Beschl. v. 21.02.2022 – 67h IN 29/22 – Stellung genommen.

In dem Verfahren hatte ein Finanzamt (!!) mit normaler Briefpost v. 07.02.2022, Eingang: 09.02.2022, beim Insolvenzgericht Hamburg einen Gläubigerinsolvenzantrag gegen die Schuldnerin mit dem Vortrag gestellt, diese schulde „die in der Anlage ersichtlichen Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe v. EUR 80.382, 84“; die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen der §§ 251, 254 ff. der AO seien gegeben.

Das Insolvenzgericht hat mit Verfügungshinweis v. 10.02.2022, dem Finanzamt am 15.02.2022 zugestellt, auf die Geltung v. § 130d ZPO i.V.m. § 4 InsO und auf die mangelnde Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin hingewiesen. Mit elektronischer Post, Servereingang am 17.02.2022, 14:30 Uhr, sandte das Finanzamt kommentarlos den bisher unter dem 07.02.2022 datierten Insolvenzantrag mit gleichem Wortlaut, aber mit Datum v. 16.02.2022, neu ein. Das Insolvenzgericht hat die Insolvenzanträge v. 07.02.2022 u. v. 16.02.2022 als unwirksam angesehen.

„1.1 Die Vorschrift des § 130 d ZPO gilt seit dem 1.1.2022. Der Geltungsbereich erfasst auch schriftlich einzureichende Anträge und vorbereitende Schriftsätze an die Gerichte von Behörden. Die Norm gilt über § 4 InsO auch für die vorbezeichneten Schriftstücke im Insolvenzverfahren (H. Büttner, ZInsO 2022, 277 mwN). Die Antragstellerin ist im Sinne der Vorschrift eine Behörde. Sie hat seit 1.1.2022 ihre Insolvenzanträge in elektronischer Form einzureichen (§ 130d Satz 1 ZPO). Für Gläubigeranträge besteht hierüber in der Literatur, soweit ersichtlich, auch kein Meinungsstreit, wohingegen für Schriftstücke und Anträge v. Insolvenzverwaltern aufgrund der „Bereichslehre“ (dazu HambKommInsR/Frind, 9.Aufl., § 56 Rn.17 mwN) durchaus ein Geltungsdisput besteht (dazu jüngst mwN H.Büttner, ZInsO 2022, 277).

Aus dem Bereich der Finanzämter sind Ersuchen an das Insolvenzgericht gerichtet worden, die Anwendung der vorgenannten Vorschrift „auszusetzen“ oder ein „Moratorium“, zumindest ca. bis Ende März, für die Anwendung vorzusehen, da teilweise die technischen Voraussetzungen zur Übermittlung v. Schriftstücken in elektronischer Form noch nicht geschaffen bzw. Die Anwendung noch teilweise nicht eingeübt bzw. die Anwendung noch teilweise nicht sicher ablaufend sei. Diesen Ersuchen ist nicht zu folgen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 130d ZPO durch Gesetz v. 10.10.2013 (BGBl. I, 3786) in die ZPO eingefügt, aber ihre Geltung sehr großzügig prolongiert hat. Die Einführung der vorgenannten Antragseinreichungsvoraussetzung kam daher mit einer Vorbereitungszeit v. acht Jahren und 2,5 Monaten nicht überraschend. Zum anderen sieht die Norm kein gerichtliches Ermessen bei der Anwendung vor. Die Sentenz „sind zu übermitteln“ ist ein eindeutiger gesetzlicher Normbefehl. Die Einhaltung des § 130d ZPO ist nicht verzichtbar (H. Büttner, ZInsO 2022, 277, 281).

Zum Dritten ist zu bedenken, dass Rechtsfolge der Nichteinhaltung der durch § 130d ZPO normierten Einreichungsform die Unwirksamkeit der jeweiligen Eingabe und Verfahrenshandlung ist (BeckOK ZPO/von Selle, 43. Ed. 1.1.2022, ZPO § 130d Rn. 6). Das hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen. Ein unter Verletzung der Nutzungspflicht eingereichter Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen. Eines gerichtlichen Hinweises auf die Norm des § 130d ZPO bedarf es zumindest gegenüber öffentlich-rechtlichen Gläubigern nicht. Würde das Insolvenzgericht ein Insolvenzverfahren aufgrund eines unwirksamen Antrages betrieben, eventuell sogar Sicherungs- oder Zwangsmaßnahmen (z.B. nach Nichtbeantwortung oder unzureichender Auskunft durch den Schuldner) verhängen, käme eine Amtshaftung (§ 839 BGB) in Betracht. Das Betreiben eines Insolvenzverfahrens aufgrund eines ersichtlich unwirksamen Antrages verbietet sich. Das Insolvenzgericht muss, da Insolvenzantragsverfahren stete Eilverfahren sind, für eine zeitnahe Entscheidung über unzulässige oder gar unwirksame Anträge sorgen, (auch), um mögliche Kreditschädigungen der Antragsgegner aufgrund möglicher Behauptungen, gegen diese „liefe ja ein Insolvenzverfahren“ zu unterbinden.

1.2 Die Übermittlung eines Schriftsatzes entgegen § 130d S.1 ZPO entfaltet keine Wirkung, sofern nicht die Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzeinreichung nach § 130d S. 2 und S. 3 ZPO vorliegen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht mit Verfügung v. 10.2.2022 auf die Geltung der Vorschrift hingewiesen. Von einer Behörde ist zu erwarten, dass der Wortlaut des Gesetzes ohne weitere Hinweise zur erwarteten Umsetzung, insbesondere, wenn dieser so eindeutig ist, wie die vorbezeichneten Normsätze, gelesen und zur Kenntnis genommen und umgesetzt werden. Das Gericht muss ohnehin auf die Geltung des § 130d ZPO eigentlich nicht hinweisen, da §§ 4 InsO, 139 ZPO keine Hinweise auf eine geltende Rechtslage erfordert.

Auf den Hinweis des Gerichtes v. 10.2.2022 hat die Antragstellerin nicht entsprechend § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO reagiert. Sie hätte ihre Übermittlung ihres Antrages v. 7.2.2022 mit normaler Briefpost nunmehr bereits bei dessen Einreichung, welches die „Ersatzeinreichung“ im Sinne der Vorschrift ist, mit einer glaubhaft gemachten Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung „aus technischen Gründen“ entschuldigen müssen. Dabei wäre auch vorzutragen gewesen, dass der Nutzungspflichtige die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorhält und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe sorgt (BT-Drs. 17/12634, 27; BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn.4) und, dass die Störung nur vorübergehender Natur ist (Greger in: Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 130d ZPO Rn.2). Strukturelle Mängel der IT-Infrastruktur des Nutzungspflichtigen oder gar Nutzungsunwille rechtfertigen den Rückgriff auf papierene Kommunikation nicht. Dies gilt auch, wenn dem Gericht Mängel der technischen Einrichtung des Absenders amtswegig bekannt sind (ArbG Lübeck, Urt. v. 1.10.2020 – 1 Ca 572/20 –, juris; Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urt. v. 13. 10.2021 – 6 Sa 337/20 –, juris). Einen generellen Anwendungs-Dispens gibt es, wie ausgeführt, nicht.

Die Mittel der Glaubhaftmachung ergeben sich auch im Insolvenzverfahren aus § 294 ZPO (§ 4 InsO; BGH v. 11.6.2015, ZInsO 2015, 1566, Rn.9). Diese Glaubhaftmachung hätte die Antragstellerin mit der Ersatzeinreichung, also bereits bei Einreichung des schriftlichen Antrages, oder unverzüglich danach leisten müssen. „Unverzüglich“ ist im Sinne des § 121 Abs.1 BGB auszulegen. Ob eine „unverzügliche“ Einreichung in dem vorgenannten Sinne noch eine Einreichung auf den gerichtlichen Hinweis v. 10.2.2022 , da das Gesetz einen solchen nicht voraussetzt, darstellen würde, ist vorliegend nicht zu entscheiden, weil die Antragstellerin mit Übermittlung ihres elektronischen Antrags-Schriftstückes v. 16.2.2022, also nicht des Antrages v. 7.2.2022, der Nachreichung des ersatzweise eingereichten Schriftstückes im Sinne v. § 130d Satz 3 ZPO gar nicht nachgekommen ist, aber vor allem auch keinerlei Glaubhaftmachung im vorgenannten Sinne – spätestens hierzu – beigefügt hat.

Nachzureichen gewesen wäre im Übrigen das ursprüngliche Schriftstück (BeckOK ZPO/von Selle ZPO § 130d Rn. 4), hier der ursprüngliche Antrag. Der nunmehr elektronisch eingereichte Antrag v. 16.2.2022 ist unzulässig, da die Antragstellerin hiermit gleichzeitig zwei Insolvenzverfahren betreiben würde. Sie hätte zunächst den Antrag v. 7.2.2022 zurücknehmen müssen oder dessen rechtskräftige Abweisung abwarten müssen, bevor sie einen neuen Antrag ausbringt.

Soweit die Finanzverwaltungen teilweise an Insolvenzrichter herangetreten sind, um abzusprechen, wie solche Glaubhaftmachungen im vorgenannten Sinne für den Bereich des § 130d Satz 2 und Satz 3 ZPO abzufassen sind und zu lauten hätten, können sich Insolvenzgerichte hierzu weder im konkreten Verfahren noch gar außerhalb eines konkreten Verfahrens verhalten. Den Gerichten ist Rechtsberatung nicht erlaubt (§§ 2, 3 RDG, s. LG Hamburg NJW-RR 2016, 61) und die modellhafte Abfassung v. Glaubhaftmachungsvorbringen würde diesen Bereich erreichen.“

 

Spätfolgen des G20-Gipfel in HH, oder: Belehrung vor Identitätsfeststellung

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Und von ganz oben – dem BVerfG – nach ganz unten 🙂 , nämlich zu einer AG-Entscheidung. Das AG Hamburg hat im AG Hamburg, Beschl. v. 28.05.2019 -1171 Gs 436/18 jug. – zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Identiätsfeststellung Stellung genommen.

In der Sache geht es um die Rechtmäßigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung und die damit verbundene Freiheitsentziehung des Betroffenen. Hintergrund ist ein Verfahren wegen Landfriedensbruchs im Zusammenhang mit Ausschreitungen während des G20-Gipfels Anfang Juli 2017. Der POK pp. hatte am 25.10.2017 gegen 08.00 Uhr vor dem AG Hamburg-Altona innerhalb einen 14-köpfigen Gruppe, in der sich auch der Betroffene befand, jemanden erkannt, der dem bereits verurteilten pp. ähnelte. Es werden dann Maßnahmen der Identitäötsfeststellung durchgeführt. Dagegen der Antrag nach 3 98 Abs. 2 StPO analog.

Das AG sagt: Anfangsverdacht ja, aber:

„2. Die Maßnahme wurde jedoch unter Verstoß gegen § 163b Abs.1 2.Hs StPO i.V.m. § 163a Abs.4 S.1 StPO durchgeführt. Danach ist der Betroffene bei Beginn der ersten Maßnahme darüber zu belehren, welcher Straftat er anfangsverdächtig sein soll.

Aus dem polizeilichen Einsatzbericht vom 25.10.2017 ergibt sich lediglich folgender Hinweis (BI. 5 in Soko-SB/5K/0686869/2017): „Nach Zusprache durch den Beamten pp. konnten in dem Lokal pp. insgesamt 14 Personen unter Darlegung des Grundes angehalten und überprüft werden.“ Weitere Hinweise auf eine Belehrung ergeben sich auch nicht aus den Einzelprotokollen zu den jeweiligen Identitätsfeststellungen. In der Anhaltemeldung bezüglich des Betroffenen (BI. 8 In Soko-SB/5K/0686869/2017) sind lediglich Anhalteort und Sachdaten nebst kurzer Personenbeschreibung aufgeführt. Die Stellungnahme vom 11.12.2018 enthält insofern auch keinen vom Beschwerdevorbringen abweichenden Sachvortrag. Die Formulierung „unter Darlegung des Grundes“ lässt allenfalls erkennen, dass die Zielrichtung der Maßnahme, nämlich das Fertigen von Fotos mitgeteilt wurde, nicht aber, dass es zu einer weitergehenden Belehrung über die zur Last gelegten Straftaten gekommen ist.

In rechtlicher Hinsicht führt eine zu Beginn unterlassene vorschriftsmäßige Belehrung dazu, dass die Maßnahme insgesamt nicht rechtmäßig ist (vgl. dazu OLG Hamm, Beschluss vom 10.05.2012, III-3 RVs 33/12, 3 RVs 33/12, Leitsatz 2, Rn. 9 – zitiert nach juris). Diese Belehrungspflicht soll nach obergerichtlicher Rechtsprechung sogar eine wesentliche Förmlichkeit darstellen, deren Nichtbeachtung die Diensthandlung sogar unter dem restriktiveren Rechtmäßigkeitsbegriffs des § 113 Abs. 3 Satz 1 StGB unrechtmäßig erscheinen lässt (a.a.O.).

Ausnahmen sollen dann bestehen, wenn der Grund der Personalienfeststellung für den Betroffenen offensichtlich ist oder die Belehrung den Vollstreckungszweck gefährden würde (a.a.O., Rn. 10-11). Davon wird man im vorliegenden Falle jedoch nicht ausgehen können. Allein aus dem Umstand, dass sich in der Gruppe um den Betroffenen auch der strafrechtlich in Erscheinung getretene pp. befand, musste es für den Betroffenen nicht „offensichtlich“ sein, dass auch gegen ihn ein Anfangsverdacht einer Straftat bejaht wurde. Gleichfalls lässt sich nicht erkennen, warum die Mitteilung eines konkreten Anfangsverdachts die weiteren Ermittlungsmaßnahmen gefährdet haben sollte. Denn diese dienten ersichtlich zur Gewinnung von Bildmaterial, das mit dem bereits gesicherten Videobildmaterial abgeglichen werden sollte. Letzteres war aber bereits vorhanden und der Einflussmöglichkeit des Betroffenen entzogen, sodass dieser eine Bestätigung des Anfangsverdachts nicht weiter hätte verhindern können. Im Übrigen ist aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 163a Abs.4 S.1 StPO von etwaigen Ausnahmen nur höchst zurückhaltend auszugehen.

3. Ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass § 163b Abs.1 S.2 StPO keine Rechtsgrundlage dafür ist, den Betroffenen – nur weil er sich in einer Personengruppe aufgehalten hat – so lange festzuhalten, bis die Maßnahme gegenüber allen Gruppenmitgliedern abgeschlossen ist. Gegen das Vorbringen des Betroffenen, dass die Maßnahme gegen ihn persönlich bereits um ca. 10.20 Uhr abgeschlossen gewesen sei, hat die Antragsgegnerin inhaltlich keine Einwendungen erhoben. Da Akten regelmäßig chronologisch geordnet sind und sich die Anhaltemeldung des Betroffenen bereits auf BI. 8 (Soko-SB/5K/0686869/2017) befindet und er somit an Position 2 von 14 bearbeitet wurde, findet das Vorbringen des Betroffenen auch einen Anknüpfungspunkt in der Aktenlage. § 163c Abs.1 S.1 StPO enthält dazu die ausdrückliche Regelung, dass die betroffene Person in keinem Fall länger festgehalten werden darf, als zur Feststellung der Identität unerlässlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.07.2006, 2 BvR 1255/04, Rn. 21-23 – zitiert nach juris). Zur Identitätsfeststellung des Betroffenen war es aber nicht unerlässlich, ihn in einem separaten Raum festzuhalten, bis auch die übrigen Gruppenmitglieder bearbeitet waren. Wenn sich für die Polizei aus präventiv-polizeilichen Gesichtspunkten Gründe dafür ergeben, den Betroffenen von einer bestimmten Örtlichkeit fernzuhalten, so muss ggf. auf polizeirechtlicher Grundlage nach Gefahrenabwehrrecht eine gesonderte Entscheidung getroffen werden.“

Die Kleinschadensgrenze bei den Kfz-Sachverständigenkosten: 750 €

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Bei der Unfallschadensregulierung gibt es nicht selten Streit um die Sachverständigenkosten. Die damit zusammenhängenden Fragen sind dann Gegenstand des AG Hamburg, Urt. v. 30.03.2016 – 33a C 336/15 – gewesen. Nichts bahnbrechend Neues, aber sicherlich aus der täglichen Praxis, wenn das AG ausführt:

c) Grundsätzlich gehören die Kosten eines eingeholten Sachverständigengutachtens zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß 249 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2014, -VI ZR 357/13).

Erstattungsfähig ist nur der für die Schadensbegutachtung und -ermittlung erforderliche Aufwand. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen (BGH, Urteil vom 30.11.2004 – VI ZR 365/03). Erforderlich sind diejenigen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten tätigen würde. Dabei hat der Geschädigte gemäß § 254 Abs. 1 BGB im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren den wirtschaftlichen Weg der Schadensbehebung zu wählen. Auch bei Kfz-Unfällen darf der Geschädigte – von Bagatellschäden abgesehen – einen Sachverständigen hinzuziehen und zwar auch dann, wenn bereits der Schädiger einen beauftragt hat (Palandt, BGB, 73. Auflage, § 249 Rn. 58). Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt, Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen – wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs – ausgereicht hätten (BGH, a.a.O.) Bloße Bagatellschäden, in der Regel unter 750,00 € und ohne die Gefahr von Weiterungen oder einem teilweise verdeckten Schadensumfang, rechtfertigen nur die Einholung eines Kostenvoranschlags {AG Essen, Urteil vom 13. Januar 2015 – 11 C 361/14 -, Rn. 5, [juris]). Auch das OLG München geht aktuell von einer Bagatellschadensgrenze von 750,00 € aus (OLG München, Urteil vom 26. Februar 2016 -10 U 579/15 -, Rn. 19, [juris]).

d) Vorliegend liegt schon die Netto-Schadenshöhe mit 775,18 € außerhalb des Bagatellbereichs. Ungeachtet dessen war zum Zeitpunkt der Beauftragung für den Kläger als technischen Laien nicht erkennbar, wie groß die durch den Auffahrunfall entstandenen Schäden sein würden. Durch den Anstoß hätte es zu nicht sichtbaren Schäden unterhalb der weichen Stoßfängerteile kommen können. Solche Schäden zu ermitteln oder auch auszuschließen konnte nur mit sachverständiger Hilfe erfolgen. Eine Überhöhung der insoweit in Rechnung gestellten 292,00 € ist nicht ersichtlich.

Spionagekamera im Prüfungsamt – was es nicht alles geben soll…

entnommen wikidmedia.org Urheber Wildfeuer

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Urheber Wildfeuer

Am Mittwoch (23.04.2014) hat in Hamburg der Prozess gegen einen (ehemaligen) Jura-Referendar begonnen, dem vorgeworfen wird, als Jura-Student mit einer Spionagekamera eine mündliche Prüfung samt Beratungen der Prüfer gefilmt haben. Darüber ist in der Tagespresse an verschiedenen Stellen berichtet worden, vgl. hier Zeit-online oder auch LTO. Der 30-Jährige hat beim Prozessauftakt den Vorwurf bestritten. Er habe den digitalen Wecker mit Mini-Kamera – eine sogenannte Spy Clock – im Mai 2012 nicht in das Justizprüfungsamt gestellt. Bei LTO heißt es weiter:

Das war nicht sein Plan, und das hat er auch nicht gemacht“, erklärte der Verteidiger des Angeklagten. Sein Mandant habe das Gerät vielmehr einem Bekannten ausgeliehen und sich dann nicht weiter darum gekümmert. Er wisse allerdings nur, dass der Bekannte „Andi“ heiße – er kenne weder seinen Nachnamen, die Anschrift oder eine Telefonnummer, unter der man „Andi“ erreichen könne. Der Angeklagte habe erst durch „Andi“ erfahren, dass die Spy Clock im Justizprüfungsamt stehe und er sie dort abholen müsse: „So hatte mein Mandant den Schlamassel am Hals.“ Die Anklage lautet auf Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, § 201 Strafgesetzbuch (StGB).

Für den 30-Jährigen hat der Vorwurf schon vor einer Entscheidung in dem Strafprozess gravierende Folgen: Er wurde als Referendar entlassen. Einige Zeit nach dem Vorfall mit der Spionagekamera hatte er selbst die mündliche Prüfung abgelegt. Eine Bewerbung für den Referendardienst in Hamburg scheiterte wegen der Ermittlungen. Im benachbarten Schleswig-Holstein dagegen wurde er zum 1. April 2013 eingestellt – dort wussten die Behörden nichts von den laufenden Ermittlungen. Als das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) schließlich davon Wind bekam, wurde er nach einer Anhörung entlassen, wie eine Richterin als Zeugin berichtete.

Ein Prüfer sagte vor Gericht, der Mann habe bereits im April 2012 eine solche Spy Clock im Justizprüfungsamt platziert: „Ja, der Angeklagte war derjenige, der den Wecker aufgestellt hat.“ Der Fall aus April ist allerdings nicht Gegenstand der Anklage.

Über die Motive dafür, mündliche Prüfungen und die anschließenden Beratungen – womöglich mehrfach – mitzufilmen, lässt sich nur spekulieren. Bei der mündlichen Prüfung dürfen Zuschauer nur eingeschränkt dabei sein, die Beratungen der Prüfer und die Bekanntgabe der Noten sind nicht öffentlich. Mit Hilfe der Aufnahmen aus dem nicht-öffentlichen Teil könnten Prüflinge möglicherweise Rückschlüsse darauf ziehen, welche Antworten wie gewertet werden – und welche konkreten Noten es dafür gab.

Eine Mitarbeiterin des Justizprüfungsamts hatte die Spy Clock einen Tag nach der gefilmten Prüfung im Mai 2012 auf der Fensterbank entdeckt. Nach einigen Tagen rief ein Mann an, um zu fragen, ob zufällig ein Wecker gefunden worden sei, wie eine weitere Mitarbeiterin als Zeugin erzählte. Eine Rückrufnummer wollte er nicht angeben. Als ein Freund des Angeklagten das Gerät schließlich abholen wollte, informierte das Amt die Polizei. Die Beamten nahmen auch die Personalien des 30-Jährigen auf – er soll draußen gewartet haben. Der Prozess wird am 8. Mai mit weiteren Zeugen fortgesetzt.“