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OWi III: Beginn der Verjährungsfrist für Bau-OWi, oder: Unzulässige Errichtung einer DoppelgarageAnlage

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Und dann stelle ich noch den AG Eilenburg, Beschl. v. 19.08.2025 – 8 OWi 955 Js 25882/25 – vor. Der äußert sich zum Beginn der Verfolgungsverjährung einer Bauordnungswidrigkeit.I.

Der Betroffenen liegt wird mit Bußgeldbescheid vom 02.08.2023 zur Last gelegt, zu einem nicht näher zu bestimmenden Zeitraum vor dem 22.01.2020 ohne Vorliegen einer Baugenehmigung eine Doppelgarage ierrichtet zu haben, welche nach § 59 Abs. 1 SächsBO der Baugenehmigung bedurft hätte. Die der Betroffenen zur Last gelegte Bauordnungswidrigkeit wurde nach Auskunft der Verwaltungsbehörde am 22.01.2020 im Rahmen einer Ortsbesichtigung durch das Bauordnungs- und Planungsamt festgestellt, das diesen Sachverhalt mit Schreiben vom 30.03.2021 der Zentralen Bußgeldstelle anzeigte, nachdem es selbst die Betroffene mit Schreiben vom 28.01.2020 auf die (mutmaßliche) Baugenehmigungspflicht hingewiesen und um nachträgliche Bauantragstellung gebeten hatte. Mit Schreiben der Bußgeldstelle vom 23.03.2022 wurde die Betroffene zum Tatvorwurf der Bauordnungswidrigkeit angehört.

Die auf gerichtliche Aufforderung getätigten Nachermittlungen der Verwaltungsbehörde haben ergeben, dass sich der genaue Zeitpunkt der Errichtung der Doppelgarage nicht mehr bestimmen lassen würde. Aus den zum Verfahren beigefügten Luftbildaufnahmen gehe hervor, dass die Errichtung der Garage zwischen 2015 und 2018 erfolgt sein müsse, da im Luftbild aus dem Jahre 2018 auf dem betreffenden Grundstück die Doppelgarage zu erkennen sei, wohingegen dies im Luftbild aus dem Jahre 2015 noch nicht der Fall gewesen sei.

Das AG hat das Verfahren wegen Verfolgungsverjährung eingestellt:

„1. Das Verfahren ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, da Verfolgungsverjährung gemäß § 31 OWiG eingetreten ist, die bei der der Betroffenen zur Last gelegten Bauordnungswidrigkeit nach §§ 59 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SächsBO 3 Jahre beträgt (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG i. V. m. § 87 Abs. 3 SächsBO).

Die dreijährige Verjährungsfrist begann gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG mit Beendigung der Handlung. Von der formellen Vollendung, die im Falle einer bauordnungsrechtlich unzulässigen Errichtung einer Anlage mit dem Beginn der Bauausführung anzunehmen ist, ist die Frage der materiellen Beendigung der Tat zu unterscheiden. Beendet ist die Errichtung einer Anlage erst mit dem Abschluss des Baus, also der Beendigung der Bauarbeiten, mag bereits vorher eine Nutzung der Anlage in Betracht kommen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 05.12.2013 – 3 Ss OWi 1470/13 -, NJOZ 2014, 858; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.01.1995 – 5 Ss (OWi) 323/94, 5 Ss (OWi) 8/95 I -, NVwZ 1995, 727; BeckOK Bauordnungsrecht BW-Hofmeister/Mayer, 31. Edition, 01.02.2025, BWLBO, § 75 Rn. 79; Busse/Kraus/Decker, 156. EL, Dez. 2024, BayBO, Art. 79 Rn. 169).

Im vorliegenden Verfahren ist festzustellen, dass die streitgegenständliche Doppelgarage auch schon nach Auffassung der Verwaltungsbehörde augenscheinlich der zur Verfügung gestellten Luftbilder zumindest im Jahr 2018 fertiggestellt war. Dies zugrundelegend kann der genaue Zeitpunkt der Fertigstellung dahingestellt bleiben, da selbst bei Annahme einer Fertigstellung der Doppelgarage Ende des Jahres 2018 die erste verjährungsunterbrechende Maßnahme in Form der Anordnung der Anhörung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG) erst am 23.03.2022 und mithin nicht binnen 3 Jahren seit Beginn der Verfolgungsverjährungsfrist erging, was zur Folge hat, dass das eingeleitete Bußgeldverfahren bereits von Beginn an(!) verjährt war und nunmehr aufgrund eines Verfahrenshindernisses gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 206a Abs. 1 StPO einzustellen ist. Klarstellend sei ausgeführt, dass es sich bei dem Schreiben des Bauordnungs- und Planungsamtes vom 28.01.2020 an die Betroffene um keine die Verjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG unterbrechende Maßnahme handelte. Denn zum einen war zu diesem Zeitpunkt noch kein Ermittlungsverfahren hinsichtlich des Tatverdachts einer Bauordnungswidrigkeit gegen die Betroffene eingeleitet und zum anderen umschrieb dieses Schreiben weder einen entsprechenden Tatvorwurf noch enthielt es eine Belehrung der Betroffenen als Beschuldigte einer Ordnungswidrigkeit.

Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass unter Zugrundelegung der bereits getätigten Ausführungen auch absolute Verfolgungsverjährung, die hier gemäß §§ 31 Abs. 2 Nr. 1, 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG i. V. m. § 87 Abs. 3 SächBO 6 Jahre nach Beendigung der Handlung beträgt, eingetreten ist.

2. Die Kosten- und Auslagenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO. Der Betroffenen sind ihre notwendigen Auslagen hier nicht nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO aufzuerlegen, da das Bußgeldverfahren bereits zum Zeitpunkt der Einleitung, jedenfalls aber bei Anordnung der Anhörung der Betroffenen am 23.03.2022, die die Verteidigerbeauftragung auslöste, verfolgungsverjährt und einstellungsreif war.“

OWI III: Diverses zu Fahrverbot und Geldbuße, oder: Zeitablauf, Hinweis, Absehen, Ausnahme, Reudzierung

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Und – wie im Verfahren – am Tagesende einige Rechtsfolgeentscheidung, und zwar zum Fahrverbot und eine zur Geldbuße.

Auch hier gibt es nur die Leitsätze, da die Entscheidungen nur die vorhandene Rechtsprechung fortschreiben. Wesentliche Neues enthalten sie nicht. Die Entscheidung zum Absehen bzw. Beschränkung des Fahrverbotes auf eine bestimmte Motorleistung ist m.E. falsch.

Es handelt sich um folgende Entscheidungen:

Ist im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot nach § 25 StVG nicht angeordnet worden, so darf das Gericht nur dann auf diese Nebenfolge erkennen, wenn es in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO den Betroffenen zuvor auf diese Möglichkeit hingewiesen hat.

1. Ob ein Absehen von einem Fahrverbot wegen langer Verfahrensdauer zu erwägen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und kommt regelmäßig erst in Betracht, wenn seit der zu ahnenden Ordnungswidrigkeit deutlich mehr als zwei Jahre vergangen sind. Hierbei ist grundsätzlich auf den Zeitraum zwischen Tat und letzter tatrichterlicher Entscheidung abzustellen.

2. Bei einer rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung kommt in Betracht, dass ein ordnungsgemäß verhängtes Fahrverbot teilweise oder vollständig als vollstreckt gilt. Ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls. Das Gericht muss in einem solchen Fall erkennen lassen, dass es diesen Gesichtspunkt erwogen hat.

Ein Fahrverbot kann derart beschränkt werden, dass es Verbrennermotoren bis 60 kW Motorleistung ausnimmt.

1. Im Rahmen des Regelfahrverbotes nach Nr. 39.1 BKat führen die bloße Unübersichtlichkeit des Tatortes mit vielen Fahrzeugen, vielen Fahrspuren, vielen reflektierenden Lichtern infolge schlechten Wetters im Dunkeln nicht zu einem Wegfall der Indizwirkung des Regelfahrverbotstatbestands. Derartige Umstände entlasten nicht, sondern verschärften noch den der Betroffenen beim Abbiegen mit Unfallverursachung zu machenden Fahrlässigkeitsvorwurf. Schon unter besten Sichtbedingungen ist es falsch und führt zu einem Regelfahrverbot, wenn man in den entgegenkommenden Verkehr beim Abbiegen fährt und hierbei einen Unfall verursacht.

2. Ein eingetretener Eigenschaden, der nach Angaben der Betroffenen durch die Vollkaskoversicherung mit 600,00 € Selbstbeteiligung übernommen wurde, ist nicht geeignet, tatbezogene Besonderheiten im Rahmen der Nr. 39.1 BKat feststellen zu können, die zu einem Absehen vom Regelfahrverbot führen mussten.

3. Fehlende Voreintragungen allein sind kein nicht Grund, von einem Regelfahrverbot abzusehen.

4. Auch eine Gesamtschau aller vorstehend genannten Umstände ist nicht geeignet, die Indizwirkung der Regelfahrverbotsanordnung der Nr. 39.1 BKat zu erschüttern.

Ein Augenblicksversagen fehlt, wenn vor dem Erreichen eines Kreuzungsbereiches eine 30-er Zone endet und beim Linksabbiegen in eine andere Straße ein Zeichen 274 mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h und noch wenige Meter danach eine Lichtzeichenanlage für Fußgängerüberquerungen aufgestellt ist und der Fahrzeugführer das 30-km/h-Schild bei dem Linksabbiegen und Einfahren in die neue Straße übersieht. Eine derartige Beschilderung ist auch nicht verfahrensrelevant widersprüchlich.

Bei drohenden Schwierigkeiten im Hauptberuf durch unbezahlte Freistellung und drohenden erheblichen wirtschaftlichen Einbußen im Nebengewerbe kann bei einem nicht vorbelasteten Täter eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, der den Einspruch auf die Rechtsfolge beschränkt hat, unter angemessener Erhöhung der Regelgeld-buße von einer Fahrverbotsanordnung abgesehen werden.

Von dem im Bußgeldbescheid verhängten Regelsatz kann zugunsten des Betroffenen gemäß § 17 Abs. 3 OWiG abgewichen werden, wenn der geringfügig vorgeahndete Betroffene mit der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Einzelintervention positives Nachtatverhalten gezeigt hat.

 

 

StPO III: StA „verweigert“ ausreichende Ermittlungen, oder: Hauptverhandlung vor der Hauptverhandlung?

Und dann zum Tagesschluss noch der AG Eilenburg, Beschl. v. 13.11.2024 – 8 Ds 962 Js 41314/24 jug.

In dem Verfahren wirft die Staatsanwaltschaft dem 16-jährigen Angeschuldigten, der bei seiner Mutter lebt,vor, sich des Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht zu haben. Dem Angeschuldigten wird im Einzelnen folgendes zur Last gelegt zu haben. Wegen der Einzelheiten des Vorwurfs und des Verfahrensgangs dann bitte im Volltext nachlesen. Hier geht es jetzt nur um die Ausführungen des AG zu seinen Verpflichtungen im Zwischenverfahren.

Das AG hat nämlich die Eröffnung des Hauptverfahrens iaus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da es an einem hinreichenden Tatverdacht fehlt (§ 203 StPO). In dem Zusammenhang „schreibt es der Staatsanwaltschaft ins Stammbuch“:

„….

3. Für das Gericht besteht im vorliegenden Fall auch keine Rechtspflicht nach § 202 StPO, durch eigene umfangreiche Ermittlungen im Zwischenverfahren die Grundlagen für den hinreichenden Tatverdacht zu schaffen (vgl. bereits AG Eilenburg, Beschl. v. 26.09.2022 – 8 Ds 950 Js 50859/21 -, juris). Nach dem Wortlaut des Gesetzes („kann das Gericht zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen”) stehen diese Ermittlungen im Zwischenverfahren im Ermessen des Gerichts; hingegen muss es im Hauptverfahren gemäß § 244 Abs. 2 StPO von Amts wegen eine erschöpfende Beweisaufnahme durchführen. Bei den in § 202 StPO benannten Beweiserhebungen kann es sich zudem nur um „einzelne Beweiserhebungen” handeln, also – in diesem Stadium – um eine bloße Ergänzung oder Überprüfung eines von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bereits weitgehend aufgeklärten Sachverhalts. Würde die Ermittlungsanordnung des Gerichts darauf hinauslaufen, dass erhebliche Teile des Ermittlungsverfahrens nachgeholt werden müssten bzw. dadurch erst die Voraussetzungen eines hinreichenden Tatverdachtes geschaffen werden, so ist für das Verfahren nach § 202 StPO kein Raum (so LG Berlin, Beschl. v. 12.03.2003 – 534 Qs 31/03 -, NStZ 2003, 504 mit zustimmender Anmerkung Lilie, NStZ 2003, 568; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.02.2014 – 2 Ws 614/13 -, BeckRS 2016, 18956 m. w. N.).

So liegt der Fall hier. Relevante Umstände, aus denen auf die Täterschaft des Angeschuldigten M. für den Tatvorwurf vollendeter Betrug geschlossen werden kann, sind im Ermittlungsverfahren nicht festgestellt worden. Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur nicht die Ermittlungen trotz anderslautender formularmäßiger Behauptung bei Anklageerhebung abgeschlossen; sie hat die Ermittlungen regelrecht verweigert.

Es ist aus den oben dargelegten Gründen nicht Aufgabe des Tatrichters, das sich offenkundig aufdrängende Beweisprogramm im Zwischenverfahren abzuarbeiten und damit quasi eine „Hauptverhandlung” vor der Hauptverhandlung durchzuführen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang auch an die Gefahr der Befangenheit, der sich das Gericht aussetzt, das selbst vor Zulassung der Anklage umfangreiche Ermittlungen durchführt (so bereits LG Berlin, a. a. O.). Zutreffend weist Lilie (NStZ 2003, 568) darauf hin, dass § 202 StPO nicht dazu missbraucht werden dürfe, mangelnde staatsanwaltliche Kontrolle polizeilicher Ermittlungstätigkeit im Zwischenverfahren nachzuholen, da es sonst zu einer Schieflage im Verhältnis der Aufgaben zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht käme. Der Nachweis begründeten Tatverdachts dürfe nicht auf die Eingangsgerichte abgewälzt werden. § 202 StPO müsse restriktiv angewendet werden und einen Ausnahmefall bilden.“

Wiedereinsetzung III: Selbst Versäumung verschuldet, oder: Wenn man sich um eigene Dinge nicht kümmert

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Die dritte Entscheidung, der AG Eilenburg, Beschl. v. 07.11.2024 – 8 OWi 614/24 – kommt dann aus einem Bußgeldverfahren. In dem war ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung dem Betroffenen am 11.04.2024 unter einer Anschrift in Leipzig zugestellt worden, die er zuvor gegenüber der Verwaltungsbehörde auf die Anhörung hin als seine (neue) Wohnanschrift angegeben hatte. Die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße wurde am 12.04.2024 vom Konto des Betroffenen unter Angabe des behördlichen Aktenzeichens auf das Konto der Verwaltungsbehörde gezahlt.

Am 08.08.2024 zeigte sich für den Betroffenen sein Verteidiger bei der Verwaltungsbehörde an, legte gegen den Bußgeldbescheid vom 05.04.2024 unter Beantragung von Akteneinsicht Einspruch ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung schildert der Betroffene seine persönliche Situation und führt aus, dass er von dem Bußgeldbescheid bis heute keine Kenntnis habe. Der Umstand, dass dieser in Rechtskraft erwachsen sein soll, sei ihm erst am 05.08.2024 bekannt geworden, nachdem er den Brief der Führerscheinbehörde mit der Anhörung zum Fahrerlaubnisentzug zur Kenntnis genommen und mit dieser Rücksprache gehalten habe. An diesem Tage habe er auch erstmalig nach entsprechender Erkundigung bei seiner Ehefrau erfahren, dass sie den Bußgeldbescheid offensichtlich aus der Post genommen und das Bußgeld und auch die Verwaltungsgebühr ohne sein Wissen bezahlt habe. Eine Nachschau auf dem gemeinsamen Konto habe dies bestätigt. Der Bußgeldbescheid liege ihm bis heute nicht vor, lediglich anhand der Aktenzeichen habe er dies halbwegs rekonstruieren können.

Die Verwaltungsbehörde hat den Einspruch als unzulässig verworfen. Der Wiedereinsetzungsantrag hatte keinen Erfolg:

„b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 52 OWiG i. V. m. §§ 44, 45 StPO ist nicht zu gewähren. Der Betroffene hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO sind dabei mit der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag alle Tatsachen zur Begründung des Antrages zu benennen und glaubhaft zu machen. Verschulden i. S. des § 44 Satz 1 StPO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. nur OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.10.1990 – 10 M 24/90 -, NJW 1991, 1196 zum gleichlautenden § 60 Abs. 1 VwGO).

Inwieweit ein Verfahrensbeteiligter einem Dritten die Besorgung prozessualer Angelegenheiten vertrauensvoll überlassen kann und in welchem Umfang er den Beauftragten kontrollieren muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es trifft ihn bei Versäumnissen und Fehlern des Beauftragten dann kein Verschulden, wenn er bei dessen Auswahl und Überwachung die Sorgfalt aufgewandt hat, die verständiger Weise von ihm erwartet und ihm zugemutet werden kann. Steht der Beauftragte zum Auftraggeber in einem engen und dauerhaften Verhältnis, das ein gegenseitig erprobtes Vertrauen begründet – wie das der Ehe – und fehlen Anhaltspunkte, aus denen sich ausnahmsweise eine Unzuverlässigkeit des Ehegatten bei der Wahrnehmung wichtiger Angelegenheiten ergeben, so ist der Auswahlsorgfalt in aller Regel genügt und es reduziert sich auch die Überwachungssorgfalt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.08.1991 – 1 Ws 222/91 -, BeckRS 1991, 652; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.10.2000 – 3 Ws 1049/00 -, NStZ-RR 2001, 85).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Betroffene in Ansehung seines Vortrags, den er durch die vorliegende eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau ausreichend glaubhaft gemacht hat, der ihm noch obliegenden Überwachungssorgfalt in vorwerfbarer Weise nicht zureichend nachgekommen. Zunächst ist dahingehend zu befinden, dass der Betroffene unter Zugrundelegung seines Vortrags seine Ehefrau nicht nur mit der Besorgung eines konkreten Rechtsgeschäfts beauftragt, sondern er ihr offensichtlich die Besorgung jeglicher rechtsgeschäftlicher Angelegenheiten ihn betreffend anvertraut hat. Dies verlangt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls ein gewisses Maß an wiederkehrender Kontrolle der „beauftragten“ Person, da die Fehleranfälligkeit bei einer „globalen“ Aufgabenübertragung gegenüber einer einzelfallbezogenen Geschäftsbesorgung steigt, auch wenn sich die beauftragte Person in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hat. Ein blindes Vertrauen in die Aufgabenwahrnehmung für sämtliche Teilbereiche des einen Betroffenen betreffenden Schriftsatzverkehrs mit Dritten erscheint auch vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG nicht schützenswert, käme dadurch doch zum Ausdruck, dass ein Betroffener der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenüber steht.

So liegt der Fall jedoch hier. Dem Betroffenen hätte es sich, nachdem er auf den Anhörungsbogen hin am 02.04.2024 gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt hat, dass er der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei und der Verkehrsverstoß auch im übrigen zugegeben werde, aufdrängen müssen, dass bald ein Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde gegenüber ihm ergehen würde. Gerade angesichts dessen, dass am […]2024 das zweite gemeinsame Kind zur Welt gekommen und zudem während dieser Zeit viel Verwaltungsaufwand auch wegen eines Rechtsstreits mit dem Bauträger angefallen sein soll, wäre vom Betroffenen, um einer Überforderungssituation seiner Ehefrau vorzubeugen, zu erwarten gewesen, hier entweder unterstützend tätig zu werden oder sich zumindest bei seiner Ehefrau regelmäßig nach einem etwaigen Fortgang des ihm bekannten Bußgeldverfahrens zu erkundigen. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Betroffenen, bei seiner Ehefrau erst am 05.08.2024 nachgefragt zu haben, ist dies jedoch über einen Zeitraum von ca. 4 Monaten seit Bekanntwerden des (von ihm eingeräumten) Tatvorwurfs nicht geschehen. Auch nachdem ihm das Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 30.04.2024 und der darin ausgesprochenen Verwarnung bei einem Punktestand von 6 Punkten zur Kenntnis gelangte, sah er augenscheinlich weiterhin keinen Anlass, sich nach dem Fortgang des ihm bekannten Bußgeldverfahrens zu erkundigen. Der Vortrag des Betroffenen verhält sich zudem nicht dazu, weshalb er über einen Zeitraum von ca. 16 Wochen seit der Überweisung vom 12.04.2024 nicht in der Lage war, von dieser Buchung Kenntnis zu erhalten. Sollte der Betroffene über diesen Zeitraum die Bewegungen auf seinem Konto nicht kontrolliert haben, kommt auch darin zum Ausdruck wie er seine eigenen Interessen vernachlässigt und seine Rechte in vermeidbarer Weise nicht wahrgenommen hat (in dieser Richtung auch OLG Dresden, Beschl. v. 24.11.2004 – 2 Ws 662/04 -, NStZ 2005, 398).

Nach alledem ist festzustellen, dass der offenbar völlige Mangel eigener Bemühungen, sich um seine Sache zu kümmern, ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist begründet.“

KCanG I: Peinlicher Lapsus (?) beim BGH zum KCanG, oder: Neufestsetzung JGG-Weisungen/Jugendstrafe

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Und dann heute zum Beginn der 18. KW. wie immer besondere Kategorien, und zwar etwas zum KCanG.

Vorab ein kleiner (?) Nachtrag.: Ich hatte am vergangenen Montag über den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24 berichtet (KCanG III: „Nicht geringe Menge“ bleibt bei 7,5 g, oder: Auch beim BGH: Neuer Wein in alten Schläuchen).  In dem macht der BGH ja erste Ausführungen zur „nicht geringen Menge“ bei BtM nach Inkrafttreten des KCanG.

So weit, aber nicht so gut. Denn, wer jetzt den Link in dem Beitrag anklickt, erhätl als Meldung: „Das gewünschte Dokument steht nicht zur Verfügung. Eventuell ist es nicht mehr oder noch nicht freigegeben.“ Nun, richtig ist wohl, dass der BGG das Dokument „nicht mehr …. freigegeben“ hat. Denn er hat es geändert, und zwar an entscheidenden Stellen (vgl. dazu hier bei de legisbus und auch bei LTO). 

Wer die Entscheidung jetzt sucht, findet den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24  zwar auch noch auf der Homepage des BGH, allerdings mit dem Hinweis: „Ursprünglich war versehentlich eine nicht beschlossene Fassung eingestellt; 
siehe auch: Pressemitteilung Nr. 93/24 vom 22.4.2024„. Wer meint, in der PM eine Erklärung des BGH zu finden, ist enttäuscht. M.E. mehr als peinlich für den 1. Strafsenat und ohne weitere Worte.

Dies vorausgeschickt, dann jetzt der AG Eilenburg, Beschl. v. 18.04.2024 – 8 VRJs 144/23 jugzur Neufestsetzung drogenbezogener Weisungen nach Inkrafttreten des CanG bei tatmehrheitlichen Verurteilungen und Anwendung von Jugendstrafrecht. Die heranwachsende Verurteilte iwar im JGG-Verfahren u,a, angewiesen worden, sich in eine stationäre Entgiftungsbehandlung  zu begeben und von dort aus eine Langzeittherapie zu beantragen. Die Verurteilte hatte die drogenbezogene Weisung bislang nicht umgesetzt, was mit auch in einem Anhörungstermin thematisiert worden war. Das AG hat nach Inkrafttreten des KCanG von einer Neufestsetzung der ausgesprochenen Ahndung abgesehen:

„2. Unter Zugrundelegung der nunmehr einschlägigen Regelungen, wäre der rechtskräftig abgeurteilte Sachverhalt vom 24.11.2022 straflos geblieben. Obgleich sich das Verfahren noch in der Vollstreckung befindet, ist von einer Neufestsetzung der ausgesprochenen Ahndung abzusehen. Unter Beachtung des erzieherischen Gedankens im Jugendstrafrecht und der Einheitlichkeit der Rechtsfolgenentscheidung ist im vorliegenden Fall maßgebend, dass der zum Zeitpunkt der Tatbegehung unerlaubte Besitz des Betäubungsmittels Cannabis am 24.11.2022 nur einen nicht ins Gewicht fallenden Beitrag der erkannten Rechtsfolge ausmacht und die Verurteilte Mischkonsumentin auch härterer Drogen (Methamphetamin, GHB, etc.) war und ist. Nicht zuletzt ist dies, nachdem die Verurteilte bereits die angewiesene stationäre Entgiftungsbehandlung nicht angetreten hat, im Rahmen der Anhörung deutlich geworden.“

Und als zweite KCanG-Entscheidung ein weiterer AG-Beschluss, nämlich der AG Heinsberg, Beschl. v. 26.04.2024 – 42 VRJs 79/23 – zur Ermäßigung einer Einheitsjugendstrafe nach dem Inkrafttreten des KCanG. Das AG hat in ihm von einer Ermäßigung einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten abgesehen:

„Eine Ermäßigung der Einheitsjugendstrafe kommt nicht in Betracht. Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 23.03.2023, Az. 647 Ls 486/22 wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in insgesamt 13 Fällen schuldig gesprochen, wobei es in 3 Fällen beim Versuch blieb. Einbezogen wurde das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 11.07.2022, Az: 647 Ds 101/22. Dort wurde der Verurteilte wegen versuchten und vollendeten Diebstahls in einem besonders schweren Fall und illegalen Besitzes von Betäubungsmitteln in 3 Fällen schuldig gesprochen. In zwei Fällen ging es um den Besitz von Amphetamin, davon in einem Fall im Rahmen einer natürlichen Handlungseinheit mit einem Joint und damit keiner Tateinheit i.S.d. Art. 313 Abs. 3 EGStGB. Beide Fälle bleiben nach dem CanG auch weiterhin strafbar. In einem weiteren Fall des illegalen Besitzes ging es um den Besitz von nur 0,06g netto Marihuana sowie einen Joint. Angesichts dieser lediglich geringen Mengen und des Tatunrechts der Vielzahl an übrigen Taten war keine relevante Auswirkung auf das Strafmaß gegeben.“

Interessant in dem Zusammenhang ist ein weiterer Beschluss des AG vom gleichen Tag. In dem hat das AG (s. AG Heinsberg, Beschl. v. 26.04.2024 – 42 VRJs 79/23) dem Verurteilten einen Pflichtverteidiger bestellt. Das hat das AG allerdings – leider – nicht näher begründet. Im Beschluss heißt es nur: „§ 140 Abs. 2 SIPO analog„.