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Die Glaubwürdigkeit der Zeugin – ist nicht bedeutungslos

© Dan Race Fotolia .com

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So richtig „knallige“ Entscheidungen des BGH oder anderer Obergerichte zum Beweisantragsrecht gibt es im Moment nicht. Allerdings spielen Beweisanträge und deren Ablehnung in der Rechtsprechung des BGH immer wieder ein Rolle. Und wenn man sich die Revisions-Rechtsprechung anschaut, dann nimmt die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Bedeutungslosigkeit in der Praxis breiten Raum ein (§ 244 Abs. 3 StPO). An der Stelle werden von den Tatgerichten aber auch immer wieder Fehler gemacht, weil die Voraussetzungen für eine Ablehnung eines Beweisantrages aus dem Raum verkannt bzw. nicht richtig angewendet werden. Exemplarisch zeigen das zwei BGH-Beschlüsse aus neuerer Zeit, nämlich der BGH, Beschl. v. 30.07.2015 – 4 StR 199/15 – und der BGH, Beschl. v. 09.07.2015 – 1 StR 141/15.

Im ersten Verfahren ging es um einen Beweisantrag der Nebenklage, mit dem ein möglicher Tötungsvorsatz nachgewiesen werden sollte. Den hatte die Strafkammer mit der Begründung abgelehnt: „Die Beweisbehauptung … ist für die Entscheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung (§ 244 Abs. 3 S. 2, 2. Var. StPO). Ein möglicher Tötungsvorsatz ist für die angeklagte gefährliche Körperverletzung und den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr ohne Bedeutung. Darüber hinaus will die Kammer weitere mögliche Schlüsse aus einem solchen Gespräch nicht ziehen.“ Im zweiten Fall ging es in einem Vergewaltigungsverfahren um die Glaubwüridgkeit der Geschädigten. Auch da ist ein Beweisantrag abgelehnt worden wegen Bedeutungslosigkeit. In beiden Fällen haben die Ablehnungsbegründungen der LG dem BGH – neben anderen Gründen – nicht gepasst und er hat die landgerichtlichen Urteile aufgehoben.

Ich nehme dann mal die Begründung aus dem ersten Verfahren – die im zweiten klingt ähnlich:

2. Ferner ist der Beschluss, mit dem das Landgericht den Beweisantrag abgelehnt hat, unzureichend begründet.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsachen abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihnen keine Bedeutung beimisst. Wird die Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Umständen gefolgert, so müssen die Tatsachen angegeben werden, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte. Die erforderliche Begründung entspricht dabei grundsätzlich den Be-gründungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen; sie ist auf konkrete Erwägungen zu stützen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 135/13, NStZ-RR 2014, 54, 55; vom 18. März 2015 – 2 StR 462/14, juris Rn. 5). Geht es um den Angeklagten belastende Beweisbehauptungen, muss die Ablehnung das ganze Beweisthema ohne Einengung, Verkürzung oder Unterstellung erfassen und darlegen, warum dem Tatrichter die im Beweisantrag behauptete Tatsache in Verbindung mit dem bisherigen Beweisergebnis nicht ausreichen würde, um zu einer Verurteilung zu gelangen (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 26. Februar 2015 – 4 StR 293/14, NStZ 2015, 355, 356; vgl. insbesondere zu einem Beweisantrag des Nebenklägers ferner BGH, Urteil vom 7. April 2011 – 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713, 714 jeweils mwN)…..“

Das ist im Grunde der Textbaustein, mit dem so oder ähnlich die BGH-Senate in dieser Frage „agieren“. Ist im Grunde genommen ganz einfach und keine besondere Kunst…..

Die Belastung des Amtsrichters – ist sie groß genug?

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

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Was für eine Frage: Die Belastung des Amtsrichters – ist sie groß genug? Natürlich werden die mitlesenden Amtsrichter – und wahrscheinlich nicht nur die – sagen. Aber: Die Frage stellt sich nicht in dem allgemeinen Zusammenhang nach der allgemeinen dienstlichen Belastung  der (Amts)Richter, sondern konkret in einem amtsgerichtlichen Verfahren, in dem der Amtsrichter Beweisanträge des Betroffenen  „nach „§ 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG“ zurückgewiesen [hat], da „die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nach seinem pflichtgemessen Ermessen nicht erforderlich“ sei. Die Anträge seien „ohne verständigen Grund so spät vorgebracht“ worden, „dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde“. Dazu führte das Amtsgericht im angefochtenen Urteil u.a. aus, dass es seinerzeit schon für Ende Januar terminiert habe, bei zwei bis drei Sitzungstagen pro Woche. Aufgrund dieser Belastung sei eine Durchführung eines Fortsetzungstermins innerhalb der Frist der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 229 Abs. 1 StPO nicht möglich.“

Dem OLG Hamm, das auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Frage befasst war, passt das so nicht.Es verweist im OLG Hamm, Beschl. v. 03.02.2015 – 1 RBs 18/15 – darauf, dass der Ansatz des Amtsrichters, dass die beantragte Beweiserhebung zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 228 StPO mit der Folge, dass die Hauptverhandlung neu durchgeführt werden muss, führen würde, im Urteil nicht ausreichend dargetan sei. Die allgemeine Angabe, das Amtsgericht terminiere Straf- und Bußgeldsachen an zwei bzw. drei Hauptverhandlungstagen je Woche und man terminiere derzeit bereits im Januar des Folgejahres, sage darüber nichts aus. So ist weder dargetan, wie umfangreich die jeweiligen Verhandlungstage sind, noch, dass – ohne Vernachlässigung oder Zurückstellung anderer Verfahren – die begehrte Beweisaufnahme, welche einen überschaubaren Umfang hat, nicht gleichwohl noch zusätzlich hätte angesetzt werden können.

Und dann kommt das – was m.E. – die Amtsrichter nicht gerne lesen werden:

Für die Frage, ob die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führt, ist maßgeblich, ob ein seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllender Richter – auch unter Berücksichtigung der üblichen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitsbelastung, d.h. auch bei angemessener Mehrarbeit gegenüber seiner üblichen wöchentlichen Arbeitsbelastung – den Fortsetzungstermin zur Durchführung der Beweisaufnahme nicht mehr hätte ansetzen können. Dies ist dann der Fall, wenn er – auch bei angemessener Mehrarbeit – den Fortsetzungstermin voraussichtlich nicht ohne Aufhebung anderer Termine oder Vernachlässigung anderer Pflichten (wie etwa sorgfältige Vorbereitung anderer Hauptverhandlungen, Wahrung der Urteilsabsetzungsfristen, Wahrung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen etc.) nicht durchführen kann. Der Senat hält es hingegen nicht für erforderlich, dass die Beweiserhebung zwingend zur Aussetzung der Hauptverhandlung führt, etwa weil bereits feststeht, dass das Beweismittel nicht fristgerecht herbeigeschafft werden kann.

….

Den Fall, dass ein seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllender Richter – auch unter Berücksichtigung der üblichen Schwankungen in der wöchentlichen Arbeitsbelastung, d.h. auch bei angemessener Mehrarbeit gegenüber seiner üblichen wöchentlichen Arbeitsbelastung – den Fortsetzungstermin zur Durchführung der Beweisaufnahme nicht mehr hätte ansetzen können, sieht der Senat z.B. dann als gegeben an, wenn der Richter mit der Durchführung von Hauptverhandlungen, deren Vor- und Nachbereitung sowie mit seinen sonstigen richterlichen Aufgaben so belastet ist, dass ein Fortsetzungstermin zur Durchführung der beantragten Beweisaufnahme in dem Unterbrechungszeitraum oder eine deshalb zu verschiebende anderweitige Tätigkeit zwangsläufig erst ab den frühen Abendstunden, zu früher Morgenzeit oder am Wochenende durchgeführt werden könnte.

Solches ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Das Amtsgericht hat für den konkreten Fortsetzungszeitraum i.S.v. § 229 StPO weder die konkrete Zahl von Sitzungstagen, noch die Zahl der zu verhandelnden Sachen, noch die hierfür angesetzte Verhandlungsdauer mitgeteilt. Dies hätte womöglich schon ausgereicht, dem Senat, der einschätzen kann, wie viel Vorbereitungs – und Nachbereitungszeit erforderlich ist, einen Eindruck davon zu vermitteln, dass die Auslastung des Tatrichters eine weitere Beweisaufnahme in einem Fortsetzungstermin innerhalb der Unterbrechungsfrist nicht zugelassen hätte.“

Also: So ganz einfach ist das mit der Ablehnung von Beweisanträgen wegen Verspätung nicht (mehr).

Die erfolgreiche/erfolglose Ablehnung des Sachverständigen

© sss78 – Fotolia.com

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Die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit und wie das Gericht damit umgeht, kann für den Angeklagten und das Ergebnis des Verfahrens von entscheidender Bedeutung sein. Denn nicht selten entscheidet der Sachverständige, ob und wie der Angeklagte verurteilt wird.Deshalb haben die damit zusammenhängenden Fragen in der Praxis erhebliche Bedeutung. Das zeigt auch noch einmal der BGH, Beschl. v. 22.07.2014 – 3 StR 302/14. Im Verfahren – Vorwurf des versuchten Mordes – war der Sachverständige abgelehnt worden. Dazu verhält sich der BGH, Beschl. wie folgt:

Der Angeklagte hat den Sachverständigen, der mit seiner forensisch-psychiatrischen Begutachtung beauftragt war, wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Gutachten sei nicht mit der erforderlichen wissenschaftlichen Sorgfalt erstellt worden. Außer-dem habe der Sachverständige den Wunsch des Angeklagten unterbunden, dass bei der Exploration sein Verteidiger anwesend sein sollte. Schließlich habe der Sachverständige den Verteidiger nicht über dieses Anliegen informiert; vielmehr habe er diesem telefonisch bewusst wahrheitswidrig ausrichten lassen, die Begutachtung sei praktisch abgeschlossen und der Angeklagte habe ihm gegenüber nicht geäußert, dass er seinen Verteidiger dabei haben wollte.

Das Landgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen und dies damit begründet, weder das wissenschaftliche Vorgehen des Sachverständigen noch die Tatsache, dass dieser die Exploration in Abwesenheit des Verteidigers durchgeführt habe, rechtfertigten die Besorgnis der Befangenheit. Zu dem weiteren Vorwurf, der Sachverständige habe den Verteidiger unzutreffend über den Wunsch des Angeklagten informiert, die Exploration im Beisein seines Verteidigers durchzuführen, verhält sich der den Antrag ablehnende Beschluss nicht.

Der Angeklagte hat eine Verletzung des § 74 StPO gerügt und hatte hinsichtlich der Rechtsfolgen Erfolg:

2. Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Anders als bei der Ablehnung eines Richters prüft das Revisionsgericht bei der Ablehnung eines Sachverständigen nicht selbstständig, ob die Voraussetzungen für die Besorgnis einer Befangenheit im konkreten Fall vorliegen. Es hat vielmehr allein nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Dabei ist es an die vom Tatgericht festgestell-ten Tatsachen gebunden und darf keine eigenen Feststellungen treffen. Aus diesem Grunde muss das Tatgericht in seinem Beschluss darlegen, von wel-chen Tatsachen es ausgeht (BGH, Beschluss vom 23. März 1994 – 2 StR 67/94, NStZ 1994, 388). Die gemäß § 34 StPO erforderliche Begründung des Beschlusses muss im Übrigen so ausführlich sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob das Tatgericht die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt hat; daneben muss sie die Verfahrensbeteiligten in die Lage versetzen, ihr wei-teres Prozessverhalten darauf einzurichten (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 74 Rn. 17 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Begründung des Beschlusses des Landgerichts nicht gerecht. Die Strafkammer hat zu einem wesentlichen Teil der Begründung des Ablehnungsgesuchs nicht Stellung genommen. Damit ist weder erkennbar, von welchen Tatsachen sie insoweit ausgegangen ist, noch, ob ihre Entscheidung im Übrigen rechtsfehlerfrei ist. Eine sachliche Überprüfung der Entscheidung durch den Senat als Revisionsgericht ist deshalb nicht möglich. Ebenso wenig konnte der Angeklagte sein weiteres Prozessverhalten auf die Begründung der Strafkammer einrichten.“

Schöffin Mitglied bei „Wildwasser e.V.“ – befangen?

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In einem beim LG Stade anhängigen Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern hat an der Berufungshauptverhandlung eine Schöffin teilgenommen, die Mitglied bei Wildwasser e.V. und dort früher auch im Vorstand tätig war. Der Angeklagte hat darauf einen Ablehnungsantrag gestützt und dessen Zurückweisung dann mit der Revision geltend gemacht. Das OLG Celle sagt im OLG Celle, Beschl. v. 02.06,.2014 –  31 Ss 22/14: Allein die Mitgliedschaft einer Schöffin bei „Wildwassser e.V.“ begründet auch dann nicht die Besorgnis der Befangenheit, wenn dem Angeklagten sexueller Missbrauch von Kindern zur Last gelegt wird. Aus der Begründung:

b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die unter dem Namen „Wildwasser e.V.“ regional operierenden Vereine, durch „- vermeintlich – professionell ausgebildete Fachfrauen“ tätig werden, die „auf der Grundlage eines feministisch-parteilichen Konzepts“ arbeiten. Soweit die Revision aus diesem Grundkonzept und den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt die Sorge ableitet, dass die Schöffin sich auch bei Ausübung ihres Richteramtes nicht von dem „Prinzip feministischer Parteilichkeit“ lösen könne, vermag ihr der Senat nicht zu folgen.

Aus den von der Revision zitierten Quellen ergibt sich, dass das vorgenannte Konzept die konkrete Tätigkeit der Beraterinnen des Vereins im Umgang mit den einzelnen Betroffenen prägt. Die Schöffin selbst war nach ihrer dienstlichen Stellungnahme aber zu keinem Zeitpunkt Beraterin oder sonst in die konkrete Bearbeitung einzelner Beratungsfälle eingebunden, sondern hatte als Vorstandsmitglied lediglich organisatorische Aufgaben wie Spendenbeschaffung und Aufarbeitung einer Ausstellung; zum Zeitpunkt der Verhandlung in vorliegender Sache war sie noch „passives“ Mitglied des Vereins. Soweit die Revision geltend macht, aus dem Titel der Ausstellung „Trau dich – trau dir und deinen Gefühlen“ habe sich auch für die Schöffin deutlich ergeben, dass „Ausgangspunkt für die Zuschreibung der Opferrolle durch Wildwasser nicht von den betreuten Personen wahrgenommene Tatsachen, sondern Befindlichkeiten“ seien, lässt sie außer Acht, dass es sich bei der Ausstellung ausweislich des der Revisionsbegründung beigefügten Artikels aus der R. Rundschau um eine Präventionsausstellung handelte, sie also ersichtlich den Zweck hatte, Menschen davor zu bewahren, überhaupt in die Opferrolle zu geraten. Im Übrigen gehören zu den Tatsachen auch innere Tatsachen (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 112 Rn. 22).

Es ist zwar davon auszugehen, dass die Schöffin das Grundkonzept der Beratungstätigkeit des Vereins kennt und befürwortet. Angesichts des Umstandes, dass die Schöffin als Mitglied des Vorstands und erst recht zuletzt als lediglich passives Mitglied nicht mit konkreten Beratungsfällen befasst war, konnte der Angeklagte bei verständiger Betrachtung indes nicht den weitergehenden Schluss ziehen, die Schöffin könne nicht zwischen dem Arbeitskonzept der Beraterinnen des Vereins und ihren eigenen Pflichten als Schöffin differenzieren und werde nicht unvoreingenommen entscheiden.

c) Diese Besorgnis lässt sich auch nicht aus den Äußerungen der Schöffin gegenüber dem H. Abendblatt ableiten. Aus ihnen kann bei verständiger Würdigung nicht geschlossen werden, dass die Schöffin männliche Angeklagte nur als Täter wahrnehme. Die Passage lautet:

„Die Beteiligung von Nichtjuristen an der Rechtsprechung sollte den Einfluss der Obrigkeit verringern; die Schöffen wirkten als Vermittler zwischen Justiz und Bevölkerung. Das sei auch heute noch eine spannende und wichtige Aufgabe, findet P. H., auf die sie sich jedes Mal aufs Neue unvoreingenommen und aufmerksam einlasse. „Zum einen, weil man das dem Angeklagten einfach schuldig ist. Zum anderen, weil es auch gar nicht anders geht. Wenn ich ins Gericht fahre, weiß ich nämlich nichts über das Verfahren, an dem ich als Schöffin beteiligt bin. Was anliegt, wird uns erst fünf Minuten vor Verhandlungsbeginn gesagt, damit wir mit einem unverfälschten neutralen Blickt Tat und Täter beurteilen können.“

Diese Passage lässt im Zusammenhang gelesen keinen Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Schöffin aufkommen. Allein das Abstellen auf die – ersichtlich laienhaft verwendeten – Worte „Tat und Täter“ kommt nicht in Betracht; denn so isoliert betrachtet würde der letzte Satz schon für sich genommen, aber erst Recht in der Zusammenschau mit dem Rest der Passage keinen Sinn ergeben. Wenn die Schöffin mit den Worten „Tat und Täter“ tatsächlich eine für künftige Verfahren bereits vorgefasste Überzeugung von der Schuld eines jeden männlichen Angeklagten zum Ausdruck gebracht hätte, so wäre nicht ersichtlich, was mit dem „unverfälschten neutralen Blick“ gemeint sein sollte, den sie direkt davor erwähnt hat, und worin die Unvoreingenommenheit bestehen sollte, die zuvor in dem in indirekter Rede wiedergegebenen Satz von ihr bekundet worden ist. Auch wäre nicht nachvollziehbar, was sie „dem Angeklagten einfach schuldig“ sein sollte, wenn nicht die zuvor erwähnte Unvoreingenommenheit. Da der Satz in dem von der Revision vertretenen Verständnis auch bedeuten würde, dass die Schöffin in allen Verfahren gegen männliche Angeklagte, also auch solchen, die keine Sexualstraftaten betreffen, voreingenommen ist, wäre zudem ein Zusammenhang mit ihrer Mitgliedschaft im Verein „Wildwasser“ nicht erkennbar.“

Verteidigerwechsel = Fluchtgefahr? Nein, aber „befangen“!

HammerNicht so ganz häufig sind m.E. die Entscheidungen, in denen der BGH ein tatrichterliches Urteil wegen eines Verstoßes gegen § 338 Nr. 3 StPO aufhebt, also weil an dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, obwohl er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden war und das Ablehnungsgesuch zu Unrecht abgelehnt worden ist. Deshalb ist der BGH, Beschl. v. 08.05.2014 – 1 StR 726/13 – schon etwas Besonderes, aber auch wegen der Vorgehensweise/ Argumentation des LG.

Dazu: Die Strafkammer beim LG Augsburg hatte am 11. von insgesamt 24 Hauptverhandlungstagen gegen die beiden Angeklagten jeweils auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützte Haftbefehle verkündet. Für den einen Angeklagten sah das LG diesen Haftgrund u.a. in der zu erwartenden langjährigen Freiheitsstrafe sowie „dringende(n) Anhaltspunkte(n) für weitere, gravierende Straftaten“, bzgl. derer ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren aber noch nicht eingeleitet war, begründet. Weiterhin wird in dem Haftbefehl ausgeführt, der Angeklagte erkenne nunmehr, dass eine langjährige Vollzugsstrafe näher rücke. Bei dem anderen Angeklagten stützte das LG die Fluchtgefahr u.a. auf die hohe Straferwartung und – wie bei dem anderen Angeklagten – auf den dringenden Verdacht weiterer gewichtiger Straftaten. Vor allem führte es in dem Haftbefehl aus, der Angeklagte sei zwar zu allen bisher zehn Hauptverhandlungsterminen erschienen. Der Umstand jedoch, dass er nunmehr einen Verteidigerwechsel herbeigeführt habe, lasse zusammen mit dem bisherigen Verlauf der Beweisaufnahme „ernsthaft befürchten“, der Angeklagte wolle dem Verfahren „bis zu seinem Abschluss nicht freiwillig beiwohnen“.

Beide Angeklagte legen Haftbeschwerde ein, beide Haftbefehle werden vom OLG München wegen fehlender Fluchtgefahr aufgehoben. Beide Angeklagte haben die Berufsrichter der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt – und damit dann beim BGH Recht bekommen. Aus der umfangreichen Begründung hier nur die Ausführungen des BGH zum „Automatismus“ „Verteidigerwechsel führt zur Annahme von Fluchtgefahr“ (Rest bitte selbts lesen):

aa) In dem Haftbefehl gegen den Angeklagten Dr. I. stellen die abgelehnten Richter für die nunmehr bestehende Fluchtgefahr ausdrücklich auf den Umstand ab, dass er einen Verteidigerwechsel herbeigeführt habe. Aus welchen Gründen das prozessual zulässige Verhalten der Wahl eines neuen Verteidigers einen Schluss auf die Bereitschaft des Angeklagten gestatten soll, sich wie bisher dem Verfahren zu stellen, lässt sich dem Haftbefehl nicht entnehmen und ist auch außerhalb dessen nicht ersichtlich. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der von dem neuen Wahlverteidiger gegenüber dem Vorsitzenden mündlich und schriftlich vor dem Erlass des Haftbefehls abgegebenen (retrospektiv eingehaltenen) Zusicherung, in die Sache eingearbeitet zu sein und keine Aussetzungsanträge zu stellen. Zwar wird in der Begründung des Haftbefehls auch ausgeführt, das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme lasse „ernsthaft befürchten, dass der Angeklagte dem Verfahren bis zu seinem Abschluss nicht freiwillig beiwohnen will“. Diese Bewertung stützen die abgelehnten Richter aber wiederum lediglich darauf, die bisherige Beweisaufnahme habe „die Anklagevorwürfe in vielen Bereichen erhärtet“. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme werden jedoch nicht näher ausgeführt, so dass bereits nicht ersichtlich ist, inwieweit sich für die Beurteilung der Fluchtgefahr relevante Änderungen der Umstände für die Angeklagten ergeben haben sollen. Vor allem aber verknüpfen die drei abgelehnten Richter in dem Haftbefehl die Ergebnisse der „bisherigen Beweisaufnahme“ und die Erkenntnis des Angeklagten, eine langjährige Freiheitsstrafe rücke näher, in einer nicht erläuterten und in der Sache nicht nachvollziehbaren Weise mit dem „plötzlichen Verteidigerwechsel“. Warum der zulässige Wechsel zu einem in die Sache bereits eingearbeiteten neuen Verteidiger ein auf den angeblichen Willen des Angeklagten Dr. I. , sich dem Verfahren zukünftig nicht mehr zu stellen, hindeutender Umstand sein soll, ist nicht erklärlich und wird seitens der abgelehnten Richter weder in der Haftbefehlsentscheidung noch in ihren dienstlichen Erklärungen erklärt.

Also doch „abgewatscht“?  So ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren. Die machen da aber auch Sachen in Augsburg 🙂 🙂 .