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Beweis I: Abgelehntes Sachverständigengutachten, oder: Wahrscheinlichkeitsaussage und Überzeugung

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So, und dann am 2. Arbeitstag des neuen Jahres geht es dann „normal“ weiter, wie ich gestern schon angekündigt hatte. Ich beginne heute mit „Beweisfragen“. Und: Ja, die Beiträge sind vorbereitet. Schließlich habe ich hier auf Borkum „Staatsbesuch“.

Zunächst hier der BGH, Beschl. v. 07.12.2021 – 5 StR 215/21 – zur Ablehnung eines Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen Ungeeignetheit. Der Angeklagte hatte die Ablehnung beim BGH gerügt, ohne Erfolg:

„2. Auch die Beanstandung der Revision, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 StPO die beantragte Einholung eines Schriftsachverständigengutachtens als völlig ungeeignetes Beweismittel abgelehnt, erweist sich als unbegründet.

Zwar ist es entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts grundsätzlich richtig, dass ein Sachverständigengutachten nicht schon dann als ungeeignetes Beweismittel anzusehen ist, wenn darin zwar keine sicheren und eindeutigen Beweisergebnisse erzielt werden, die enthaltenen Ausführungen aber gleichwohl die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen können (vgl. dazu in freilich anderen Konstellationen BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 3 StR 284/11, NStZ 2012, 345; Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14, NStZ 2016, 116). Bringt das Tatgericht jedoch zum Ausdruck, dass es eine allenfalls geringgradige Wahrscheinlichkeitsaussage nicht für geeignet hält, seine Überzeugung zu beeinflussen, begegnet es keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, wenn es ein beantragtes Sachverständigengutachten mangels ausreichend aussagekräftiger und nicht weiter ermittelbarer Anknüpfungstatsachen als völlig ungeeignetes Beweismittel ansieht (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 1999 – 3 StR 166/99; LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 239).

So verhält es sich hier: Dem Landgericht lag die zu untersuchende Unterschrift lediglich in Kopie vor, die zudem mit nur einer einzigen Originalschriftprobe der mittlerweile Verstorbenen verglichen werden sollte. Wegen des Fehlens des Originals bestanden nach den von eigener, hinreichend dargelegter Sachkunde der Strafkammer getragenen Ausführungen in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss wesentliche Untersuchungsdefizite, weshalb die Schriftprobe „einer Erhebungs- und Bewertungsmöglichkeit […] nur eingeschränkt oder gar nicht zugänglich“ war. Die Verstorbene konnte auch keine weiteren Schriftproben mehr anfertigen, so dass weitere Anknüpfungstatsachen durch einen Sachverständigen nicht zu ermitteln waren.

Zudem könnte der Senat das Beruhen des Urteils auf einem etwaigen Rechtsfehler ausschließen, weil die vermeintlich gefälschte Urkunde in der Beweiswürdigung des Landgerichts lediglich ein untergeordneter Aspekt für die Annahme eines auf Pflegebetrügereien ausgerichteten Verhaltensmusters der Angeklagten war.“

Pflichti I: Rechtsanwalt kann nur an 3 von 30 HV-Tagen, oder: Bestellung zu Recht abgelehnt

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Heute dann noch einmal in 2021 ein „Pflichti-Tag“, wahrscheinlich zum letzten Mal in diesem Jahr.

Den Beginner macht der BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – StB 35/21 – zur Ablehnung der Beiordnung der Rechtsanwalts, der seine Bestellung beantragt hatte. Das OLG hatte abgelehnt, der BGH hat das „gehalten“.

„1. Gemäß § 142 Abs. 5 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Ein innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Ein solcher ist unter anderem dann gegeben, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Ver-teidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128, 2130) ausdrücklich benannten Ablehnungsgründe der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Verfügbarkeit regeln nach Verständnis des Gesetzgebers die Fälle, in denen der Verteidiger zum einen – unter Anknüpfung an die Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage – etwa wegen anderweitiger Termine gar nicht und zum anderen nicht früh genug verfügbar ist. Was nicht rechtzeitig ist, soll sich danach richten, wann die Handlung vorgenommen werden soll, wegen derer seine Mitwirkung erforderlich ist. Eine kurze Wartezeit soll insoweit einzuräumen sein, ein Anspruch auf Verschiebung hingegen nicht bestehen (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 42 f.).

Bereits zuvor war in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Vorsitzender den Antrag auf Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zurückweisen darf, wenn dieser an geplanten Terminen nicht teilnehmen kann, die zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes mit Blick auf inhaftierte Mitangeklagte geboten sind (s. BVerfG, Beschluss vom 2. März 2006 – 2 BvQ 10/06, NStZ 2006, 460, 461; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008 – 2 BvR 1146/08, BayVBl. 2009, 185 Rn. 10 ff.; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, juris Rn. 57 ff.; Beschluss vom 9. Januar 2007 – 3 StR 465/06, juris).

2. Nach diesen Maßstäben stand Rechtsanwalt S. für die Hauptverhandlung nicht zur Verfügung.

Die Anklage richtet sich gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte, von denen sich einer nach mehrmonatiger Auslieferungshaft seit dem 6. Mai 2021 in Untersuchungshaft befindet. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichts hat mit Verfügung vom 22. September 2021 sämtliche Verteidiger gebeten, in einer vorbereiteten tabellarischen Übersicht ihre Verfügbarkeit an dreißig Terminen zwischen dem 26. Oktober und 23. Dezember 2021 mitzuteilen sowie etwaige Verhinderungsgründe konkret zu benennen. Rechtsanwalt S. hat lediglich drei Termine als ihm möglich markiert. Der Vorsitzende hat an dem Tag, an dem auch über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Beiordnung von Rechtsanwalt P. als Pflichtverteidiger entschieden worden ist, 15 Haupt-verhandlungstermine ab dem 28. Oktober 2021 bestimmt. An zwei dieser Termine kann Rechtsanwalt S. laut seiner Mitteilung teilnehmen.

Damit scheidet eine Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt S. aus. Dies gilt bereits deshalb, weil er innerhalb des für die Hauptverhandlung vorläufig vorgesehenen Zeitraums lediglich an drei Tagen verfügbar ist und der Vorsitzende, dem die Terminierung obliegt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. November 2020 – StB 34/20, StV 2021, 144 Rn. 5; vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 18), ersichtlich mehr Terminstage für erforderlich hält. Dabei ist nicht mehr entscheidend, dass die dem Verteidiger möglichen Tage nicht einmal in einem die Höchstdauer der Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO wahrenden Zeitraum lägen. Die vom Beschwerdeführer in den Raum gestellte Durchführung der Hauptverhandlung ab Januar 2022 kommt nicht in Betracht, da sich ein Mitangeklagter in Untersuchungshaft befindet und sich diese dadurch ohne sonstigen Grund um mehr als zwei Monate verlängerte.“

Na, den Beschluss werden wir demnächst öfter in Ablehnungsbeschlüssen lesen. Drei von 30 = 10 % ist vielleicht wirklich ein wenig viel. Zudem haben hier die Belange des inhaftierten Mitangeklagten eine Rolle gespielt. Aber damit ist nicht geklärt, wann nicht mehr abgelehnt werden darf und wie es mit den Bemühungen des Gerichts ist, andere Termine auf die Beine zu stellen.

Ablehnung I: Befangenheit von Verfassungsrichtern, oder: Besuch bei/Mittagessen mit Angela Merkel

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Heute im Kessel Buntes dann mal zwei Entscheidungen zur Befangenheit, aber eben nicht im Straf- und Bußgeldverfahren.

Zunächst der BVerfG, Beschl. v. 20.07.20212 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 – zur Befangenheit von Verfassungsrichtern. Die Entscheidung und das Verfahren sind ja auch shcon durch die Presse gegangen. Es handelt sich um das Organstreitverfahren der AfD wegen der Äußerungen von A. Merkel in Zusammenhang mit der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. In dem Verfahren hatte die AfD ein Ablehnungsgesuch gegen die Mitglieder des 2. Senats des BVerfG gestellt. Begründung: Besuch einer Delegation des BVerfG bei der Kanzlerin mit Mittagessen bei A. Merkel. Das BVerfG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen.

Ich beschränke mich hier auf die PM des BVerfG Nr. 63/2021 vom 21.07.2021, in der es heißt:

„Unzulässiges Ablehnungsgesuch gegen Mitglieder des Zweiten Senats des BVerfG

Das BVerfG hat ein Ablehnungsgesuch der Partei Alternative für Deutschland (AfD) gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats in zwei von der AfD gegen die Bundesregierung beziehungsweise die Bundeskanzlerin gerichteten Organstreitverfahren verworfen.

Das Ablehnungsgesuch, welches die Antragstellerin im Wesentlichen mit dem Besuch einer Delegation des Bundesverfassungsgerichts bei der Bundesregierung am 30. Juni 2021 begründet, ist offensichtlich unzulässig, da es sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stützt.

Die Veröffentlichung des Beschlusses über das Ablehnungsgesuch erfolgt gesondert.

Sachverhalt:

Mit Schriftsatz vom 9. Juli 2021 hat die Antragstellerin sämtliche Mitglieder des Zweiten Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung ihres Ablehnungsgesuchs trägt sie im Wesentlichen vor, dass ausweislich der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 54/2021 vom 1. Juli 2021 eine Delegation des Bundesverfassungsgerichts unter Leitung des Präsidenten und der Vizepräsidentin am 30. Juni 2021 zu einem Treffen mit den Mitgliedern der Bundesregierung nach Berlin gereist sei. Auf Einladung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel habe ein gemeinsames Abendessen mit der Bundesregierung stattgefunden. Die Teilnahme an einem Abendessen mit den Antragsgegnerinnen der von ihr angestrengten Organstreitverfahren nur wenige Wochen vor der mündlichen Verhandlung begründe die Besorgnis der Befangenheit gegen alle teilnehmenden Richterinnen und Richter des Zweiten Senats. Zudem hat die Antragstellerin auch die Mitglieder des Ersten Senats, die an dem Abendessen teilgenommen haben, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, sofern diese gemäß § 19 Abs. 1 BVerfGG über die Ablehnung der Mitglieder des Zweiten Senats oder gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 BVerfGG in den Organstreitverfahren entscheiden sollten.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Das Ablehnungsgesuch gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats ist offensichtlich unzulässig.

1. Offensichtlich unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch vor allem dann, wenn es nicht begründet wird oder sich auf eine gänzlich ungeeignete Begründung stützt. Die Besorgnis der Befangenheit eines Richters oder einer Richterin des Bundesverfassungsgerichts nach § 19 BVerfGG setzt einen Grund voraus, der geeignet ist, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters oder der Richterin zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter oder die Richterin tatsächlich parteilich oder befangen ist oder sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist allein, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit des Richters oder der Richterin zu zweifeln.

2. Der Vortrag der Antragstellerin ist offensichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richterinnen und Richter zu begründen.

Das Bundesverfassungsgericht ist Teil der rechtsprechenden Gewalt und zugleich oberstes Verfassungsorgan. Als solches ist es in das grundgesetzliche Gewaltenteilungsgefüge eingebunden und nimmt an der Ausübung der Staatsgewalt teil. Das Verhältnis der obersten Verfassungsorgane ist – auch jenseits der eigentlichen Ausübung ihrer jeweiligen Kompetenzen – auf gegenseitige Achtung, Rücksichtnahme und Kooperation angelegt. Die regelmäßigen Treffen des Bundesverfassungsgerichts mit der Bundesregierung zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch sind im Sinne eines „Dialogs der Staatsorgane“ Ausdruck dieses Interorganrespekts. Gleiches gilt für die regelmäßig stattfindenden Besuche des Bundespräsidenten beim Bundesverfassungsgericht sowie die Treffen des Bundesverfassungsgerichts mit Mitgliedern des Deutschen Bundestages. Die Treffen im Rahmen dieses Dialogs oberster Verfassungsorgane sind gänzlich ungeeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts zu begründen.

Etwas Anderes folgt nicht daraus, dass zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Treffens die vorliegenden Organstreitverfahren gegen die Bundeskanzlerin beziehungsweise die Bundesregierung anhängig waren. Dagegen spricht bereits, dass das Gericht permanent mit Verfahren befasst ist, welche das Handeln der Bundesregierung oder anderer oberster Verfassungsorgane betreffen. Führte allein dies dazu, dass von Zusammenkünften im Rahmen des institutionalisierten Interorganaustauschs abgesehen werden müsste, würde dieser Austausch unmöglich. Zudem käme darin ein Misstrauen gegenüber den Mitgliedern des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck, das dem grundgesetzlich und einfachrechtlich vorausgesetzten Bild des Verfassungsrichters widerspricht.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass allein die zeitliche Nähe des Treffens ohne irgendeinen inhaltlichen Bezug zur mündlichen Verhandlung dazu führen könnte, dass die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr über die innere Unabhängigkeit und Distanz verfügen, die sie befähigt, über die Gegenstände der vorliegenden Organstreitverfahren unvoreingenommen und objektiv zu entscheiden. Soweit die Antragstellerin anzudeuten scheint, dass die Einladung der Bundeskanzlerin gerade aus Anlass der vorliegenden Organstreitverfahren ausgesprochen worden sei, handelt es sich schließlich um eine Mutmaßung ohne sachlichen Hintergrund.

3. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit sind die abgelehnten Richterinnen und Richter zur Abgabe einer dienstlichen Erklärung nicht verpflichtet und von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen. Einer Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gegen die Richterinnen und Richter des Ersten Senats bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.“

OWi II: Ablehnung eines Beweisantrages ohne Begründung, oder: Das geht auch in Bayern nicht

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Die zweite Entscheidung kommt aus Bayern, und zwar vom BayObLG. Dort hatte der Betroffene gegen seineVerurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung geltend gemacht, dass das AG einen Beweisantrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne Begründung abgelehnt hat. Die GStA fand das wohl nicht so schlimm und hatte beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet zu verwerfen. Das BayObLG meint hingegen im BayObLG, Beschl. v. 04.12.2020 – 201 ObOWi 1471/20 -, dass das selbst in bayern 🙂 nicht geht:

„1. Der Verfahrensrüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Verteidiger beantragte in der Hauptverhandlung vom 17.07.2020 nach Angaben des Verteidigers zur Fahrereigenschaft sowie Vernehmung des Messbeamten als Zeugen die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass die vorliegende Messung nicht den Vorgaben der Bedienungsanleitung des verwendeten Messgeräts ESO 3.0 genügt und daher nicht verwertbar ist. Das Fahrzeug des Betroffenen habe sich fast die ganze Fahrzeuglänge vor der Fotolinie befunden, hätte sich aber nach der Bedienungsanleitung auf Höhe der markierten Fotolinie befinden müssen. Das Amtsgericht lehnte diesen Beweisantrag ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 17.07.2020 per Beschluss mit dem Wortlaut „Der Antrag wird zurückgewiesen.“ ab. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, dass der Beweisantrag aufgrund der Aussage des Messbeamten gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zu-rückgewiesen werden konnte. Den Beweisantrag hatte der Verteidiger dem Amtsgericht zusätzlich bereits einen Tag vor der Hauptverhandlung schriftsätzlich übermittelt.

2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags er-weist sich als begründet, weil die gerichtliche Ablehnungsentscheidung rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Die Ablehnung unbedingter Beweisanträge darf nicht den Urteilsgründen überlassen werden. Die Ablehnung eines Beweisantrags hat gemäß § 71 Abs. 1 OWiG, § 244 Abs. 6 StPO durch einen noch vor Schluss der Beweisaufnahme mit Gründen zu versehenen und mit diesen gemäß § 273 Abs. 1 StPO zu protokollierenden Gerichtsbeschluss zu erfolgen (BGHSt 40, 287, 288; OLG Köln, Beschl. v. 30.01.1970 – 1 Ws [OWi] 9/70 = BeckRs 9998, 109184; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 63. Aufl. § 244 Rn. 82 m.w.N.; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 77 Rn. 23). Die Begründung soll den Antragsteller davon in Kenntnis setzen, wie das Gericht seinen Antrag beurteilt. Er soll dadurch in die Lage versetzt werden, sein weiteres Verteidigungs- bzw. Prozessverhalten auf die neue Verfahrenssituation rechtzeitig einzustellen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 04.12.2006 – 3 Ss OWi 1614/06 [unveröffentlicht]). Hier liegt überhaupt keine Begründung der Ablehnung vor, es wurde lediglich der Antrag „zurückgewiesen“. Die willkürliche Ablehnung eines Beweisantrags, also die Ablehnung eines Beweisantrags ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückzuführende Begründung, die unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist, verletzt aber das rechtliche Gehör (BVerfG NJW 1992, 2811). Daran ändert auch die nachträgliche Begründung der Ablehnung des Beweisantrags im Urteil nichts. Denn daraus kann nicht geschlossen werden, aus welchen Gründen der Beweisantrag in der Hauptverhandlung abgelehnt worden ist.“

OWi II: Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Gegenteil bereits erwiesen

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In der zweiten OWi-Entscheidung, dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 15.09.2020 – 1 Rb 37 Ss 473/20, den mir der Kollege Jumpertz aus Jülich geschickt hat, geht es auch um ein verfahrensrechtliches Problem, nämlich um die Ablehnung eines Beweisantrages.

Das AG hat den Betroffenen zu einer Geldbuße verurteilt, weil er seine beiden 14-jährigen und 7-jähren Söhne, in seinem Pkw auf der Rückbank befördert hat, wobei der 7-jährige Sohn mit einer Körpergröße von höchstens 135,5 cm weder in einem Kindersitz noch auf einer Sitzerhöhung gesessen habe. Dagegen hatte der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) beantragt, die er damit begründet hat, dass das AG in der Hauptverhandlung zu Unrecht einen Beweisantrag des Betroffenen abgelehnt habe, der darauf gerichtet gewesen sei, zum Beweis der Tatsache, dass beide Kinder angeschnallt gewesen seien und der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe, den älteren Sohn als Zeugen zu vernehmen. Der Antrag auf Zulassusng der Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerde hatten beim OLG Erfolg:

„1. Durch das angefochtene Urteil ist eine Geldbuße von mehr als 100 €, aber nicht mehr als 250 € festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 OWiG ist die Rechtsbeschwerde daher zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts (Nr. 1, 1. Alt.) oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu ermöglichen (Nr. 1, 2. Alt.) oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (Nr. 2).

Letzteres liegt hier vor.

a) Der Betroffene macht insoweit geltend, das Amtsgericht habe zu Unrecht im Rahmen der Hauptverhandlung am 15.05.2020 einen Beweisantrag des Betroffenen abgelehnt, der darauf gerichtet gewesen sei, zum Beweis der Tatsache, dass beide Kinder unmittelbar vor McDonalds angeschnallt gewesen seien und der Sohn S1 auf einer Sitzerhöhung gesessen habe, den Sohn S2, pp, zu vernehmen. Wäre dieser ältere Sohn antragsgemäß vernommen worden, so hätte dieser bestätigt, dass der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

b) Die Rüge ist ordnungsgemäß erhoben.

Im Falle der Versagung rechtlichen Gehörs durch die Ablehnung eines Beweisantrags kann eine Zulassung nur erfolgen, wenn dies als Verfahrensrüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO entsprechend ausgeführt worden ist (KK-OWiG/Hadamitzky, 5. Aufl. 2018, OWiG § 80 Rn. 26, 41b). Soweit die fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen gerügt wird, so genügt die Rüge den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 nur dann, wenn der Beschwerdeführer den Inhalt seines Antrags und des Ablehnungsbeschlusses mitteilt und wenn er die Tatsachen bezeichnet, welche die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergeben (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 344 Rn. 54).

In der Rechtsbeschwerdebegründung sind der gestellte Beweisantrag und die Entscheidung über diesen mit Begründung wiedergegeben. Es wird auch erklärt, dass der ältere Sohn, wäre er antragsgemäß vernommen worden, bestätigt hätte, dass der jüngere Sohn auf einer Sitzerhöhung gesessen habe.

c) Es liegt auch ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag nach § 244 Abs. 3 StPO vor, durch den die Beweistatsache und das Beweismittel hinreichend konkret bezeichnet werden. Soweit dem Antrag nicht unmittelbar zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll, war eine Darlegung dieser Konnexität im vorliegenden Fall nicht erforderlich, da sich aus bisherigen Verfahrensstand ergab, dass beide Söhne auf der Rückbank gesessen haben sollen und damit das Beweisbegehren auf die Vernehmung eines unmittelbaren Tatzeugen abzielte, der sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Tat am Tatort aufhielt und dessen Wahrnehmungsmöglichkeiten zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht zweifelhaft sind (vgl. BGH, Beschl. v. 24.03.2014 – 5 StR 2/14, NStZ 2014, 351).

d) Durch die Ablehnung des Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG mit der Begründung, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich gewesen sei, da der kontrollierende Polizeibeamte bereits vernommen worden sei, wurde das rechtliche Gehör verletzt.

Insoweit ist das Gericht dazu verpflichtet, die Ausführungen des Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Insoweit ist anerkannt, dass keine Gehörs-verletzung vorliegt, soweit das Amtsgericht Beweisanträge des Betroffenen zur Kenntnis genommen sowie – entsprechend § 77 Abs. 3 – mit einer Kurzbegründung verbescheiden hat, wenn es sich in den Urteilsgründen mit dem Vorbringen des Betroffenen näher auseinandergesetzt hat (BeckOK OWiG/Bär, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 80 Rn. 23a) und die Ablehnung des Beweisantrages so begründet, dass dies für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar ist (KG Berlin, Beschl. v. 06.06.2019 — 3 Ws (B) 150/19 —, juris).

Eine weitere Begründung der Ablehnung erfolgte vorliegend auch in den Urteilsgründen nicht. Zwar bedarf es gesonderter Ausführungen nicht, wenn sich aus dem Ge-samtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass der Sachverhalt aufgrund der genutzten Beweismittel so eindeutig geklärt ist, dass die zusätzlich beantragte Beweis-erhebung an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte und sie für die Auf-klärung daher entbehrlich gewesen ist (KG a.a.O.). Im vorliegenden Fall — das Amts-gericht lehnt die Vernehmung eines Entlastungszeugen letztlich ab, weil bereits ein (Belastungs)zeuge vernommen worden war — wäre indes eine nähere Auseinander-setzung hiermit zwingend geboten gewesen.

e) In der Sache erfolgte die Ablehnung im Übrigen auch zu Unrecht.

Die beantragte Vernehmung eines Entlastungszeugen kann regelmäßig nicht mit der Begründung abgelehnt werden, durch die Aussagen der bisherigen Belastungszeugen sei das Gegenteil der behaupteten und unter Beweis gestellten Tatsache bereits er-wiesen (KG, Beschl. v. 05.11.2001 – 2 Ss 242/013 Ws (B) 544/01, NZV 2002, 416; Thüringer Oberlandesgericht, Entscheidung vom 10.11.2004 — 1 Ss 248/04 —, juris; BeckOK OWiG/Hettenbach, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 77 Rn. 16). Ausnahmen hiervon können vorliegen, wenn die Möglichkeit der Wahrnehmung der behaupteten Tatsache zweifelhaft und daher mit einer Erschütterung einer als verlässlich einzustufenden Aussage nicht zu rechnen ist, was beispielsweise der Fall sein kann, wenn durch die Aussage eines Fahrzeuginsassen hinsichtlich einer zu einem bestimmten Zeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeit die als verlässlich einzustufende Aussage des Beamten, der die Geschwindigkeitsmessung vorgenommen hat, widerlegt werden soll (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.12.1998 – 5 Ss OWi 382/98 – (OWi) 159/98 I, NZV 1999, 260; BeckOK OWiG/Hettenbach, 27. Ed. 1.7.2020, OWiG § 77 Rn. 16). Damit ist der vor-liegende Fall unter Berücksichtigung der Wahrnehmungsmöglichkeiten des benannten Zeugen und des vernommenen Zeugen jedoch nicht vergleichbar.