Schlagwort-Archive: mangelnde Verfügbarkeit

Pflichti I: Rechtsanwalt kann nur an 3 von 30 HV-Tagen, oder: Bestellung zu Recht abgelehnt

© pedrolieb -Fotolia.com

Heute dann noch einmal in 2021 ein „Pflichti-Tag“, wahrscheinlich zum letzten Mal in diesem Jahr.

Den Beginner macht der BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – StB 35/21 – zur Ablehnung der Beiordnung der Rechtsanwalts, der seine Bestellung beantragt hatte. Das OLG hatte abgelehnt, der BGH hat das „gehalten“.

„1. Gemäß § 142 Abs. 5 StPO ist dem Beschuldigten vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. Ein innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht. Ein solcher ist unter anderem dann gegeben, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

Die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Ver-teidigung vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2128, 2130) ausdrücklich benannten Ablehnungsgründe der fehlenden oder nicht rechtzeitigen Verfügbarkeit regeln nach Verständnis des Gesetzgebers die Fälle, in denen der Verteidiger zum einen – unter Anknüpfung an die Rechtsprechung zur bisherigen Rechtslage – etwa wegen anderweitiger Termine gar nicht und zum anderen nicht früh genug verfügbar ist. Was nicht rechtzeitig ist, soll sich danach richten, wann die Handlung vorgenommen werden soll, wegen derer seine Mitwirkung erforderlich ist. Eine kurze Wartezeit soll insoweit einzuräumen sein, ein Anspruch auf Verschiebung hingegen nicht bestehen (s. BT-Drucks. 19/13829 S. 42 f.).

Bereits zuvor war in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Vorsitzender den Antrag auf Beiordnung eines bestimmten Rechtsanwalts zurückweisen darf, wenn dieser an geplanten Terminen nicht teilnehmen kann, die zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes mit Blick auf inhaftierte Mitangeklagte geboten sind (s. BVerfG, Beschluss vom 2. März 2006 – 2 BvQ 10/06, NStZ 2006, 460, 461; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008 – 2 BvR 1146/08, BayVBl. 2009, 185 Rn. 10 ff.; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17, juris Rn. 57 ff.; Beschluss vom 9. Januar 2007 – 3 StR 465/06, juris).

2. Nach diesen Maßstäben stand Rechtsanwalt S. für die Hauptverhandlung nicht zur Verfügung.

Die Anklage richtet sich gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte, von denen sich einer nach mehrmonatiger Auslieferungshaft seit dem 6. Mai 2021 in Untersuchungshaft befindet. Der Vorsitzende des Oberlandesgerichts hat mit Verfügung vom 22. September 2021 sämtliche Verteidiger gebeten, in einer vorbereiteten tabellarischen Übersicht ihre Verfügbarkeit an dreißig Terminen zwischen dem 26. Oktober und 23. Dezember 2021 mitzuteilen sowie etwaige Verhinderungsgründe konkret zu benennen. Rechtsanwalt S. hat lediglich drei Termine als ihm möglich markiert. Der Vorsitzende hat an dem Tag, an dem auch über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Beiordnung von Rechtsanwalt P. als Pflichtverteidiger entschieden worden ist, 15 Haupt-verhandlungstermine ab dem 28. Oktober 2021 bestimmt. An zwei dieser Termine kann Rechtsanwalt S. laut seiner Mitteilung teilnehmen.

Damit scheidet eine Verteidigung des Angeklagten durch Rechtsanwalt S. aus. Dies gilt bereits deshalb, weil er innerhalb des für die Hauptverhandlung vorläufig vorgesehenen Zeitraums lediglich an drei Tagen verfügbar ist und der Vorsitzende, dem die Terminierung obliegt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 12. November 2020 – StB 34/20, StV 2021, 144 Rn. 5; vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 18), ersichtlich mehr Terminstage für erforderlich hält. Dabei ist nicht mehr entscheidend, dass die dem Verteidiger möglichen Tage nicht einmal in einem die Höchstdauer der Unterbrechung nach § 229 Abs. 1 StPO wahrenden Zeitraum lägen. Die vom Beschwerdeführer in den Raum gestellte Durchführung der Hauptverhandlung ab Januar 2022 kommt nicht in Betracht, da sich ein Mitangeklagter in Untersuchungshaft befindet und sich diese dadurch ohne sonstigen Grund um mehr als zwei Monate verlängerte.“

Na, den Beschluss werden wir demnächst öfter in Ablehnungsbeschlüssen lesen. Drei von 30 = 10 % ist vielleicht wirklich ein wenig viel. Zudem haben hier die Belange des inhaftierten Mitangeklagten eine Rolle gespielt. Aber damit ist nicht geklärt, wann nicht mehr abgelehnt werden darf und wie es mit den Bemühungen des Gerichts ist, andere Termine auf die Beine zu stellen.