Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: Fortsetzungstermin ist nicht „die Hauptverhandlung“

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Am Gebührenfreitag heute zwei AG-Entscheidungen, leider beide falsch.

Zunächst bringe ich den AG Herne-Wanne, Beschl. v. 07.06.2024 – 44 OWi 52 Js 120/24 (12/24) – zum Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG, wenn der Verteidiger dabie mitwirkt, dass ein Fortsetzungstermin entbehrlich wird.

Folgender Sachverhalt: Das Bußgeldverfahren ist in der Hauptverhandlung eingestellt worden, wodurch ein Fortsetzungstermin vermieden worden ist. Danach hat es dann Streit zwischen dem Vertreter der Landeskasse und dem Verteidiger des Betroffenen dahingehend gegeben, ob die Gebühr Nr. 5115, 5103 VV RVG entstanden ist oder nicht. Der Verteidiger hat sie in Ansatz gebracht. Dagegen hat der Bezirksrevisor geltend gemacht, dass zwar grundsätzlich eine Befriedungsgebühr auch entstehe, wenn bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden habe, jedoch könne sie nicht entstehen, sofern die Einstellung im Hauptverhandlungstermin stattfinde. Der Verteidiger hatte demgegenüber darauf verwiesen, dass die Einstellung rechtzeitig vor Beginn einer ggf. terminierten Hauptverhandlung erfolgen muss. Dies sei gegeben, da durch die anwaltliche Mitwirkung eine Einstellung zustande gekommen sei und damit ein weiterer Hauptverhandlungstermin zur weiteren Zeugenvernehmung entbehrlich geworden sei. Das AG hat sich im Kostenfestsetzungsbeschluss dem Verteidiger angeschlossen:

„In der von dem Vertreter der Landeskasse angeführten Fundstelle BeckOK RVG/ Knaudt RVG VV 5115 Rn. 7- 12 wird gerade auf den Hintergrund des Normzwecks der Vorschrift hingewiesen, wonach die herrschende Meinung, der der Vertreter der Landeskasse folgt, nicht folgerichtig sei. Die Norm verfolgt des Ziel weitere Hauptverhandlungstermine möglichst zur Schonung der Ressourcen der Justiz zu verhindern, sofern dies der Rechtsfindung nicht abträglich ist.

Es soll gerade der Anreiz geschaffen werden, dass ein Rechtsanwalt, der nachvollziehbar ein Interesse am Verdienen von Gebühren hat, Abstand davon nimmt, lediglich aus gebührentaktischen Erwägungen mangels Möglichen Einlenkens einen weiteren Verhandlungstermin erforderlich macht

Im vorliegenden Verfahren ergibt sich aus dem Vermerk des Vorsitzenden vom 21-04.2024 (Blatt 24 der Akte), dass grundsätzlich noch ein weiterer Zeuge in einem weiteren Termin hätte zur Vernehmung angestanden. Die Unterbrechung der Verhandlung hat also zielführend ergeben, dass eine Einstellung erfolgen konnte ohne die weitere Vernehmung des weiteren Zeugen. Hierdurch wird die Landeskasse durch die in Rede stehende Gebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer zwar belastet. Diese fällt jedoch geringer aus als eine weitere Verhandlungsgebühr. Diese Verminderung geht im Gegenzug zu lasten des Rechtsanwalts, der in einem weiteren Termin ggf. eine höhere Gebühr hätte verdienen können. .

Dieses ausgleichende Moment entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Es erfolgte daher die antragsgemäße Festsetzung.“

Wie gesagt: M.E. falsch. Zwar ist die Entscheidung in ihrer Tendenz und Argumentation sicherlich zu begrüßen. Denn es ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung in Nr. 5115 VV RVG – die Überlegung gilt ebenso für die weitgehend wortgleiche Nr. 4141 VV RVG – nicht recht zu verstehen, warum das Vermeiden eines neuen Hauptverhandlungstermins nach Aussetzung des Verfahrens zum Anfall der Nrn. 4141, 5115 VV RVG führt, das Vermeiden eines Fortsetzungstermins hingegen nicht (vgl. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Nr. 4141 VV Rn 45 unter Ziffer 14). Nur: Die h.M. in der Rechtsprechung geht leider in die andere Richtung und verweigert die Gebühr (OLG Köln, RVGreport 2006, 152 = AGS 2006, 339; LG Leipzig, Beschl. v. 9.4.2024 – 13 Qs 118/24; LG Siegen, Beschl. v. 3.7.2020 – 10 Qs 61/20, AGS 2021, 29 = VRR 2/2021, 26; AG Hannover, RVGreport 2018, 458 = AGS 2018, 561; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4141 Rn 54; Gerold/Schmidt/Burhoff, VV 4100 Rn 23; Jungbauer, DAR 2008, 738). Das dürfte im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift, wonach „die Hauptverhandlung“ entbehrlich geworden sein muss, zutreffend sein. Ein Fortsetzungstermin ist nicht „die Hauptverhandlung“.

ihc bin übrigens gespannt, ob der Bezirksrevisor die Entscheidung des AG hingenommen hat. Kann ich mir nicht vorstellen.

VerfG III: Ermessen und Auslagenentscheidung, oder: Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau

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Im dritten Posting dann etwas aus Sachsen, und zwar der VerfGH Sachsen, Beschl. v. 23.05.2024 – Vf. 22-IV-23 – mal wieder zur Ermessensausübung bei der Auslagenentscheidung nach Einstellung des (Bußgeld)verfahren. Derzeit ist häufig über (ober)gerichtliche Rechtsprechung zu berichten. Hier wurde der (ehemaligen) Betroffenen mit Bescheid des Landratsamtes vom 04.10.2022 vorgeworfen, verkehrsordnungswidrig im eingeschränkten Halteverbot geparkt zu haben. Die Betroffene legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte die Einstellung des Bußgeldverfahrens. Ferner beantragte sie, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. In der Hauptverhandlung stellte das AG Kamenz das Verfahren mit Beschluss vom 03.04.2023 nach § 47 Abs. 2 OWiG ein. Die Kosten des Verfahrens legte es der Staatskasse auf. Das AG hat aber Gericht hat davon abgesehen, auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.

Hiergegen hat die Betroffene Anhörungsrüge erhoben. Mit Beschluss vom 25.04.2023 hat das AG diese als unbegründet zurückgewiesen. Der Beschluss vom 03.04.2023 sei zwar ohne die Gewährung rechtlichen Gehörs ergangen. Dies sei durch die Anhörungsrüge aber nachgeholt worden. Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, sehe das Gericht nicht.

Die Betroffene hat Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des AG Kamenz vom 03. und 25.04.2023 eingelegt. Sie rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hätten sich die gegen sie erhobenen Vorwürfe nicht bestätigt. Der Vorsitzende habe kein rechtliches Gehör zum beabsichtigten Vorgehen gewährt. Der Beschluss vom 03.04.2023 enthalte keinen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für die Auslagenentscheidung und keinerlei Erwägungen zu den maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkten für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG abweichende Kostentragung nach § 467 Abs. 4 StPO. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht sich insoweit von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Willkür könne im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehle.

Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg. Der VerfGH sachsen hat, soweit im Beschluss vom 03.04.2024 über die notwendigen Auslagen der Betroffenen entschieden worden ist, den Beschluss aufgehoben und die Sache an das AG Kamenz zurückverwiesen. Im Übrigen hat es die Verfassungsbeschwerde verworfen.

Der VerfGH geht von einem Verstoß gegen das Willkürverbot aus. Er legt dazu – noch einmal – die Maßstäbe dar und führt dann zur Sache aus:

„bb) Nach diesen Maßstäben verletzt die angegriffene Auslagenentscheidung die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 18 Abs. 1 SächsVerf, denn es ist nicht erkennbar, weshalb das Amtsgericht von einer Auslagenerstattung abgesehen hat, obwohl die Erstattung den gesetzlichen Regelfall darstellt.

(1) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG hat die nach Einstellung eines Bußgeldverfahrens zu treffende Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen grundsätzlich dahingehend auszufallen, dass diese zu Lasten der Staatskasse gehen. Zwar kann oder muss hiervon in einigen gesetzlich geregelten Fällen abgesehen werden (§ 109a Abs. 2 OWiG, § 467 Abs. 2 bis 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG). Der Entscheidung des Amtsgerichts über die notwendigen Auslagen lässt sich jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen, aus welchem Grunde diese der Beschwerdeführerin auferlegt wurden. Weder gibt es Anhaltspunkte für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG noch für eine schuldhafte Säumnis der Beschwerdeführerin (§ 467 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder eine unwahre Selbstanzeige (§ 467 Abs. 3 Satz 1 StPO) bzw. wahrheitswidrige Selbstbelastung (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO). Da das Amtsgericht das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG und nicht wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt hat, konnte die Auslagenentscheidung auch nicht auf § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt werden.

Nach § 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG kann ein Gericht zwar davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es das Verfahren nach einer Vorschrift einstellt, die dies – wie § 47 Abs. 2 OWiG – nach seinem Ermessen zulässt. Dabei darf auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt, aber ohne prozessordnungsgemäße Feststellung keine Schuldzuweisung vorgenommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, BVerfGE 82, 106 [117]). Allerdings hat das Amtsgericht seine Auslagenentscheidung weder im Beschluss vom 3. April 2023 begründet noch die fehlende Begründung in seiner Entscheidung über die Anhörungsrüge vom 25. April 2023 nachgeholt (insoweit anders in den Sachverhalten, die den Beschlüssen vom heutigen Tag – Vf. 14-IV-23, Vf. 15-IV-23 – zugrunde lagen). Ungeachtet des von der Beschwerdeführerin bestrittenen Vorwurfs und der durchgeführten Hauptverhandlung enthält die angegriffene Entscheidung keine Hinweise auf die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte für eine vom Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO abweichende Kostentragung gemäß § 467 Abs. 4 StPO. Anders als in Fällen, in denen eine Begründung vorhanden ist und auf ihre Vertretbarkeit geprüft werden kann, kann Willkür im Falle des Fehlens einer Begründung schon dann vorliegen, wenn eine andere Entscheidung – hier gerichtet auf die Erstattung notwendiger Auslagen als dem gesetzlichen Regelfall – nahegelegen hätte und eine nachvollziehbare Begründung für das Abweichen hiervon fehlt (vgl. BerlVerfGH, Beschluss vom 27. April 2022 – 130/20 – juris Rn. 9). Das Fehlen der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung führt vorliegend dazu, dass ein Verfassungsverstoß nicht auszuschließen und die Entscheidung deshalb aufzuheben ist, weil erhebliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 – juris Rn. 32; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 BvR 378/05 – juris Rn. 33; Beschluss vom 25. Februar 1993 – 2 BvR 251/93 – juris Rn. 4).“

Das ist mal wieder eine der Entscheidungen, bei denen man sich verwundert die Augen reibt und den Kopf schüttelt, wenn man sie gelesen hat, und sich fragt: Wie oft denn noch? Und warum muss für eine solche Frage eigentlich ein Verfassungsgericht bemüht werden, das dann die richtige Entscheidung trifft und das AG „zwingt“, sich noch einmal mit den Fragen zu befassen. Das ist in meinen Augen Ressourcenverschleuderung auf hohem Niveau. Denn:

Warum legt das AG nicht von vornherein nach Einstellung des Verfahrens die Auslagen der Staatskasse auf bzw. warum wird die getroffene andere Entscheidung nicht begründet? Wenn einem als Amtsrichter schon Ermessen eingeräumt wird und man dieses ausübt und vom Regelfall abweicht, dann muss man das begründen. Das ist ja nun auch nichts Neues, sondern sollte ein Amtsrichter wissen; die vom VerfGH zitierte Rechtsprechung zeigt anschaulich wie „alt“ die angesprochenen Fragen sind. Und weiter fragt man sich: Wenn man nun in der Hauptverhandlung die Begründung für die abweichende Entscheidung vergessen hat, was ja passieren kann, aber an sich nicht sollte, dass ist nicht nachzuvollziehen, warum man dann nicht auf die Anhörungsrüge hin den einfachen Weg zur Reparatur der lückenhaften Ausgangsentscheidung geht und die Begründung nachholt? Nein. man geht über diese „goldene Brücke“ nicht, sondern ist vielmehr noch so frech, dass man die Betroffene bescheidet, dass man Gründe dafür, die Auslagenentscheidung zu ändern, nicht sehe. Man kann nur hoffen, dass die Entscheidung „hilft“ und der Amtsrichter sich in zukünftigen Fällen an die mehr als deutlichen Vorgaben des VerfGH hält.

Verteidigern/Rechtsanwälten kann man nur raten, den Weg zum Verfassungsgericht nicht zu scheuen und in vergleichbaren Fällen Verfassungsbeschwerde zu erheben. Man wird ja auch nicht „umsonst“ tätig. Denn die notwendigen Auslagen werden im Zweifel der Staatskasse auferlegt (so auch hier nach § 16 Abs. 3 SächsVerfGHG). Abgerechnet wird nach § 37 RVG. Den dafür erforderlichen Gegenstandswert setzt das Verfassungsgericht nach § 37 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 RVG fest. Hier ist der Gegenstandswert auf immerhin 8.000 EUR festgesetzt worden. Billig wird es für die Staatskasse also nicht.

VerfG II: Erfolgreicher Eilantrag gegen Berufungsurteil, oder: Zu schnell geschossen beim LG Frankfurt/Main?

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Im zweiten Posting kommt dann hier der BVerfG, Beschl. v. 19.07.2024 – 2 BvR 829/24. In dem Beschluss hat das BVerfG in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren, das sich gegen ein Berufungsurteil richtet, das nach einer Verhandlung über die Berufung der Staatsanwaltschaft in Abwesenheit des Verteidigers und des Angeklagten ergangen ist, eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der die Vollstreckung aus dem landgerichtlichen Berufungsurteil ausgesetzt worden ist.

„1. Mit Urteil vom 3. März 2023 verurteilte das Amtsgericht Frankfurt am Main den Beschwerdeführer wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu jeweils 10,00 Euro; mit Urteil vom 17. März 2023 des Amtsgerichts Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – wurde der Beschwerdeführer wegen versuchter Körperverletzung in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu jeweils 40,00 Euro verurteilt.

2. Gegen diese Urteile legten die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer Berufung ein. Ihre Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2023 nahm die Staatsanwaltschaft später zurück.

Am 11. September 2023 erklärte der Verteidiger telefonisch, der Beschwerdeführer sei erkrankt und verhandlungsunfähig; ein Attest werde nachgereicht. Das Landgericht hielt am festgesetzten Termin zur Berufungshauptverhandlung am 13. September 2023 fest. Der Beschwerdeführer erschien zu diesem Termin nicht. Auch sein Verteidiger nahm an der Berufungshauptverhandlung nach entsprechender Ankündigung nicht teil.

Nach Verwerfung der Berufung des Beschwerdeführers durch gesondertes Urteil, das nicht Gegenstand dieses Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist, verhandelte das Landgericht Frankfurt am Main zu der allein noch offenen Berufung der Staatsanwaltschaft.

Mit hier angegriffenem Urteil vom 13. September 2023 fasste das Landgericht Frankfurt am Main das Urteil des Amtsgerichts vom 17. März 2023 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin neu und verurteilte den Beschwerdeführer wegen Störung des öffentlichen Friedens in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung zweier weiterer Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

3. Die hiergegen eingelegte Revision des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 15. Mai 2024 als unbegründet. Das Oberlandesgericht sah die beiden von dem Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen, mit denen dieser die Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers rügte, als unzulässig an, da sie nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Form begründet worden seien.

4. Die mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2023 verhängte Freiheitsstrafe wird mittlerweile vollstreckt.

II.

Am 21. Juni 2024 hat der Beschwerdeführer durch seinen Prozessbevollmächtigten Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet auf vorläufige Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe beantragt. Im Kern macht er geltend, die Verurteilung in seiner Abwesenheit und ohne Mitwirkung seines Verteidigers verletze sein Recht auf ein faires Verfahren.

III.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 143, 65 <87 Rn. 35>; 157, 332 <375 Rn. 68>; stRspr). Für die einstweilige Anordnung ist allerdings kein Raum, wenn sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl. BVerfGE 104, 23 <28>; 111, 147 <152 f.>; 157, 332 <375 Rn. 68>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 143, 65 <87 Rn. 35>; 157, 332 <377 Rn. 73>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsrechtlichen Verfahren auslöst, gilt für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 104, 23 <27>; 158, 210 <230 Rn. 50>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.

a) Die Verfassungsbeschwerde genügt nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes den Zulässigkeitsanforderungen.

aa) Sie wurde fristgerecht erhoben und hinreichend begründet. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit einer Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte substantiiert dargelegt.

bb) Der Subsidiaritätsgrundsatz dürfte der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht durchgreifend entgegenstehen. Zwar betrachtete das Oberlandesgericht die Verfahrensrügen, mit denen der gerügte Grundrechtsverstoß bereits im fachgerichtlichen Verfahren hätte ausgeräumt werden können, als unzulässig. Viel spricht indes dafür, dass das Oberlandesgericht dabei die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO überspannte. Es verlangte Vortrag zu Tatsachen, die zur Bewertung, ob der gerügte Verfahrensverstoß vorlag, nicht erheblich gewesen sein dürften.

b) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Viel spricht dafür, dass die Verurteilung ohne Mitwirkung eines Verteidigers in der Berufungshauptverhandlung das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verletzte.

aa) Das Recht auf ein faires Verfahren hat seine Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten und Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 122, 248 <271>; 130, 1 <25>) und gehört zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 46, 202 <210>). Als unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet es dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 122, 248 <271 f.>).

bb) Nach vorläufiger Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes spricht viel dafür, dass das Landgericht die Berufungshauptverhandlung nicht ohne Mitwirkung eines Verteidigers hätte führen dürfen. Aufgrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge – einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren – dürfte ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen haben. Der Verstoß gegen die Bestimmungen der Strafprozessordnung zur notwendigen Verteidigung stellt eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren dar, da diese Normen das Gebot fairer Verfahrensführung konkretisieren (vgl. BVerfGE 46, 202 <210>).

3. Aufgrund der damit eröffneten Folgenabwägung ist die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Freiheitsstrafe geboten.

Erginge die einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verurteilung später als fehlerhaft, so wäre aufgrund des Vollzugs der Strafhaft ein endgültiger Rechtsverlust bei dem Beschwerdeführer eingetreten. Zeigte sich hingegen nach vorläufiger Aussetzung der Vollstreckung, dass die Verurteilung Bestand habe, so wäre die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs lediglich vorübergehend verzögert. Es sind hier auch keine Gründe ersichtlich, die Strafvollstreckung nur unter Auflagen außer Vollzug zu setzen.

IV.

Daher ist im Wege der einstweiligen Anordnung – gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ohne mündliche Verhandlung – die Aussetzung der Vollziehung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. September 2023 – 5/20 NBs – 6440 Js 208126/22 (31/23) – anzuordnen. Die Anordnung ist in der im Tenor bestimmten Weise befristet (§ 32 Abs. 6 Satz 1 BVerfGG).“

Ohne die Einzelheiten zu kennen: Da scheint man beim LG Frankfurt am Main ein wenig schnell geschossen zu haben.

VerfG I: BVerfG ist ab heute – 01.08.2024 – digital, oder: beA/elektronisches Dokument jetzt auch beim BVerfG

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In den neuen Monat – 01.08.2024 – starte ich mit Entscheidungen/Mitteilungen zu verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und was damit zu tun hat.

Hier dann zunächst etwas, „was damit zu tun hat“. Denn heute ist eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, die man im Verfassungsbeschwerdeverfahren beachten muss. Denn das BVerfG ist digital geworden.

Ab heute, dem 01.08.2024, haben Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts nämlich nicht mehr die Möglichkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren beim BVerfG verfahrensbezogene Dokumente per Post oder Telefax in analoger Form einzureichen. Die §§ 23a ff. BVerfGG sehen vielmehr jetzt für den Kreis der „Nutzer“ die „digitalen Verfassungsbeschwerde“ vor, und zwar in § 23c BVerfGG. Das elektronische Dokument muss – wie auch sonst – mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von ihr signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sichere Übermittlungswege sind beispielsweise das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), das elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBo), der Dienst „Mein Justizpostfach“ oder der Postfach- und Versanddienst eines absenderbestätigten De-Mail-Kontos. Per E-Mail können verfahrensbezogenen Dokumente nicht rechtswirksam eingereicht werden.

Informationen rund um die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs hat das BVerfG in einem Frage-Antwort-Katalog (FAQ) auf seiner Homepage bereit gestellt.

Also: Augen auf, sonst kann es Probleme bei der Verfassungsbeschwerde geben.

Beweisantrag III: Widerspruch zur Wahrunterstellung?, oder: Was als „wahr zugesagt“ ist, muss „wahr bleiben“.

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Und dann hier im letzten Posting des Tages noch ein weiterer BGH-Beschluss, und zwar noch der BGH, Beschl. v. 30.04.2024 – 3 StR 90/23 – zur „richtigen Wahrunterstellung“.

Das LG hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Dagegen die Revision, die mit der auf einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg hatte:

„Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen suchte der Angeklagte die Nebenklägerin am Tattag in dem festen Entschluss auf, sie zu töten. Nachdem er die Tür zu ihrer Wohnung eingetreten hatte, wo sie gerade den gemeinsamen Sohn im Badezimmer versorgte, lief er zügig auf sie zu und hielt dabei die mitgeführte Schusswaffe samt Schalldämpfer mit ausgestrecktem Arm in der rechten Hand. Etwa eine Armlänge von ihr entfernt blieb der Angeklagte stehen, zielte mit der Waffe auf „Kopf-/Brusthöhe“ der Nebenklägerin und drückte unvermittelt ab, um sie zu töten. Der Schuss verfehlte die Nebenklägerin knapp. Im Anschluss an die Schussabgabe wirkte der Angeklagte in fortbestehender Tötungsabsicht durch Schläge mit der Waffe auf den Kopf der Nebenklägerin ein, bis ein hinzueilender Nachbar ihn von der Fortsetzung der Tat abhielt.

Die Strafkammer hat ihre Überzeugung von einer gezielten Schussabgabe des Angeklagten auf Kopf-/Brusthöhe der Nebenklägerin maßgeblich auf deren Angaben und ein waffentechnisches Gutachten gestützt. Die Nebenklägerin habe bekundet, der Angeklagte habe die Waffe auf Höhe ihrer Brust oder ihres Kopfes gerichtet und sodann geschossen. Auf Grundlage der waffengutachterlichen Feststellungen ist das Landgericht zu der Annahme gelangt, das Fehlgehen des Schusses sei auf die ungenaue Anvisierungsmöglichkeit der verwendeten Waffe und die Instabilität der Fluglage des Geschosses zurückzuführen, welches mit der in dem verwendeten Schalldämpfer verbauten Gummi-Lochscheibe in Kontakt gekommen sei.

II.

1. Die Revision beanstandet mit Recht, das Landgericht habe sich im Rahmen der Beweiswürdigung zu einer gemäß § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO als wahr unterstellten Beweistatsache in Widerspruch gesetzt.

a) Dieser Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

In der Hauptverhandlung vom 16. September 2022 beantragte die Verteidigung die Vernehmung der Zeugin KOK’in K. zum Beweis der Tatsache, dass die Nebenklägerin im Rahmen ihrer Vernehmung vom 12. Januar 2022 befragt dazu, wie der Angeklagte die Waffe zum Zeitpunkt der Schussabgabe gehalten habe, antwortete: „Er stand tatsächlich dann mit der Waffe vor mir, hatte dann geschossen, aber ich weiß nicht, wohin er geschossen hat. Ob es jetzt an meinem Kopf war, daneben oder in die Richtung, ich kann es nicht sagen.“ Die Schwurgerichtskammer wies den Antrag in der Hauptverhandlung vom 30. September 2022 zurück, da die behauptete Beweistatsache so behandelt werden könne, als wäre sie wahr.

In den Urteilsgründen hat das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, die Angaben der Nebenklägerin stünden einem bewussten Danebenhalten und Zielen in Richtung des Badezimmers entgegen. Sie habe in der Hauptverhandlung als Zeugin bekundet, der Angeklagte sei bis auf Armeslänge schnell an sie herangelaufen. Zu dieser Zeit habe er die Schusswaffe in der rechten Hand etwa in Brust-/Bauchhöhe gehalten. Dann habe er die Waffe mit ausgestrecktem Arm „auf Höhe ihrer Brust oder ihres Kopfes gerichtet und sogleich abgedrückt“. Aus welchem Grund die Kugel sie nicht getroffen habe, könne sie nicht sagen. „Diese Angaben stimmten mit ihrer Aussage im Rahmen der polizeilichen Vernehmung überein.“

b) Im Falle der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Wahrunterstellung gilt Folgendes:

Das Tatgericht muss bei der Urteilsfindung die Zusage einlösen, eine bestimmte Behauptung zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln. Die Urteilsgründe dürfen sich mit einer – bis zum Schluss der Hauptverhandlung unwiderrufen gebliebenen – Wahrunterstellung nicht in Widerspruch setzen. Denn der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung einrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Gericht von der Wahrunterstellung abrückt (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 3 StR 313/19, NStZ 2020, 690 Rn. 6 mwN; Urteil vom 6. Juli 1983 – 2 StR 222/83, BGHSt 32, 44, 46 f.; s. zum Ganzen auch LR/Becker, StPO, 27. Aufl., § 244 Rn. 288 ff., zu den Urteilsgründen Rn. 315 ff.). Die als wahr unterstellte Beweistatsache ist in ihrer Bedeutung, wie sie sich nach dem Sinn und Zweck des Beweisantrags ergibt, ohne Verkürzung, Umdeutung oder sonstige inhaltliche Änderung als wahr – d.h. als erwiesen (so schon BGH, Urteile vom 14. Juli 1961 – 4 StR 191/61, NJW 1961, 2069; vom 4. Mai 1951 – 4 StR 216/51, BGHSt 1, 137, 139) – zu behandeln und dem Urteil zugrunde zu legen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 28. August 2002 – 1 StR 277/02, NStZ 2003, 101 Rn. 3; vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 477/19, NStZ 2022, 501 Rn. 10 mwN; Urteile vom 8. November 1999 – 5 StR 632/98, NJW 2000, 443, 445; vom 13. Dezember 1967 – 2 StR 619/67, NJW 1968, 1293; s. hierzu auch MüKoStPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 244 Rn. 344 mwN).

c) Gemessen an diesen Maßstäben liegt ein Verstoß gegen das Kongruenzgebot des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO vor.

Die Strafkammer hat sich mit ihren die Konstanz der Angaben der Nebenklägerin betreffenden Ausführungen in den Urteilsgründen zu der von ihr als wahr unterstellten Beweistatsache in Widerspruch gesetzt.

Der als wahr unterstellten Beweisbehauptung zufolge hat die Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren angegeben, nicht sagen zu können, wohin der Angeklagte geschossen habe, und hierbei auch die Variante, er habe „daneben“ geschossen, ausdrücklich genannt. Demgegenüber besteht bei den in den Urteilsgründen genannten Angaben der Nebenklägerin zu der Schussabgabe die Varianz lediglich in Bezug auf die Körperregion (Brust oder Kopf). Die explizite Nennung der Variante „daneben“ stellt sich vorliegend als erhebliche Abweichung zu den in den Urteilsgründen genannten Angaben der Nebenklägerin dar, so dass entgegen den Ausführungen der Strafkammer diese gerade nicht mit ihrer als wahr unterstellten Aussage im Rahmen der polizeilichen Vernehmung übereinstimmen.

Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts sind die divergierenden Angaben insoweit auch nicht lediglich als unterschiedliche Formulierungen einer Unsicherheit der Nebenklägerin in Bezug auf die Frage zu verstehen, wohin der Angeklagte die Waffe vor der Schussabgabe richtete. Bei einer Schussabgabe in Höhe der Brust oder des Kopfes der Nebenklägerin oder aber eines „daneben“ Schießens handelt es sich nach dem maßgeblichen Sinngehalt der Angaben um zwei unterschiedliche Sachverhaltsvarianten, da einzig die letztgenannte Alternative die Möglichkeit einer das Tatopfer intentional verfehlenden Schussabgabe eröffnet.

d) Das Urteil beruht auch auf dem dargelegten Verfahrensfehler, § 337 Abs. 1 StPO. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer hinsichtlich der für die Annahme des Tötungsvorsatzes des Angeklagten relevanten Beurteilung der gezielten Schussabgabe auf Kopf-/Brusthöhe der Nebenklägerin zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn die als wahr unterstellte Tatsache widerspruchsfrei Berücksichtigung gefunden hätte.“11, NStZ 2012, 49).