Regress des Polizeibeamten für eine Einsatzfahrt, oder: 92 km/h innerorts, mit Blaulicht, ohne Martinshorn

Ein Polizeibeamter, der auf dem Weg zu einem Einsatz ein bisschen „zu tief geflogen “ ist und einen Verkehrsunfall verursacht hat, verstößt grob fahrlässig gegen dienstliche Sorgfaltspflichten, wenn es nur um einen Einbruch gegangen ist. So das VG Berlin im VG Berlin, Urt. v. 18.03.2024 – 5 K 65/21. Folge: Der Dienstherr kann Regress nehmen:

„2. Auch materiell ist der Bescheid rechtmäßig. Der Kläger hat ihm obliegende Pflichten grob fahrlässig verletzt und so an einem Dienstfahrzeug einen Schaden verursacht, den er zumindest in der geltend gemachten Höhe ersetzen muss.

Der Kläger hat die ihm nach der Straßenverkehrsordnung obliegenden Pflichten verletzt.

Er hat, obwohl er eine entsprechende Freigabe erhalten hatte, keine Wegerechte im Sinne von § 38 Abs. 1 StVO in Anspruch genommen; dafür hätte er blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn verwenden müssen; dies hätte die Anordnung bedeutet: „Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“ (§ 38 Abs. 1 Satz 2 StVO). Vielmehr hat er nur blaues Blinklicht eingeschaltet und damit lediglich Sonderrechte im Sinne von § 35 StVO genutzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist (unter anderem) die Polizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Abs. 8 bestimmt, dass Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

Hieran gemessen durfte der Kläger, der sich auf einer Einsatzfahrt zu einem gegenwärtig stattfindenden Einbruch befand, die allgemeinen Verkehrsregeln, insbesondere auch die Vorschriften über die zulässige Höchstgeschwindigkeit, missachten. Dies jedoch nur in einem Umfang, der in einem angemessenen Verhältnis zur dadurch verursachten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht.

Das hat der Kläger nicht beachtet, indem er an einem Freitagabend um kurz nach 18:00 Uhr innerorts sein Dienstfahrzeug mit 95 km/h bzw. (kurz vor Einleitung der Vollbremsung) mit 92 km/h geführt hat. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um rund 90 % war weder geboten noch gerechtfertigt.

Die Verhältnisse am Unfallort verlangen vom Kläger größere Vorsicht und damit eine niedrigere Geschwindigkeit: Der Eichborndamm ist zwar eine Durchgangsstraße im Bezirk Reinickendorf; sie liegt jedoch im innerörtlichen Bebauungszusammenhang und ist rechts und links von Wohnhäusern gesäumt; der Unfallort liegt in Fahrtrichtung gesehen hinter einer leichten Rechtskurve, wie das vom Kläger vorgelegte Luftbild deutlich macht. Zum Unfallzeitpunkt, einem Freitagabend kurz nach 18:00 Uhr, war es bereits dunkel (Sonnenuntergang ca. 16:30 Uhr, Dämmerungsende ca. 17:10 Uhr).

Unter diesen Umständen musste der Kläger mit der Möglichkeit rechnen, auf ein Hindernis zu treffen. Das konnte ein anderes Kraftfahrzeug sein, das vom rechten Fahrbahnrand anfährt, aus einer Grundstücksausfahrt (von links oder rechts) herausfährt oder das (wie offenbar geschehen) auf der Fahrbahn wendet. Das hätte aber auch ein die Fahrbahn überquerender Fußgänger, ein Rollstuhlfahrer oder ein Radfahrer sein können.

Diesem jederzeit zu erwartenden Hindernis hätte der Kläger seine Geschwindigkeit anpassen müssen, um rechtzeitig bremsen und eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeiden zu können. Die Datenauswertung des konkreten Bremsvorgangs hat gezeigt, dass bei einer Geschwindigkeit von 92 km/h auch eine 50 m (2,7 Sekunden) vor der Kollision eingeleitete Vollbremsung den Zusammenprall nicht verhindern konnte. Vielmehr hatte der Kläger 13,5 m (1,1 Sekunden) vor der Kollision noch eine Geschwindigkeit von 61 km/h und traf mit einer Geschwindigkeit von 30-35 km/h auf das Fahrzeug des Unfallgegners.

Dabei ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass der Bremsweg exponentiell mit der Geschwindigkeit wächst. Bei einer Geschwindigkeit von 75 km/h (also einer Reduzierung gegenüber der gefahrenen Geschwindigkeit von 92 km/h um knapp ein Fünftel) hätte sich der Bremsweg rechnerisch (s = v2 ./. 2a, das heißt Bremsweg = Quadrat der Geschwindigkeit in m/s, geteilt durch das Doppelte der Bremsverzögerung in m/s2, hier laut Unfalldatenschreiber 7,2 m/sec2) um mehr als ein Drittel (von 45,5 auf 30,1 m) reduziert.

Der Einsatzzweck rechtfertigte nicht die Inkaufnahme der Gefährdung Dritter. Es handelte sich zwar um einen Einsatz im Zusammenhang mit einem gegenwärtigen Einbruch; eine akute Gefährdung von Personen, gar Lebensgefahr, stand jedoch nicht in Rede.

Durch diese Pflichtverletzung hat der Kläger den Schaden auch verursacht. Wäre er (pflichtgemäß) langsamer gefahren, wäre sein Bremsweg kürzer gewesen, und er hätte den Zusammenprall vermeiden können.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob und wie es sich auf die Entstehung des Unfalls ausgewirkt hat, dass der Kläger kein Signalhorn eingeschaltet hatte. Zwar ist es naheliegend, dass das Signalhorn die (akustische) Wahrnehmbarkeit des Einsatzfahrzeuges erhöht und damit die Gefahr der Kollision verringert hätte. Allerdings haben die beteiligten Polizeibeamten angegeben, dass bei dem zweiten Einsatzfahrzeug, das dem des Klägers folgte, das Signalhorn eingeschaltet war. Es bedürfte gegebenenfalls weiterer Aufklärung, in welchem Abstand das zweite Einsatzfahrzeug von dem des Klägers gefahren ist und wie sich dieser Abstand auf die Lautstärke des Signals im bzw. bei dem unfallgegnerischen Fahrzeug ausgewirkt hat. Auch wenn man unterstellt, dass das Unterlassen, das Signalhorn einzuschalten, die Gefahr des Zusammenpralls in diesem konkreten Einzelfall nicht erhöht hat, bleibt es bei dem (für den Unfall jedenfalls kausalen) Verstoß gegen die Pflicht, auch bei der Inanspruchnahme von Sonderrechten mit angemessener Geschwindigkeit zu fahren.

Dem Kläger ist auch grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Ein Beamter verhält sich grob fahrlässig im Sinne des § 48 BeamtStG, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, oder die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Dieser Fahrlässigkeitsbegriff bezieht sich auf ein individuelles Verhalten; er enthält einen subjektiven Vorwurf. Daher muss stets unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände, der individuellen Kenntnisse und Erfahrungen des Handelnden beurteilt werden, ob und in welchem Maß sein Verhalten fahrlässig war. Welchen Grad der Fahrlässigkeitsvorwurf erreicht, hängt von einer Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände im Einzelfall ab (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 28. Juli 2023 – 2 A 411/22 -, juris Rn. 8 m.w.N.).

Daran gemessen ist das Verhalten des Klägers als grob fahrlässig zu bewerten. Ihm musste sich aufdrängen, dass unter den konkreten örtlichen Verhältnissen (innerörtliche Straße mit Wohnbebauung, leichte Rechtskurve, Werktag kurz nach 18:00 Uhr) eine Geschwindigkeit von 92 km/h zu hoch ist, um Kollisionen mit anderen Verkehrsteilnehmern, Schäden am Fahrzeug (und damit letztlich auch die Gefährdung des Einsatzzwecks) zu verhindern.

Es kommt vorliegend nicht darauf an, ob und in welchem Umfang den Unfallgegner ein Mitverschulden an dem Unfall trifft. Insoweit bedürfte der Sachverhalt gegebenenfalls noch weiterer Aufklärung. Denn die Angaben der drei Insassen des unfallgegnerischen Fahrzeugs unterscheiden sich wesentlich von denen des Klägers und der anderen Polizeibeamten, soweit diese Angaben gemacht haben. Während diese berichteten, der Unfallgegner sei vom rechten Fahrbahnrand losgefahren und habe (mehr oder weniger plötzlich) gewendet, schilderten jene, der Unfallgegner sei entlang des Mittelstreifens gefahren und habe dann – nach Setzen des Blinkers und dem Blick in Rück- und Seitenspiegel sowie über die Schulter – gewendet, ohne dass das Fahrzeug des Klägers wahrnehmbar gewesen sei.

Selbst dann, wenn der Unfallgegner seinerseits seine Pflichten nach der Straßenverkehrsordnung beim Wenden und/oder Anfahren vom Fahrbahnrand verletzt haben sollte, änderte das nichts daran, dass der Kläger bei einer geringeren Geschwindigkeit und einem kürzeren Bremsweg den Zusammenprall hätte verhindern können. Wegen seiner überhöhten Geschwindigkeit handelte es sich für ihn auch nicht um ein unabwendbares Ereignis; vielmehr hätte er den Unfall durch angepasste Geschwindigkeit vermeiden können.

Jedenfalls ein Mitverschuldensanteil von 50 % ist dem Kläger anzulasten; nur in dieser Höhe hat der Beklagte ihn in Anspruch genommen. Dem Kläger steht es im Übrigen frei, mögliche Ansprüche gegen den Unfallgegner wegen des behaupteten Mitverschuldensanteils von mehr als 50 % geltend zu machen. Diese Ansprüche gehen nach Zahlung des hier streitgegenständlichen Schadenersatzes gemäß § 72 Abs. 2 LBG auf den Kläger über.“

Standardisiertes Messverfahren beim Fahrtenbuch, oder: Zugang bei der Bußgeldstelle erstrebt?

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ zwei Entscheidungen aus dem Verwaltungsrecht.

Als erste stelle ich den VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.08.2024 – 13 S 1001/23 – vor. Gestritten wird mal wieder um eine Fahrtenbuchauflage. Die Klage dagegen hatte das VG abgewiesen. Der VGH hat die Berufung nicht zugelassen. Die von ihm angesprochenen Fragen sind nicht neu, so dass ich mich auf den Leitsatz beschränke und im Übrigen auf den verlinkten Volltext verweise.

Hier die Leitsätze:

1. Wird eine Fahrtenbuchanordnung auf die mit einem standardisierten Messverfahren ermittelte Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gestützt, muss das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung auch bei fehlenden Rohmessdaten nur dann von Amts wegen überprüft werden, wenn der Adressat der Anordnung plausible Anhaltspunkte für einen Messfehler vorträgt oder sich solche Anhaltspunkte sonst ergeben.

2. Der Adressat einer Fahrtenbuchanordnung, der sich gegen die Verwertbarkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren wendet, kann sich nicht mit Erfolg auf die Verweigerung des Zugangs zu bei der Bußgeldstelle gespeicherten Daten berufen, wenn er nicht seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hat, um – ggf. auch nach Ablauf der Verjährungsfrist für die Ahndung des Verkehrsverstoßes – den gewünschten Zugang von der Bußgeldstelle zu erhalten.

Ich habe da mal eine Frage: Welcher Gegenstandswert bei der Einziehung von Dopingmitteln?

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Im Moment gibt es immer wieder Frage zum Gegenstandswert bei der Nr. 4142 VV RVG. Die Verteidiger scheinen die Regelung (neu) entdeckt zu haben.

Hier ist dazu eine Frage, die aus der FB-Gruppe „Strafverteidiger“ stammt:

„Liebe Kolleginnen und Kollegen,

hat hier irgendjemand Informationen oder idealerweise sogar Rechtsprechung zu der Frage, ob eine Einziehungsgebühr nach Nr. 4142 VV RVG bei der Einziehung von Dopingmitteln anfällt?

Mir ist lediglich die Rechtsprechung bei Betäubungsmitteln bekannt, wonach Rauschmitteln kein legaler Marktwert zukommt und diese daher als nicht erhaltungswürdig eingestuft werden(BGH, Beschl. v. 2.9.2022 – 5 StR 169/21).

Ich bin mir unsicher, ob diese Rechtsprechung auf Dopingmittel überhaupt übertragbar ist, zumal viele Dopingmittel, zumindest ihrem Wirkstoffgehalt nach, auch als Arzneien eingestuft werden.?

Ich bedanke mich schon mal im Voraus.“

Teilnahme des Verteidigers am Anhörungstermin, oder: Keine Vernehmungsterminsgebühr

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Im Strafverfahren gibt es zahlreiche Termine außerhalb der Hauptverhandlung, an denen der Verteidiger mit seinem Mandanten teilnehmen kann/muss. Es stellt sich dann immer die Frage, ob der Verteidiger dafür eine sog. Vernehmungsterminsgebühr abrechnen kann. Dazu äußert sich für einen Anhörungstermin in Zusammenhang mit der Unterbringung des Angeklagten das LG Potsdam im LG Potsdam, Beschl. v. 12.08.2024 – 25 KLs 5/23.

In einem Verfahren wegen des Vorwurfs des schweren Raubes hatte die Strafkammer zugleich mit der Eröffnung des Verfahrens die psychologische Begutachtung des – mittlerweile rechtskräftig verurteilten – Angeklagten angeordnet. Da der Angeklagte mehrfach nicht zu Explorationsterminen beim Sachverständigen erschienen ist, hat die Strafkammer seine vorübergehende Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß § 81 StPO erwogen und den Angeklagten hierzu mündlich angehört. Zu dem Anhörungstermin am 29.08.2023 hat die Kammer auch den Pflichtverteidiger geladen. Die vorübergehende Unterbringung des Angeklagten ist dann nicht erfolgt, da der Angeklagte in dem Anhörungstermin mit dem ebenfalls anwesenden Sachverständigen Explorationstermine vereinbart hat, die er auch einhielt.

In seinem Vergütungsfestsetzungsantrag hat der Pflichtverteidiger für die Wahrnehmung des Anhörungstermins eine Vernehmungsterminsgebühr gemäß Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG mit 150,00 EUR berechnet. Die Rechtspflegerin hat diese Gebühren nicht festgesetzt und darauf verwiesen, dass die Wahrnehmung des Anhörungstermins durch die allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG abgegolten sei. Dagegen hat der Pflichtverteidiger Erinnerung eingelegt, die die Strafkammer, der die Sache vom Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden ist, zurückgewiesen hat:

„2. In der Sache hat die Erinnerung keinen Erfolg. Dem Verteidiger steht für die Wahrnehmung des Anhörungstermins vom 29. August 2023 keine Gebühr gemäß Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG zu.

a) Nach dieser Vorschrift kann der Verteidiger die Vergütung seiner Teilnahme an einem Termin außerhalb der Hauptverhandlung verlangen, in dem „über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung“ verhandelt wird. Nach dem Wortlaut der Regelung ist mit der „einstweiligen Unterbringung“ nur die – grundsätzlich bis auf Weiteres – angeordnete Freiheitsentziehung gemäß § 126a StPO gemeint und nicht die – auf die Dauer der Untersuchung, längstens jedoch auf sechs Wochen befristete – vorläufige Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung, die ausdrücklich die „einstweilige Unterbringung“, und damit die amtliche Überschrift von § 126a StPO, in Bezug nimmt. Hinzu kommt, dass die Vergütungsvorschrift die „einstweilige Unterbringung“ neben dem Haftbefehl aufführt, was ebenfalls – nur – auf § 126a StPO hinweist, da die einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO das Pendant zum Haftbefehl darstellt, wie die vielfältigen Verweise in § 126a Abs. 2 StPO auf das Haftbefehlsrecht belegen. Abgesehen hiervon erfordert die Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO nicht zwingend eine Anhörung oder gar die Verkündung einer Entscheidung. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur – ganz selbstverständlich – davon ausgegangen, dass die Vergütungsregel in Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG nur die Verkündungs- und Vorführungstermine gemäß § 126a Abs. 2 in Verbindung mit §§ 115, 118 StPO erfassen, nicht jedoch Anhörungstermine im Vorfeld einer Entscheidung gemäß § 81 StPO oder ähnliche Anhörungen (vgl. etwa Felix in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., RVG VV 4102, Rn. 11; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4102 VV, Rn. 25; Knaudt in: BeckOK RVG, 64. Ed., VV 4102, Rn. 8). Soweit dies ersichtlich ist, ist diese Frage in der Rechtsprechung und der Literatur jedoch nicht – jedenfalls nicht tragend – entschieden worden, sodass der hier zu treffenden Entscheidung eine gewisse grundsätzliche Bedeutung beikommt. Im Falle seiner Anwendbarkeit lägen nämlich die kostenrechtlichen Voraussetzungen der Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG vor, da der Verteidiger in dem Anhörungstermin verhandelt hat, indem er Erklärungen und Stellungnahmen abgegeben hat, auch wenn dies aus dem Terminsprotokoll nicht ersichtlich ist, da sich dieses auf die Erklärungen des Angeklagten konzentriert. So hat der Verteidiger die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung zur Gutachtenvorbereitung aufgeworfen und im Übrigen den Sinn der Maßnahme bezweifelt, da eine gegen ihren Willen zwangsweise untergebrachte Person sich kaum für ein zielführendes Explorationsgespräch öffnen dürfte; hierbei hat der Verteidiger die besonderen Persönlichkeitsvariablen des Angeklagten dargelegt, der Probleme im Umgang mit fremdbestimmten Situationen habe.

b) Eine entsprechende Anwendung der Nr. 4102 VV RVG auf weitere, dort nicht bezeichneten Tätigkeiten des Rechtsanwalts außerhalb der Hauptverhandlung kommt nicht in Betracht. Bei der genannten Regelung handelt es sich nämlich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen und eine Analogie nicht zugänglich ist. Der Gesetzgeber hat dem Verteidiger enumerativ nur in den dort genannten Fallgestaltungen einen Vergütungsanspruch für Termine außerhalb der Hauptverhandlung zugesprochen. Dies ist die allgemeine Meinung in der Literatur (vgl. Kapischke in: Ahlmann/Kapischke/Pankaz/Rech/Schneider/Schütz, RVG, 11. Aufl., VV 4102, Rn. 22; Burhoff, a.a.O., VV 4102 Rn.47 f.; ders. in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., VV 4102, Rn. 5; Felix in Toussaint, a.a.O., VV RVG Nr. 4102, Rn. 3; Knaudt, a.a.O., VV 4102, Rn. 11), während in der Rechtsprechung bisweilen trotzdem Analogien gezogen worden sind (etwa LG Hamburg, Beschluss vom 19.10.2020, 601 Qs 28/20; vgl. auch die Nachweise bei Knaudt, a.a.O., VV 4102, Rn. 11.1). Diese ausnahmsweise vorgenommenen Analogien sind jedoch systemwidrig, da Nr. 4102 VV RVG selber eine Ausnahmeregelung ist, die abschließend auflistet, für welche Termine außerhalb der Hauptverhandlung der Rechtsanwalt eine Gebühr beanspruchen kann. Abgesehen hiervon fehlt es an einer (zudem: systemwidrigen) Regelungslücke, die durch eine Analogie zu schließen wäre, da sich aus der Vorbemerkung 4.1 Abs. 2 zum vierten Teil VV RVG ergibt, dass durch die im VV geregelten Gebühren die gesamte Tätigkeit des Verteidigers entgolten wird, soweit keine ausdrückliche abweichenden Regelungen erfolgen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8.8.2011, 1 Ws 89/11; KG, Beschluss vom 18.11.2011,1 Ws 86/11; OLG Köln, Beschluss vom 23.7.2014, III-2I Ws 416/14 und OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.1.2023, 2 WS 156/22 (S); jeweils zitiert nach Juris). Die Tätigkeit des Verteidigers im dem Anhörungstermin vom 29. August 2023 ist durch seine allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG abgegolten.“

So traurig es auch ist: Man muss dem LG folgen. Der Hinweis auf den Wortlaut ist eindeutig. In der Nr. 4102 S. 1 Nr. 3 VV RVG ist nur von der „einstweiligen Unterbringung“, also von § 126a StPO, die Rede. Zutreffend ist es auch, dass das LG die Vorschrift nicht entsprechend angewendet hat. Den Argumenten des LG ist nichts hinzuzufügen. Sie entsprechen der Argumentation in der Literatur und der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung.

Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass sich der Gesetzgeber endlich mal aufrafft und in einem 3. KostRMoG die Nr. 4102 VV RVG überarbeitet und durch sie weitere Termine erfasst, an denen der Rechtsanwalt teilnimmt. Denn der Verweis auf die Verfahrensgebühr ist für diesen angesichts der doch recht geringen Gebührensätze nur ein schwacher Trost.

Das LG hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entschiedenen Frage gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. mit § 33 Abs. 3 S. 2 RVG die Beschwerde zugelassen. Man wird zu der Frage also ggf. bald etwas vom OLG Brandenburg hören, allerdings wird es m.E. wahrscheinlich die Entscheidung des LG bestätigen. Das würde auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des OLG liegen.

Ablehung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht, oder: Ablehnungsbeschluss ist nicht anfechtbar

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Und dann die Gebührenentscheidungen am Freitag.

Ich starte zum Warmwerden mit dem BayObLG, Beschl. v. 30.04.2024 – 203 StObWs 150/24. Nicht direkt Gebühren, aber der Beschluss hat damit zu tun. Es geht um die Anfechtbarkeit der PKH-Entscheidung im Strafvollzugsverfahren. Da sagt das BayObLG: Nicht anfechtbar:

„Der Senat hat das Rechtsmittel aufgrund der ausdrücklichen Bezeichnung durch die Rechtsanwältin als Rechtsbeschwerde und hilfsweise als sofortige Beschwerde geprüft. Das Rechtsmittel gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer erweist sich als unzulässig.

1. Eine Rechtsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 StVollzG wäre gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer nicht eröffnet, da sich das Tatgericht – insoweit auch rechtsfehlerfrei – isoliert mit dem ihm zur Entscheidung unterbreiteten Begehren des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe befasst hat.

2. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls unzulässig. Nach überwiegender obergerichtlicher Auffassung, der sich der Senat anschließt und die auch im Schrifttum Zustimmung erlangt hat, ist im Strafvollzugsverfahren ein die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen mangelnder Erfolgsaussicht ablehnender Beschluss der Strafvollstreckungskammer ungeachtet des Verfahrenswerts nicht anfechtbar (vgl. OLG Bremen, Beschluss vom 12. Mai 2020 – 1 Ws 129/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 2020 – 2 Ws 38/20 –, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. November 2019 – 2 Ws 627/19 Vollz –, juris Rn. 10; KG, Beschluss vom 16. Februar 2018 – 5 Ws 20/18 Vollz -, juris Rn. 2 ff.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Februar 2014 – 1 Ws 294/13-, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – III-1 Vollz (Ws) 672/12-, juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. November 2008 – 3 Vollz (Ws) 64/08 –, juris Rn. 8; OLG Naumburg, Beschluss vom 9. September 2003 – 1 Ws 275/03, juris; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 120 StVollzG Rn. 21; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 7. Aufl., 12. Kapitel § 120 Rn. 12; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, §120 StVollzG, 25. Ed., § 120 Rn. 11; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Aufl., P § 120 StVollzG Rn. 140; diff. nach Beschwerdewert wohl Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl. § 120 Rn. 7; diff. nach zulässig eingelegter Rechtsbeschwerde OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2012 – I Vollz [Ws] 3/12 – BeckRS 2012, 04285). Denn im Strafvollzugsverfahren ist gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer keine weitere Tatsacheninstanz eröffnet (vgl. KG a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.).“