beA II: Revisionsbegründung fristgerecht eingegangen?, oder: Augen auf bzw., wenn Verteidiger „Murks“ macht

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In diesem zweiten beA-Posting habe ich dann noch den BGH, Beschl. v. 29.04.2024 – 6 StR 86/24 -, den ich wegen der Begründung des BGH hier „allein“ vorstelle.

Es geht um den fristgerechten Eingang von elektronischen Dokumenten. Folgender Sachverhalt: Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Mit Beschluss vom 11.12.2023 hat das LG die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen. Die Verwerfung der Revision durch das LG beruht auf folgendem Verfahrensgang: Nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 08.11.2023 hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 04.12.2023 die zuvor form- und fristgemäß eingelegte Revision begründet und das Dokument am selben Tag mittels beA an das LG versandt. Das anschließend von seiner Softwareanwendung generierte Prüfprotokoll („beA-Nachricht XXX“) hat als Empfänger das LG Göttingen, als „Übermittlungscode“ die Zahlenfolge „9710“ und als „Meldetext“ die Mitteilung „Interner Fehler des Suppliers bei der Zertifikatsprüfung“ ausgewiesen. Die Spalten „OSCI-Nachrichten-ID“, „Zugegangen“ und „Übermittlungsstatus“ waren nicht ausgefüllt.

Seine Verwerfungsentscheidung hat das LG damit begründet, dass eine Revisionsbegründung bis zum Ablauf der Frist nach § 345 Abs. 1 StPO nicht beim LG eingegangen sei. Gegen diesen Beschluss hat der Verteidiger die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt (§ 346 Abs. 2 StPO) und ausgeführt, dass der fristgerechte Zugang der Rechtsmittelbegründung vor dem Hintergrund des dem Antrag beigeschlossenen beA-Prüfprotokolls nicht zweifelhaft sein könne. Der BGH hat den Antrag des Angeklagten als zulässig, aber als unbegründet angesehen:

„2. Das Landgericht hat die Revision mit Recht als unzulässig verworfen. Die Revisionsbegründungsfrist wurde nicht gewahrt.

a) Nach § 32a Abs. 5 Satz 1 StPO ist ein elektronisches Dokument bei Gericht eingegangen, sobald es auf dem für dieses eingerichteten EmpfängerIntermediär im Netzwerk für das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) gespeichert ist; unerheblich ist, ob es von dort aus rechtzeitig an andere Rechner innerhalb des Gerichtsnetzes weitergeleitet oder von solchen Rechnern abgeholt werden konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 2023 – 3 StR 264/23 ; entsprechend zu § 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO , Beschlüsse vom 8. März 2022 – VI ZB 25/20 ; vom 29. September 2021 – VII ZR 94/21 , NJW 2021, 3471 Rn. 9; vom 11. Mai 2021 – VIII ZB 9/20 ; vom 30. März 2023 – III ZB 13/22 , NJW 2023, 1737 [BGH 30.03.2023 – III ZB 13/22] Rn. 10 mwN; siehe auch MüKo-StPO/Beller/Gründler/Kindler/Rochner, 2. Aufl., § 32a Rn. 45; BT-Drucks. 18/9416 S. 47). Die Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 Satz 2 StPO , die der Justizserver bei ordnungsgemäßem Zugang der Nachricht automatisch generiert und deren Inhalt von der Justizverwaltung dem Absender mittels strukturiertem Datensatz im XML-Format zur Verfügung gestellt wird (vgl. Fritzsche, NZFam 2022, 1, 6), soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Zutun von Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2022 – XI ZB 14/22 , NJW 2022, 3715 Rn. 7 und vom 24. Mai 2022 – XI ZB 18/21 , NJW-RR 2022, 1069). Sie wird durch das beA-System in die gesendete Nachricht eingebettet und kann nach deren Öffnen vom Absender in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung auf dem Computerbildschirm anhand des Meldetextes „Request executed“, dem Eingangsdatum und dem Übermittlungsstatus „Erfolgreich“ optisch wahrgenommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2022 – XI ZB 18/21 , NJW-RR 2022,1069 mwN).

b) Hier hat die Rechtsmittelbegründungsschrift den Empfänger-Intermediär nicht fristgerecht erreicht. Dies ist bereits aus dem vom Verteidiger vorgelegten beA-Prüfprotokoll erkennbar. Es fehlt die eine erfolgreiche Verbindung ausweisende „OSCI-Nachrichten-ID“ und das vom Empfänger-Intermediär bestätigte Eingangsdatum („Zugegangen“). Der fehlende erfolgreiche Kontakt zum Empfänger-Intermediär wird ferner belegt durch die vom Senat eingeholte – dem Verteidiger und dem Angeklagten zur Stellungnahme übersandte – Auskunft des Projektbüros der Bund-Länder-Kommission, Arbeitsgruppe IT-Standards in der Justiz vom 25. März 2024. Hiernach weist auch der im beA-Prüfprotokoll ausgewiesene „Übermittlungscode 9710“ aus, dass es zu keinem Kontakt zum EmpfängerIntermediär kam. Eine Eingangsbestätigung nach § 32a Abs. 5 StPO wurde deshalb nicht generiert.“

Dazu sind m.E. drei Punkte anzumerken:

1. Ich verstehe nicht, wieso der Verteidiger bei dem technischen Verfahrensablauf von einem rechtzeitigen Eingang seiner Revisionsbegründung ausgehen konnte bzw. ausgegangen ist. Da hätte doch ein einfacher Blick in das beA-Prüfprotokoll gereicht. Also: Augen auf.

2. Ebenso wenig verstehe ich, warum nicht, als der Angeklagte/Verteidiger Kenntnis vom Verwerfungsbeschluss des LG hatte, sofort ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden ist. Das hätte zu dem Zeitpunkt ggf. Erfolg gehabt, wenn es zutreffend begründet worden wäre. Dazu hätte gehört, dass entweder vorgetragen (oder offenkundig gewesen) worden wäre, wann der Angeklagte Kenntnis vom Verwerfungsbeschluss der Strafkammer genommen hat, der ihm formlos bekannt gemacht worden ist. Jetzt ist es jedenfalls zu spät, zumal die erforderlichen Angaben nicht dargelegt und auch nicht Glaubhaftmachung gemacht waren.

3. Und: Mehr als „deutlich“ im Hinblick auf die „Verteidigerleistung“ ist dann der abschließende Satz des BGH: „Anhaltspunkte für einen ausnahmsweise zur Wiedereinsetzung von Amts wegen nötigenden „offenkundigen Mangel“ der Verteidigung (vgl. EGMR NJW 2003, 1229; BGH, Beschl. v. 12.1.2021 – 3 StR 422/20, NStZ-RR 2021, 112; v. 7.8.2019 – 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349; v. 5.6,2018 – 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 III Buchst. c Beschränkung 3) liegen noch nicht vor.“ Deutlicher kann man subtil kaum zum Ausdruck bringen, dass der Verteidiger hier wohl „Murks gemacht“ hat. Aber für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen wohl nicht Murks genug.

beA I: Sammlung zum beA/elektronischen Dokument, oder: sicherer Weg, Ersatz, Wiedereinsetzung, Urteil

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In die 29. KW./2024 starte ich heute dann mit einigen Entscheidungen zum beA. Das sind weitgehend BGH-Entscheidungen, eine der vorgestellten Entscheidungen stammt aber vom OLG Düsseldorf.

Hier sind dann also:

„bb) Ihre einfach signierten Schriftsätze hat die Verteidigerin nicht auf dem hier einzig in Betracht kommenden sicheren Übermittlungsweg zwischen ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle des Landgerichts eingereicht ( § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ).

Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich insoweit nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2022 – 3 StR 251/22 Rn. 6). Der besondere Kommunikationskanal ersetzt die Identifikationsfunktion der Unterschrift (Müller, NZS 2018, 207, 209). Den hiermit verbundenen Anforderungen werden die Eingaben der Verteidigerin nicht gerecht. Die erforderliche eigenhändige Versendung aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach wird durch den vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (vHN) dokumentiert. Dieser wird nur an einer Nachricht angebracht, wenn das Postfach in einem sicheren Verzeichnisdienst geführt wird und der Postfachinhaber zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachricht erstellt wird, sicher an dem Postfach angemeldet ist (vgl. BAGE 171, 28 Rn. 27; Müller, NZS 2018, 207, 209; Biallaß, NJW 2021, 789 [OLG Oldenburg 09.12.2020 – 6 W 68/20] ). Beim Empfänger führt die Übersendung dann zu dem Prüfergebnis „sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach“. Der vHN ist maßgeblich für die freibeweisliche Prüfung einer formgerechten Einreichung. Fehlt er, kann nicht von einem Eingang auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO ausgegangen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2023 – 4 StR 313/23 Rn. 2, 5; Beschluss vom 7. Februar 2023 – 2 StR 162/22 Rn. 6; s. auch BVerwG, NVwZ 2022, 649 [BVerwG 12.10.2021 – BVerwG 8 C 4.21] Rn. 6 ff.; BAGE 171, 28 [BAG 05.06.2020 – 10 AZN 53/20] Rn. 25 ff.). So liegt es hier. Denn die Prüfvermerke des Landgerichts weisen aus, dass die Revision und ihre Begründung lediglich „per EGVP“ übersandt wurden.

Ist die Revision wirksam elektronisch übermittelt worden, wegen technischer Störungen aber nicht zu den Sachakten gelangt, und hat das erkennende Gericht in Vertrauen auf die Rechtskraft der Entscheidung die Urteilsgründe abgekürzt abgefasst, kann es diese entsprechend § 267 Abs. 4 S. 4 ergänzen, wenn es vom Eingang des Rechtsmittels erfährt. Sofern dem Gericht zu diesem Zeitpunkt die Akten nicht mehr vorliegen, beginnt die Frist zur Absetzung des ergänzten Urteils mit erneutem Eingang der Akten.

Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung von Verfahrensrügen zu gewähren, wenn er glaubhaft gemacht hat, dass seinem Verteidiger am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist um 23.49 Uhr die Übersendung einer fertiggestellten ergänzenden Revisionsbegründung zur Anbringung der Verfahrensrügen als elektronisches Dokument über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach nicht möglich war, weil das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des jeweiligen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen – was dem Verteidiger im Zeitpunkt des Übersendungsversuchs noch nicht bekannt war – in der Weise gestört war, dass die Gerichte und Behörden elektronische Dokumente nicht empfangen konnten. Denn dadurch war der Verteidiger durch ausschließlich im Bereich der Justiz gründende Umstände gehindert, eine die fristgemäß erhobene Sachrüge ergänzende Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht anzubringen (vgl. zum gestörten Empfangsgerät im Bereich der Justiz BGH, Beschluss vom 18. Juni 2008 – 2 StR 485/07, NStZ 2008, 705).

Ein Rechtsanwalt muss Vorkehrungen dafür treffen, dass ein Zustellungsdatum, das in einem von ihm abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragen ist, auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird. An die Zustellung anknüpfende Fristen müssen anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis berechnet werden.

    1. Im Falle einer Ersatzeinreichung hat die Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung des Dokuments nach § 130d S. 3 ZPO möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen. Eine unverzügliche Nachholung kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt das technische Defizit erst kurz vor Fristablauf bemerkt und ihm daher nicht mehr genügend Zeit für die gebotene Darlegung und Glaubhaftmachung in dem ersatzweise einzureichenden Schriftsatz verbleibt.
    2. Die Mitteilung der Gründe für die Ersatzeinreichung nach mehr als einer Woche ist im Regelfall nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 130d Satz 3 ZPO.
    3. Die Bekanntheit einer technischen Störung auf Seiten des Gerichts entbindet den Einreicher jedenfalls nicht gänzlich davon, die Ursächlichkeit der Störung für die Übermittlung in Papierform oder per Telefax glaubhaft zu machen (Anschluss an OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2023 – 31 U 71/23, NJOZ 2023, 1582).

Sonntagswitz, zum Finale der „Heim-EM 2024“ heute noch einmal Fußball

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Und heute dann doch noch einmal Fußball. Ist schließlich eine „Heim-EM“, also für viele Landsleute ein wichtiges Ereignis, für mich allerdings weniger. Jedenfalls hat das dann heute ja auch etwas Positives: Es ist vorbei :-). Hier kommen dann (kann sein, dass ich die schon mal hatte, aber da dauernd Fußball ist…… 🙂 :

„Und ihr Fachgebiet ist Fußball?“, fragt der Showmaster.

„Ja“, antwortet der Kandidat.

„Bravo, da habe ich eine Frage für sie. Wie viele Maschen hat ein Tornetz?“


An einer Bushaltestelle steht ein Fußballspieler und wartet auf den nächsten Bus. Um sich seine Zeit zu vertreiben übt er Dribbelschritte.

Eine ältere Frau kommt auf ihn zu, fasst ihn bei der Hand und sagt: „Junger Mann, bleiben Sie ganz ruhig, ich zeige Ihnen, wo die Toilette ist.“


Wer war die erste Fußballmannschaft?

Jesus und seine Jünger. Denn in der Bibel steht: „Jesus stand im Tor von Nazareth und seine Jünger standen abseits.“


Der Erzengel Gabriel erscheint einem berühmten Fußballspieler und sagt:

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für dich.

Zuerst die gute: Du bist auserwählt, nach deinem Ableben in der himmlischen Fußballmannschaft zu spielen.

Die schlechte: Du bist schon für nächstes Wochenende aufgestellt!“

Wochenspiegel für die 28. KW., mit FB-Sperre, LTI 20/20, Steuerstrafverfahren und Anhörungsrüge

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Und dann heute wieder ein „normaler“ Wochenspiegel, also keine Rückschau auf ein früheres Jahr. Hier kommen heute:

    1. LG Düsseldorf: Facebook-Sperre ohne Anhörung und Begründung ist ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB – kartellrechtlicher Unterlassungsanspruch

    2. OLG Frankfurt: Bezeichnung einer Transfrau als „Transe“ ist ausschließlich abwertend und das Wort ein diskriminierendes Schimpfwort – Unterlassungsanspruch des Betroffenen

    3. Datenverarbeitung im Steuerverfahren am Beispiel von § 29b AO

    4. LG Trier: Unzulässige Schleichwerbung auch dann möglich, wenn gar kein Geld fließt

    5. Stichprobenkontrolle nach verschimmeltem Obst im Supermarkt reicht

    6. Wettbewerbsrechtliche Abmahnfähigkeit von Datenschutzverstößen

    7. Messabweichungen nachgewiesen: LTI 20/20 TruSpeed vorerst aus dem Verkehr gezogen

    8. Rammstein-Tickets für 6000 Euro bei Viagogo Ist das rechtlich überhaupt erlaubt?

    9. KI “erfindet” Getränkebehälter Kann KI als Erfinder eingetragen werden?

    10. und aus meinem Blog: Frist I: Was gehört zur Zulässigkeit der Anhörungsrüge?, oder: Der BGH sagt es uns noch einmal

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen BtM-Einnahme, oder: Unbewusste Einnahme, ja oder nein?

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Im zweiten Posting stelle ich dann den OVG Greifswald, Beschl. v. 20.06.2024 – 1 M 166/24 – vor. Er ist zwar auch in einem Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis ergangen, es geht aber nicht so sehr um die dafür erforderlichenn Voraussetzungen, sondern vornehmlich um die Anforderungen an das Vorbringen des Betroffenen im Falle der unbewussten Einnahme von Betäubungsmitteln:

„(1) Die Erfolgsaussichten des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs, über den noch nicht entschieden ist, sind offen.

Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) zu entziehen ist, wenn sich der Betroffene als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen eines Kraftfahrzeuges erweist. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr (FeV) i. V. m. Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV ist ein Kraftfahrer, der Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumiert hat, im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (vgl. VGH München, Beschluss vom 28. Februar 2024 – 11 CS 23.1387 –, juris Rn. 13 m. w. N.). Im Regelfall rechtfertigt bereits die einmalige bewusste (nachgewiesene) Einnahme von „harten Drogen“ die Annahme der Nichteignung, ohne dass ein Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr bestehen müsste (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 22. November 2022 – 1 M 491/22 OVG –; Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 3 M 356/18 –; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 M 87/09 –, juris Rn. 5). Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt dabei grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Vorliegend bestreitet der Antragsteller nicht, Cocain eingenommen zu haben; er trägt jedoch vor, dass die Einnahme unbewusst erfolgt sei. Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Wer sich darauf beruft, muss einen detaillierten, in sich schlüssigen und glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der insoweit der Nachprüfung zugänglich ist. Es muss überzeugend aufgezeigt werden, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper eines Fahrerlaubnisinhabers Kontakt mit Personen vorausgegangen ist, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund hatten, dem Betroffenen ein drogenhaltiges Getränk bzw. Nahrungsmittel zugänglich zu machen; ferner, dass dieser selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels und deren Wirkung tatsächlich nicht bemerkt hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 28. Februar 2024 – 11 CS 23.1387 –, juris Rn. 14; OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Januar 2024 – 6 B 70/23 – juris Rn. 13; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Dezember 2023 – 1 M 549/23 OVG – und Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11–, juris Rn. 8 m. w. N.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 26. Oktober 2022 – 3 M 88/22 –, juris Rn. 6; OVG Saarlouis, Beschluss vom 2. September 2021 – 1 B 196/21 –, juris Rn. 47; OVG Münster, Beschluss vom 18. September 2020 – 16 B 655/20 –, juris Rn. 4; OVG Bremen, Beschluss vom 12. Februar 2016 – 1 LA 261/15 –, juris Rn. 6; OVG Berlin, Beschluss vom 9. Februar 2015 – 1 M 67.14 –, juris Rn. 4).

Dabei dürfen die Anforderungen an das Vorbringen eines Betroffenen nicht überspannt werden. Insbesondere kann vom Betroffenen bei einem über mehrere Stunden andauernden Zeitraum keine minutengenaue Protokollierung des Geschehens abverlangt werden. Es kann aber regelmäßig selbst dann, wenn die konkrete Einnahme dem Betroffenen verborgen geblieben ist, eine möglichst detaillierte Schilderung der Vorgänge erwartet werden, in deren Rahmen es möglicherweise zu der Drogeneinnahme gekommen sein könnte (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Januar 2024 – 6 B 70/23 –, juris Rn. 13 m. w. N.; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Dezember 2023 – 1 M 549/23 OVG –; Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11–, juris Rn. 8).

Daran gemessen vermag der Senat der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe keine nachvollziehbaren Umstände vorgetragen, wie er unbewusst Cocain zu sich genommen haben solle, nicht zu folgen. Es kann zumindest nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dessen Angaben seien nicht hinreichend detailliert, schlüssig und glaubhaft. Das von Anfang an konsistente Vorbringen des Antragstellers lässt es als möglich erscheinen, dass es sich im Kern so verhalten haben könnte, wie vom Antragsteller geschildert.

Es würde die Anforderungen an die Darlegung einer Ausnahme von der Vermutung einer willentlichen Drogeneinnahme nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls überspannen, vom Antragsteller zu erwarten, detailliert anzugeben, wie es zur Einnahme des Cocains gekommen ist, insbesondere wie der Abend des 7. Mai 2023 im Detail verlaufen ist. Denn der Antragsteller wurde erst mit Schreiben vom 10. August 2023 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört und mit dem aus Sicht des Antragsgegners bestehenden Sachverhalt konfrontiert. Es kann nicht ernsthaft von jemandem verlangt werden, detaillierte Angaben zu einem über drei Monate zurückliegenden Tag (hier: 7. Mai 2023) zu machen, wenn – wie hier nach den Schilderungen des Antragstellers nicht der Fall – nicht besondere Umstände vorliegen, die eine höhere Erinnerungsleistung rechtfertigen würden. Das gilt erst recht, wenn die Möglichkeit einer unbewussten Einnahme von Cocain im Raum steht. Auch die Kontrolle am 8. Mai 2023 und die daraufhin erfolgten Gespräche mit seiner Ehefrau dürften daran im Wesentlichen nichts ändern. Dass der Antragsteller nicht bemerkt haben will, wie seine Ehefrau ihm das Cocain verabreicht hat, insbesondere wie sie ihm einen Teil des Cocains auf sein Geschlechtsteil aufgetragen hat, erscheint – unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Schlafanzüge getragen haben oder nicht – im Übrigen nicht gänzlich lebensfremd.

Dem Verwaltungsgericht ist zuzugeben, dass die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Antragstellers mangels eigener detaillierter Darstellungen nicht den Anforderungen entspricht und die eidesstattliche Versicherung erst später im Verfahren vorgelegt wurde. Mit Blick auf die nach dem vermeintlichen Vorfall am 7. Mai 2023 entstandenen Spannungen zwischen den Eheleuten, die bis zu einer Trennung der Eheleute geführt haben sollen, erscheint es dem Senat nicht lebensfremd, dass der Antragsteller nicht gleich zu Beginn des behördlichen Verfahren an seine Ehefrau mit der Bitte um eine eidesstattliche Versicherung herangetreten ist.

Das Verwaltungsgericht stellt zutreffend fest, dass die Ehefrau des Antragstellers den Antragsteller einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt hätte. Eine etwaige Naivität und der stärker werdende Wunsch nach einer Wiederbelebung des Sexuallebens der Eheleute lässt es jedoch durchaus als möglich erscheinen, dass die Ehefrau des Antragstellers ihr Vorhaben in der Hoffnung umgesetzt habe, es werde nichts Schlimmes passieren.

Soweit der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Antragstellers deshalb nicht für plausibel erachten, weil er einen Polizeibeamten während der Kontrolle am 8. Mai 2023 gefragt haben soll, „mal unter uns gesagt“, wie lange man warten solle, nachdem man „etwas“ konsumiert habe, bleibt die Frage, ob ein solches Gespräch stattgefunden hat, einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Der Antragsteller bestreitet das Gespräch. Hierfür könnte sprechen, dass das Gespräch nicht im Bericht zur Kontrolle aufgeführt ist und sich der Polizeibeamte dazu erst auf Nachfrage des Antragsgegners mit E-Mail vom 21. Dezember 2023 (Bl. 145 BA A) geäußert hat. Auf der anderen Seite erscheint es nicht abwegig, dass sich der Polizeibeamte aufgrund des auffälligen Fahrzeugs des Antragstellers noch an den über sechs Monate zurückliegenden Vorfall erinnern konnte. Bei der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren dürfte ebenfalls zu berücksichtigen sein, was aus der Annahme eines solchen Gesprächs folgt. Hätte der Antragsteller tatsächlich am Vorabend der Verkehrskontrolle bewusst Cocain konsumiert, wäre es lebensfremd, wenn er dann den Polizeibeamten im Rahmen einer Verkehrskontrolle nach der Abbauzeit befragt. Das gilt gerade vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller sowohl privat als auch beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Der Umstand, dass das Vorbringen des Antragstellers den von ihm geschilderten Ablauf als möglich erscheinen lässt, führt vorliegend jedoch nicht dazu, dass sein Widerspruch voraussichtlich Erfolg haben wird, mit der Folge, dass seine Beschwerde Erfolg hätte und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen wäre. Denn die weitere Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere die Frage, ob das Gespräch zwischen dem Antragsteller und dem Polizeibeamten stattgefunden hat und was daraus folgt, sowie die Vernehmung der Ehefrau des Antragstellers und die etwaige Auswertung des Browserverlaufs des von der Ehefrau benutzten Computers/Handys, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Antragstellers genügt hierfür schon mangels eigener detaillierter Darstellungen nicht aus. Angaben, die der Antragsgegner und auch das Verwaltungsgericht im Vorbringen des Antragstellers vermissen (zum Beispiel ein etwaiger Drogenkonsum der Ehefrau, nähere Angaben zum Kauf des Cocains), kann aufgrund der vorgetragenen Umstände nur die Ehefrau des Antragstellers machen.“

Aber:

„(2) Lässt sich demnach die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19. Februar 2024 nicht hinreichend zuverlässig abschätzen, kann lediglich eine Interessenabwägung in Form einer Folgenabschätzung vorgenommen werden. Dabei sind die Folgen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt wird, die angefochtene Verfügung sich aber als rechtmäßig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung nicht wiederhergestellt wird, sich die Verfügung aber später als rechtswidrig erweist. Auf die betroffenen Grundrechte ist in besonderer Weise Bedacht zu nehmen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -, juris Rn. 26; OVG Münster, Beschlüsse vom 19. Februar 2013 – 16 B 1229/12 –, juris Rn. 12).

Für den Antragsteller streiten neben dem Umstand, dass er aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist (Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –), sein Interesse an motorisierter Fortbewegung, eine vom Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützte Rechtsposition, und seine damit verbundenen persönlichen Belange. Dem stehen die höchstwertigen Rechtsgüter, zu deren Schutz die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt, nämlich vor allem Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an sich sowie bedeutende Sachwerte der Allgemeinheit gegenüber.

Im Ergebnis der Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs das private Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung seiner Fahrerlaubnis……“