Verjährung bei der Pauschgebühr nach 3 Jahren, oder: Aber: Ab wann feiert das LG Bochum Weihnachten?

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Heute am RVG-Tag dann zwei OLG-Entscheidungen zur Pauschgebühr des Pflichtverteidiges (§ 51 RVG). Beide Entscheidungen sind „unschön“.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 27.02.2024 – 5 AR 7/24 -, der folgenden Sachverhalt hat: Der Kollege, der mir den Beschluss geschickt hat, war Pflichtverteidiger des Angeklagten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Totschlags. Er ist der Verurteilten am 01.11.2017 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Nach Teilaufhebung eines ersten Urteils und Zurückverweisung durch den BGH verurteilte das LG Bochum die Verurteilte am 25.09.2019 wegen Totschlags. Mit Beschluss vom 12.02.2020 hat der BGH die gegen dieses Urteil gerichtete Revision verworfen.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2023, eingegangen beim LG Bochum am selben Tag, hat der Kollege beantragt, ihm eine Pauschvergütung gemäß § 51 RVG zu bewilligen. Beim OLG ging der Antrag nach dem 15.01.2024 ein. Die Vertreterin der Staatskasse hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das OLG hat den Antrag zurückgewiesen:

„Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 S. 1 RVG war
zurückzuweisen, da die von der Vertreterin der Staatskasse erhobene
Verjährungseinrede (§ 214 BGB) durchgreift.

1. Der Anspruch des Pflichtverteidigers auf Bewilligung einer Pauschgebühr verjährt nach allgemeiner Auffassung in entsprechender Anwendung des § 195 BGB in drei Jahren (Beschlüsse des erkennenden Senats vom 23.01.2020 – III 5 RVGs 71/19 und vom 14.07.2014 — III 5 RVGs 57/14; KG Berlin NStZ-RR 2015, 296; OLG Braunschweig NJW-RR 2019, 761; Gerold/Schmidt-Burhoff, 26. Aufl., 2023, § 51 RVG Rn. 52 m.w.N.). Die Verjährungsfristbeginnt hierbei entsprechend § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB in dem Jahr, in welchem der Vergütungsanspruch fällig geworden ist und damit mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens (OLG Braunschweig NJW-RR 2018, 761; KG Berlin NStZ-RR 2015, 296). Da das dem Vergütungsanspruch zugrundeliegende Verfahren mit der Verwerfung der Revision am 12.02.2020 rechtskräftig abgeschlossen wurde, endete die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2023.

2. Die vorbezeichnete Verjährungsfrist ist durch den Pauschgebührenantrag des Antragstellers vom 14.12.2023 nicht rechtzeitig gehemmt worden. Die Verjährungsfrist wird ausschließlich durch den Eingang des Pauschgebührenantrags bei dem zur Entscheidung berufenen Oberlandesgericht gewahrt, während der Eingang des Antrags bei einem unzuständigen Gericht keinen Einfluss auf Lauf der Verjährung hat (OLG Braunschweig NJW-RR 2019, 761; Gerold/Schmidt- Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 54). Vorliegend ging der Antrag erst am 15.01.2024 und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist beim Oberlandesgericht Hamm ein.

3. Die Erhebung der Verjährungseinrede durch die Vertreterin der Staatskasse stellt auch keine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242 BGB dar.

a) Eine unzulässige Rechtsausübung ist nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände vorliegen, die die Einrede als groben Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Beck’scherOK-Henrich: Stand: 01.02.2023, § 214 BGB Rn. 9). Voraussetzung hierfür ist, dass der Schuldner den Gläubiger durch sein Verhalten objektiv – sei es auch unabsichtlich – davon abgehalten hat, verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre (BGH NJW-RR 2022, 740 Rn. 49 m.w.N.). Insofern ist ein strenger Maßstab anzulegen (BGH BeckRS 2018, 31360).

b) Hiervon ausgehend kann vorliegend ein grober Treueverstoß nicht darin erblickt werden, dass das Landgericht Bochum den am 14.12.2023 eingegangenen Antrag nicht verjährungsfristwahrend bis zum 31.12.2023 an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat. Da die Prüfung der Verjährungsfrist nicht zu den Aufgaben des Landgerichts gehört, käme ein grober Treueverstoß allenfalls dann in Betracht, wenn sich dem Landgericht die Eilbedürftigkeit der Weiterleitung hätte aufdrängen müssen und es gleichwohl die unverzügliche Weiterleitung des Antrags unterließ. Dies ist indes nicht der Fall. Im Pauschvergütungsantrag wird zum einen nicht auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit hingewiesen. Zum anderen lagen unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage. zwischen Antragseingang und Ablauf der Verjährungsfrist lediglich neun Arbeitstage. Dass in dieser Zeitspanne keine Weiterleitung an das Oberlandesgericht erfolgt, stellt jedenfalls bei mangelndem Hinweis auf die Eilbedürftigkeit keine grobe Treuwidrigkeit dar.“

Dazu folgendes:

1. Die rechtlichen Ausführungen des OLG zum Eintritt der Verjährung und der nicht erfolgten Hemmung des Ablaufs der Verjährungsfrist sind zutreffend. Es ist nun mal herrschende Meinung, dass nur der Eingang des Pauschgebührantrages beim zuständigen OLG die Verjährungsfrist unterbricht (s. auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 51 Rn 91 ff. mit weiteren Nachweisen). Den Schuh, das übersehen zu haben, muss der Verteidiger sich hier schon anziehen. Auch wenn es sich sonst zur Verfahrensbeschleunigung empfehlen kann, den Pauschgebührantrag nicht beim OLG sondern beim „Tatgericht“ zu stellen, muss man damit – wie dieser Fall schmerzlich zeigt – vorsichtig sein. Denn: Geholfen wird dem Pflichtverteidiger nicht bzw. man lässt keine Milde mit ihm und seinem (vermutlichen) „Irrläufer“ walten.

2. Und dieser Punkt führt dann – zumindest bei mir zur Verärgerung -, und zwar sowohl über die Vertreterin der Staatskasse als auch über das OLG. Dazu stelle ich mir zwei Fragen:

  • Zunächst stellt sich schon die Frage, warum die Vertreterin der Staatskasse überhaupt die Einrede der Verjährung erhoben hat. Ich verkenne nicht, dass das natürlich ihr gutes (?) Recht war, aber: Musste das hier sein? Denn der Antrag des Pflichtverteidigers war ja an sich fristwahrend eingegangen, wenn auch beim unzuständigen Gericht. Warum muss man dann, wenn der Antrag gut zwei Wochen später – endlich, dazu gleich mehr – beim zuständigen Gericht eingegangen ist, die Einrede der Verjährung erheben und so die Chance auf eine Pauschgebühr zunichtemachen. Und das alles in Kenntnis des Umstandes, dass das LG/die Justiz mehr als einen Monat gebraucht hat, um den Antrag zum zuständigen OLG zu befördern.
  • Und dann das OLG.  Ist es wirklich kein „grober Verstoß“? Der Antrag geht 17 Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist am 31.12.2023 am 14.12.203 beim LG Bochum ein. Und was macht man dort? Man feiert offenbar vorab schon mal Weihnachten bzw. ist in Weihnachtsurlaub, jedenfalls hält man es nicht für nötig, mal in den Antrag zu schauen, der ja erkennbar nicht in die Zuständigkeit des LG fiel. Hätte man das getan, dann hätte man vielleicht erkannt, dass dieser Antrag schnell noch zum OLG gesandt werden musste, damit er dort noch vor dem 31.12.2023 einging. Es ist richtig, dass die Prüfung der Verjährungsfrist nicht in den Zuständigkeitsbereich des LG fällt. Aber man kann doch wohl von einem Schwurgericht – dort dürfte der Antrag in dem Verfahren mit dem Totschlagsvorwurf eingegangen sein – erwarten, dass es diese Fristen kennt, denn es wird im Zweifel häufiger mit Pauschgebührfragen zu tun haben. Zwischen Eingang des Antrags und Ablauf der Verjährungsfrist lagen immerhin neun Arbeitstage. Also Zeit genug zu prüfen und den Antrag an das OLG zu senden. Beim LG Bochum dürfte man auch über ein Fax verfügen. Zur Not hätte man auch eine Postkutsche beauftragen können und der Antrag wäre im Zweifel immer noch rechtzeitig beim OLG eingegangen. Das alles interessiert das OLG aber nicht bzw. wird mit den Argumenten: Der Verteidiger hat auf den drohenden Fristablauf nicht hingewiesen und schließlich stand Weihnachten vor der Tür, weggewischt.

Ich verkenne nicht, dass der Ursprungsfehler beim Kollegen lag, Aber trotzdem: Ärgerlich.

OWi III: Die Rechtspflegerin will nicht protokollieren, oder: Wiedereinsetzung wegen Fehler der Justiz

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 22.02.2024 – III 1 ORbs 38/24 – auch eine etwas kuriose Sache.

Das AG hat mit Urteil vom 20.10.2023 den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene zum Hauptverhandlungstermin unentschuldigt nicht erschienen sei. Das Urteil ist dem Betroffenen am 27.10.2023 zugestellt worden.

Mit persönlich verfasstem Schreiben vom 29.10.2023, eingegangen beim AG am selben Tag, hat der anwaltlich nicht vertretene Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.

Am 24.11.2023 hat der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle beim AG begründet. Er hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und zur Begründung ausgeführt, das Urteil verletze ihn in mehrfacher Hinsicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Unter anderem sei sein Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen rechtsfehlerhaft vom AG abgelehnt worden.

Mit Schreiben vom 04.12.2023, eingegangen beim AG am selben Tag, hat der Betroffene die protokollierende Rechtspflegerin dann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Diese habe ihn gehindert, lückenlos zum Verfahrensgang vorgetragen und erklärt, dies sei gar nicht notwendig. Den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat der Betroffene sodann noch im selben Schreiben ergänzend begründet und in diesem Rahmen nähere Ausführungen zum Verfahrensgang getätigt.

Das OLG hat den Zulassungsantrag des Betroffenen als derzeit unzulässig angesehen und den betroffefen darauf hingewiesen, dass ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des AG gewährt werden kann, wenn er innerhalb einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des OLG-Beschlusses beginnt den Zulassungsantrag (noch einmal) formgerecht begründet. Dazu hat es die Akten an das AG zurückgegeben. Begründung:

„Der Zulassungsantrag des Betroffenen ist (derzeit) unzulässig.

Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist die vom Betroffenen erhobene Verfahrensrüge (bisher) nicht in zulässiger Weise erhoben.

Der Betroffene wird jedoch darauf hingewiesen, dass er Gelegenheit hat, binnen einer Frist von einem Monat, die mit Zustellung dieses Beschlusses zu laufen beginnt, einen formgerechten Zulassungsantrag zur Akte zu reichen.

Im Einzelnen:

1. Der Betroffene hatte bei der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde die Vorgaben der §§ 344, 345 StPO, 80 Abs. 3 S. 3 OWiG zu beachten.

Danach bedurfte es der Einreichung einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder einer Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 345 Abs. 2 StPO).

Der Betroffene hat den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zwar fristgerecht – am 24. November 2023 – zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet.

Dem protokollierten Vorbringen ist auch zu entnehmen, dass der Betroffene die Verletzung seines rechtlichen Gehörs rügt, das er in mehrfacher Hinsicht verletzt sieht, unter anderem weil seinem Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu Unrecht nicht stattgegeben worden sei.

Ebenso geht der Betroffene in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon aus, dass der Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör verletzt ist, wenn über einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen überhaupt nicht oder ohne eine auf § 73 Abs. 2 OWiG zurückführbare Begründung entschieden wird. Dies entspricht ständiger Senatsrechtsprechung.

Gleichwohl ist eine Versagung des rechtlichen Gehörs vorliegend nicht hinreichend dargetan.

Die Versagung des rechtlichen Gehörs ist mit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE v. 04.02.1999, NZV 1999, 264; SenE v. 15.04.1999, NZV 1999, 436; SenE v. 08.01.2001, DAR 2001, 179; SenE v. 11.01.2001, VRS 100, 204). Das Rügevorbringen muss so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob die Voraussetzungen für eine Entbindung von der Anwesenheitspflicht nach § 73 Abs. 2 OWiG vorlagen (SenE v. 21.12.2001, NStZ 2002, 268 [269]; SenE v. 11.01.2002, NStZ-RR 2002, 114 [116]; OLG Hamm, VRS 107, 120 [122]; OLG Koblenz, zfs 2005, 311; OLG Saarbrücken, VRS 114, 50 [51]). Zur gesetzmäßigen Ausführung der Rüge bedarf es neben der Mitteilung des Entbindungsantrags und der ablehnenden Gerichtsentscheidung der genauen Darlegung der Einzelumstände, aus welchen Gründen ein Anspruch auf Entbindung bestand.

Eine Verfahrensrüge betreffend die Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen ist nach diesen Maßgaben (bisher) nicht in zulässiger Weise erhoben worden.

Die Überprüfung der Verfahrenstatsachen auf der Grundlage des zu Protokoll der Geschäftsstelle gegebenen Beschwerdevorbringens des Betroffenen ergibt zwar, dass der Betroffene einen Antrag auf Entbindung von der Teilnahme an der Hauptverhandlung vom 20. Oktober 2023 gestellt hat. Der Antrag soll am 13. Oktober 2023 beim Amtsgericht Geilenkirchen eingegangen sein.

Das Rügevorbringen ist indes schon deshalb unvollständig, weil die Erklärungen zur Niederschrift im Protokoll der Geschäftsstelle den Inhalt des Entbindungsantrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses nicht ausreichend vollständig wiedergeben. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nur entnehmen, der Betroffene habe erklärt, er wolle sich in der Hauptverhandlung ,,zur Sache“ nicht einlassen. Im weiteren Verlauf der Beschwerdebegründung heißt es, der Betroffene habe bekundet, „sich in tatsächlicher Hinsicht“ nicht zu erklären. Auch soll die Formulierung ,.zum jetzigen Zeitpunkt“ verwendet worden sein. Der genaue Wortlaut erschließt sich indes nicht. Auch fehlt es an einer hinreichenden Wiedergabe der vom Betroffenen angegebenen Gründe, mit welchem er seinen Entpflichtungsantrag begründet hat. Eine hinreichende Darstellung des Inhalts des Ablehnungsbeschlusses des Amtsgerichts fehlt ebenfalls.

Ein Rückgriff auf die Ausführungen in dem vom Betroffenen persönlich gefertigten Schreiben vom 4. Dezember 2023 ist dem Senat verwehrt, da das Schreiben nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entspricht.

2. Eine Verwerfung des Rechtsmittels des Betroffenen als unzulässig (§§ 349 Abs. 1 StPO, 80 Abs. 4 OWiG) kommt derzeit gleichwohl nicht in Betracht. Eine Entscheidung über den Zulassungsantrag kann derzeit noch nicht ergehen.

Denn schon nach Aktenlage erscheint es hinreichend glaubhaft im Sinne von §§ 44 Abs. 1 S. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG, dass der Betroffene ohne eigenes Verschulden an der Einreichung einer formgerechten Antragsbegründungsschrift gehindert gewesen ist, weil die zuständige Rechtspflegerin davon abgesehen hat, eine vom Betroffenen gewünschte Darstellung des Verfahrensverlaufs zu protokollieren. Hierfür spricht die Aktenlage und insbesondere der Inhalt des Schreibens des Betroffenen vom 4. Dezember 2023. Der Senat geht deshalb davon aus, dass eine Protokollierung des genaueren Verfahrensgangs aus Gründen, die maßgeblich im Verantwortungsbereich der Justiz liegen, unterblieben ist.

Sind aber – wie hier – die Gründe für die (derzeitige) Unzulässigkeit eines Rechtsmittels in der Sphäre der Justiz entstanden, kann dem mit der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen gegen die Versäumung der Frist zur An-bringung einer (formgerechten) Rechtsmittelbegründung begegnet werden (BVerfG, NJW 2013, 446; BVerfG BeckRS 2006, 28183; Gericke in Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl. 2023, § 345 Rdn. 26).

Die mithin grundsätzlich mögliche Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann allerdings – selbst wenn der Wiedereinsetzungsgrund in einer fehlerhaften Sachbehandlung durch die Justiz liegt – erst gewährt werden, wenn die versäumte Handlung (hier die formgerechte Rechtsmittelbegründung) nachgeholt worden ist (§ 45 Abs. 2 S. 2 u. S. 3 StPO, 46 Abs. 1 OWiG).

Hierauf ist der Betroffene hinzuweisen.

Ihm ist Gelegenheit zur formgerechten Begründung seines Rechtsmittels zu geben, wobei ihn die in § 45 StPO vorgesehene Wochenfrist mit Blick auf die Kenntniserlangung während des laufenden Rechtsmittelverfahrens, dass seine Rechtsmittelbegrün-dung aufgrund eines Verschuldens der Justiz in nicht zulässiger Weise erfolgt ist und was er nun zu unternehmen hat, unangemessen benachteiligen würde. Zu gewähren ist ihm daher – in Anlehnung an die Fristbestimmung in §§ 345 StPO, 80 Abs. 3 OWiG – eine Frist von einem Monat (vgl. SenE v. 07.12.2023 – 111-1 ORbs 359/23; SenE v. 19.09.2023 – 111-1 ORs 109/23; OLG Bamberg, Beschluss v. 25.10.2017 – 2 Ss OWi 1399/17 — juris).

Die hiernach für die Nachholung der Rechtsmittelbegründung maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist von einem Monat beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem der Betroffene über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit belehrt wird (vgl. BVerfG NJW 2013, 446; BVerfG NStZ-RR 2005, 238; BVerfG, Beschluss v. 27.06.2006 – 2 BvR 1147/05, juris).

3. Der Betroffene erhält nach alledem Gelegenheit, binnen eines Monats nach Zustellung dieser Senatsentscheidung sein Rechtsmittel (erneut) zu begründen.

Er wird darauf hingewiesen, dass die Begründung nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erfolgen kann (§ 345 Abs. 2 StPO).

Zum Zweck der Entgegennahme einer evtl. weiteren Rechtsmittelbegründung sind die Akten an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückzuleiten.

Vorsorglich wird auch darauf hingewiesen, dass eine von dem Betroffenen persönlich gefertigte Revisionsbegründungsschrift und von dem Rechtspfleger lediglich am Schluss des Protokolls mitunterzeichnete Rechtsbeschwerdebegründung nicht den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Protokollierung im Sinne von § 345 Abs. 2 StPO entspricht. Die wirksame Erklärung der Rechtsmittelbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle setzt voraus, dass der – hierfür zuständige – Rechtspfleger, der eine Prüfungs- und Belehrungspflicht innehat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 345 Rdn. 21), an der Erklärung inhaltlich mitwirkt.“

Jetzt geht dann hoffentlich nichts mehr daneben 🙂 .

OWi II: OLG beanstandet wortreich Schuldspruch, oder: Aufhebung nur der Rechtsfolgen? – Brett vorm Kopf

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Jena, Beschl. v. 04.04.2024 – 1 ORbs 191 SsBs 9/24, der mich (auch) ein wenig ratlos zurücklässt.

Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot von 1 Monat angeordnet. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die beim OLG – Einzelrichter – Erfolg hat. Genauer: „teilweise Erfolg hat“, denn das OLG hat „im Rechtsfolgeausspruch mit den zugehörigen Feststellungen sowie in der Kostenentscheidung aufgehoben.“

Zur Begründung bezieht es sich auf die Zuschrift der GStA, die es „einrückt“. In der heißt es:

„Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 30.01.2024 ebenfalls beantragt, das Urteil wegen sachlich-rechtlicher Mängel aufzuheben.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:

„1. Das angegriffene Urteil leidet zum einen an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, weil es die Einlassung des Betroffenen nicht wiedergibt. Zwar ergibt sich aus der Verfahrensvorschrift des § 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht, dass das Gericht in jedem Fall verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil wiederzugeben, in der die Einlassung des Betroffenen mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird.  Gänzlich entbehrlich ist die Wiedergabe und Auseinandersetzung mit der Einlassung grundsätzlich nur in seltenen Ausnahmefällen, die sachlich und rechtlich einfach gelagert und von geringer Bedeutung sind (Göhler, OWiG, 18. Aufl. (2021), § 71 Rn. 43 m.w.N.)

Anhand der Urteilsbegründung lässt sich nur erahnen, dass der Betroffene seine Fahrer-eigenschaft abgestritten hat. Dies folgt insbesondere aus den Ausführungen zu den Ein-schätzungen der Sachverständigen bzw. den Angaben zu einem Beweisantrag zur Einvernahme des Zeugen P. Das Urteil schweigt jedoch zu der Frage, ob der Betroffene seine Fahrereigenschaft qualifiziert oder lediglich pauschal bestritten hat. Angesichts dessen lässt sich durch das Rechtsbeschwerdegericht aber nicht beurteilen, ob der Bußgeldrichter eine (evtl.) Einlassung des Betroffenen zur Fahrereigenschaft unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Ausführungen der Sachverständigen rechtlich zutreffend gewürdigt hat. Insbesondere bei der oftmals problematischen und daher die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machenden Frage einer Fahreridentifizierung ist es regelmäßig für die Überprüfung der Beweiswürdigung unabdingbar mitzuteilen, ob und wenn ja, wie, sich der Betroffene eingelassen hat

Eine Wiedergabe bzw. Auseinandersetzung mit einer Einlassung des Betroffenen war schließlich schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Betroffene wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden ist.

2. Das angegriffene Urteil leidet hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft auch in-soweit an einem weiteren Darstellungsmangel, als sich aus dem Urteil nicht in einer für das Rechtsbeschwerdegericht hinreichend rechtlich nachprüfbarer Weise ergibt, worauf das Amtsgericht seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen zur Tatzeit stützt.

Gründet die Überzeugung des Tatrichters von der Identität des Betroffenen zum Tatzeitpunkt auf einer Lichtbildidentifizierung der Person des Betroffenen, muss auf ein bei den Akten befindliches und nicht selbst oder als Kopie in das Urteil unmittelbar aufgenommenes Messfoto bzw. Frontfoto oder Radarfoto, soll es zum Bestandteil der Urteilsurkunde werden, deutlich und zweifelsfrei nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen werden, um so über die Dokumentation und Beschreibung der Art und Weise der Beweiserhebung hinaus unmissverständlich auch den Willen zur Verweisung bei Abfassung der Urteilsgründe zum Ausdruck zu bringen Notwendig und ausreichend ist vielmehr, dass der Wille zur Bezugnahme unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit eindeutig und bestimmt zum Ausdruck gebracht ist (BayObLG Beschl. v. 18.2.2021 —202 ObOWi 15/21, BeckRS 2021, 14749, Rn. 4 m.w.N.). Eine diesen Mindestanforderungen genügende Bezugnahme ist hier nicht erfolgt.

Das Tatgericht hat seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund eines Bezugsbildes gestützt („Bild der Geschwindigkeitsmessung“), ohne freilich hier oder an anderer Stelle seines Urteils einen Hinweis auf die konkrete Fundstelle des erwähnten „Bezugsbildes“ bzw. das nach seiner Überzeugung den Betroffenen abbildende „Foto“ oder „Messfoto“ in den Gerichtsakten zu geben, wozu allerdings zumindest die Angabe einer bestimmten Blattzahl erforderlich, aber auch regelmäßig ausreichend gewesen wäre (BayObLG a.a.O. Rn. 6 m.w.N.). Das Amtsgericht hat damit auch unter Berücksichtigung der Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit nicht in zureichender und wirksamer Weise, nämlich durch ausdrückliche und genaue Nennung der Fundstelle in den Akten -ggf. in Verbindung mit einer unmittelbar anschließenden zusätzlichen Beschreibung der als charakteristisch erachteten Merkmale der Physiognomie des Betroffenen – deutlich und zweifelsfrei erklärt, über die Beschreibung des Vorgangs der Beweiserhebung als solche hinaus auf ein bestimmtes Messfoto Bezug zu nehmen. Es hat deshalb das in den Gründen genannte Foto nicht wirksam zum Bestandteil der Gründe seines Urteils gemacht mit der Folge, dass es dem Senat wegen des Fehlens einer prozessordnungsgemäßen Bezugnahme verwehrt bleibt, die fragliche Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen und selbst zu beurteilen, ob diese als taugliche Grundlage einer Identifizierung in Betracht kommt.

Eine für den Fall der fehlenden Bezugnahme alternativ erforderliche Beschreibung des Frontfotos durch das Tatgericht fehlt zudem in Gänze.

Sieht der Tatrichter – wie hier – von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit ermöglicht wird….

Bei der Beantwortung der Frage, ob nach diesen Grundsätzen die vom Tatgericht gegebene Beschreibung des Fahrers ausreichend ist, darf jedoch die sonstige Beweissituation nicht außer Betracht bleiben. Bestreitet der Betroffene mit näheren Ausführungen, der Fahrer gewesen zu sein, und benennt er etwa andere Personen, die als Fahrer in Betracht kommen, so kann eine eingehendere Darstellung der Beweiswürdigung – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer erweiterten Beweisaufnahme geboten sein. Umgekehrt kann eine Gesamtwürdigung aller Umstände – der sich aus dem Foto ergebenden Anhaltspunkte sowie weiterer Indizien, etwa der Haltereigenschaft, der Fahrtstrecke oder -zeit – auch dann zur Überführung des Beschuldigten ausreichen, wenn der Vergleich des Fotos mit dem Betroffenen für sich allein diesen Schluss nicht rechtfertigt (so Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. Mai 2006 —1 Ss 106/06 —, juris, Rn. 23)“

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an. Die Beweiswürdigung ist daher in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung eine der Betroffenen günstigere Entscheidung ergangen wäre. Damit beruht das angegriffene Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern.

Auf die weitergehend erhobene Rügen der Verteidigung kommt es nicht an.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Stadtroda zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).“

Es ist ja schön, dass wir das alles noch einmal lesen dürfen, was das OLG da aus anderen abegschrieben hat. Nun ja, warum auch nicht, da die Frage ja schon zig-mal entschieden sind.

Nur, was neu ist und war ich nicht verstehe:  Warum wird nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben ist. Es ist doch nichts beschränkt und die Ausführungen des OLG beziehen sich allein auf den Schuldspruch. Der hätte doch aufgehoben werden müssen, zumal das OLG zu den Rechtsfolgen kein Wort verliert. Was übersehe ich? Wo und warum habe ich „ein Brett vorm Kopf“?

Ich habe dem Kollegen, der mir die Entscheidung geschickt hat, geraten, doch ganz schnell Berichtigung zu beantragen. 🙂

OWi I: Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, oder: Hat das AG nicht erneut die Akte angesehen?

Smiley

Und dann ein wenig aus dem OWi-Bereich, aber nichts Besonderes, sondern „Main-Stream“. Alle drei Entscheidungen behandeln verfahrensrechtliche Fragen.

Ich starte mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28.03.2024 – 2 ORbs 350 SsBs 54/24.

Das AG hatte den Betroffenen am 20.12.2022 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 500 EUR verurteilt. Auf die dagegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte das OLG Karlsruhe das Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und zurückverwiesen.

Mit Urteil vom 12.09.2023 verhängte das AG gegen den Betroffenen dann wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße in Höhe von 200 EUR und ordnete zudem ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG an. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene erneut mit der Rechtsbeschwerde, die – zum Teil – erfolgreich war. Das OLG hat das Fahrverbot entfallen lassen:

„1. Soweit das Amtsgericht gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt hat, hat es wie der Rechtsbeschwerdeführer und die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegen – gegen das Verbot der Schlechterstellung gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 358 Abs. 2 S. 1 StPO verstoßen (vgl. OLG Bamberg, NStZ-RR 2015, 184; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.07.1993 – 3 Ss 99/93-, NZV 1993, 450). Das hat der Senat von Amts wegen zu beachten, weil es sich insoweit um ein Verfahrenshindernis handelt (vgl. BGH, StV 2014, 466). Der Umstand, dass das Amtsgericht die ursprüngliche Geldbuße von 500 Euro auf 200 Euro reduziert hat, ändert hieran nichts (OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 02.07.2007 – 3 Ss Owi 360/07 -, NZV 2007, 635).

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.01.2024 zutreffend genannten Gründen, auf die der Senat verweist, als unbegründet verworfen.

3. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die rechtsfehlerhafte Verhängung des Fahrverbots wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot (dazu: BGH, Beschluss vom 11.11.1970 – 4 StR 66/70 – = BGHSt 24,11) auf die Bußgeldhöhe ausgewirkt hat, was sich hier bereits an der vom Amtsgericht vorgenommenen Reduzierung der ursprünglichen Bußgeldhöhe zeigt. Das Amtsgericht wäre auch im Falle einer Zurückverweisung der Sache nicht wegen des Verschlechterungsverbots gehindert, nunmehr eine die zuletzt verhängte Geldbuße von 200 Euro übersteigende Geldbuße festzusetzen. Denn im Hinblick darauf, dass das Fahrverbot die schwerwiegendere Sanktion darstellt, wäre insoweit die Verhängung einer höheren Geldbuße anstelle des Fahrverbots als milderes Mittel nicht unzulässig (BGH, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.).

Der Senat sieht aber auf den entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hin aus prozessökonomischen Gründen und im Hinblick auf den Zeitablauf seit der Tat von einer (erneuten) Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache ab und macht von der ihm nach § 79 Abs. 6 OWiG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden. Entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift kann er auch dann ohne vorherige Aufhebung des angefochtenen Urteils selbst entscheiden, wenn und soweit er – wie vorliegend – der angefochtenen Entscheidung im Übrigen folgt und die vom Amtsgericht getroffenen Feststellung für eine eigene Bewertung der Rechtsfolgen ausreichend sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18.07.1997 – 2 ObOWi 352/97 -, BeckRS 1997, 7105; OLG Bamberg, a.a.O.). Da es sich bei der vom Amtsgericht verhängten Geldbuße von 200 Euro um die Regelgeldbuße gemäß Nr. 11.3.6 BKat handelt, sieht der Senat keinen Anlass, hiervon nach oben oder unten abzuweichen. Trotz der vorhandenen Voreintragungen im FAER erschien eine Erhöhung der Regelgeldbuße im Hinblick darauf, dass die Tat inzwischen mehr als 1 1/2 Jahre zurückliegt und der Betroffene seither nicht mehr in Erscheinung getreten ist, nicht mehr sachgerecht.“

Ich frage mich: Hat man beim AG die Akten nicht noch einmal gelesen? Kopfschüttel…..

StGB III: Gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr, oder: Feststellungen und Fahrlässigkeit

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Und dann noch der OLG Köln, Beschl. v. 04.04.2024 – 1 ORs 45/24, und zwar zum gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr.

Zum Tatgeschehen hat das AG Folgendes festgestellt:

„Die Betroffene befuhr am 06.05.2022 mit einem Pkw Audi R8 mit dem amtlichen Kennzeichen pp. unter anderem den Rheinparkweg in Köln. Sie befand sich mit ihrem Ehemann auf der Rückfahrt von einem Konzert vom Tanzbrunnen. Sie fuhr das Fahrzeug nicht oft. Bei der Ausfahrt aus dem dortigen Kreisverkehr auf den Auenweg gegen 23:33 Uhr beschleunigte die Angeklagte den Pkw zu stark. Nach 300 m brach das Heck des Fahrzeugs aus und die Angeklagte verlor die Kontrolle über das Fahrzeug. Der Pkw fuhr unkontrolliert über die Gegenspur und den Gehweg. Hinter dem Gehweg befand sich, abgetrennt durch einen Gitterzaun und Sträucher, das Gleisbett des [gemeint: der] Deutschen Bahn AG. Der Pkw durchbrach den Zaun und das Gebüsch und befand sich sodann auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG, wobei er in den Schienenverkehr hineinragte. Nachdem die Zugstrecke durch die Polizei gesperrt worden war, näherte sich gleichwohl gegen 23:44 Uhr, als sich die Polizeibeamten und der Ehemann der Angeklagten dem Fahrzeug genähert und die Papiere aus dem Handschuhfach entnommen hatten, ein ICE auf den Gleiches [wohl gemeint: „Gleisen].“ Der Zugführer übersah den dort befindlichen Pkw und touchierte die Front des Pkw mit einer Geschwindigkeit von 35-40 km/h, wodurch diese erheblich beschädigt wurde. Am ICE entstand nur ein leichter Sachschaden. Der Zusammenstoß war von dem Zugführer gar nicht bemerkt worden.“

Verurteilt worden ist wegen Verstoßes gegen § 315 Abs. 1 Nr. 2 StG. Die Sprungrevision hatte Erfolg. Dem OLG genügen die Feststellungen des AG nicht:

„a) Zunächst bestehen allerdings keine Bedenken, soweit das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass die Angeklagte ein Hindernis im Sinne von § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB bereitet hat, indem sie infolge zu starker Beschleunigung die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren hat, welches daraufhin unkontrolliert über die Gegenspur und den Gehweg fuhr, einen Gitterzaun und das Gebüsch durchbrach und sich daraufhin auf dem Gelände der Deutschen Bahn AG befand, wo es in den Schienenverkehr hineinragte.

Unter einem Hindernisbereiten ist jede Einwirkung im Verkehrsraum zu verstehen, die geeignet ist, den reibungslosen Verkehrsablauf zu hemmen oder zu verzögern (BGH NStZ-RR 2020, 183 m.w.N.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 9 m.w.N.). In Fällen, in denen ein Fahrzeug – wie hier – auf die Schienen gelangt, ist die Erfüllung dieses Tatbestandes besonders augenfällig (BGH NJW 1959, 1187).

b) Auch kann aufgrund der getroffenen Feststellungen davon ausgegangen werden, dass das Verhalten der Angeklagten zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Schienenbahnverkehrs geführt hat.

Die Verkehrssicherheit ist beeinträchtigt, wenn die normale abstrakte Verkehrsgefahr gesteigert worden ist (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 13 m.w.N.). Dies ist in Anbetracht der erfolgten Kollision zwischen ICE und Pkw belegt.

c) Demgegenüber wird der Eintritt einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben anderer Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert im Urteil nicht tragfähig begründet.

Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr erfordert, dass die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH NStZ 2022, 228; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 14). Ist ein Schaden tatsächlich eingetreten, kann die (zuvor konkret drohende) Gefahr nicht geringer, wohl aber größer gewesen sein (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 16b).

Das Amtsgericht begründet die Annahme einer konkreten Gefährdung mit der Erwägung, dass ein Zusammenstoß mit einem schienengeführten Verkehrsmittel (immer) die konkrete Gefahr des Entgleisens und dadurch entstehenden ungleich größeren Schäden beinhalte.

Nach obigen Maßgaben ist ein konkreter Gefahrerfolg hierdurch nicht belegt.

Zwar mag es naheliegen, dass im Falle einer Zugentgleisung erhebliche Gefahren für die Zuginsassen und für fremde Sachen von bedeutendem Wert drohen. Fahrgäste eines Zuges sind nicht angeschnallt. Nicht selten stehen sie oder bewegen sich in den Abteilen und Gängen, so dass im Falle einer Zugentgleisung Stürze und Verletzungen zu besorgen sind (vgl. OLG Oldenburg NStZ 2005, 387 zum Fall einer erzwungenen Notbremsung eines etwa 80 km/h schnell fahrenden Eisenbahnzuges).

Jedoch muss die Annahme eines Beinahe-Unfalls in der konkreten Tatsituation nachvollzogen werden können. Hierfür genügt es nicht, auf allgemeine Gefahren von Entgleisungen abzustellen. Vielmehr hätte dargelegt werden müssen, dass in der konkreten Tatsituation die konkrete Gefahr einer Entgleisung bestand, so dass es nur noch vom Zufall abhing, ob Rechtsgüter verletzt wurden. Insoweit hätte es einer Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalles bedurft.

Dem Urteil lässt sich hierzu lediglich entnehmen, dass der ICE mit einer Geschwindigkeit von 35-40 km/h herangenaht war und der Lokführer den Pkw übersehen haben soll. Zudem wird mitgeteilt, der Pkw habe „in den Schienenverkehr hineingeragt“. Nicht dargestellt wird jedoch, wie weit der Pkw in den Schienenverkehr hineinragte, ob also das Fahrzeug beispielsweise nur wenige Zentimeter in das Gleisbett hineinragte oder ob es sich etwa mittig auf dem Schienenkörper befand. Ohne Kenntnis der genauen Einzelfallumstände ist der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht nachzuvollziehen.

Der Gefahrerfolg lässt sich auch nicht anhand der weiteren Urteilsbegründung ableiten: Ausweislich der Urteilsgründe hat es keine Personenschäden gegeben. Am ICE soll durch den Zusammenstoß „nur leichter Sachschaden“ entstanden sein. Zwar handelt es sich bei dem ICE zweifellos um eine fremde Sache von bedeutendem Wert. Die Höhe des am ICE entstandenen Sachschadens wird indes weder beziffert noch sonst in einer Weise beschrieben, dass der Senat davon auszugehen vermag, dass an dem ICE bedeutender Schaden entstanden ist. Dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert nur ein unbedeutender Schaden droht, reicht für die Verwirklichung des Tatbestandes nicht (BGH NJW 1990, 194f.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 16b).

Hinsichtlich des von der Angeklagten gefahrenen Fahrzeugs teilt das Amtsgericht mit, dass dessen Front durch den Zusammenstoß mit dem ICE „erheblich“ beschädigt worden sei. Unabhängig von der nicht einheitlich beantworteten Frage, ob das von dem Täter selbst geführte Fahrzeug im Rahmen von § 315 Abs. 1 StGB überhaupt taugliches Gefährdungsobjekt sein kann (vgl. hierzu näher Fischer, StGB, 71. Aufl., § 315 Rdn. 16; Pegel in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. § 315 Rdn. 70 ff.), teilt das angefochtene Urteil nicht mit, in wessen Eigentum der Pkw stand, so dass jedenfalls schon nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Angeklagte selbst Eigentümerin des Fahrzeugs, mithin das Fahrzeug nicht „fremd“ ist.

2. Auch die Feststellungen zur Fahrlässigkeit sind lückenhaft. Hierauf weist die Verteidigung zu Recht hin.

a) Anhand der Urteilsgründe kann zunächst allerdings nachvollzogen werden, dass die Angeklagte objektiv sorgfaltswidrig handelte, indem sie den von ihr gefahrenen Pkw, den sie nicht oft fuhr, nach der Ausfahrt aus dem Kreisverkehr „zu stark“ beschleunigte, so dass sie über diesen die Kontrolle verlor und das Fahrzeug unkontrolliert über die Gegenfahrbahn und den Gehweg bis in das Gleisbett schleuderte. Nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVO darf derjenige, der ein Fahrzeug im Straßenverkehr führt, nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 StVO ist die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Hiergegen hat die Angeklagte ersichtlich verstoßen.

b) Nicht hinreichend belegt wird jedoch, dass der Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für die Angeklagte – als mit den Örtlichkeiten nicht vertraute Fahrerin – zur Tatzeit vorhersehbar gewesen ist.

Ein (objektiv) fahrlässiges Verhalten verlangt, dass der wesentliche Kausalverlauf und der eingetretene Erfolg nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegen dürfen, dass vernünftigerweise nicht damit gerechnet werden brauchte (BGHSt 12, 75). Dabei müssen nicht alle Einzelheiten des Geschehensablaufs prognostiziert werden können; es genügt, dass der Erfolg im Endergebnis voraussehbar gewesen ist (OLG Nürnberg NStZ-RR 2006, 248).

Das Amtsgericht trifft zu dieser Frage keine ausreichenden Feststellungen.

Es beschränkt sich auf die allgemeine Erwägung, in einer Großstadt müsse stets damit gerechnet werden, dass hinter einem Zaun auch Schienen verlaufen können.

Dem vermag der Senat – in dieser Allgemeinheit – nicht zu folgen.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt in ihrer Vorlageverfügung zutreffend aus, dass darzulegen gewesen wäre, warum die mit den Örtlichkeiten nicht vertraute Angeklagte zur Tatzeit damit hätte rechnen müssen, bei pflichtwidriger Beschleunigung und Kontrollverlust über das schleudernde Fahrzeug in das Gleisbett der Deutschen Bahn zu gelangen und dort ein Hindernis für den Bahnverkehr zu bereiten. Hierfür hätte es näherer Feststellungen zu den örtlichen Gegebenheiten, der Lichtverhältnisse und der Erkennbarkeit der Bahnstrecke bedurft. Ohne eine nähere Beschreibung der Tatörtlichkeit und einer Auseinandersetzung mit der Frage, was für einen Autofahrer, der die Örtlichkeiten nicht kennt, in der konkreten Tatsituation vorhersehbar gewesen ist, vermag der Senat nicht nachzuprüfen, ob das Geschehen möglicherweise so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung lag, dass ein mit den Örtlichkeiten nicht vertrauter Autofahrer vernünftigerweise nicht damit hatte rechnen müssen…..“