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Die über den Radweg gespannte Slackline, oder: Voller Ersatz für den stürzenden Radfahrer

Auch schon etwas älter ist das OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.07.2019 – 14 U 60/16. Entschieden hat das OLG über die Haftung nach einem (Verkehrs)Unfall mit folgendem Sachverhalt:

Die Klägerin war mit ihrem Fahrrad auf einem ca. 3,4 m breiten Rad- und Fußweg neben ihrem Ehemann im Sportgelände eines Freiburger Stadtteils unterwegs. Dort hatten die drei volljährigen Beklagten eine ca. 15 m lange und ca. 3 – 5 cm breite farbige Slackline über den Weggespannt. Diese befand sich zwischen den jeweils deutlich neben dem Weg befindlichen Pfosten eines Basketballkorbs und eines Pavillons in einer Höhe von ca. 15 bis 25 cm über dem Boden. Die Slackline war nicht zusätzlich optisch gesichert. Die Klägerin hat die Slackline übersehen und fuhr dagegen. Infolge des abrupten Halts stürzte sie über ihren Fahrradlenker und fiel mit Kopf und Schultern auf den Asphaltboden. Die Klägerin erlitte schwere Verletzungen. Sie war etwas mehr als fünf Monate arbeitsunfähig.

Das LG hatte die Beklagten dem Grunde zu 100% verurteilt, jedoch nur 10.000,00 € Schmerzensgeld und nur einen Teil des eingeklagten materiellen Schadens zugesprochen. Dagegen hatten beiden Parteien Berufung eingelegt. Das OLG ist ebenfalls von einer 100-igen Haftung ausgegangen, das Schmerzensgeld hat es auf 25.000 € erhöht:

„Wie vom Landgericht bereits ausgeführt, haften die Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 32 StVO, § 315 b StGB zu 100% für die Folgen des Unfalls vom 24.10.2009.

1. Die Beklagten installierten eine Slackline quer über den Geh- und Radweg. Sie schufen dadurch ein verbotenes Verkehrshindernis im Sinne des § 32 StVO und bereiteten gleichzeitig gemäß § 315 b StGB ein Hindernis, durch das sie die Sicherheit im Straßenverkehr beeinträchtigten und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdeten.

a) Bei dem Geh- und Radweg, auf dem sich der Unfall ereignete, handelte es sich um eine Straße im Sinne des § 32 StVO und des § 315 b StGB.

Die Verhaltensvorschriften der StVO beziehen sich grundsätzlich nur auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum. „Öffentlich“ im Sinne des Straßenverkehrsrechts ist eine Verkehrsfläche immer dann, wenn auf ihr der Verkehr eines Personenkreises, der durch keinerlei persönliche Beziehungen miteinander verbunden ist, zugelassen wird (Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, StVO, § 1 Rn. 6). Die Öffentlichkeit wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Benutzung nach sachlichen Merkmalen beschränkt ist (für Fuß- oder Radweg: OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.09.1989 – 1 U 211/88, NZV 1990, 476; Heß, a.a.O. Rn. 7). Hier handelte es sich um ein öffentliches Sportgelände, das Befahren des Weges mit dem Fahrrad und die Benutzung als Fußgänger waren jedermann gestattet.

Der Begriff der Straße in § 315 b StGB erfasst auch Fahrrad- und Gehwege. Entscheidend ist auch hier lediglich die Widmung für den öffentlichen Verkehr, also die ausdrückliche Zulassung oder wenigstens das stillschweigende Dulden der Nutzung durch jedermann seitens des Verfügungsberechtigten (Pegel, in: Münchner Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 315c Rn. 6). Bei dem Geh- und Radweg handelte es sich somit auch um eine Straße im Sinne des § 315 b StGB.

b) Die über die Straße gespannte Slackline stellte ein Hindernis im Sinne der § 32 StVO, § 315 b StGB dar. Nach herrschender Meinung erfasst der räumliche Schutzbereich des § 32 StVO auch den Luftraum über dem Straßenkörper, da auch in den Luftraum hineinragende Gegenstände – insbesondere durch die Gefahr von Kollisionen mit Verkehrsteilnehmern – die Verkehrssicherheit als Schutzgut des § 32 StVO gefährden können (Sauthoff, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2016, StVO, § 32 Rn. 13; Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, StVO, § 32 Rn. 5; Rogler, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, StVO, § 32 Rn. 28; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 26.05.2017 – 13 U 21/14, BeckRS 2017, 138275).

c) Dieses Hindernis gefährdete die Sicherheit des Verkehrs. Insbesondere war zu befürchten, dass sich nähernde Radfahrer die Slackline zu spät als solche wahrnehmen, in diese hineinfahren und stürzen könnten. Diese abstrakte Gefährdung des Verkehrs führte auch zu einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 315 b StGB, wobei sich die konkrete Gefährdung der Klägerin durch den Unfall realisierte.

d) Die Beklagten verursachen die Verkehrsgefährdung und die konkrete Gefährdung der Klägerin auch zumindest grob fahrlässig.

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und dasjenige nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedermann hätte einleuchten müssen (Rolfs/Binz, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2017, BGB § 276 Rn. 12; BGH, Urteil vom 16.02.1979 – I ZR 97/77, NJW 1979, 2474).

Hier war den Beklagten bekannt, dass der Weg von Radfahrern befahren wurde. Die Beklagten haben eingeräumt, dass vor dem Sturz der Klägerin bereits drei Personen, darunter zwei Radfahrer, gezwungen waren, das Hindernis zu umfahren. Es lag auf der Hand, dass Radfahrer mit einem solchen Hindernis nicht rechnen und ihre Aufmerksamkeit nicht auf den Bereich 15 bis 25 cm über dem Boden vor ihnen richten würden. Es war daher schon deshalb naheliegend, dass die Gefahr bestand, dass ein Radfahrer die Slackline übersehen und infolgedessen stürzen würde. Spätestens aber als die Beklagten sich zudem noch von der Stelle entfernten, ohne die Slackline vorher zu beseitigen oder zu kennzeichnen, und so auch nicht mehr durch ihre Übungen auf der Slackline auf die Gefahrensituation aufmerksam machten, ließen sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht.

e) Sowohl § 32 StVO (Gunnar Geiger, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2017, BGB, § 823 Rn. 174; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.09.1991 – 14 U 244/89, NJW 1992, 318) als auch § 315 b StGB (Gunnar Geiger, a.a.O.; BGH, Urteil vom 23.11.1955 – VI ZR 193/54, NJW 1956, 217) sind Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Diese Schutzgesetze wurden von den Beklagten schuldhaft verletzt. Daneben haften die Beklagten aufgrund ihrer grob fahrlässigen Sorgfaltspflichtverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB für die Schäden der Klägerin.

2. Der Umfang der Haftung der Beklagten ist auch nicht wegen eines Mitverschuldens der Klägerin beschränkt.

a) Ein Mitverschulden der Klägerin ist nicht erwiesen. Die Beweislast für das Vorliegen eines Mitverschuldens des Geschädigten trägt der Schädiger. Das gilt sowohl für den Grund des Mitverschuldens als auch für dessen Gewicht. Kann die Mitverursachung durch den Geschädigten nicht bewiesen werden, geht dies zu Lasten des Schädigers (Oetker, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 254 Rn. 145; Lorenz, in: Beck’scher Online Kommentar zum BGB, 50. Edition, Stand 01.05.2019, § 254 Rn. 69; ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Urteil vom 20.02.2013 – VIII ZR 339/11, NJW 2013, 2018)…..“

Vorschadensbehauptung, oder: Zulässig oder Ausforschungsbeweis?

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Die zweite Entscheidung kommt heute auch vom BGH. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 15.10.2019 -VI ZR 377/18. Thematik: Vorschadensbehauptung und/oder Ausforschungsbeweis. Dazu der BGH auf der Grundlage folgendesn Sachverhalts:

„Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Ersatz materiellen Schadens nach einem Fahrzeugbrand in einer Tiefgarage in Anspruch.

Nach dem Inhalt eines schriftlichen Vertrages vom 19. September 2013 erwarben der Kläger und seine Ehefrau einen Maserati Quattroporte, Erstzulassung Juli 2004, Gesamtfahrleistung 80.000 km, zum Kaufpreis von 25.500 € von einem Herrn S. Der Kläger verbrachte das Fahrzeug mit einem Überführungskennzeichen in eine Tiefgarage. Dort stellte er es ab und bewegte es in den Folgemonaten nur gelegentlich. Am 24. Dezember 2013 stellte der Schwiegersohn des Klägers gegen 16 oder 17 Uhr einen bei der Beklagten versicherten VW Bus neben dem Maserati ab. Ausweislich der Aufzeichnung einer Überwachungskamera geriet der VW Bus gegen 23.49 Uhr in Brand; in der Folge brannte auch der Maserati vollständig aus. Nach dem Abschlussvermerk der Polizei konnten keine Fremdeinwirkung oder vorsätzliches Verhalten festgestellt werden. Aufgrund der Videoaufzeichnungen dürfe als Brandursache ein technischer Defekt des VW-Busses anzusehen sein. Die Ehefrau trat sämtliche ihr gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche an den Kläger ab.

Der Kläger begehrt Zahlung von 25.500 €. Der Verkehrswert des Maserati habe dem von ihm gezahlten Kaufpreis entsprochen. Der beklagte Haftpflichtversicherer hat ein Sachverständigengutachten vom 17. Juli 2013 vorgelegt, aus dem sich ein früherer Unfallschaden vom 14. Juli 2013 ergibt. Der Sachverständige, der den Maserati ausweislich des Gutachtens am 16. Juli 2013 in unrepariertem Zustand besichtigt hatte, hat bei einem Wiederbeschaffungswert von 25.000 €, einem Restwert von 5.400 € und Reparaturkosten von 41.339,76 € (jeweils brutto) einen wirtschaftlichen Totalschaden attestiert und angeraten, von einer Instandsetzung abzusehen. Der Kläger hat behauptet, dass ihm ein Vorschaden nicht bekannt gewesen sei.

Das Landgericht hat die Klage ab-, das Oberlandesgericht die hiergegen geführte Berufung des Klägers durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht……

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht mit diesen Ausführungen den Kläger in entscheidungserheblicher Weise in seinem aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Das Berufungsgericht hat die an eine hinreichende Substantiierung des Klagevortrags zu stellenden Anforderungen überspannt und den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis zu Unrecht nicht erhoben.

a) Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass es nach allgemeinen Regeln Aufgabe des Klägers ist, die Voraussetzungen eines Haftungstatbestandes, hier also das Entstehen und den Umfang eines Sachschadens im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG, darzulegen und zu beweisen (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75, BGH 71, 339, 347, juris Rn. 34; – VI ZR 36/76, VersR 1978, 865, juris Rn. 17 f.). Wenn der Beklagte den Umfang oder die Höhe eines Schadens mit der Begründung bestreitet, der Gegenstand sei bereits durch ein früheres Ereignis beeinträchtigt worden, verbleibt die Darlegungs- und Beweislast grundsätzlich beim Kläger (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1992 – VI ZR 215/91, NZV 1992, 403 f., juris Rn. 12 f.). Zwar kommt dem Kläger insoweit § 287 ZPO zugute (vgl. Senatsurteil vom 27. März 1990 – VI ZR 115/89, DAR 1990, 224, juris Rn. 4), der dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung erleichtert (vgl. Senatsurteile vom 18. Februar 1992 – VI ZR 367/90, NJW-RR 1992, 792, juris Rn. 10; vom 19. September 2017 – VI ZR 530/16, NJW 2018, 864 Rn. 15). Auch für die Schadensschätzung nach dieser Vorschrift benötigt der Tatrichter aber greifbare Tatsachen, die der Geschädigte im Regelfall im Einzelnen darlegen und beweisen muss. Eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in der Form der Schätzung eines „Mindestschadens“, lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht zu (vgl. Senatsurteile vom 19. September 2017 – VI ZR 530/16, NJW 2018, 864 Rn. 15; vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 Rn. 17; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 37/11, NJW 2012, 2267 Rn. 9; vom 16. März 2004 – VI ZR 138/03, NJW 2004, 1945, 1946 f., juris Rn. 15).

b) Soweit der Geschädigte behauptet, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und die beschädigte Sache in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann es ihm jedoch nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Er ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen. Darin kann weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gesehen werden (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 – IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 7; Senatsurteil vom 10. Januar 1995 – VI ZR 31/94, NJW 1995, 1160, juris Rn. 17).

Gemäß § 373 ZPO hat die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch darüber äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in das Wissen des Zeugen gestellten Behauptung habe. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, hängt von ihrem Kenntnisstand ab (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 – IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (Senatsurteil vom 25. April 1999 – VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, juris Rn. 40; 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; jeweils mwN).

Das Risiko der Nichterweislichkeit verbleibt freilich beim Anspruchsteller.

c) Nach diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis durch Vernehmung des Verkäufers S., ggf. ergänzend des in dem Sachverständigengutachten über den Vorschaden als damaliger Anspruchsteller ausgewiesenen T., nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, der Kläger hätte die unternommenen Reparaturmaßnahmen im Einzelnen darlegen und durch Vernehmung der an der Reparatur beteiligten Zeugen unter Beweis stellen müssen.

d) Im Übrigen unterliegt die Berufungsentscheidung schon deshalb der Aufhebung, weil das Berufungsgericht von der Vernehmung der vom Kläger als Zeugen benannten Eheleute C. und seiner eigenen Ehefrau abgesehen hat. Der Kläger hat seine Ehefrau, den Zeugen C. und dessen Ehefrau zum Beweis der Tatsache benannt, dass der Maserati beim Kauf am 13. September 2013 in tadellosem Zustand gewesen sei. Der Zeuge C., der selbst einen Maserati fahre und viel von Maseratis verstehe, habe den Wagen mittels eines Messgerätes zur Prüfung von Spachtelauftrag auf Herz und Nieren geprüft und könne bestätigen, dass der Lack keine Zeichen von Nachlackierung aufgewiesen habe, keine Teile gespachtelt worden seien und die Spaltmaße gestimmt hätten. Diese Beweisbehauptung durfte das Berufungsgericht ausgehend von dem o.g. Grundsatz, nach dem es vom Kenntnisstand einer Partei abhängt, wie weit sie ihren Sachvortrag substantiieren muss (BGH, Urteil vom 13. Juli 1988 – IVa ZR 67/87, NJW-RR 1988, 1529, juris Rn. 8), nicht von vornherein als zu pauschal ansehen.

e) Dies gilt zumal angesichts des jedenfalls in Betracht zu ziehenden Mindestschadens, dessen Nichtberücksichtigung die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls zu Recht als gehörswidrig rügt. Ausweislich des von der Beklagten selbst vorgelegten und damit zum Gegenstand ihres Sachvortrags gemachten Sachverständigengutachtens belief sich der Restwert des unreparierten Maserati am 16. Juli 2013 auf brutto 5.400 €. Ausgehend von diesem Restwert am 16. Juli 2013 ist das unter Beweis gestellte Wissen der Zeugen C. und der Ehefrau des Klägers über den zumindest äußerlichen Zustand des Maserati am 13. September 2013 nicht von vornherein ungeeignet, zumindest einen Mindestschaden zu bestimmen. Nach den Feststellungen stand der mit einem Überführungskennzeichen geholte Maserati seither nämlich überwiegend in der Tiefgarage und wurde nur noch selten bewegt. Es gibt daher keine Anhaltspunkte, die einen nennenswerten weiteren Wertverlust bis zum Brandereignis am 24. Dezember 2013 nahelegten…..“

Der Richter mit Reichweitenproblemen, oder: Besorgnis der Befangenheit

Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.06.2019 – 5 W 19/19, hat eine Befangenheitsproblematik in einem Zivilprozess betreffend ein Elektrofahrzeug zum Gegenstand.

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über einen Elektrofahrzeug/Pkw1 geschlossen. Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe ihr zugesagt, das Fahrzeug habe eine Reichweite von 300 km. Diese könne aber bei winterlichen Temperaturen nicht erreicht werden. Sie hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und begehrt dessen Rückabwicklung.

Der zuständige Einzelrichter hatte die Parteien darauf hingewiesen, er habe selbst im Sommer 2014 ein Pkw vom Typ Elektrofahrzeug/Pkw2 gekauft. Er sei damit jahrelang zwischen Ort2 und Ort3 gependelt. Im Winter 2014/2015 habe er entgegen seiner Erwartung festgestellt, dass es nicht möglich sei, bei Minusgraden mit eingeschalteter Heizung oder einer Geschwindigkeit auf der Autobahn von mehr als 80 km/h von Ort2 nach Ort3 und zurück zu kommen.

Die Beklagte hat daraufhin den zuständigen Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das LG hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet erklärt. Das OLG sieht das anders:

„Das Ablehnungsgesuch ist zulässig. Insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Dem Senat ist bekannt, dass in der 13. Zivilkammer wegen einer personellen Veränderung eine Umverteilung der Zuständigkeiten ansteht. Der bislang zuständige Einzelrichter pp. wird in dieser Sache zwar seine Zuständigkeit verlieren. Er wird aber der Kammer weiter angehören und in dieser Sache als Vertreter in zweiter Linie zuständig bleiben. Dass der Vertretungsfall eintreten wird, ist insbesondere wegen der anstehenden Urlaubszeit nicht völlig unwahrscheinlich.

Gegen Richter p. besteht hier der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO findet wegen Besorgnis der Befangenheit die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Zwar hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der zuständige Einzelrichter diese Sache ohne Parteinahme für die eine oder die andere Partei bearbeiten würde. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob objektive Gründe vorliegen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Zöller/G. Vollkommer, 32. Aufl., § 42 ZPO, Rn. 9). Hier hat der zuständige Richter ähnliche Reichweiteprobleme mit einem – wenn auch nicht typengleichen – Elektrofahrzeug desselben Herstellers gehabt, wie die Klägerin sie in diesem Rechtsstreit behauptet, und zwar im Wesentlichen auf der gleichen Strecke wie diese (von Ort2 nach Ort3 und zurück). Dass die Beklagte hierauf die Befürchtung stützt, der zuständige Einzelrichter könne vor dem Hintergrund der von ihm angezeigten Erfahrungen möglicherweise den Standpunkt der Klägerin besser nachvollziehen als ihren eigenen und sich hierdurch bei seiner Entscheidung leiten lassen, ist bei vernünftiger Sichtweise nachvollziehbar. Dass der Einzelrichter pflichtgemäß von sich aus diese Umstände angezeigt hat, lässt die Besorgnis der Befangenheit nicht entfallen.“

Nicht unterschriebene Rechtsmittelbegründung, oder: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?

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Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst eine zivilrechtliche BGH-Entscheidung zur Wiedereinsetzung, und zwar der BGH, Beschl. v. 15.10.2019 – VI ZB 22/19 und VI ZB 23/19.

Ich stelle davon aber mal nur die amtlichen Leitsätzeein. Die lauten:

1. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die versäumte Prozesshandlung in der für sie vorgeschriebenen Form nachzuholen. Hat es der Rechtsmittelführer versäumt, eine unterschriebene und damit wirksame Rechtsmittelbegründung einzureichen, hat er somit bis zum Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist einen unterschriebenen Begründungsschriftsatz nachzureichen.

2. Die Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften (Senatsbeschlüsse vom 15. Juni 2004 -VIZB 9/04, VersR 2005, 136, 137, juris Rn. 4; vom 9. Dezember 2003 -VI ZB 46/03, ju-ris Rn. 4; BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 -XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, 2088, juris Rn. 20 f.; Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 -IV ZB 9/11, juris Rn. 6, 11; vom 20.März 1986 -VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251, 254, juris Rn. 14) ist auf die Nachholung einer Berufungsbegründung im Zusammenhang mit einem Wiedereinset-zungsantrag nach Einreichung einer mangels Unterzeichnung unwirksamen Begründung nicht übertragbar.

Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: (Mit)Haftung nur bei Unfallursächlichkeit

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Als zweite Entscheidung stelle ich dann heute das OLG Saarbrücken, Urt. v. 14.03.2019 – 4 U 112/17 – vor, über das der Kollege Gratz ja auch schon berichtet hat.

Entschieden worden ist über die Haftungsverteilung bei einem innerörtlichen Verkehrsunfall. Der Beklagte war mit seinem Pkw innerorts mit mindestens 64 km/h. Es kam zum Zusammenstoß mit dem Pkw des Klägers, wobei offen geblieben ist, ob der Kläger aus einer Grundstück ausfahren oder wenden wollte. Das LG ist von einem 40-%igen Mithaftungsanteil  des Beklagten ausgegangen. Der Kläger wollte mit seiner Berufung einen höheren Anteil des Beklagten  erreichen, hatte damit aber keinen Erfolg:

„1. Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist das Landgericht von der grundsätzlichen Haftung des Beklagten zu 2 als Fahrer eines unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1, 11 StVG, 823 Abs. 1 BGB und der Beklagten zu 1 als Haftpflichtversicherer gemäß §§ 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, 1 PflVG ausgegangen. Der für den Ausschluss der Ersatzpflicht des Beklagten zu 2 nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG erforderliche Nachweis, dass der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist, wurde nicht geführt. Die gesetzliche Verschuldensvermutung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG kann insbesondere widerlegt sein, wenn der Unfall auf einem technischen Fehler (z. B. geplatzter Reifen, Versagen der Bremsen) beruht; es ist dann aber Sache des Fahrers, den Nachweis zu führen, dass er deshalb schuldlos die Kontrolle über das Kraftfahrzeug verloren hat (Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. § 18 StVG Rn. 8). Ein technischer Fehler kommt hier nicht in Betracht. Die Verschuldensvermutung ist ferner widerlegt, wenn der Fahrzeugführer nachweist, dass er sich verkehrsrichtig verhalten hat (OLG Hamm NZV 1998, 463). Auch das ist nicht der Fall. Entsprechendes gilt für die auf §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG beruhende Haftung des Klägers, wie im Folgenden noch ausgeführt werden wird.

2. Da beide Parteien hier den Unabwendbarkeitsnachweis gemäß § 17 Abs. 3 StVG nicht führen können, hängt gemäß § 17 Abs. 1 StVG im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind, d. h. sich auf den Unfall ausgewirkt haben (BGH NJW 2012, 1953). Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH NJW 2012, 1953). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (Senatsurteile OLGR 2009, 394, 396; NJW-RR 2015, 223; NJW 2018, 315).

3. Dies zugrunde legend, hat das Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg, denn es ist nicht erwiesen, dass dem Beklagten zu 2 überhaupt ein für den Unfall ursächlicher Verkehrsverstoß zur Last zu legen ist, so dass eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zuerkennung einer höheren als vom Landgericht angenommenen Haftungsquote von 40 % zulasten der Beklagten, die ihrerseits keine Berufung gegen das Urteil eingelegt haben, nicht in Betracht kommt. Im Einzelnen:

a) Zwar rügt der Kläger mit Recht, dass das Landgericht im Rahmen der Haftungsabwägung eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 2 von lediglich 61 km/h zugrunde gelegt hat.

Diese Annäherungsgeschwindigkeit korrespondiert zwar mit den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. P. in seinem Ausgangsgutachten, wonach sich die Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs aufgrund der Beschädigungen an den unfallbeteiligten Fahrzeugen unter Einbeziehung entsprechender Simulationsrechnungen auf ca. 61-74 km/h eingrenzen lasse. Die geringere Bodenhöhe des Kennzeichenabdrucks am klägerischen Fahrzeug als üblich deute darauf hin, dass das Fahrzeug des Beklagten zum Kollisionszeitpunkt bereits stark verzögert gewesen sei. Über welche Wegstrecke allerdings eine Verzögerung vorgelegen habe und über welche Bremszeit, lasse sich sachverständigenseits mangels Spuren nicht eingrenzen (Blatt 26 des Gutachtens = Bl. 118 d.A.).

Bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Landgericht hat der Sachverständige hingegen zu Protokoll erklärt, es sei von einer Mindestausgangsgeschwindigkeit von 64 km/h auszugehen (Bl. 174 d.A.), ohne dass sich in dem Protokoll weitere Erläuterungen hierzu finden.

Bei der ergänzenden mündlichen Erläuterung seines Gutachtens vor dem Senat hat der Sachverständige erläuternd ausgeführt, dass seine zuletzt gemachte Angabe einer Mindestausgangsgeschwindigkeit von 64 km/h darauf beruht habe, dass auf der Grundlage der errechneten Mindestkollisionsgeschwindigkeit von 61 km/h unter weiterer Berücksichtigung der Bremsschwellphase eine vorkollisionäre Verzögerung des Beklagtenfahrzeugs um weitere 3 km/h als gesichert angenommen werden könne, so dass aus technischer Sicht von einer Mindestausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 64 km/h auszugehen sei. Diese nachvollziehbar dargelegten Ausführungen des Sachverständigen haben die Parteien auch nicht in Zweifel gezogen.

b) Eine noch höhere Ausgangsgeschwindigkeit als 64 km/h steht jedoch entgegen der Auffassung der Berufung nicht fest: Der Sachverständige hat bei seiner Anhörung vor dem Senat bekräftigt, dass mit Blick auf die geringere Bodenhöhe des Kennzeichenabdrucks am klägerischen Fahrzeug als üblich eine noch höhere Ausgangsgeschwindigkeit als 64 km/h zwar möglich sei, jedoch aus technischer Sicht nicht nachgewiesen werden könne, weil es hierfür an den erforderlichen Anknüpfungstatsachen fehle. Dies korrespondiert mit seinen schriftlichen Ausführungen, wonach es sich sachverständigenseits mangels Spuren nicht eingrenzen lasse, über welche Wegstrecke eine Verzögerung vorgelegen habe und über welche Bremszeit (Blatt 26 des Gutachtens = Bl. 118 d.A.).

c) Auch aufgrund der Angaben des Klägers bei seiner informatorischen Anhörung (Bl. 173 f. d.A.) sowie der übrigen Zeugen ist, wie das Landgericht insoweit mit Recht angenommen hat, eine noch höhere Annäherungsgeschwindigkeit nicht nachgewiesen: Der Kläger konnte bei der Schilderung des Unfallhergangs überhaupt keine Angaben mehr zu dem Fahrzeug des Beklagten zu 2 machen. Der Zeuge W., der als Beifahrer im Beklagtenfahrzeug saß, erklärte, man sei mit „normaler Ortsgeschwindigkeit“ gefahren (Bl. 170 d.A.). Die weiteren vernommenen Zeugen waren bei dem Unfallgeschehen selbst nicht anwesend. Soweit der Zeuge B. angegeben hat, der Kläger habe am Unfallort, nachdem er wieder zu Bewusstsein gekommen sei, ihm gegenüber erklärt, er habe „die Lichter bei den Fahnen gesehen“, dies sei eine Autovermietung in etwa 150-180 m Entfernung (vgl. Bl. 173 d.A.), ist bereits unklar, ob der Kläger damit die Scheinwerfer des Beklagtenfahrzeugs gemeint hat, oder ob es sich um die Straßenbeleuchtung o.ä. gehandelt hat. Im Übrigen sind belastbare Rückschlüsse hieraus auf die Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges offenkundig nicht möglich, weil nicht feststeht, wie viel Zeit zwischen dem Erkennen der Lichter und der Kollision verstrichen ist.

Damit kann im Ergebnis nur die Untergrenze der festgestellten Ausgangsgeschwindigkeit von 64 km/h in die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge eingestellt werden. Soweit die Berufung meint, es sei demgegenüber von einer Annäherungsgeschwindigkeit von „61 bis 74 km/h“ auszugehen, kann dem nicht gefolgt werden.

d) Im Ergebnis verhilft jedoch die Berücksichtigung der geringfügig höheren Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs als vom Landgericht angenommen dem Rechtsmittel des Klägers nicht zum Erfolg. Denn auch unter der Prämisse einer Annäherungsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 64 km/h hat der Kläger den Nachweis nicht erbracht, dass sich diese Überschreitung der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ursächlich auf das Unfallgeschehen ausgewirkt hat, also dass die Kollision bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h hätte vermieden werden können oder dass jedenfalls die Unfallfolgen für den Kläger geringer ausgefallen wären:

aa) Das Landgericht ist im Rahmen der Haftungsabwägung zunächst davon ausgegangen, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Klägers spreche, weil ausgehend von dem eigenen Vortrag des Klägers, wonach er aus einem Grundstück in die Straße eingefahren sei, sich dessen Verhaltenspflichten aus § 10 StVO ergäben, und ausgehend von dem Vortrag der Beklagten, wonach der Kläger vom Fahrbahnrand angefahren sei, um zu wenden, aus § 10 sowie § 9 5 StVO. Der Anscheinsbeweis sei jedoch dadurch erschüttert, dass ein Verkehrsverstoß des Beklagten zu 2 gegen § 3 Abs. 3 StVO bewiesen sei. Nach den sachverständigen Feststellungen sei von einer Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten zu 2 von 61 bis 74 km/h auszugehen, wobei das Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision zwar bereits stark verzögert gewesen sei, sich aber die tatsächliche Annäherungsgeschwindigkeit vorliegend nicht näher eingrenzen ließe. Eine noch höhere Annäherungsgeschwindigkeit habe der Kläger im Rahmen der Beweisaufnahme nicht nachweisen können.

Auch soweit der Kläger behauptet habe, sein Fahrzeug habe mit der Höhe der B-Säule auf der Höhe des Heck des rechtsgeparkten Fahrzeuges gestanden, als das Beklagten-Fahrzeug in dessen linke Seite gefahren sei, sei durch die sachverständigen Feststellungen, insbesondere die Kollisionspositionen der Fahrzeuge widerlegt, denn der Kläger habe sich praktisch mit der gesamten Länge seines Fahrzeuges auf der Fahrbahn bis weit in die Gegenfahrbahn hinein befunden. Ebenso wenig sei es beweisbar, dass das Fahrzeug des Klägers beim Verkehrsunfall gestanden habe, wie sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergebe, wonach nicht feststehe, dass der Verkehrsunfall bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h vermeidbar gewesen sei; insoweit sei der konkrete Unfallhergang auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers sowie der nicht ergiebigen Zeugenaussagen unaufgeklärt geblieben.

Damit stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nur fest, dass der Verkehrsunfall sowohl durch einen Verstoß des Klägers gegen § 9 oder § 10 StVO verursacht worden sei, als auch durch einen Verstoß des Beklagten zu 2 gegen § 3 Abs. 3 StVO, weshalb im Ergebnis von einer Haftungsverteilung von 60 % zulasten des Klägers auszugehen sei.

bb) Diesen Feststellungen kann in einem entscheidenden Punkt nicht gefolgt werden:

(aaa) Im Berufungsverfahren ist hierbei für den Unfallhergang die klägerische Unfallschilderung zu Grunde zu legen, wonach der Kläger vorwärts aus der Grundstückseinfahrt herausgefahren sei, um nach links in Richtung Innenstadt zu fahren. Die sowohl vom Landgericht als auch von dem Sachverständigen Dipl.-Ing. Dr. P. in seinem Ergänzungsgutachten angestellten alternativen Betrachtungen unter Berücksichtigung eines Anfahrens des Klägers vom Straßenrand sind für das Berufungsverfahren deshalb nicht relevant, weil der Kläger ausdrücklich auf seiner Darstellung besteht, wonach er sich vorwärts aus der Grundstückseinfahrt heraus in die Trierer Straße hineingetastet habe. Bei dieser Sachlage kann auch nicht nach dem Grundsatz der Gleichwertigkeit des Parteivorbringens (vgl. hierzu BGH MDR 1989, 1090) davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger die Unfallschilderung der Beklagtenseite wenigstens hilfsweise zu eigen machen will. Hiernach kann sich ein Kläger zwar die von seinem Sachvortrag abweichenden Behauptungen des Beklagten hilfsweise zu eigen machen und seine Klage darauf stützen. Vorliegend besteht der Kläger jedoch im Berufungsverfahren zum einen ausdrücklich auf seiner Schilderung und bestreitet den von den Beklagten behaupteten Unfallhergang, der in nicht zu vereinbarendem Widerspruch zu seinem eigenen Vorbringen steht. Ungeachtet der anderenfalls bestehenden Bedenken im Hinblick auf die prozessuale Wahrheitspflicht des Klägers ist deshalb vorliegend nicht davon auszugehen, dass er sich hilfsweise zur Stützung seiner Klageansprüche auf ein Anfahren vom Straßenrand berufen will.

bbb) Ausgehend von dem eigenen Vortrag des Klägers, wonach er aus einem Grundstück in die Straße eingefahren sei und es in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ein- oder Anfahren zu dem Unfall gekommen sei, streitet ein Anscheinsbeweis für eine Verletzung seiner sich aus § 10 StVO ergebenden Verhaltenspflichten, wonach eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sein muss (BGH MDR 2011, 1348). Ein Verstoß gegen § 10 StVO führt grundsätzlich zur Alleinhaftung des Ausfahrenden, sofern nur die einfache Betriebsgefahr des Gegners entgegensteht (BGH NZV 1991, 187; OLG Hamm, NZV 2006, 204). Dem Kläger ist es im vorliegenden Fall entgegen der Annahme des Landgerichts nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern: Davon könnte nur dann ausgegangen werden, wenn die ernsthafte Möglichkeit bestünde, dass sich der Unfall auch bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt ereignet haben könnte. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich der weitere Unfallbeteiligte mit einer solch hohen Geschwindigkeit der Unfallstelle genähert hat, dass er unter Berücksichtigung der konkreten Straßenführung für den Einfahrenden nicht sichtbar war. Gleiches gilt, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung so krass ist, dass der Einbiegende mit einer Behinderung des erkennbaren Fahrzeugs nicht zu rechnen brauchte. Davon kann jedoch noch keine Rede sein, wenn sich der Vorfahrtsberechtigte der Ausfahrt innerorts statt mit zulässigen 50 km/h mit 75 km/h angenähert hat, also bei einer Überschreitung um 50% (OLG Düsseldorf VRR 2011, 425; Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 10 StVO Rdn. 60). Selbst bei Annahme der von dem Sachverständigen für möglich gehaltenen, aber nicht erwiesenen Annäherungsgeschwindigkeit des Beklagten zu 2 von 74 km/h müsste somit von einem Verstoß des Klägers gegen seine Sorgfaltspflichten aus § 10 StVO ausgegangen werden.

(ccc) Unbeschadet dessen ist die Ursächlichkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten zu 2 für das Unfallgeschehen nicht bewiesen……“