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Vereinsrecht II: Schadensersatz nach Kampfsportspiel, oder: „Blutgrätsche“ oder „Presschlag“ beim Fußball

Als zweite Entscheidung dann der OLG München, Beschl. v. 30.01.2025 – 19 U 3374/24 eein sog. Hinweisbeschluss.

Es geht um Schadensersatzansprüche nach einem Fußballspiel. Und zwar macht der Kläger gegen den Beklagten materielle und immaterielle Schadenersatzansprüche geltend aufgrund einer bei einem Amateur-Fußballspiel erlittenen Verletzung am rechten Unterschenkel, an dem die Parteien jeweils als Spieler gegnerischer Mannschaften teilnahmen.

Im Kern behauptet der Kläger, selbst Spieler des A. e.V., aus der Abwehr der gegnerischen Mannschaft, des W. e.V., sei ein hoher Ball geschlagen worden, den er versucht habe, zu erreichen. Er sei in Richtung des Balles und des Tores seiner Mannschaft gelaufen. Er habe den Beklagten, Gegenspieler des W. e.V., nicht gesehen. Ohne dass der Beklagte eine Chance gehabt habe, den Ball zu treffen, sei dieser dem Kläger hinterher gelaufen und habe ihm von recht hinten mit gestrecktem Bein gegen das rechte Schien- und Wadenbein getreten. Der Beklagte habe nicht nur keine Chance gehabt, den Ball zu erreichen, sondern ein schweres vorsätzliches Foul (sog. „Blutgrätsche“) begangen. Der Fußschlag des Beklagten sei nicht gegen den Ball gerichtet gewesen, sondern nur gegen den Körper des Klägers.

Dagegen behauptet der Beklagte im Wesentlichen, der hohe Ball zu Beginn der zweiten Halbzeit sei durch einen hohen Abschlag des Torwarts des A. e.V. in Richtung Mittellinie entstanden und nicht aus der Abwehr W. e.V. heraus. Der Beklagte sei daraufhin dem sich absenkenden Ball entgegen gelaufen. Auch der Kläger sei aus Sicht des Beklagten von rechts kommend in Richtung des Balls gelaufen. Beide hätten zunächst nach oben geblickt, um die Flugbahn des Balls zu verfolgen. Der Beklagte sei als erster an den Ball gekommen und habe diesen in Richtung Seitenaus geschossen. Dem Kläger sei es nicht gelungen, den Ball zu spielen. Der Kläger sei vielmehr bei dem Versuch, den Ball zu erreichen, gestürzt und mit seinem Bein auf den Unterschenkel des Beklagten gefallen. Ein sog „Abgrätschen“ durch den Beklagten – das im Übrigen ein übliche und durchaus erlaubte Technik im Fußballspiel sei, soweit sie dem Ball und nicht dem Gegner gelte – habe es nicht gegeben.

Der Kläger wies nach dem Spielvorfall am rechten Unterschenkel einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch in der Mitte (komplette distale Unterschenkelfraktur rechts), anschließend eine Großzehenheberschwäche und ein posttraumatisches Kompartmentsyndrom auf. Er befand sich deswegen mehrfach stationär zur Behandlung in unterschiedlichen Kliniken. Der Kläger behauptet zudem weitere unfallkausale physische und psychische Folgeschäden.

Das LG hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe den von ihm dargestellten objektiv groben Regelverstoß bei subjektiv mindestens grober Fahrlässigkeit des Beklagten nicht zu seiner Überzeugung nachweisen können. Daher sei das LG nicht von der klägerischen Version der regelwidrigen „Blutgrätsche“ überzeugt. Stattdessen hält das LG einen regelkonformen sog. „Pressschlag“ im Kampf um den Ball, d.h. einen gleichzeitigen Versuch der beiden Spieler, den Ball zu spielen bzw. zu schießen, für am wahrscheinlichsten.

Dagegen die Berufung, die beim OLG keinen Erfolg gehabt hätte. Deshalb ist der Hinweisbeschluss ergangen. Ich stelle nicht die gesamte Begründung ein, sondern nur dazu passende Leitsätze:

1. Teilnehmer eines sportlichen Kampfspiels mit nicht unerheblichem Gefahrenpotential – namentlich eines Fußballspiels -, bei dem typischerweise selbst bei Einhaltung der Wettkampfregeln oder bei geringfügigen Regelverstößen die Gefahr gegenseitiger Schadenszufügung besteht, nehmen grundsätzlich Verletzungen durch einen anderen – regelmäßig der Gegenpartei angehörenden – Spieler in Kauf, die auch bei regelgerechtem Spiel nicht zu vermeiden sind.

2. Damit greift ein Haftungsausschluss bei sportlicher Betätigung für den Fall, dass kein oder kein gewichtiger Regelverstoß bzw. kein grob fahrlässiges Verhalten des Schädigers feststellbar ist; dabei ist ein besonderer, durch die Eigenart des Sports – hier: Fußball – geprägter Maßstab anzulegen.

3. Der Zweikampf um den Ball, bei dem ein oder beide Spieler mitunter zu Fall kommen, gehört zum Wesen eines Fußballspiels und begründet deshalb für sich genommen keinen Sorgfaltspflichtverstoß. Auch alleine aus der puren Tatsache, dass dabei der Unterschenkel des Gegenspielers getroffen wird, kann ebenso wenig ein regelwidriges Verhalten hergeleitet werden wie ein sog. „Grätschsprung“ für sich noch nicht den Schluss auf ein haftungsrelevantes Verschulden gestattet.

4. Es kommt für die Frage der Haftung entscheidend darauf an, ob der Angriff eines Spielers darauf gerichtet war, den Ball zu treffen und dadurch der Kontrolle des Gegenspielers zu entziehen, dabei aber absichtslos fehlgegangen ist, oder ob eine Spielsituation vorgelegen hat, bei der es aus Sicht des Spielers als aussichtslos erscheinen musste, den Ball noch zu treffen, und sein Angriff daher tatsächlich nur noch dem Gegenspieler selbst gelten konnte in der Absicht, ihn dadurch an der weiteren Ballführung zu hindern.

5. Beweispflichtig für einen Regelverstoß ebenso wie für dessen Gewicht und die grobe Fahrlässigkeit des Schädigers insoweit ist der Geschädigte.

Die vom OLG behandelte Frage ist sicherlich keine typisch vereinsrechtliche Problematik, kann da aber auch immer wieder eine Rolle spielen.

Vereinsrecht I: Anbauvereinigung nach dem KCanG, oder: Wirksame Gründung des Vereins?

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Und dann heute im „Kessel Buntes“ mal wieder Vereinsrecht bzw. zumindest Entscheidungen, die mit Vereinsrecht und Vereinen zu tun haben.

Da gibt es hier als erstes den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.01.2025 – I-3 W 2/25 -, in dem das OG zur Eintragung eines nichtwirtschaftlichen Vereins ins Vereinsregister. Das besondere an der Entscheidung: Es handelt sich um einen Anbauverein bzw. eine Anbauvereinigung nach dem KCanG.

Folgender Sachverhalt: Der beteiligte nichtwirtschaftliche Verein begehrt seine Eintragung in das Vereinsregister. Er ist einer von zahlreichen Zweigvereinen des „pp. e.V.“ (nachfolgend: XXX), einem Gesamtverein, der mittlerweile im Vereinsregister bei dem AG Göttingen eingetragen worden ist. Abschnitt II § 2 der Satzung des XXX bestimmt, dass der Gesamtverein Zweigvereine gründet, die jeweils als Anbauvereinigungen eigenständig Cannabis anbauen und ihren Mitgliedern zur Verfügung stellen. In der genannten Satzungsbestimmung ist ferner vorgesehen, dass der XXX zentral die Infrastruktur für die Zweigvereine erstellt und zentrale Aufgaben der Verwaltung übernimmt sowie zur Schaffung und zum Erhalt der erforderlichen Infrastrukturen (u.a. in den Bereichen Immobilien, technische Ausrüstung und weitere unterstützende Ressourcen) beiträgt.

Das AG hat die Registereintragung mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die sieben Gründungsmitglieder des Zweigvereins zugleich Gründungsmitglieder der Zweigvereine in D. und H. seien. Überdies seien einige der Gründungsmitglieder des beteiligten Vereins zugleich Mitglieder des Zweigvereins B. Diese Doppel- und Mehrfachmitgliedschaft verstoße gegen Abschnitt IV § 6 (6) der Satzung des Beteiligten, wonach Mitglieder des Vereins keine weitere Mitgliedschaft in einer Anbauvereinigung innehaben dürfen. Eine wirksame Gründung des Beteiligten sei daher nicht erfolgt.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Beteiligten, die Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidung – den Rest dann bitte selbst lesen:

1. Weder das in § 16 Abs. 3 Satz 1 KCanG normierte Verbot einer Mehrfachmitgliedschaft noch ein inhaltsgleiches satzungsmäßiges Verbot stehen der Gründung eines auf den Betrieb einer Anbauvereinigung gerichteten nichtwirtschaftlichen Vereins durch den genannten Personenkreis entgegen.

2. Die Mehrfachmitgliedschaft eines Vereinsmitglieds steht allerdings der Eintragung des Vereins in das Vereinsregister entgegen.

Vorbeifahren an stehendem Kfz mit geöffneter Tür, oder: Ausreichender Sicherheitsabstand

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Als zweite Entscheidung habe ich dann hier noch ein landgerichtliches Urteil, und zwar das LG Saarbrücken, Urt. v. 15.02.2024 – 13 S 28/23.

Es geht um die Schadensabwägung nach einem Verkehrsunfall. Die Zeugin pp. hielt mit dem Fahrzeug des Klägers auf einer Straße  am Straßenrand vor einer Sparkassenfiliale an. Die Beklagte zu 2) befuhr mit dem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeug Straße  in gleicher Richtung. Während die Zeugin  auf der Fahrerseite aus dem Fahrzeug ausstieg, kam es zu einer Kollision.

Der Kläger hat behauptet, die Zeugin  habe sich zunächst nach Rückschau in den linken Außenspiegel versichert, dass sich von hinten kein Fahrzeug nähere. Da die Straße frei gewesen sei, sei sie aus dem Fahrzeug ausgestiegen. Sie habe sich zum Zeitpunkt der Kollision bereits außerhalb des Fahrzeugs befunden, habe in der halb geöffneten Tür gestanden und sei dabei gewesen, ihre Handtasche aus dem Fahrzeug zu nehmen. Die Beklagte zu 2) sei zu dicht vorbeigefahren und habe dabei die Fahrertür des klägerischen Fahrzeugs beschädigt.

Das AG Saarbrücken hat die Klage abgewiesen. Die Zeugin  habe gegen die sie treffenden Sorgfaltsanforderungen gemäß § 14 StVO verstoßen. Wenn diese gerade im Moment der Vorbeifahrt der Beklagten zu 2) ihre Fahrzeugtür geöffnet habe, liege ein Verstoß gegen § 14 StVO darin, dass sie den rückwärtigen Verkehr nicht beachtet habe. Auch unter der Annahme der eigenen Angaben der Zeugin, nach denen sie das Fahrzeug verlassen habe und noch in der geöffneten Fahrzeugtür gestanden habe, um etwas aus dem Auto zu nehmen, sei ein Verstoß gegen § 14 StVO zu bejahen. Der Unfall sei dann in dem Zeitrahmen, in dem die Zeugin noch die besonderen Pflichten nach § 14 StVO getroffen haben, erfolgt. Ein Pflichtverstoß der Beklagten zu 2) nach §§ 1, 3, 4 StVO sei dagegen nicht bewiesen. Es sei insbesondere nicht bewiesen, dass die Beklagte zu 2) das Fahrzeug des Klägers passiert habe, als die Tür bereits geöffnet und sie deshalb zu besonderer Sorgfalt nach § 1 StVO aufgefordert gewesen sei. Die Beklagte zu 2) habe bestätigt, dass sie das Fahrzeug nicht wahrgenommen habe, und der Sachverständige habe aus technischer Sicht nicht rekonstruieren können, ob die Tür bei der Kollision bereits geöffnet gewesen sei oder deren Öffnung erst währenddessen erfolgt sei. Aufgrund der festgestellten Geschwindigkeit von 40 km/h stehe auch keine Geschwindigkeitsüberschreitung fest. Ebenso sei ein zu geringer Seitenabstand nicht bewiesen. Zwar sei die Beklagte zu 2) nur mit einem Abstand von 69 cm an dem parkenden Fahrzeug vorbeigefahren. Dies genüge jedoch in der vorliegenden Situation. Im Rahmen der Abwägung trete sodann die Betriebsgefahr auf Beklagtenseite zurück.

Dagegen die Berufung des Klägers. Die hatte teilweise Erfolg.

Das LG kommt zu folgenden Leitsätzen:

1. Wer an einem stehenden Fahrzeug vorbeifährt, muss nach dem allgemeinen Gebot der Gefährdungsvermeidung aus § 1 Abs. 2 StVO einen angemessenen Seitenabstand einhalten. Grundsätzlich reicht zwar ein Seitenabstand von ca. 50 cm eines vorbeifahrenden Pkw zu einem geparkten Pkw aus. Ein Seitenabstand von unter 1 m genügt jedoch dann nicht, wenn auf dem Seitenstreifen neben der Fahrbahn ein Pkw mit geöffneter Fahrzeugtür steht und jederzeit mit einem weiteren Öffnen der Tür gerechnet werden muss oder in der geöffneten Fahrzeugtür eine Person steht.

2. Im Rahmen der Abwägung zwischen einem Verstoß gegen § 14 StVO und einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO ist die Haftung des Aussteigenden auf die Betriebsgefahr beschränkt, wenn die Fahrerin des parkenden Fahrzeugs auf einer gut einsehbaren Straße schon mindestens 10 Sekunden in der geöffneten Tür zu sehen ist, ohne dass sich die Unfallgegnerin besonders rücksichtslos verhalten hat (siehe zur dieser Abgrenzung das LG Saarbrücken, Urt. v. 10.11.2023 – 13 S 8/23).

Und dann wird wie folgt verteilt:

„5. Mithin ist beiden Seiten ein Verkehrsverstoß vorzuwerfen. Der der Beklagtenseite anzulastende Verkehrsverstoß überwiegt jedoch bei Abwägung der beiden Ursachenbeiträge, sodass eine Quote von 80% zu deren Lasten angemessen erscheint. Die Zeugin — war aufgrund der gut einsehbaren Straße ohne Weiteres zu erkennen. Die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs hätte sich auch unproblematisch auf die Situation einstellen können, da der gesamte Aussteigevorgang schon mindestens 10 Sekunden andauerte, wenn sie aufmerksam gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist die Haftung der Klägerseite auf die Betriebsgefahr beschränkt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 29. Mai 2008 – 2 U 19/08 –, juris, Rn. 14).

Unfallschadenregulierung beim E-Auto-Unfall, oder: Merkantiler Minderwert

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Es ist Samstag und damit „Kessel-Buntes-Tag“. Und an dem stelle ich heute zwei zivilrechtliche Entscheidungen vor.

Ich beginne mit dem LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 18.09.2024 – 8 O 4990/23 – zur Bemessung des merkantilen Minderwerts bei E-Autos. Das LG nimmt zu Bemessung wie folgt Stellung:

„b) Ferner hat der Kläger Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts des Fahrzeuges in Höhe von 3.750,00 €.

Das Gericht folgt bei der Bezifferung des merkantilen Minderwerts nicht der Auffassung des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Dieser nahm eine Berechnung des Minderwerts auf Grundlage der gängigen Modelle BVSK, MFM (“Marktrelevanz- und Faktorenmethode“) und Halbgewachs vor und kam so zu einem Betrag von lediglich 2.500,00 € (für November 2023). Die vom Sachverständigen hinzugezogenen Modelle wurden für konventionelle Verbrenner-Fahrzeugen entwickelt. Bei dem klägerischen Fahrzeug handelt es sich jedoch um einen VW ID 4, also ein Fahrzeug mit ausschließlich batterieelektrischem Antrieb. Die Brutto-Reparaturkosten dieses sog. Elektroautos (“E-Auto“), welchen der Sachverständige mit einem Händlerverkaufswert von 42.125,00 € bezifferte, lagen bei über 19.000,00 €. Auch wenn „nur“ der Heckbereich des Fahrzeugs in Mitleidenschaft gezogen wurde, führt ein solch hoher Schaden nach Einschätzung des Gerichts zu einer überdurchschnittlichen Reduzierung potentieller Kaufinteressenten auf dem allgemeinen Automarkt. Zu sehen ist, dass das Vertrauen in die Reparaturmöglichkeit von Fahrzeugen mit elektronischen Antriebs- und Steuerungssystemen, die erst seit wenigen Jahren markttauglich sind, geringer ausgeprägt ist, als ein solches in die Reparaturmöglichkeit von konventionellen Verbrenner-Fahrzeugen. Mit anderen Worten: Die Skepsis eines potentiellen Käufers eines E-Autos, dass ein großer Unfallschaden „nicht richtig“ behoben werde kann bzw. konnte, ist (zumindest heute) größer, als diejenige eines potentiellen Käufers eines Verbrenner-Fahrzeuges. Der E-Fahrzeug-Käufer wird sich daher tendenziell eher einem unfallfreien Fahrzeug zuwenden als derjenige eines Verbrenner-Fahrzeuges. Die Wertminderung muss daher höher ausfallen, um den Mangel an Attraktivität auszugleichen.

Das Gericht schätzt mithin gem. § 287 ZPO, dass die Wertminderung eines Elektroautos um etwa 50% höher ist als die vergleichbare Wertminderung eines Verbrenner-Fahrzeuges.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht daher von einem merkantilen Minderwert von 3.750,00 € aus. Unterstrichen wird dies durch den Umstand, dass der Halter des Fahrzeuges wenige Monate nach dem Unfall gegenüber der V. AG einen deutlich niedrigeren Kaufpreis durchsetzen konnte, obwohl das Fahrzeug zwischenzeitlich in einer Fachwerkstatt repariert worden war.

Entgegen der klägerischen Auffassung kommt es hingegen auf den realisierten Wertverlust nicht an. Dieser hängt unter anderem vom Verhandlungsgeschick des Verkäufers ab. Auch die allgemeine Markt- und Wirtschaftslage und sogar die Jahreszeit können sich auf den Verkaufspreis auswirken.“

Frist/beA I: Beweiswirkung eines elektronischen EB, oder: Entkräftung der Beweiswirkung

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Und dann zum Abschluss der 11 KW/2025 zwei Entscheidungen zum beA bzw. zu Fristen und zur Fristwahrung.

Den Reigen eröffne ich mit dem OLG Celle, Beschl. v. 31.01.2025 – 20 U 8/24 – zur Entkräftung der Beweiswirkung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses. Es handelt sich um die Zurückweisung einer Berufung, zu der das OLG schon vorab in einem Hinweisbeschluss Stellung genommen hatte. Zu dem Hinweisbeschluss war eine Stellungnahme des Klägers eingegangen, zu deren fristegmäßen Eingang das OLG sich dann auch geäußert hat. Das ganze – inklusive der Ausführungen des OLG zum Klagegegenstand – auf rund 26 Seiten. Daher gibt es es hier zur die Leitsätze des OLG zum elektronischen Empfangsbekenntnis und der Entkräftung der Beweiswirkung:

1. Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 17.01.2024 – VII ZB 22/23, NJW 2024, 1120 Rn. 10; v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10 und v. 18.04,2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11).

2. Für den Gegenbeweis, dass das zuzustellende Schriftstück den Adressaten tatsächlich zu einem anderen Zeitpunkt erreicht hat, muss die Beweiswirkung vollständig entkräftet sein, also jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden (Anschluss an: BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – VI ZB 36/22, NJW 2023, 2433 Rn. 11 und v. 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 10; Urt. v. 07.06.1990 – III ZR 216/89, NJW 1990, 1026).

3. Ein ungewöhnlich langer Zeitraum zwischen dem dokumentierten Zeitpunkt der elektronischen Übersendung des Dokuments und dem im Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatum (hier: sechs Wochen) erbringt den Beweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe für sich genommen noch nicht (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 07.10.2021 – IX ZB 41/20, NJW-RR 2021, 1584 Rn. 11 und vom 19.04,2012 – IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn. 8). Es dürfen jedoch auch keine überspannten Anforderungen gestellt werden (Anschluss an: BGH, Beschlüsse vom 14.10.2008 – VI ZB 23/08, NJW 2009, 855, 856 und vom 08.05.2007 – VI ZB 80/06, NJW 2007, 3069).

4. In einem solchen Fall kann die Partei deshalb nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast verpflichtet sein, sich substantiiert zu den Umständen zu erklären, die die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses zweifelhaft erscheinen lassen, und zu dem tatsächlichen Zeitpunkt der subjektiv empfangsbereiten Kenntnisnahme vorzutragen. Außerdem kann das Gericht nach §§ 142, 144 ZPO die Vorlage des beA-Nachrichtenjournals des Rechtsanwalts der Partei anordnen.

5. Hieraus und aus den Erklärungen der Partei können sich jedenfalls Anhaltspunkte für den Zeitpunkt der empfangsbereiten Entgegennahme des zuzustellenden Schriftstücks durch den Rechtsanwalt und damit ein von dem Empfangsbekenntnis abweichendes Zustelldatum ergeben. Erklärt sich die Partei nicht und legt auch das beA-Nachrichtenjournal ihres Rechtsanwalts nicht vor, kann – in entsprechender Anwendung von § 427 ZPO – der Beweis der Unrichtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Zustelldatums geführt sein.