Archiv der Kategorie: Verfahrensrecht

StPO I: Verzicht aufs Zeugnisverweigerungsrecht, oder: Ganz oder gar nicht, teilweise geht nicht

© Dan Race Fotolia .com

Und heute dann StPO-Entscheidungen.

Den Reigen beginne ich mit dem BGH, Beschl. v. 18.10.2023 – 1 StR 222/23 – mit folgendem Sachverhalt:

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung in fünf Fällen verurteilt. Die geschädigte Nebenklägerin ist die Schwester des Angeklagten. Nachdem diese zunächst im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung, bei der aussagepsychologischen Sachverständigen und vor dem Ermittlungsrichter ausgesagt hatte, erklärte sie noch vor der Hauptverhandlung, künftig von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Sie gestattete jedoch, dass ihre Angaben bei der aussagepsychologischen Sachverständigen verwertet werden dürften. Die Straf-/Jugendkammer legte daraufhin die ermittlungsrichterliche Vernehmung der Nebenklägerin und deren Angaben bei der Sachverständigen ihrer Beweiswürdigung zugrunde. Explizit nicht berücksichtigt wurde die polizeiliche Vernehmung der Nebenklägerin. Dagegen die Revision des Angeklagten, die erfolgreich war:

„b) Die Rüge ist begründet. Die Jugendkammer durfte die Angaben der Nebenklägerin bei der aussagepsychologischen Sachverständigen nicht verwerten.

aa) Gestattet ein Zeuge trotz Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO die Verwertung früherer Aussagen, so kann er dies nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Ein Teilverzicht führt vielmehr dazu, dass sämtliche früheren Angaben – mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht – unverwertbar sind.

(a) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 Abs. 1 StPO dient dem Schutz des Zeugen, durch seine der Wahrheitspflicht unterliegende Aussage nicht zur Belastung eines Angehörigen beitragen zu müssen (BGH, Urteile vom 8. Mai 1952 – 3 StR 1199/51, BGHSt 2, 351, 354 und vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207). Der Zeuge kann bis zur Hauptverhandlung frei entscheiden, ob seine frühere, vielleicht voreilige oder unbedachte Aussage verwertet werden darf, und hat das Recht, in der Hauptverhandlung das Zeugnis zu verweigern sowie seine frühere Entscheidung zu ändern (BGH, Urteile vom 11. April 1973 – 2 StR 42/73, BGHSt 25, 176, 177 ff. und vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208). Beruft er sich auf sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO, unterliegen daher sämtliche früheren Aussagen grundsätzlich einem Beweisverwertungsverbot (§ 252 StPO; BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 – 1 StR 341/51, BGHSt 2, 99). Ausgenommen hiervon sind lediglich richterliche Vernehmungen nach Belehrung des Zeugen über sein Zeugnisverweigerungsrecht (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 15. Januar 1952 – 1 StR 341/51, BGHSt 2, 99; Beschluss vom 15. Juli 2016 – GSSt 1/16, BGHSt 61, 221, 229 mwN).

(b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der sich auf sein Recht aus § 52 Abs. 1 StPO berufende Zeuge darüber hinaus auf die Sperrwirkung seiner Zeugnisverweigerung verzichten, sodass frühere Angaben durch die Vernehmungsperson oder den Sachverständigen (zur Anwendbarkeit des § 252 StPO bei Befragungen durch Sachverständige vgl. BGH, Urteil vom 3. November 2000 – 2 StR 354/00, BGHSt 46, 189, 193 mwN) in die Hauptverhandlung eingeführt werden können (BGH, Beschluss vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207). Denn das Beweisverwertungsverbot aus § 252 StPO dient allein der Sicherung des mit der Gewährung des Rechts zur Zeugnisverweigerung verfolgten Zwecks und ist daher für den Zeugen insoweit disponibel, als er hierauf verzichten und durch die Gestattung der Verwertung früherer Angaben zur Sachaufklärung beitragen kann. Dem Umstand, dass sich der Zeuge hierdurch einer konfrontativen Befragung entzieht, ist durch eine entsprechend vorsichtige Beweiswürdigung Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207 ff.).

(c) Ob der Zeuge seine Gestattung – wie vorliegend – auf einzelne Vernehmungen beschränken kann, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2020 – 3 StR 377/18 Rn. 13 ff.; vgl. auch Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 297 ff.).

Ein solcher Teilverzicht ist unzulässig. Denn ein Zeuge kann nur in dem Rahmen über das Beweisverwertungsverbot verfügen, in dem es seinem Schutz dient. Schutzzweck des § 252 StPO in Verbindung mit § 52 Abs. 1 StPO ist es indes ausschließlich, die Entscheidungsfreiheit des Zeugen dahin zu gewährleisten, ob er in einem Strafprozess gegen einen Angehörigen aussagen und so gegebenenfalls zu dessen Belastung beitragen möchte (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 1952 – 3 StR 1199/51, BGHSt 2, 351, 354 und vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 207). Das bedeutet: Der Zeuge kann entscheiden, ob er sich als Beweismittel zur Verfügung stellen will oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 298 mwN). Darüber hinaus hat er kein schützenswertes Interesse daran, den Umfang der Verwertbarkeit der von ihm bereits vorliegenden Angaben zu bestimmen (Cirener/Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 252 Rn. 25), weshalb insoweit im Interesse des Angeklagten und der Allgemeinheit an der Wahrheitserforschung seinem Einfluss auf das Strafverfahren Grenzen zu ziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 299).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Landgericht die Angaben der Nebenklägerin bei der aussagepsychologischen Sachverständigen seiner Beweiswürdigung nicht zugrunde legen. Denn der Verzicht der Zeugin auf das Verwertungsverbot aus § 252 StPO war – wenngleich möglicherweise nur aus Unachtsamkeit – auf diese Vernehmung beschränkt und damit unwirksam. Die Jugendkammer hätte ausschließlich die Angaben der Nebenklägerin vor dem Ermittlungsrichter zur Entscheidungsfindung heranziehen dürfen.

cc) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist insgesamt – trotz des bezüglich eines zentralen Teils der Körperverletzungen rechtsmedizinisch dokumentierten Verletzungsbildes – nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die Angaben der Zeugin bei der Sachverständigen zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.“

Verkehrsrecht II: Anordnung der Blutentnahme/-probe, oder: Anforderungen an den Anfangsverdacht

© Shawn Hempel – Fotolia.com

Vor einiger Zeit haben die mit der Anordnung der Entnahme einer Blutprobe (§ 81a StPO) zusammenhängenden Fragen die Praxis beschäftigt. Dabei ging es insbesondere meist um die Frage des so. Richtervorbehalts. Die Problematik hat sich dann durch die Änderungen durch das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17.8.17 (BGBl. I S. 3202) weitgehend erledigt.

Sie hat nun aber dann doch noch mal ein AG beschäftigt, und zwar das AG Ratzeburg im AG Ratzebuug, Beschl. v. 22.12.2023 – 31a OWi 46/23 jug. Sachverhalt und Gründe dann hier:

„Am 2. Juli 2023 gegen 15:29 Uhr führte der Polizeibeamte und Zeuge PK pp. im Rahmen einer Standkontrolle auf dem Rastplatz Gudow an der Bundesautobahn 24 in Fahrtrichtung Hamburg eine Kontrolle des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen pp. durch, dessen Fahrer der Betroffene war. Der Betroffene händigte dem Zeugen seinen Führerschein, Personalausweis und die Zulassungsbescheinigung Teil 1 aus. Im Rahmen der Kontrolle nahm der Zeuge wahr, dass der Betroffene sehr nervös wirkte. Der Betroffene konnte nicht stillstehen und hatte deutlich zitternde Hände. Ebenso führte der Betroffene häufig seine Hände an verschiedene Körperstellen, einmal zum Kratzen am Hals, einmal um in seine Hosentaschen zu greifen oder der Betroffene wedelte damit herum. Zudem war der Betroffene redselig und aus Sicht des Zeugen unangepasst euphorisch. Aus diesen Beobachtungen leitete der Zeuge den Verdacht ab, dass der Betroffene eine bußgeldbewährte Tat gemäß § 24a StVG begangen haben könnte. Nach entsprechender Belehrung gab der Betroffene an, keine Drogen konsumiert zu haben, er sei lediglich sehr müde. Die Durchführung eines Urintests lehnte der Betroffene unter Hinweis darauf ab, dass er nicht urinieren müsse. Daraufhin ordnete der Zeuge eine Blutprobe an. Diese wurde um 15:40 Uhr durch einen Arzt an der Kontrollstelle durchgeführt. Nach dem Ergebnis des Untersuchungsberichts des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vom 26. September 2023 befanden sich im Blut des Betroffenen 3,9 ng/ml THC.

Der Verteidiger trug mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2023, eingegangen bei der Bußgeldbehörde am 4. Dezember 2023, auf gerichtliche Entscheidung mit der Begründung an, dass die Anordnung der Blutprobe unzulässig gewesen sei. Dies führe aus Sicht des Verteidigers zu einem Beweisverwertungsverbot.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, insbesondere statthaft. Mit dem Wegfall des Richtervorbehalts und Normierung der Anordnungskompetenz für Blutproben auf die zuständige Verwaltungsbehörde und — gleichrangig — auf deren Ermittlungsbeamte (§ 53 Abs. 2 OWiG) hat die Frage des dagegen zulässigen Rechtsbehelfs an Bedeutung gewonnen. Die Anordnung einer Blutprobe im Bußgeldverfahren ist eine Maßnahme nach § 62 OWiG und als solche grundsätzlich mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbar. Soweit – wie hier – ein Polizeibeamter als originär zuständige Verwaltungsbehörde die Anordnung trifft, ist dies soweit ersichtlich unbestritten (KK-OWiG/Lampe, 5. Auflage, § 46, Rn.41).

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 46 Abs.4 S.1 OWiG ist § 81a Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO mit der Einschränkung anzuwenden, dass zwar nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind, aber die Entnahme einer Blutprobe abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 StPO keiner richterlichen Anordnung bedarf, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist nach den §§ 24a und 24c StVG.

Der Gesetzeswortlaut fordert eine „einfachen“ Verdacht, also keinen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht. Ein solcher Anfangsverdacht setzt nur voraus, dass zureichende, über bloße Vermutungen hinausreichende, tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat (hier: Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG) vorliegen (vgl. BGH BeckRS 2021, 3096; BGH NStZ2016, 370; 551; OLG Koblenz BeckRS 2021; 13791; KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, StPO § 160. Rn. 7).

Vorliegend ist dem Verteidiger einzugestehen, dass die vom Zeugen PK pp. geschilderten Umstände isoliert betrachtet den Verdacht einer Tat gemäß § 24a StVG nicht begründen könnten. Entscheidend ist Überzeugung des Gerichts indessen, dass eine Vielzahl von Besonderheiten beim Betroffenen vorlag, die eben diesen Verdacht begründen. Mag man durch die Situation der polizeilichen Kontrolle noch die Nervosität des Betroffenen erklären können, so gilt dies nicht für das Hinzutreten zitternder Hände sowie einer in der Situation unangemessenen Euphorie. Derartige kumulative, situationsuntypische Reaktionen sind gerade durch die Einnahme von Betäubungsmittel zu erklären. Aufgrund dieser Kumulation der Umstände hat der Polizeibeamte zur Überzeugung des Gerichts zu Recht die Entnahme der Blutprobe angeordnet. Die weitere Frage, ob aus einem etwaigen Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot folgen würde, kann deshalb in diesem Fall dahinstehen.“

Na ja. Es gibt AG-Rechtsprechung, wonach die (allein) „Nervosität“ nicht reicht …..

StPO III: Berufungsverwerfung wegen Ausbleibens, oder: AG-Urteil ohne Unterschrift

Bild von Rafa Bordes auf Pixabay

Und als dritte Entscheidung dann noch der BayObLG, Beschl. v. 29.08.2023 – 203 StRR 331/23. Mit dem bin ich mal ganz mutig. In der Entscheidung spielt nämlich eine Urteil ohne Unterschrift eine Rolle. Ich befürchte, dass es nun wieder los gehen wird 🙂 : Das Kommentieren und Schreiben zu dieser wichtigen 🙂 Frage, die manche nicht verstehen.

In dem dem Beschluss zugrunde liegenden Verfahren war das Urteil des AG nicht unterschrieben. Das LG hat dann die Berufung des Angeklagten trotzdem nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen, als der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt ausgeblieben ist. Und das war richtig, sagt das BayObLG:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, steht der Umstand, dass das erstinstanzliche schriftliche Urteil keine Unterschrift des Tatrichters aufweist, einer Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO nicht entgegen. Das Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 setzt voraus, dass zulässig Berufung eingelegt worden ist, die Verfahrensvoraussetzungen gegeben sind, keine Prozesshindernisse vorliegen, der Angeklagte ordnungsgemäß geladen wurde, weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsmacht erschienen ist und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 329 Rn. 6 ff.; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 329 Rn. 60, 63). Liegen diese Voraussetzungen vor, hat das Berufungsgericht das Verfahren ohne jede sachliche Nachprüfung des angefochtenen Urteils zu beenden (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn. 32). Die Bestimmung nimmt die Möglichkeit in Kauf, dass ein sachlich unrichtiges Urteil allein darum rechtskräftig wird, weil der Angeklagte in der Berufungsverhandlung ohne genügende Gründe ausgeblieben ist (BGH, Urteil vom 3. April 1962 – 5 StR 580/61 –, BGHSt 17, 188-190, juris Rn. 4). Ein Urteil ohne Gründe ist, sofern es nach § 268 Abs. 2 StPO verkündet worden ist, grundsätzlich wirksam und kann in Rechtskraft erwachsen (BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 – 2 StR 144/55 –, BGHSt 8, 41-42, juris).“

Und ja, die Entscheidung ist zutreffend.

StPO II: Bei Urteilsverkündung Maßregel vergessen, oder: (kein) Verkündungs-/Fassungsversehen?

Bild von John Hain auf Pixabay

Und dann die zweite Entscheidung. Die kommt aus Bayern. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 06.09.2023 – 203 StRR 342/23. Der behandelt eine Frage, die sich sicherlich gar nicht so selten stellen dürfte, nämlich: Wie geht man damit um, wenn im erstinstanzlichen Urteil eine Maßregel „vergessen“ worden ist. Zumindest im verkündeten Urteil?

Hier war der Angeklagte durch Urteil des AG wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren trotz Fahrverbots verurteilt worden. Nach der laut Hauptverhandlungsprotokoll in der Hauptverhandlung verkündeten und inhaltsgleich in der schriftlichen Urteilsurkunde wiedergegebenen Urteilsformel hat das AG den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt und ein Fahrverbot von 5 Monaten, jedoch keine Sperrfrist ausgesprochen. In den schriftlichen Gründen der Urteilsurkunde hat es allerdings eine isolierte Sperre nach § 69 a Abs. 1 Satz 3 StGB von einem Jahr begründet. Eine Protokollberichtigung ist nicht erfolgt.

In der Berufung hat das LG eine wirksame Anordnung einer Sperrfrist von einem Jahr angenommen und die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die verhängte Sperrfrist noch 9 Monate beträgt. Das Fahrverbot von 5 Monaten hat es aufrechterhalten.

Das geht so nicht, sagt das BayObLG:

„Die zulässige Revision ist teilweise begründet. Mit der – erstmaligen – Anordnung einer isolierten Sperrfrist hat das Landgericht gegen das in der Revision von Amts wegen zu prüfende (BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 171/00 –, juris; Franke in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 358 Rn. 23 m.w.N.) Verbot der Schlechterstellung (§ 331 Abs. 1 StPO) verstoßen und den Umfang der von Amts wegen zu beachtenden Teilrechtskraft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 1 StR 336/20-, juris Rn. 4 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 171/00 –, juris Rn. 7; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 358 Rn. 22) nicht berücksichtigt. Für die Bestimmung des Umfangs der Bestrafungsgrenze ist die verkündete Urteilsformel maßgeblich (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 1 StR 336/20-, juris Rn. 4 m.w.N.). Das Amtsgericht hat bei der Verkündung des Urteils am 1. März 2023 wie auch im Tenor der schriftlichen Urteilsurkunde keine isolierte Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis ausgesprochen. Auf die Streitfrage, ob in der Revision das Übereinstimmen von verkündeter und im schriftlichen Urteil niedergelegter Urteilsformel von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 1 StR 336/20-, juris Rn. 3), kommt es hier nicht an.

Im einzelnen:

1. Um die Auswirkung der Rechtskraft bestimmen zu können, hat das Berufungsgericht den Verkündungsinhalt von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmen (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2020 – 1 StR 336/20-, juris Rn. 4). Das Erfordernis einer Verfahrensrüge gibt es im Berufungsverfahren nicht.

2. Nach § 268 Abs. 2 S. 1 StPO wird das Urteil durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe verkündet. Nach § 260 Abs. 2 und 4 StPO sind alle Rechtsfolgen in die Urteilsformel mit aufzunehmen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 260 Rn. 38). Mit der Verkündung ist der Urteilsspruch grundsätzlich nicht mehr änderbar und nicht mehr ergänzbar. Die Urteilsformel als Grundlage für die Vollstreckung und die Eintragung der Verurteilung in die Register muss aus sich selbst heraus verständlich sein (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 260 Rn. 30, 31). Rechtsfolgen, die notwendig in die Formel aufzunehmen sind, gelten als nicht verhängt oder als abgelehnt, wenn die verkündete Urteilsformel über sie schweigt (Stuckenberg a.a.O. Rn. 34). Eine nachträgliche Ergänzung der Formel im Wege der Berichtigung ist nur zur Korrektur offensichtlicher Verkündungsversehen in Ausnahmefällen möglich (Stuckenberg a.a.O.).

3. Die verkündete Urteilsformel ist als wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung gemäß § 274 StPO zu protokollieren (vgl. Bartel in KK-StPO, a.a.O. § 268 Rn. 3). Der authentische Wortlaut der Urteilsformel ergibt sich demgemäß aus der Sitzungsniederschrift (BGH, Beschluss vom 13. September 1991 – 3 StR 315/91 –, juris; BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2001 – 2 StR 42/01- und vom 6. Februar 2013 – 1 StR 529/12 Rn. 3 m.w.N., zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – 1 StR 632/18-, juris). Allein das Protokoll beweist nach § 274 Satz 1 StPO, welche Urteilsformel der Vorsitzende tatsächlich verkündet hat (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2019 – 1 StR 632/18 –, juris Rn. 15), während es auf den Wortlaut der niedergelegten Urteilsformel nicht ankommt (Bartel in KK-StPO, a.a.O., § 268 Rn. 3; Stuckenberg in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 268 Rn. 29). Die bloße schriftliche Niederlegung der Anordnung einer Sperrfrist könnte demnach eine unterbliebene Verkündung nicht ersetzen.

4. Nach dem Hauptverhandlungsprotokoll hat das Amtsgericht hier keine Anordnung einer Maßregel nach § 69a StGB verkündet.

a) Die Sitzungsniederschrift ist insoweit eindeutig, der Urteilstenor leidet für sich betrachtet nicht an offensichtlichen Mängeln, ist weder unklar, erkennbar lückenhaft oder widersprüchlich. Die vom Tatgericht niedergeschriebene Urteilsformel haben die beiden Urkundspersonen weder in das Protokoll eingefügt noch als Anlage zum Protokoll genommen (vgl. dazu OLG Köln, Urteil vom 7. November 2006 – 83 Ss 70/06 –, juris Rn. 27; Stuckenberg, a.a.O., Rn. 28, 29), so dass insoweit keine Widersprüchlichkeit innerhalb des Protokolls, die die Beweiskraft des Protokolls erschüttern könnte, vorliegt. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Aufnahme der §§ 69, 69a StGB in die angewandten Strafvorschriften. Denn die Liste der angewandten Vorschriften ist kein Bestandteil des Urteilstenors (BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – 2 StR 280/07 –, juris; Tiemann in KK-StPO, a.a.O. § 260 Rn. 52). Sie ist weder zu verlesen noch sonst bekannt zu geben (BGH, Urteil vom 25. September 1996 – 3 StR 245/96 –, juris; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 260 Rn. 51; Tiemann a.a.O.).

b) Eine förmliche Berichtigung des Protokolls (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. April 2007 – GSSt 1/06 –, BGHSt 51, 298-317 juris) ist nicht erfolgt. Keine der Urkundspersonen ist von der protokollierten Fassung abgerückt (vgl. dazu OLG Hamm, Urteil vom 14. August 1980 – 2 Ss 367/80 –, juris).

c) Der Senat hat daher die Beweiskraft des Protokolls zu beachten. Danach ist die Urteilsformel wie protokolliert verkündet worden. Das Amtsgericht hat in der Urteilsformel keine Anordnung einer Sperrfrist ausgesprochen.

5. Entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft liegt hier kein offensichtliches Verkündungs- oder Fassungsversehen vor.

a) Das Verschlechterungsverbot steht der Nachholung unterlassener Entscheidungen nicht in jedem Fall entgegen (vgl. Gericke a.a.O. § 358 Rn. 19).

b) Das Rechtsmittelgericht kann offensichtliche Versehen im Ausspruch des angefochtenen Urteils berichtigen. Nach der gefestigten Rechtsprechung sind „offensichtlich“ jedoch lediglich solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss – auch ohne Berichtigung – eindeutig erkennbar sein, was das Gericht – zum Zeitpunkt der Verkündung – tatsächlich gewollt und entschieden hat (vgl. zur Berichtigung in der Revision BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 4 StR 77/13 –, juris Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 354 Rn. 33; Franke a.a.O. § 354 Rn. 47 ff.; Gericke a.a.O. § 354 Rn. 20 f.). Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige nachträgliche Abänderung des Urteils einhergeht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2017 – 2 StR 345/16 –, juris Rn. 17; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 1 StR 113/17 –, juris Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 268 Rn. 10). Hinsichtlich der Frage einer möglichen Berichtigung der mündlich verkündeten Urteilsformel könnte auch die mündliche Urteilsbegründung Berücksichtigung finden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. Rn. 10 m.w.N.). Grundsätzlich ist jedoch in Ansehung der überragenden Bedeutung der Urteilsformel, die – anders als die schriftlichen Urteilsgründe – bei Verkündung schriftlich vorliegen muss, bei einer Berichtigung der Urteilsformel Zurückhaltung geboten (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1952 – 5 StR 480/52, BGHSt 3, 245, 247, juris; BGH, Urteil vom 8. November 2017 – 2 StR 542/16 –, juris Rn. 18).

c) Gemessen daran kann im vorliegenden Fall in der unterlassenen Verkündung einer Entscheidung über die Anordnung einer Sperre keine Unrichtigkeit erblickt werden, deren Offensichtlichkeit sich zwanglos aus Tatsachen ergeben würde, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage liegen und die jeden Verdacht einer unzulässigen nachträglichen Änderung ausschließen. Die verkündete Urteilsformel selbst war in sich widerspruchsfrei und eindeutig. Für weitere aus dem Ablauf der Urteilsverkündung ergebende und für die Verfahrensbeteiligten klar zu Tage liegenden Tatsachen, die ein reines Versehen bei der Fassung des Tenors offenkundig machen könnten, ist hier nichts ersichtlich, insbesondere fehlen Anhaltspunkte, dass die mündliche Mitteilung der Entscheidungsgründe, die gemäß § 268 Abs. 2 StPO mit der Verlesung der Urteilsformel eine Einheit bildet, den Verfahrensbeteiligten ohne weiteres die Gewissheit über die Anordnung einer Sperre – etwa im Wege der mündlichen Erörterung der Sperrfrist – vermittelt hätte. Die spätere schriftliche Urteilsbegründung, die für die Verfahrensbeteiligten erkennbar Ausführungen zu einer Sperre enthält, reicht für sich allein nicht aus, um nachträglich die wahre Entscheidung des Amtsgerichts zum allein maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsverkündung aufzuzeigen (vgl. Stuckenberg a.a.O. Rn. 54; Franke a.a.O. § 354 Rn. 49). Wird eine bestimmte Rechtsfolge als Teil des Urteilsspruchs nicht verkündet, liegt kein offensichtliches Verkündungs- oder Fassungsversehen vor, das vom Revisionsgericht nachträglich richtig gestellt werden könnte (so auch BGH, Beschluss vom 10. Mai 1988 – 5 StR 47/88 –, juris ebenfalls zu einer versehentlich unterbliebenen Verkündung der Anordnung einer Sperre; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Mai 1974 – 4 StR 633/73 –, BGHSt 25, 333-338 juris; im Ergebnis auch Franke a.a.O).

d) Der Umstand, dass die nach der Urteilsverkündung gefertigten schriftlichen Urteilsgründe des Amtsgerichts für sich genommen rechtlich einwandfreie Erwägungen enthalten, die die Festsetzung der nicht verkündeten Anordnung einer Sperrfrist rechtfertigen würden, vermag aufgrund des Widerspruchs von Tenor und Gründen an dem Ergebnis somit nichts mehr zu ändern.

6. Mangels Anordnung einer Maßregel in der ersten Instanz durfte das Landgericht auf die Berufung des Angeklagten hin nach § 331 Abs. 1 StPO keine Entscheidung zur isolierten Sperre treffen. Das in der Revision angefochtene Urteil ist somit entsprechend zu korrigieren…..“

StPO I: Wohnungsdurchsuchung wegen sog. Adbusting, oder: Unverhältnismäßige Maßnahme

© eyetronic – Fotolia.com

Und dann die ersten StPO-Entscheidungen 2024. Und die erste kommt dann vom BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 05.12.2023 – 2 BvR 1749/20 -, über den ja auch anderweitig schon berichtet worden ist noch einmal zur Rechtsmäßigkeit einer Durchsuchungsmaßnahme Stellung genommen.

Folgender Sachverhalt: Am 13.05.2019 wurde die Beschwerdeführerin von zwei Polizisten dabei beobachtet, wie sie mit einer weiteren Person einen Schaukasten öffnete, um das dortige Werbeplakat der Bundeswehr abzuhängen und durch ein optisch sehr ähnliches, aber verfälschtes Plakat zu ersetzen. Der ursprüngliche Text des Plakats war in sinnentstellender Weise so verändert worden, dass es, dem Werbezweck des Plakats zuwider, Kritik an der Bundeswehr und einem Rüstungsunternehmen zum Ausdruck brachte; sog. Adbusting. Die Polizisten unterbanden den Versuch und stellten das Werkzeug und das mitgebrachte verfremdete Plakat sicher. Das Originalplakat wurde wieder im Schaukasten aufgehängt.

Im Juni 2019 stellte die Polizei weitere, auf die bereits beschriebene Weise veränderte Werbeplakate der Bundeswehr fest. Nach Auffassung der Polizei waren Parallelen zum Fall der Beschwerdeführerin zu erkennen.

Mit Beschluss vom 17.07. 2019 ordnete dann das AG die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin an. Die Beschwerdeführerin sei wegen des Geschehens am 13.05.2019 u.a. des besonders schweren Falles des Diebstahls verdächtig. Am 06.092019 wurde der Durchsuchungsbeschluss vollstreckt. Daraufhin legte die Beschwerdeführerin gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde ein, die das LG als unbegründet verwarf. Der Anfangsverdacht einer Straftat habe vorgelegen, weil das Verhalten der Beschwerdeführerin als versuchter Diebstahl und Sachbeschädigung einzustufen sei. Die Durchsuchung sei auch nicht unzulässigerweise im Hinblick auf andere Fälle des sog. „Adbustings“ erfolgt, sondern zur Untermauerung des Tatverdachts in dem konkret gegen die Beschwerdeführerin geführten Verfahren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei noch gewahrt worden.

Mit ihrer gegen die Beschlüsse des AG und des LG gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere die Verletzung ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Sie hatte Erfolg. Das BVerfG bejaht zwar einen Anfangsverdacht, es verneint aber die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Es führt u.a. aus:

„(3) Die so auszulegenden Durchsuchungsbeschlüsse genügen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht. Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht (vgl. BVerfGE 42, 212 <220>; 59, 95 <97>; 96, 44 <51>; 115, 166 <198>). Zwar wurde die Beschwerdeführerin im Moment der Abnahme des Plakats von zwei Polizeibeamten beobachtet, sodass der Verdacht des versuchten Diebstahls besteht. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung, die die hohe Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung in den Blick nimmt, sprechen jedoch der allenfalls schwache Anfangsverdacht einer vollendeten Sachbeschädigung, die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit des Auffindens der erhofften Beweismittel und deren untergeordnete Bedeutung für das Strafverfahren gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnungen.

(a) Die angegriffenen Entscheidungen setzen sich mit der Schwere der Taten und der zu erwartenden Strafe nicht hinreichend auseinander. Der pauschale Verweis auf den Strafrahmen – so wie durch das Beschwerdegericht geschehen – reicht nicht aus, um die Schwere der verfolgten Taten zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2008 – 2 BvR 384/07 -, juris, Rn. 18).

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit kann lediglich berücksichtigt werden, welche Strafe hinsichtlich der konkreten Tat zu erwarten war, die durch die Durchsuchung aufgeklärt werden sollte. Wie bereits dargestellt, beschränkt die Durchsuchungsanordnung den Zweck der Durchsuchung auf die Aufklärung der Geschehnisse vom 13. Mai 2019. Ob die Durchsuchung eventuell zur Aufklärung bislang ungeklärter Fälle des „Adbustings“ hätte beitragen können, muss bei der Frage nach der Schwere der aufzuklärenden Tat daher außer Betracht bleiben. Die zu erwartende Strafe – hätte sich der Tatverdacht des versuchten Diebstahls und der vollendeten Sachbeschädigung im Rahmen der Durchsuchung bestä-tigt – wäre daher voraussichtlich niedrig ausgefallen. Zwar spricht aus den Taten die Bereitschaft, sich über fremde Eigentums- und Besitzrechte hinwegzusetzen. Zudem übersteigt der Werbewert der Plakate deren materiellen Wert, sodass voraussichtlich keine Bagatellstraftaten anzunehmen gewesen wären. Da es sich bei Erhärtung des Tatverdachts jedoch lediglich um einen versuchten Diebstahl und eine Sachbeschädigung einer jeweils nicht wertvollen Sache gehandelt hätte, wäre die zu erwartende Strafe aufgrund der fehlenden Schwere der Taten wohl dennoch gering.

(b) Zudem ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Durchsuchung tatsächlich zum Auffinden von Beweismitteln geführt hätte, die den Verdacht hinsichtlich der Vorgänge vom 13. Mai 2019 hätten erhärten können. Selbst wenn – wie in den Durchsuchungsanordnungen angegeben – in der Wohnung der Beschwerdeführerin andere Werbeplakate, Werkzeuge zum Öffnen der Schaukästen, Schablonen und sonstige Materialien zur Umgestaltung von Plakaten sowie Mobiltelefone oder Tablets, die die Umgestaltung der Plakate dokumentierten, gefunden worden wären, so könnten diese Gegenstände allenfalls belegen, dass die Beschwerdeführerin wohl für die „Adbusting“-Szene aktiv ist. Einen Rückschluss darauf, ob die Beschwerdeführerin am 13. Mai 2019 in Zueignungsabsicht gehandelt hat, ließen diese Gegenstände hingegen kaum zu. Es bliebe trotz des Auffindens der Beweismittel möglich, dass es der Beschwerdeführerin an diesem Tag nur darum gegangen war, das verfremdete Plakat aufzuhängen, ohne das Originalplakat mitzunehmen. Auch könnten derartige Beweismittel kaum belegen, dass das am 13. Mai 2019 sichergestellte, veränderte Plakat in fremdem Eigentum steht und von der Beschwerdeführerin beschädigt worden ist. So ist bereits unklar, welches Beweismittel zur Klärung der Frage, wer Eigentümer des Plakats ist, geeignet sein sollte. In Betracht kämen hier wohl lediglich persönliche oder digitale Aufzeichnungen über die Entwendung des konkret sichergestellten Plakats. Da die Existenz eines solchen Beweismittels höchst zweifelhaft ist, kann auch die Auffindewahrscheinlichkeit nur als äußerst gering betrachtet werden.

b) Demgegenüber verstoßen die Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. Juli 2019 und 6. September 2019 sowie des Landgerichts Berlin vom 24. August 2020 nicht gegen die Grundrechte der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG). Zum einen ist nicht substantiiert dargelegt oder anderweitig ersichtlich, warum die Meinungs- oder die Kunstfreiheit, sofern denn deren Schutzbereiche eröffnet sein sollten, einer je nach Begehungsweise in Betracht kommenden (vgl. hierzu Lampe/Uphues, NJW 2021, S. 730 ff.) Strafbarkeit des „Adbustings“ und damit der Annahme eines strafprozessualen Anfangsverdachts durchgreifend entgegenstehen sollten. Zum anderen ist nicht anzunehmen, dass in den Durchsuchungen selbst wegen des mit ihnen einhergehenden Abschreckungseffekts Eingriffe in die Meinungs- und Kunstfreiheit liegen. Derartige Wirkungen einer strafprozessualen Ermittlungsmaßnahme müssten im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG berücksichtigt werden; sie begründen aber keine eigenständigen Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG (zu vergleichbaren Auswirkungen einer Durchsuchung auf die Berufsfreiheit vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. März 2009 – 2 BvR 1036/08 -, juris, Rn. 64).“