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Und die dritte Entscheidung kommt dann mal nicht vom KG 🙂 , sondern vom OLG Zweibrücken. Das hat mit dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.06..2022 – 1 OWi 2 SsRs 85/21 – über die Rechtsbeschwerde gegen ein Verwerfungsurteil zu entscheiden, dem folgender Verfahrensablauf zugrunde gelegen hat:
Nach Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung war Hauptverhandlungstermin auf den 25.03.2022 bestimmt. Zu dem waren weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen. Das AG hat den Einspruch daher nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das beim AG per Fax am selben Tag um 12:09 Uhr über den allgemeinen Anschluss eingegangene Schreiben, in dem der Verteidiger um Entbindung des Betroffenen vom persönlichen Erscheinen ersuchte, fand dabei keine Berücksichtigung. Es erreichte den zuständigen Richter über die Geschäftsstelle erst im Nachgang zur Hauptverhandlung. Auf dem Empfangsbekenntnis für die Ladung zur Hauptverhandlung, das der Verteidiger an das AG zurückgeleitet hat, war nach der Angabe des Ansprechpartners (Frau B.) die Fax-Nr. der Geschäftsstelle (0621/5616-384) und im Briefkopf unter der Anschrift des Amtsgerichts die Fax-Nr. des allgemeinen Anschlusses (0621/5618-380) angegeben.
Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde und erhebt die Verfahrens- und Sachrüge. Er macht insbesondere geltend, der Einspruch sei zu Unrecht verworfen worden, da vor dem Hauptverhandlungstermin ein Antrag auf Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden war, der vom AG nicht beschieden worden sei.
Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg:
„2. Die Rüge ist auch begründet.
Nach § 74 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen, wenn der Betroffene ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden war. Dabei kann der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde nur die fehlerhafte Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG auf den in der Hauptverhandlung bekannten Sachverhalt rügen. Eine Entscheidung gemäß § 74 Abs. 2 OWiG wird auf die Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüft, ob der rechtzeitig erhobene Einspruch zu Recht als unbegründet verworfen wurde, weil der Betroffene trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung und mangels Entbindung von der Verpflichtung zum Termin zu erscheinen, zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist. Wird ein Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, zu Unrecht zurückgewiesen oder aber, wie hier, nicht beschieden, so liegt – falls am Ende ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs.2 OWiG ergeht – die Verletzung des Rechtes auf rechtliches Gehör darin, dass das Gericht nicht in Abwesenheit des Betroffenen dessen Einlassung oder Aussageverweigerung, auf die der Entbindungsantrag gestützt wird (§ 73 Abs.2 OWiG), zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung in der Sache erwogen, sondern mit einem Prozessurteil den Einspruch des Betroffenen verworfen hat (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 18.11.2002 – 2 Ss (OWi) 35 Z/02 –, juris Rn. 6).
Der Betroffene hat vorliegend mit Verteidigerschriftsatz vom 25.03.2021 per Fax Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen gestellt, der um 11:44 Uhr von der Kanzlei versandt und um 12:09 Uhr über den allgemeinen Anschluss bei der Wachtmeisterei eingegangen ist. Der Hauptverhandlungstermin fand um 15:20 Uhr statt und endete, da dem Tatrichter der Schriftsatz zu diesem Zeitpunkt nicht vorlag, mit einem Verwerfungsurteil.
Dass dem Amtsrichter der Entbindungsantrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich nicht zur Kenntnis gelangt war, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein, ob der Antrag bei gehöriger gerichtsinternen Organisation dem Richter hätte rechtzeitig zugeleitet werden können (OLG Koblenz, Beschluss vom 27.04.2021 – 3 OWi 6 SsBs 59/21, juris). Dabei ist zu prüfen, ob im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt das Gericht von ihm Kenntnis hätte nehmen können und ihn deshalb einer Bearbeitung hätte zuführen müssen. Die reine Zeitspanne zwischen Antragseingang bis zum Hauptverhandlungstermin ist dabei nur ein Teilaspekt, wobei in diesem Zusammenhang die gewöhnlichen Geschäftszeiten des jeweiligen Gerichts nicht außer Acht zu lassen sind (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2007 – 2 Ss OWi 1409/07, BeckRS 2007, 19100). Außerdem ist zu berücksichtigen, ob – falls der Kommunikationsweg via Fax gewählt wurde – die Telekopie an den Anschluss der zuständigen Geschäftsstelle oder an einen allgemeinen Anschluss des Gerichts versandt wurde. Im letzteren Fall bedarf es eines Hinweises auf die Eilbedürftigkeit der Vorlage an den zuständigen Richter (OLG Bamberg, Beschluss vom 23.05.2017 – 3 Ss OWi 654/17 –, juris Rn. 5).
Gemessen hieran war zu erwarten, dass der Schriftsatz dem zuständigen Tatrichter rechtzeitig zugeleitet werden kann. Die Geschäftsabläufe des Amtsgerichts hätten – auch unter Berücksichtigung der Mittagspause – gewährleisten müssen, dass ein Schriftsatz, der per Fax gut drei Stunden vor der Hauptverhandlung über den allgemeinen Anschluss des Gerichts eingeht und den Hinweis „Eilt! Termin heute!“ enthält, bis zum Beginn der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle erreicht (insofern liegt der Fall auch anders als derjenige, den das Oberlandesgericht Bamberg zu entscheiden hatte, Beschluss vom 27.01.2009 – 2 Ss OWi 1613/08, juris; hier fehlte es an einem Hinweis auf die für denselben Tag anberaumte Hauptverhandlung). Mit dem Hinweis auf die Eilbedürftigkeit war die Behandlung als Sofortsache geboten (vgl. Senat, Beschluss vom 10.07.1996 – 1 Ss 161/96, juris).
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bei dem Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein nach Auskunft der Geschäftsleitung die mündliche und über Jahre praktizierte Anweisung gilt, dass Faxeingänge auf dem zentralen Faxanschluss fünfmal täglich gesichtet und auf Eilbedürftigkeit überprüft werden. Soweit die Eilbedürftigkeit ersichtlich ist, erfolgt ein Anruf in der zuständigen Abteilung und die Übergabe des Faxschreibens von Hand zu Hand.
Demnach liegt eine Gehörsverletzung in der Nichtbescheidung des Antrags auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen vor.
Auf eine etwaige Verletzung der Aufklärungs- bzw. Fürsorgepflicht des Tatrichters, die es gebietet, dass sich der Richter vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine entsprechende Nachricht – möglicherweise Anträge auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen oder zu Hinderungsgründen für das Nichterscheinen – vorliegt (KG Berlin, Beschluss vom 10.11.2011 – 3 Ws (B) 529/11, juris), kommt es aus den soeben dargestellten Gründen nicht mehr an. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es die Sachaufklärungspflicht des Tatrichters grundsätzlich nicht gebietet, bei der Einlaufstelle nachzuforschen, ob dort ein Entschuldigungsschreiben des Betroffenen eingegangen ist, was nicht nur unter den Verhältnissen eines Großstadtgerichts eine Überspannung der Aufklärungspflicht wäre (BayObLG wistra 1992, 320; Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 74 Rn.31 m. w. N.).“