Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

beA II: Einspruch im OWi-Verfahren nur elektronisch?, oder: Ebenfalls „Nein“, sagt das OLG Karslruhe

folgenden Text dazu nutzen:
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Ich hatte vor einigen Tagen über den OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.02.2023 – 1 Ss-OWi 1460/22 – berichtet. Das ist/war die Entscheidung, in der das OLG klar gestellt hat, dass die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid auch nach der Einführung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten nicht der Formvorschrift gemäß § 110c OWiG, § 32d Satz 2 StPO unterliegt. Die Frage war bis dahin ja obergerichtlich noch nicht entschieden.

Nun gibt es eine zweite OLG-Entscheidung zu der Frage, nämlich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.03.2023 – 2 ORbs 35 Ss 125/23. Das OLG Karlsruhe nimmt im Rahmen einer Rechtsbeschwerde – Stichwort: Wirksamkeit des Einspruchs – ebenfalls zu der Frage Stellung. Es löst sie wie das OLG Frankfurt am Main:

„1. Der Bußgeldbescheid des Landratsamts des X-Kreises vom 3.6.2022 ist nicht bestandskräftig geworden, weshalb das Amtsgericht nicht am Erlass des angefochtenen Urteils gehindert war.

a) Aus den Akten, die dem Senat bei der Prüfung von Verfahrenshindernissen uneingeschränkt zugänglich sind, ergibt sich dazu folgender Verfahrensablauf: Einen ersten am 19.4.2022 erlassenen und dem Betroffenen am 22.4.2022 zugestellten Bußgeldbescheid nahm die Bußgeldbehörde mit dem Erlass des Bußgeldbescheids vom 3.6.2022, der dem Betroffenen am 9.6.2022 zugestellt wurde, zurück. Der Betroffene legte gegen den Bescheid vom 3.6.2022 am 17.6.2022 Einspruch mittels Schriftsatz seines Verteidigers ein, der als Telefax eingereicht wurde.

b) In der Instanzrechtsprechung ist bisher unterschiedlich beurteilt worden, ob die Formvorschriften der §§ 110c Satz 1 OWiG, 32d Satz 2 StPO auch für die Einlegung des Einspruchs gegen einen Bußgeldbescheid gelten, bei der Einlegung durch Rechtsanwälte also nur die Einreichung als elektronisches Dokument zugelassen ist und ansonsten die Erklärung unwirksam ist. Dies ist vom Amtsgericht Hameln (Beschluss vom 14.2.2022 – 49 OWi 23/22 = NZV 2022, 333, ebenso Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 67 Rn. 21a; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl./32. Lfg., § 110c Rn. 24; wohl auch KK-Graf, OWiG, 5. Aufl., § 110c Rn. 49, 53) verneint, vom Amtsgericht Tiergarten (Beschluss vom 5.4.2022 – 310 OWi 161/22 = StraFo 2022, 318; ebenso Stahnke in Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl., § 110c Rn. 25 unter Bezugnahme auf die in der 5. Aufl. von Krenberger/Krumm, OWiG, § 110c Rn. 13 vertretene Auffassung, wohingegen dort die Frage in der aktuellen 7. Aufl. offen gelassen wird; ebenso offenlassend BeckOK-OWiG/Valerius, 37. Ed., § 110c Rn. 1.1) hingegen unter Hinweis auf die Regelung in § 335 Abs. 2a HGB und die Entstehungsgeschichte bejaht worden. Obergerichtlich ist die Frage bislang – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden.

c) Der Senat schließt sich der vom Amtsgericht Hameln vertretenen Auffassung an; die hiergegen in der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Soweit dabei an Materialien zum Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 29/28399) angeknüpft wird, geht dies schon deshalb fehl, weil die Vorschriften des § 110c OWiG und § 32d StPO gar nicht Gegenstand dieses Gesetzes waren. In der Begründung zum Entwurf des Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, mit dem die genannten Vorschriften eingeführt wurden, heißt es hingegen zur maßgeblichen Bestimmung des § 32d StPO unmissverständlich: „Satz 2 sieht demgegenüber eine Rechtspflicht zur elektronischen Einreichung von Dokumenten nur für bestimmte Verfahrenserklärungen vor, die aufgrund der Besonderheiten des Strafverfahrens auf die hier abschließend aufgeführten Erklärungen beschränkt werden soll.“ (BR-Drs. 236/16 S. 49 f.) Mit dieser bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für das Enumerationsprinzip ist es unvereinbar, die Rechtspflicht des § 32d Satz 2 StPO auf dort nicht genannte Rechtshandlungen bzw. über § 110c OWiG ihre Entsprechungen im Bußgeldverfahren auszudehnen. Da § 110c OWiG die entsprechende Anwendung von § 32d Satz 2 StPO anordnet, aber § 32d Satz 2 StPO die Rechtspflicht zur Einreichung als elektronisches Dokument nicht für eine dem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entsprechende Handlung im Strafverfahren vorschreibt, wird danach der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid von diesen Vorschriften nicht erfasst.

d) Infolge der danach wirksamen rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs ist der Bußgeldbescheid vom 3.6.2022 nicht in Bestandskraft erwachsen.“

Damit sollte die „Kuh vom Eis“ sein. Aber: Sicher ist sicher – also Einspruch ggf. doch als elektronisches Dokument.

 

Durchsuchung III: BGH-Ermittlungsrichter war tätig, oder: Rechtsmittel gegen Form der Durchsuchung?

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Und dann noch einmal etwas vom BGH, nämlich der BGH, Beschl. v. 15.03.2023 – StB 10/23 -, der stellvertretend steht für eine ganze Reihe von Beschlüssen zu der Thematik vom BGH aus der letzten Zeit.

Es geht um die Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH. Der Senat hat die als unzulässig zurückgewiesen:

„Der Generalbundesanwalt führt gegen zahlreiche Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 29. November 2022 (1 BGs 789/22) die Durchsuchung der Person des Betroffenen, seiner Wohnräume, seiner sonstigen Räume und Sachen sowie seiner Fahrzeuge angeordnet. Die Durchsuchung ist am 7. Dezember 2022 vollzogen worden.

Der Drittbetroffene hat Antrag auf gerichtliche Entscheidung „gegen die Art und Weise der Durchsuchung“ gestellt und beantragt, festzustellen, dass das gewaltsame Aufschießen seiner Haustür, seine Fesselung mit Kabelbindern und Handschellen sowie die Gestattung des Lesens des Durchsuchungsbeschlusses erst nach durchgeführter Durchsuchung rechtswidrig waren. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat den Antrag durch Beschluss vom 1. Februar 2023 zurückgewiesen (1 BGs 55/23). Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist unzulässig. Gemäß § 304 Abs. 5 StPO ist die Beschwerde gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs nur statthaft, wenn diese die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 StPO bezeichneten Maßnahmen betreffen. Unter „Verfügungen“ in diesem Sinne sind auch solche im Vorverfahren getroffenen Entscheidungen zu verstehen, die als Beschluss ergehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2020 – StB 33/20, juris Rn. 3; vom 11. Mai 1979 – StB 26/79 u.a., BGHSt 29, 13).

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Betroffene nicht gegen die Durchsuchungsanordnung als solche, sondern gegen die Art und Weise des Vollzugs der Durchsuchung. Insoweit ist eine Beschwerde zum Bundesgerichtshof mit Blick auf den eng auszulegenden Anwendungsbereich des § 304 Abs. 5 StPO nicht statthaft (st. Rspr.; s. BGH, Beschlüsse vom 18. November 2021 – StB 6/21 u.a., BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 4; vom 13. Oktober 1999 – StB 7/99 u.a., BGHR StPO § 304 Abs. 5 Durchsuchung 3 mwN; vgl. auch MüKoStPO/Hausschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 43; MüKoStPO/Neuheuser, § 304 Rn. 65; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 304 Rn. 19).“

Durchsuchung II: Handy-Durchsicht fast 3 Jahre?, oder: „Kannst ja die Passwörter nennen…“

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Für das zweite „Durchsuchungsposting“ geht es von ganz oben, also vom BGH, nach ganz unten, also zum AG, und zum AG Hamburg. Das hat im AG Hamburg, Beschl. v. 30.03.2023 – 162 Gs 2237/21 – zur Rechtswidrigkeit einer andauernden Durchsuchung Stellung genommen. Stichwort: Durchsicht von Papieren ua.

In einem Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche ist mit Beschluss vom 22.10.2021 die Durchsuchung der Wohn- und Nebenräume der Beschuldigten angeordnet worden. Die Vollstreckung dieses Beschlusses erfolgte am 01.11.2021. Im Rahmen der Durchsuchung wurden bei der Beschuldigten vier elektronischen Gegenstände aufgefunden und in Fortsetzung der Durchsüchung zum Zwecke der Durchsicht der in ihnen verbauten Datenträger nach § 110 StPO auf die Dienststelle der Einsatzkräfte mitgenommen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 04.02.2022 ist die Rechtmäßigkeit der am 01.11.2021 erfolgten Mitnahme zur Durchsicht von zwei der vorgenannten Datenträger zwischenzeitlich gemäß § 110 Abs. 4 StPO i. V. m. § 98  Abs. 2 StPO bestätigt worden.

Mit Verfügung vom 27.06.2022 hat die Staatsanwaltschaft.Hamburg das für die Sachbehandlung zuständige LKA 66 gebeten, die Ermittlungen in der vorliegenden Sache abzuschließen, insbesondere eine Auswertung der Inhalte der sichergestellten Datenträger vorzunehmen. Nach dem Inhalt des Vermerks des LKA 66 vom 14.09.2022 waren die  Datenträger bereits zuvor am 18.05.2022 an das mit der (technischen) Auswertung befasste LKA 542 – Forensische LuK – weitergeleitet worden. Nach dem weiteren Inhalt dieses Vermerks soll seitens des stellvertretenden Sachgebietsleiters des LKA 542 die Ansage erfolgt sein, dass mit der „Bearbeitung der Laptops voraussichtlich im Juli 2023 und mit der Bearbeitung der Mobiltelefone voraussichtlich im Juli 2024 begonnen“ werde. Der Vermerk des LKA 66 endet daher mit der Feststellung, dass die Ermittlungen in der vorliegenden Sache in Form der Auswertung der Daten auf den elektronischen Datenträgern „frühestens“ im Juli/August 2023 fortgesetzt werden können. Mit Verfügung vom 26.09.2022 hat die Staatsanwaltschaft die Verteidigung über die vom LKA 66 getroffenen Feststellungen in Kenntnis gesetzt und darauf verwiesen, dass eine „Beschleunigung“ von dort aus „leider nicht veranlasst werden“ könne. Letzteres könne allerdings dadurch geschehen, wenn die Beschuldigte bereit sei, die entsprechenden Passwörter der Geräte zu benennen. Bereits mit einer vorangegangenen Email hatte die Verteidigung eine entsprechende Preisgabe abgelehnt, dafür mit einem an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatz vom 20.02.2023 beantragt, nunmehr im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung die Herausgabe der im Tenor dieser Entscheidung bezeichneten Geräte zu beschließen.

Das AG sieht das als rechtswidrig an.

„Auch wenn in dem Antrag der Verteidigung auf gerichtliche Entscheidung eine konkrete Rechtsgrundlage für das dort als solches formulierte Herausgabeersuchen nicht genannt ist, versteht das Gericht den rechtlichen Kern des dortigen Begehrens dahingehend, dass die Beklagte die gerichtliche Feststellung begehrt, dass aufgrund des bisherigen Zeitablaufs bzw. der bis zum -Abschluss der ausstehenden Auswertungsarbeiten noch zu erwartenden Zeit ein weiterer Einbehalt der streitbefangenen elektronischen Geräte durch die Ermittlungsbehörden nicht länger verhältnismäßig wäre. Da nach allgemeiner Auffassung eine Mitnahme von Unterlagen und/oder Datenträgern im Sinne des § 110 StPO in Fortsetzung einer laufenden Durchsuchung erfolgt, die zum Nachteil der Beschuldigten pp. angeordnete Durchsuchung mithin auch aktuell noch andauert, legt das Gericht das rechtliche Begehren der Verteidigung dahingehend aus, dass in. entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 StPO die Art und Weise der Durchsuchung, insbesondere der zeitliche Umfang der Durchsichtsmaßnahme gerügt wird.

Dem so verstandenen Antragsbegehren der Beschuldigten war in der tenorierten Form stattzugeben. Wie von der Verteidigung zu Recht darauf hingewiesen, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass sich die Ermittlungsbehörden im Falle einer Mitnahme zur Durchsicht nach § 110 StPO zügig an die Durchsicht der vorgefundenen Unterlagen/Daten mit dem Ziel machen, in angemessener Zeit selektiv zu erarbeiteten, ob und ggf. welche der zur Durchsicht mitgenommenen Unterlagen/Daten dem Gericht für eine machfolgende Beschlagnahmeanordnung vorzulegen sind. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang zu konzedieren, dass entsprechende normative Vorgaben, in welcher Zeit eine entsprechende Durchsicht zu erfolgen hat, nicht vorhanden sind, so dass eine entsprechende Bewertung unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Einzelfalles vorzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund hat das Gericht festzuhalten, dass die vorläufige Sicherstellung der zu sichtenden Datenträger bei der Beschuldigten bereits am 01.11.2021 erfolgt ist und damit fast siebzehn Monate zurückliegt. Seit dieser Zeit befinden sich die durchzusehenden Geräte im Gewahrsam der Ermittlungsbehörden und stehen seitdem grundsätzlich für entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung: Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass insoweit auch der – allerdings von dritter Seite im Anschluss an die Durchsuchung gestellte – Antrag nach § 110 Abs. 4 StPO i. V. m. § 98 Abs. 2 StPO nichts an der Richtigkeit der Aussage ändert, da einem solchen Antrag grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung beizumessen ist. Tatsächlich standen daher der Durchsicht der Datenträger der sichergestellten Geräte seit deren Mitnahme keine rechtlichen Erwägungen entgegen.

In diesem Zusammenhang erachtet es das Gericht bereits als bedenklich, dass die auszuwertenden Geräte nach dem Vermerk des LKA 66 erst am 1.8.05.2022, also mehr als ein halbes Jahr nach deren Sicherstellung, an das für die technische Auswertung zuständige LKA 542 weitergeleitet worden sind. Für das Gericht nicht nachvollziehbar und daher rechtlich inakzeptabel ist allerdings die prognostische Einschätzung des stellvertretenden Sachgebietsleiters des LKA 542, wonach mit der Auswertung der Laptops erst im Juli 2023 und mit der Auswertung der Handys voraussichtlich erst im August 2024 begonnen werden könne. Vor dem Hintergrund einer solchen Aussage, die bislang in keiner Form von den Ermittlungsbehörden oder der Staatsanwaltschaft relativiert worden ist, muss das Gericht davon ausgehen., dass die erforderliche, zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal begonnene Durchsicht noch weitere Auswertungszeiträume von deutlich über einem (weiteren) Jahr in Anspruch nehmen wird. Dabei gilt es festzuhalten, dass die absehbare Auswertungsdauer nicht etwa einer besonderen Schwierigkeit der konkreten Einzelfallsituation geschuldet ist, sondern ersichtlich darauf beruht, dass seitens der Polizei entsprechend ausreichende personelle und/oder technische Kapazitäten nicht zur Verfügung stehen. Wie vom Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont, ist es aber unzulässig, dem Grunde nach rechtmäßige Einschränkungen der Grundrechte dadurch zu intensivieren, dass aufgrund fehlender Ressourcen die gebotene Beendigung des Eingriffs bzw. der Eingriffsintensität nicht zeitgerecht erfolgen kann. Dabei spielt es bei der rechtlichen Beurteilung der Sache nach keine Rolle, dass die Beschuldigte Iden Auswertungszeitraum in der Tat verkürzen könnte, wenn sie bereit wäre, den Ermittlungsbehörden mittels Eröffnung der Passwörter Zugang zu ihren Speichermedien zu verschaffen, da eine derartige Mitwirkungsverpflichtung im deutschen Strafprozessrecht nicht besteht und daher auch nicht auf die vorbezeichnete Art und Weise erzwungen werden kann.

Aufgrund der – unwidersprochenen – Ankündigung des stellvertretenden Sachgebietsleiters des LKA 542, dass mit einem Abschluss der Durchsichtsmaßnahmen nicht vor Mitte 2024 zu rechnen ist, war das Spannungsverhältnis zwischen einer sachgerechten Strafverfolgung auf der einen und dem Grundrechtsschutz der Betroffenen auf der anderen Seite dahingehend aufzulösen, dass dem Antrag der Verteidigung auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der so gekennzeichneten Art und Weise der (fortgesetzten) Durchsuchung zu entsprechen ist.“

M.E. zutreffend. Und: Sehr schön der Hinweis auf die nicht bestehenden Mitwirkungspflichten…..

Durchsuchung I: Geplanter Sturm auf den Bundestag, oder: Der BGH und die „Reichsbürger-Durchsuchung“

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Heute stelle ich drei Entscheidungen zur Durchsuchung (§§ 102 ff. StPO) vor. Darunter zwei BGH-Beschlüsse. Es kommt ja nicht so häufig vor, dass sich der BGH zu Durchsuchungsfragen äußert.

Und das hat er dann im BGH, Beschl. v. 30.03.2023 – StB 58/22 – getan. Ergangen ist der Beschluss in einem gegen zahlreiche Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und weiterer Straftaten. Der Beschluss ist m.E. nicht so sehr wegen der Ausführungen des BGH zu den Durchsuchungsfragen von Bedeutung, insoweit enthält er nichts Neues. Sondern: Interessant und bedeutsam ist nämlich der der Durchsuchung zugrunde liegende Sachverhalt. Es handelt sich nämlich um die Durchsuchung in der Reichsbürger-Szene im Dezember 2022.

Der BGH hat den Sachverhalt, der ja nun auch ausführlich in der Presse behandelt worden ist, in dem 18 Seiten umfassenden Beschluss „sehr schön“ zusammengetragen. Wenn man das zusammengasst – wegen der Einzelheiten verweise ich auf den verlinkten Volltext – hatten die (mutmaßlichen) Führungsmitglieder der Reichsbürger-Gruppierung, Pläne für einen gewaltsamen Sturm auf den Bundestag gehabt haben. Nach dem Beschluss wollte ein „Kommando“ Regierungsmitglieder und Abgeordnete in Handschellen abführen, Man hatte bereits Kontakt zu mehreren Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte aufgenommen. zudme hatte man sich u.a. Munition, Gewehrmagazine und Nachtsichtgeräte besorgt und in Berlin Fotos von Absperrgittern am Paul-Löbe-Haus, vom Eingang der U-Bahn-Station „Bundestag“ und vom Schloss Bellevue gemacht. Außerdem soll ine Namensliste von Politikern, Journalisten und anderen Personen des öffentlichen Lebens existiert haben. haben.

Zum konkreten Stand der Vorbereitungen führt der BGH aus:

„Die Angehörigen der Gruppierung hatten ihren Entschluss, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unter Anwendung von Waffengewalt gegen Repräsentanten des Staates zu beseitigen und sie durch eine eigene Staatsstruktur zu ersetzen, bereits fest gefasst. Dass der Willensprozess innerhalb der Gruppe abgeschlossen war, zeigt sich in den vielfältigen Vorbereitungshandlungen der Beschuldigten für den gewalttätigen Umsturz. So erwarben einzelne Mitglieder nicht nur Munition, zahlreiche militärische Ausrüstungsgegenstände und Fesselungsmaterialien, sondern suchten darüber hinaus mehrere Waffengeschäfte zum Erwerb von Schusswaffen auf und führten Schießübungen durch. Daneben wurden durch die Gruppierung bereits drei Heimatschutzkompanien aufgebaut, denen polizeiliche und militärische Aufgaben im Fall der Realisierung der Umsturzpläne zukommen sollten. Für die Ausführung war gerade kein neuer Tatentschluss, sondern nur der Eintritt eines konkreten und unmittelbar bevorstehenden, aber noch nicht festgelegten Ereignisses erforderlich. Die Gruppierung behielt sich damit gerade nicht die Begehung von Straftaten für die Zukunft bloß vor.

Dies gilt umso mehr, als allein die Angehörigen der Gruppierung die Deutungshoheit darüber hatten, welches tagesaktuelle Ereignis der „Allianz“ zuzurechnen und als Startsignal zur Umsetzung ihrer Umsturzpläne zu werten sein sollte. Die Mitglieder der Vereinigung hatten mithin nur noch darüber zu entscheiden, wann die Umsturzpläne umgesetzt werden. Dies zeigt sich insbesondere an den zahlreichen internen Diskussionen darüber, auf welches Geschehen insoweit abzustellen ist, wobei von den Mitgliedern der Gruppierung ein möglicher Börsencrash, das Ableben von Queen Elizabeth II., ein elektromagnetischer Impuls durch Wladimir Putin, Naturkatastrophen oder ein großflächiger Stromausfall als mögliches Startsignal diskutiert und in Betracht gezogen wurden. Es bestand daher die konkrete und sich potentiell jederzeit realisierende Gefahr, dass die Umsturzpläne vollzogen werden. Es mehrten sich zudem Anzeichen dafür, dass der Handlungsdruck innerhalb der Gruppierung immer weiter anstieg. Trotz des teilweise fernliegenden Gedankenguts war somit die spezifische Gefährlichkeit der Vereinigung gegeben (vgl. MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl., § 129 Rn. 2 mwN).“

Das Übrige – wie gesagt – nichts wesentliche Neues. Aber sicherlich eine, wenn nicht „historisch“, aber zumindest doch zeitgeschichtlich interessante Entscheidung. Und wenn man das alles so liest, wird einem ja doch „ein wenig anders“.

Und zur Sache noch: Der BGH hat die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters des BGH verworfen.

OWi II: Nach Wiedereinsetzung startet Verjährung neu, oder: Ausreichende Entschuldigungsgründe dargetan?

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Und dann als zweite Entscheidung der BayObLG, Beschl. v. 28.03.2023 – 202 ObOWi 314/23. Ergangen ist erin einem Verfahren, in dem dem Betroffenen ein Abstandsvertsoß zur Last gelegt worden ist. Das AG hat dann Hauptverhandlung anberaumt, nachdem der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldberscheid eingelegt hatte. Als der Betroffene in der Hauptverhandlung nicht erschienen ist, hat es den Einspruch gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Dagegen die Rechtsbeschwerde, die Erfolg hatte. Erfolg allerdings nicht wegen Eintritts der Verfolgsverjärung, was auch die GStA München angenommen hatte, sondern wegen nicht ausreichender Urteilsgründe:

„1. Eine Einstellung des Verfahrens kommt nicht in Betracht, weil das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung nicht eingetreten ist.

a) Die Verjährungsfrist betrug zunächst 3 Monate (§ 26 Abs. 3 Satz 1 StVG) und begann mit Beendigung der Handlung (§ 31 Abs. 3 Satz 1 OWiG), hier also am 18.06.2020. Die Verjährung wurde jedenfalls durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020, der dem Betroffenen am 17.09.2020 zugestellt wurde, unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG), sodass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 StVG 6 Monate betrug.

b) Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft wurde die 6-monatige Verjährungsfrist durch den Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 rechtzeitig unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

aa) Zwar lagen zwischen der vorhergehenden Unterbrechungshandlung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 15.09.2020 und dem Akteneingang beim Amtsgericht am 15.04.2021 mehr als 6 Monate.

bb) Gleichwohl war die Verjährungsfrist zum letztgenannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen. Denn die durch die Zentrale Bußgeldstelle am 24.11.2020 bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist hatte zur Folge, dass die Verjährungsfrist neu zu laufen begann (vgl. BayObLG, Beschl. v. 16.03.2004 – 2 ObOWi 7/2004 = BayObLGSt 2004, 33 = DAR 2004, 281 = VRS 106, 452 [2004]; Urt. v. 07.10.1953 – 1 St 333/53 = BayObLGSt 1953, 179; OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.01.1978 – 1 Ws (B) 36/78 OWiG = BeckRS 2014, 21126; KG, Beschl. v. 04.04.2017 – 3 Ws (B) 43/17 = StraFo 2017, 460; OLG Naumburg, Beschl. v. 04.01.1995 – 1 Ss (B) 254/94 = VRS 88, 456 [1995]; BeckOK OWiG/Gertler OWiG § 31 Rn. 18; KK-OWiG/Ellbogen 5. Aufl. § 31 OWiG Rn. 37; Graalmann-Scheerer in: Löwe-Rosenberg StPO 27. Aufl. 2016 § 46 Rn. 13; Gürtler/Thoma in Göhler OWiG 18. Aufl. Vor § 31 Rn. 2b; Schmidt in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar 12. Aufl. 2007 § 78 Rn. 10). Mit der Rechtskraft des Bußgeldbescheids, die (zunächst) aufgrund des Ablaufs der Einspruchsfrist eingetreten war, bestand für eine Verfolgungsverjährung nach § 31 OWiG kein Raum mehr; vielmehr lief stattdessen die Frist für die Vollstreckungsverjährung nach § 34 OWiG (OLG Hamm, Beschl. v. 23.05.1972 – 5 Ss OWi 363/72 = NJW 1972, 2097 = MDR 72, 885). Eine neue Verfolgungsverjährung kann in Fällen, in denen das Verfahrensrecht einen Eingriff in die Rechtskraft zulässt, erst zu dem Zeit-punkt beginnen, in dem das rechtskräftige verurteilende Erkenntnis beseitigt wird (BayObLG, Urt. v. 07.10.1953 – 1 St 333/53 a.a.O.). Dies hat zur Folge, dass mit der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die zur Beseitigung der bis dahin eingetretenen Rechtskraft des Bußgeldbescheids führte, die bei Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids noch nicht abgelaufene Frist für die Verfolgungsverjährung neu zu laufen begann. Mit der Gewährung von Wieder-einsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist durch die Entscheidung der Verwaltungsbehörde vom 24.11.2020 wurde die Rechtskraft des Bußgeldbescheids nachträglich beseitigt. Dies hatte aber nicht etwa zur Folge, dass die ursprüngliche Frist für die Verfolgungs-verjährung gleichsam rückwirkend wieder lief. Andernfalls würden für den säumigen Betroffenen Vorteile geschaffen, die er ohne seine Säumnis nicht gehabt hätte, was mit dem Zweck der Wiedereinsetzung nicht vereinbar wäre (OLG Hamm a.a.O.). Durch das Recht der Wiedereinsetzung sollen zwar dem Betroffenen, der unverschuldet eine Frist versäumt hat, keine Nachteile entstehen, eine Besserstellung seiner Rechtsposition ist durch die Vorschriften über die Wiedereinsetzung aber nicht intendiert.

2. In der Folgezeit wurden jeweils weitere Unterbrechungshandlungen vor Ablauf der 6-monatigen Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 3 und 11 OWiG rechtzeitig vorgenommen bis zu dem ersten in dem Verfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 27.01.2022. Seit diesem Zeitpunkt ist der Verjährungsablauf gemäß § 32 Abs. 2 OWiG gehemmt. Der Umstand, dass auf Antrag des Betroffenen in der Folgezeit wegen Versäumung dieser Hauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 74 Abs. 4 OWiG durch die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30.09.2022 bewilligt wurde, beseitigte die Ablaufhemmung nicht (OLG Hamm, Beschl. v. 15.07.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = BeckRS 2008, 18098; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 19.01.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/17 OLGSt OWiG § 74 Nr 24; 09.07.2002 – 1 Ss 74/02 = BeckRS 2002, 31129484; KG, Beschl. v. 15.12.2021 – 3 Ws (B) 304/21 = BeckRS 2021, 45818).

3. Die Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Amtsgericht hinreichendes Entschuldigungsvorbringen vor der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft übergangen hat.

Dabei kommt es nicht darauf an, dass das Amtsgericht in unzulässiger Weise die Gründe des Urteils, die bereits vollständig im Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen waren, in einer weiteren Urteilsurkunde ergänzt hat. Die Urteilsgründe rechtfertigen die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nicht, weil der Betroffene hinreichend entschuldigt im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG war. Denn hierfür ist es ausreichend, dass er schlüssig Umstände vorträgt, die ihm die Teilnahme an der Hauptverhandlung unzumutbar machen; eine Nachweispflicht trifft den Betroffenen nicht (vgl. nur BayObLG, Beschl. v. 06.09.2019 – 202 ObOWi 1581/19 = OLGSt OWiG § 74 Nr 26 m.w.N.). Die mit Schriftsatz der Verteidigerin vom 13.12.2022 vor der Hauptverhandlung dem Amtsgericht mitgeteilten Gründe stellten bei vernünftiger Betrachtung ohne weiteres einen Entschuldigungsgrund in diesem Sinne dar, weil dort – neben dem Hinweis auf einen positiven Covid-19-Test – explizit vom „hohem Fieber, Erbrechen, Durchfall und schweren Erkältungssymptomen“ gesprochen wurde, was eine Unzumutbarkeit der Anreise und der Teilnahme des Betroffenen an der Hauptverhandlung bei verständiger Würdigung zweifelsfrei begründete. Über diesen Vortrag hat sich das Amtsgericht mit neben der Sache liegenden Erwägungen, nämlich unter Rekurs auf den fehlenden Nachweis der geltend gemachten Erkrankungssymptome und auf die nicht mehr bestehende Isolationspflicht in Bayern bei einer Infektion mit dem Coro-na-Virus, hinweggesetzt. Es hat dabei dem Vortrag des Betroffenen, dem es nicht darum ging, sich zu isolieren, sondern der geltend machen wollte, aufgrund krankheitsbedingter Beschwerden nicht zur Hauptverhandlung anreisen und an ihr teilnehmen zu können, kein Gehör geschenkt und zudem verkannt, dass den Betroffenen keine Nachweispflicht trifft.“