Archiv der Kategorie: Ermittlungsverfahren

Pflichti I: Ist der „Pflichti“ (k)ein richtiger Verteidiger?, oder: Si tacuisses, philosophus mansisses

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Heute dann ein „Pflichti-Tag“, den ich allerdings nicht mit einer Entscheidung zu Pflichtverteidigungsfragen eröffne, sondern mit einem Posting zu einer allgemeinen Frage. Nämlich zur Frage des Selbstverständnisses eines Verteidigers/Rechtsanwalts/Pflichtverteidigers.

Ausgangspunkt ist ein Beitrag/Posting eines anwaltlichen Kollegen auf Facebook, der/das mich – das schon mal vorab – dann doch – gelinde ausgedrückt – sehr erstaunt hat. Für mich war es der Aufreger des Tages.

Der Kollege hatte nämlich u.a. bei Facebook ein Video hoch geladen, in dem er mit folgendem Statement zu sehen und zu hören war:

„Strafverteidiger oder Pflichtverteidiger? Das ist die Frage, die sich viele Betroffene stellen.

In letzter Zeit haben sich viele, viele Mandanten an uns gewandt und kamen dann mit der Aufforderung eines Gerichts, mit der Bitte darum, einen Pflichtverteidiger zu benennen. Und die Leute waren dann ganz aufgeregt und verunsichert und haben gesagt: Was sollen wir denn tun? Uns wird hier in Aussicht gestellt, dass ein Pflichtverteidiger uns begleitet. Das wollen wir aber gar nicht. Denn wir wollen einen richtigen Anwalt haben und darin bestärken wir unsere Mandanten auch. Wir übernehmen diese Mandate natürlich auch. Also wir sind nicht nur als Pflichtverteidiger tätig, sondern wir übernehmen auch richtige Strafverfahren.

Was ist der Unterschied? Der Unterschied ist, dass in dem Fall, dass man einen eigenen Anwalt nimmt, man selbst für die Kosten aufkommt. Und wenn es ein Pflichtanwalt ist, also ein staatlicher Pflichtanwalt, werden die Kosten zunächst vom Staat übernommen. Ich sage meinen Mandanten immer: Den ersten guten Eindruck beim Gericht macht man doch dadurch, dass man zeigt, dass man sich selbst um seine Dinge kümmert und nicht dem Staat auf der Tasche liegt, was die Kosten anbelangt.“

Zu dem Video gibt es dann auch noch einen Begleittext, in dem es heißt:

„Vor Gericht ist auch der erste Eindruck wichtig. Bei einem Pflichtverteidiger werden die Kosten zunächst von der Staatskasse bezahlt, der Beschuldigte muss also nicht schon während dem Verfahren für die Kosten aufkommen. Anders ist dies beim Strafverteidiger, hier muss der Beschuldigte selbst für die Kosten für seinen Anwalt aufkommen. Doch ich finde: durch einen Wahlverteidiger wird ein erster guter Eindruck beim Gericht gemacht, da der Beschuldigte nicht dem Staat (und damit der Allgemeinheit) mit den Kosten „auf der Tasche liegt.

Zudem muss der Beschuldigte, sofern er das Gerichtsverfahren verliert, nachträglich auch noch die Kosten für den Pflichtverteidiger bezahlen.“

So weit, so gut, oder: Wohl eher nicht so gut, wie ich finde.

Und das habe nicht nur ich so empfunden, sondern eine ganze Reihe anwaltlicher Kollegen, die zu dem Beitrag des Kollegen Stellung genommen haben, ebenfalls. Denn aus deren Kommentaren war deutlich zu entnehmen, dass sie die Frage der “Pflichtverteidigung“ anders sehen als der Ersteller des Postings. Das ist zutreffend. Die Pflichtverteidigung ist nach der Rechtsprechung Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips und des fairen Verfahrens und dient, wie eine Kollegin treffend formuliert hat, dazu „einem Menschen in gesetzlich hart umgrenzten Fällen, ohne Ansehen seiner finanziellen Situation eine Verteidigung zu ermöglichen.“

Ich habe meinen Unmut über das Posting (natürlich) auch zum Ausdruck gebracht und wie folgt kommentiert:

„Herr Kollege, könnten Sie mir bitte den Unterschied zwischen einem Pflichtverteidiger, einem Strafverteidiger und einem richtigen Verteidiger erklären?

Sie erwecken zudem den Eindruck, als ob ein Pflichtverteidiger ein minderwertiger Verteidiger ist, was nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, die Sie hoffentlich kennen, falsch ist.

Was sollen solche Postings? Ich kenne viele Rechtsanwälte, die auch dann einen sehr guten Job machen, wenn sie „nur“ Pflichtverteidiger sind. Die werten Sie ab.

M.E. sind solche Postings gefährlich, denn sie erwecken den Eindruck einer Zwei-Klassen-Verteidigung.

Gewogen und zu leicht gefunden.“

Darauf ist – natürlich – keine Antwort gekommen. Was will man darauf auch antworten, außer dass es in Strafverfahren nicht einen „richtigen Anwalt“ und „Pflichtverteidiger“ gibt? Ebenso wenig gibt es „richtige“ Strafverfahren“ und ggf. andere – welche? – Strafverfahren. Das was dort geschrieben wurde, ist schlicht falsch. Es gibt Strafverfahren und es gibt Verteidiger. Die angedeuteten Unterschiede gibt es nicht und die sollte und darf man auch potentiellen Mandanten nicht suggerieren, aus welchen Gründen auch immer. Und sicherlich ist es auch falsch zu behaupten, man mache einen „ersten guten Eindruck beim Gericht …. doch dadurch, dass man zeigt, dass man sich selbst um seine Dinge kümmert und nicht dem Staat auf der Tasche liegt, was die Kosten anbelangt“. Abgesehen davon, dass es in einem Strafverfahren nicht auf einen „guten Eindruck beim Gericht“ ankommt, sondern darauf, ob die zur Last gelegte Tat mit rechtsstaatlichen Mitteln nachgewiesen werden kann, dürfte es den Gerichten in der Regel völlig egal sein, ob ein „Pflichtverteidiger“ oder ein „richtiger Anwalt“ für den Beschuldigten/Mandanten tätig wird.

Im Übrigen nur noch das, was ebenfalls ein Kollege in einem Kommentar formuliert hatte:

Ich habe bereits Wahlverteidiger und Wahlverteidigerinnen erlebt, die sich ordentliche Stundensätze haben zahlen lassen, aber schlecht vorbereitet waren und mit so gut wie null Engagement verteidigten. Oder auch solche, die es einfach nicht konnten! Mehr Schein als Sein.

Und ich habe Pflichtverteidigerinnen und Pflichtverteidiger erlebt, die für staatliche Unterbezahlung mit höchstem Engagement verteidigt haben – trotz wirtschaftlichem Minusgeschäft.“

Das unterschreibe ich und bedanke mich zugleich bei allen Verteidigern/Verteidigerinnen, die für die gesetzlichen Gebühren des RVG, mit denen ihr Engagement häufig nicht angemessen abgegolten ist, als „Nur-Pflichtverteidiger“ einen guten Job machen.

Abschließend: Alles in allem war das o.a. Posting das, wie es ebenfalls ein Kollege formuliert hat: „Eigentor des Monats“ oder: Si tacuisses, philosophus mansisses.

U-Haft II: In der JVA Laptop für die Akteneinsicht, oder: „Kurze“ Fahrt zur Vorführung vor zuständigen Richter

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen betreffend das „U-Haft-Verfahren“.

Zunächst der Hinweis auf den LG Nürnberg, Beschl. v. 07.11.2023 – 13 Qs 56/23 – zur Frage der Form der Akteneinsicht in Akten mit besonders großem Aktenumfang, wenn der Beschuldigte inhaftiert ist. Dazu das LG (im Leitsatz):

Dem Beschuldigten ist in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren: Die Staatsanwaltschaft hat der JVA ggf. eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im pdf-Format zu übersenden und die JVA dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung stellen.

Und dann der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.10.2023 – 58 Gs 12014/23 -, mit dem das AG einen Haftbefehl aufgehoben hat. Begründung:

„Der Haftbefehl war aus den folgenden Gründen aufzuheben:

1. Dem Vollzug des Haftbefehls steht der Spezialitätsschutz des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.12.2012, Aktenzeichen: 1 StR 165/12) entfällt ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität bestehendes Verfahrenshindernis gemäß Art. 14 Absatz 1 Buchst. b des Euro-päischen Auslieferungsübereinkommens jedenfalls dann, wenn der Ausgelieferte auf die Rechtsfolgen hingewiesen wurde oder diese Rechtsfolgen aus anderen Gründen kannte. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig (Beschluss vom 26.08.2019, Aktenzeichen: 1 Ws 154/19) entspricht die Vorschrift des § 83h Abs. 2 Nr. 1 IRG derjenigen des Art. 14 Absatz 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens.

Der vorliegenden Akte kann nicht entnommen werden, dass der Beschuldigte auf die Rechtsfolgen des § 83h Abs. 2 Nr. 1 IRG hingewiesen wurde oder die Rechtsfolgen ander-weitig kannte.

2. Die Vorführung vor den nächsten Richter des Amtsgerichts Fulda verstieß gegen § 115 StPO. Der Beschuldigte wurde am 17.10.2023 um 19:20 Uhr aufgrund des vorliegenden Haftbefehls ergriffen. Eine Pkw-Fahrt von Fulda nach Nürnberg dauert laut Google-Maps etwa drei Stunden, sodass eine Vorführung vor den zuständigen Richter des Amtsgerichts Nürnberg am 18.10.2023 möglich gewesen wäre.2

Interessant m.E. vor allem wegen der Ausführungen des AG unter 2.

U-Haft I: Fluchtgefahr bei Schwerkriminalität, oder: Wenn der Beschuldigte schwer krank ist

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Heute dann zunächst allen einen schönen Nikolaustag mit hoffentlich prall gefüllten Stiefeln. Ich habe den „Stiefel“ hier heute mit Entscheidungen zur U-Haft gefüllt. Ich habe einiges zusammengefasst, das sich während des Urlaubs doch einiges angesammelt hat und ich daher in meinem Ordner ein wenig Platz schaffen muss.

Ich beginne mit dem OLG Dresden, Beschl. v. 01.11.2023 – 1 Ws 226/23 – zur Fluchtgefahr bei Delikten der Schwerkriminalität. Das OLG hat in einem Verfahren mit einem Totschlagsvorwurf das (weitere) Vorliegen eines Haftgrundes verneint.

„Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) besteht nicht.

Zwar hat der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung angesichts der Schwere der ihm zur Last gelegten Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Es ist jedoch vorliegend ausgeschlossen, dass der von dieser Straferwartung ausgehende Fluchtanreiz die konkrete Gefahr begründet, dass der Beschuldigte – auf freiem Fuß belassen – sich dem Verfahren entziehen wird, selbst wenn Fluchtgefahr nicht verlangt, dass dies auf Dauer geschieht, sondern ein gegebenenfalls vorübergehendes Sichentziehen, was den Fortgang des Strafverfahrens verhindert, genügt. Der Beschuldigte ist pp. Jahre alt und verfügt über enge soziale Bindungen zu pp. Er leidet unter einer schweren Erkrankung, die palliativ zu behandeln ist.

Bereits vor seiner Festnahme am 01. September 2023 wies er einen deutlich beeinträchtigten Gesundheitszustand auf, wie sich sowohl den detaillierten Angaben pp. in ihrer Vernehmung vom pp. als auch der Dokumentation der Hausärztin pp. entnehmen lässt, wonach ab dem 10. August 2023 beim Beschuldigten unter anderem ein deutlicher Gewichtsverlust sowie Kraftlosigkeit bzw. Schwäche dokumentiert sind. Soweit die Kammer in der angefochtenen Entscheidung unter Bezugnahme auf die Aussagen der Zeugin pp. – Pflegerin der Geschädigten – sowie der Zeugin pp. – Hausärztin der Geschädigten und des Beschuldigten – zugrunde gelegt hat, der Beschuldigte habe den Haushalt geführt und die Ehefrau des Beschuldigten in die Praxis begleitet, so beziehen sich diese Angaben ersichtlich auf den Zeitraum vor der Diagnosesteilung beim Beschuldigten, die im Juli 2023 erfolgt ist. Nach seiner Inhaftierung hat sich der bereits deutlich beeinträchtigte Gesundheitszustand nochmals erheblich verschlechtert, wie insbesondere der Stellungnahme der JVA vom 26. Oktober 2023, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, entnehmen lässt. Angesichts der dort beschriebenen körperlichen und geistigen Verfassung des Beschuldigten, der bereits stark von seiner schweren Erkrankung gezeichnet ist, sieht es der Senat vorliegend als ausgeschlossen an, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren entziehen wird,

Es besteht dementsprechend auch der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) nicht.

§ 112 Abs. 3 StPO lässt nach dem Wortlaut bei den darin aufgeführten Straftaten der Schwer-kriminalität die Anordnung der Untersuchungshaft auch dann zu, wenn ein Haftgrund nach § 112 Abs, 2 StPO nicht besteht. Bei der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichts (BVerfGE 19, 342, 350 ff; BVerfG NJW 1966, 772) gebotenen verfassungskonformen Auslegung ist die Vorschrift wegen eines sonst darin enthaltenen offensichtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen, dass der Erlass eines Haft-befehls nur zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, welche die Gefahr begründen, dass ohne die Verhaftung des Beschuldigten die alsbaldige Aufklärung und Ahndung der Tat gefährdet sein könnte, Genügen kann bereits die zwar nicht mit bestimmten Tatsachen belegbare, aber nach den Umständen des Falles doch nicht auszuschließende Flucht- oder Verdunkelungsgefahr, ferner die ernstliche Befürchtung, der Täter werde weitere Taten ähnlicher Art begehen, Ausreichend aber auch erforderlich ist die Feststellung, dass eine verhältnismäßig geringe oder entfernte Gefahr in dieser Art besteht, Wenn allerdings nach den Umständen des Einzelfalls gewichtige Gründe gegen jede Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr sprechen, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von einem Haftbefehl nach § 112 Abs. 3 StPO abzusehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. April 2022, Az.; StB 15/22 – juris; BGH, Beschluss vorn 23. Dezember 2009, Az,; StB 51/09 – juris).

Unter Berücksichtigung dessen und der unter 1. genannten Umstände, aufgrund derer der Senat im Ergebnis seiner Prüfung eine bestehende Fluchtgefahr beim Beschuldigten ausschließt, scheidet daher auch der Haftgrund der Schwerkriminalität aus.“

StPO III: Zur Nachholung rechtlichen Gehörs, oder: Nochmalige Anhörung ggf. entbehrlich?

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Die dritte StPO-Entscheidung ist dann noch der KG, Beschl. v. 28.07.2023 – 3 Ws 35/23 – 121 AR 131/23 – zur Nachholung rechtlichen Gehörs nach § 33a StPO durch ggf. nochmalige Anhörung des Beschwerdeführers.

Dazu meint das KG:

Im Verfahren nach § 33a StPO scheidet ein Gehörsverstoß aus, wenn zwar keine nochmalige Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden ist, es aber ersichtlich ist, dass der Beteiligte die in Rede stehenden (entscheidungserheblichen) Tatsachen zur Kenntnis genommen und er sich bereits vor (erneuter) Beschlussfassung dazu umfassend geäußert hat.

StPO III: Durchsuchung bei Pressemitarbeiter, oder: Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts

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So, zum Tagesschluss dann noch eine Entscheidung des LG Stuttgart. Die ist auch recht umfangreich. Ist leider manchmal so 🙂 . Das LG hat sich im LG Stuttgart, Beschl. v. 07.06.2023 – 6 Qs 2/23 – mit einigen Fragen betreffend eine Durchsuchung befasst.

Folgender Sachverhalt:

„Der Beschwerdeführer ist gemeinschaftlich mit den weiteren Beschuldigten S., R., B. sowie dem anderweitig durch die Staatsanwaltschaft B. verfolgten D. verdächtig, in einer bislang unbekannten Anzahl von Fällen an einem auf Anlagebetrug angelegten System beteiligt gewesen zu sein, strafbar als gewerbs- und bandenmäßiger Betrug gemäß § 263 Abs. 1, Abs. 5 StGB.

Die Ermittlungen begannen infolge der im Jahr 2020 durch seinen Rechtsanwalt gestellten Strafanzeige des mutmaßlich geschädigten Zeugen St. Im Jahr 2022 erfolgten in der Region S. sowie im niedersächsischen B. koordinierte Durchsuchungsmaßnahmen an zahlreichen Objekten. Infolge der hierbei gewonnenen Erkenntnisse wurde der mit der hiesigen Beschwerde angegriffene Durchsuchung- und Beschlagnahmebeschluss für die Wohnung des Beschwerdeführers erlassen.

Zu diesem Zeitpunkt bestanden aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keine für den Anfangsverdacht ausreichenden Anhaltspunkte gegen den Beschwerdeführer, sodass er damals noch als Dritter gemäß § 103 StPO angesehen wurde. Während der im Jahr 2023 vollzogenen Durchsuchung wurde der Beschwerdeführer unmittelbar zu Beginn vorsorglich auch gemäß § 55 StPO belehrt. Im Laufe der Durchsuchung sichtete der bei der Durchsuchung anwesende Staatsanwalt Hi. mehrere Stehordner, deren Inhalt zum Bekanntwerden neuer konkreter Tatsachen führte, die nunmehr zu der Annahme eines Anfangsverdachts gegen den Beschwerdeführer führten. Daraufhin wurde er umgehend als Beschuldigter belehrt. Konkret beinhalteten die Stehordner zahlreiche Rechnungen des Beschwerdeführers überwiegend in fünfstelliger Höhe an die Gesellschaften des Beschuldigten R. Das bei ihm bei dieser Durchsuchung kurz zuvor in einem mit „M. (Anm.: Vorname des Beschwerdeführers) 5k“ überschriebenen Briefumschlag aufgefundene Bargeld in einem Gesamtumfang von 3.400,- Euro sowie 110,- USD wurde daraufhin zwecks Einziehung sichergestellt.

Der Beschwerdeführer erklärte sich mit der Maßnahme zunächst einverstanden. Nach der eingelegten Beschwerde bestätigte das Amtsgericht Stuttgart die Beschlagnahme des Bargelds gemäß §§ 94, 98 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 111b, 111c, 111j Abs. 2 StPO.

Dem eigentlichen Vorwurf des Betrugs liegt folgender Sachverhalt zugrunde: die Beschuldigten gründeten eine Vielzahl von Kommanditgesellschaften, welche allesamt ähnlich klingende Firmennamen mit dem Teilwort „H.“, also etwa „H. VB. 11 GmbH & Co. KG“, hatten (nachfolgend: „H.-Gesellschaften“). Insgesamt konnten bisher 77 solcher H. – Gesellschaften ermittelt werden. Als Komplementärin wurde dabei jeweils die H. V. GmbH eingesetzt, deren alleinige Gesellschafterin wiederrum die S. M. & S. AG war. Als Kommanditistin wurden abwechselnd entweder die TB T. GmbH WPG oder die in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässige als Offshore-Gesellschaft in den Britischen Jungferninseln gegründete A. Ltd. eingesetzt. Die Beschuldigten waren zu unterschiedlichen Zeitpunkten in diversen Funktionen in dieses Firmengeflecht eingebunden.

In den Verkaufsprospekten der H.-Gesellschaften wurde den mutmaßlich Geschädigten ab Bezahlung der Mindestzeichnungssumme von 25.000,00 Euro eine jährliche Verzinsung i.H.v. 9% zugesichert. Die Auszahlung wurde „von der Liquiditätslage“ abhängig gemacht. Als Geschäftsfeld wurde die Exploration von Erdöl- und Erdgas-Vorkommen in Texas aufgeführt. Tatsächlich bestehen erhebliche Verdachtsmomente dafür, dass die Beträge zunächst auf Konten der F.-Bank in Deutschland eingezahlt wurden, von dort aus zunächst auf Konten der Bank C. S. in der Schweiz weitergeleitet und von dort aus auf weitere Konten überwiesen wurden, mit der Folge, dass jedenfalls die laufenden Zinsleistungen nicht erfüllt werden konnten. Tatsächlich erhielt jedenfalls der Zeuge St. weder aus Zinszahlungen noch aus anderen Gründen Geldeingänge.“

Der Beschwerdeführer hat über seinen Wahlverteidiger gerügt, zum einen, dass auch nach der Durchsicht der Stehordner durch Staatsanwalt Hi. während der laufenden Durchsuchung die Verdachtsmomente gegen den Beschwerdeführer nicht ausgereicht hätten, um ihn als Beschuldigten anzusehen. Die während der Durchsuchung aufgefundenen Rechnungen seien noch vor dem Tatzeitraum ausgestellt worden und seien völlig unverfängliche Rechnungen des Beschwerdeführers aus dessen Beratungstätigkeit. Gleichzeitig hätte die Staatsanwaltschaft den Beschwerdeführer bereits vor der Durchsuchung eigentlich als Beschuldigten angesehen und von dem Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gemäß § 102 StPO nur aus taktischen Gründen abgesehen, um den Beschwerdeführer während der Vernehmung zu einer Aussage zu bewegen.

Daneben seien beim angegriffenen Beschluss die Anforderungen von § 103 StPO nicht gegeben gewesen. So spreche bereits die Tatsache, dass bei der früheren Durchsuchung im Jahr 2022 in den Räumen der S. M. & S. AG befindlichen Büroräumen ein Laptop des Beschwerdeführers sichergestellt worden sei, dagegen, dass dieser auch in seiner Privatwohnung beweiserhebliche Unterlagen und Daten aufbewahren würde. Ferner stünde dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit auch ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO zu. Daneben fehle es auch an einer klaren inhaltlichen und zeitlichen Begrenzung des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses. Schließlich fehle auch eine Grundlage für die Beschlagnahme des Bargeldes. Das Bargeld stamme nicht aus der Geschäftsbeziehung zu den anderen Beschuldigten, sondern diene dem Lebensunterhalt der Familie.

In ihrer Stellungnahme hat die Staatsanwaltschaft zunächst bestritten, den Beschwerdeführer nur „zum Schein“ lediglich als Zeugen geführt zu haben und verwies auf die eingangs der Durchsuchung erfolgte Belehrung gemäß § 55 StPO. Eine erste Durchsicht der im Keller befindlichen Stehordner habe eine Reihe von Dokumenten und Rechnungen aus den tatbestandlich relevanten Jahren 2019 bis 2021 beinhaltet, aufgrund derer der Beschwerdeführer nunmehr als Beschuldigter angesehen worden sei, wobei hinsichtlich der einzelnen Überschriften und der Rechnungssteller auf die zahlreichen Beispiele in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft verwiesen wird. Die Tatsache, dass der bei der Durchsuchung im Jahr 2022 aufgefundene Rechner laut dem Beschuldigten S. dem Beschwerdeführer gehöre, begründe gerade den Verdacht, dass er auch zu Hause beweisrelevante Unterlagen aufbewahrt habe. Das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO sei nicht einschlägig, weil vorliegend nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Presse und privaten Informanten betroffen sei. Ferner sei auch die Begrenzungsfunktion in zeitlicher Hinsicht durch das Gründungsdatum der Vorgängergesellschaft der H. V. GmbH und in inhaltlicher Hinsicht durch die Beschränkung auf die Geschäftsbeziehung zu den damaligen Beschuldigten gewahrt. Bei dem beschlagnahmten Bargeld bestehe einerseits aufgrund der Bezeichnung des Umschlags der Verdacht, dass es sich um Bezahlung für Vertriebshandlungen für verfahrensgegenständlichen Gesellschaften handele, sodass das Bargeld der Einziehung nach § 73c StGB unterliege. Dies stütze andererseits zugleich in der Sache den Tatverdacht der Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit den anderen Beschuldigten.

Die Beschwerde hatte beim LG dann keinen Erfolg.

Und da wir heute ja schon viel Text hatten, stelle ich hier nur die Leitsätze ein und verweise im Übrigen auf den verlinkten Volltext:

  1. Schutzzweck des Zeugnisverweigerungsrechts des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 StPO ist die Privilegierung des Vertrauensverhältnisses zwischen Journalisten und Informanten. Der Schutzbereich ist aufgrund des Spannungsverhältnisses zu den Belangen einer funktionierenden Strafrechtspflege nicht über das für den Schutz der Pressefreiheit erforderliche Maß auszudehnen. Die Gestaltung von Aktionärsbriefen oder die Pflege der Auftritte in den sozialen Medien ist daher nicht vom Schutzbereich umfasst.

  2. Eine nach § 103 StPO erfolgte Durchsuchung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil sie auch nach § 102 StPO zulässig gewesen wäre.

  3. Die Bezeichnung der Durchsuchungsobjekte bei einer Durchsuchung gemäß § 103 StPO als „sämtliche Gegenstände, welche Aufschluss über eine Geschäftsbeziehung des Zeugen zu den Beschuldigten bzw. diesen zuordenbaren Gesellschaften“ begegnet wegen der weiten Fassung zwar gewissen Bedenken, stellt aber noch eine hinreichende Begrenzung dar.