Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

StGB I: Missbrauch im Arzt-Patienten-Verhältnis, oder: Berufsverbot?

entnommen wikimedi.org
Urheber Rieser Bauernmuseum Maihingen

Vor dem morgien Gebührenfreitag heute dann StGB-Entscheidungen, und zwar zu Nebenrechtsfolge,

Hier zunächst etwas vom BGH zum Berufsverbot (§ 70 StGB), und zwar der BGH, Beschl. v. 26.03.2024 – 4 StR 416/23. Das LG hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat es ihm für die Dauer von fünf Jahren untersagt, den Beruf des Arztes auszuüben. Dagegen die Revision, die wegen des Berufsverbots Erfolg hatte:

„1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist von Beruf Arzt. Er absolvierte erfolgreich zwei Facharztausbildungen. Nachdem er seit 2006 – unter anderem als leitender Oberarzt – in verschiedenen Krankenhäusern tätig gewesen war, gründete er im Jahr 2018 eine eigene orthopädische Praxis. Am 16. Oktober 2020 suchte die unter Depressionen leidende Nebenklägerin wegen anhaltender starker Rückenschmerzen absprachegemäß die Praxis des Angeklagten auf und wurde zur manuellen Therapie in ein dafür vorgesehenes Behandlungszimmer geführt. Nach Schmerzmittelgabe mittels Injektion massierte der Angeklagte die auf der Seite liegende und ihm den Rücken zuwendende Nebenklägerin am Gesäß, nachdem er hierzu ihre Hose ein Stück heruntergezogen hatte. Anschließend verließ er den Raum. Nach einer Weile kehrte er zurück, zog die in unveränderter Position liegende Nebenklägerin an ihrer Hüfte zu sich an den Rand der Liege und trat so dicht an sie heran, dass die Nebenklägerin – hiervon völlig überrascht – seinen erigierten Penis spürte. Nach einem erneuten kurzzeitigen Verlassen des Behandlungszimmers zog der Angeklagte die Nebenklägerin, die in der Zwischenzeit versucht hatte, von der Kante der Liege abzurücken, wieder zu sich heran. Er öffnete seine Hose und drückte seinen erigierten Penis zwischen die Pobacken der perplexen Nebenklägerin. Anschließend schob er ihren Slip zur Seite und begann Stoßbewegungen zu vollziehen. Sodann zog der Angeklagte ihr Bein hoch und rieb seinen Penis bis zur Ejakulation zwischen den Gesäßhälften der Nebenklägerin, die das Geschehen „wie paralysiert“ weitestgehend wort- und regungslos über sich ergehen ließ. Der Angeklagte setzte sich dabei über den entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin hinweg und hatte zudem erkannt, dass diese wegen der „Überrumpelung“ in der Behandlungssituation zu keiner Abwehr in der Lage war.

2. Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 70 Abs. 1 StGB nicht alle maßgeblichen Gesichtspunkte in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt hat.

a) Das Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll. Es darf nur dann verhängt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine – auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte – Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat(en) das Tatgericht zu der Überzeugung führt, dass die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2023 – 2 StR 144/23 Rn. 5; Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18 Rn. 8, jew. mwN). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass an die Annahme einer weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn der Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig wird; insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 – 4 StR 296/12 Rn. 7; Beschluss vom 12. September 1994 – 5 StR 487/94, NStZ 1995, 124).

b) Zur Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht ausgeführt, dass es auch künftig zu vergleichbaren Kontakten mit psychisch labilen Patientinnen kommen werde, bei denen das Risiko einer Aufdeckung und Aburteilung etwaiger Sexualstraftaten reduziert erscheinen könnte. Im Lichte der festgestellten Tatmodalitäten und der Persönlichkeit des Angeklagten lägen daher zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung ähnlich erhebliche Rechtsgutsverletzungen in der Zukunft nahe.

Damit hat das Landgericht maßgebliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen. So hat es nicht bedacht, dass der Angeklagte zur Zeit der Begehung der hier abgeurteilten Tat strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten war. Das Landgericht lässt weiter unerörtert, dass gegen ihn mit dem angefochtenen Urteil eine empfindliche Freiheitsstrafe verhängt worden ist und es daher naheliegt, dass die Verurteilung und die (bevorstehende) Vollstreckung den Angeklagten bereits nachhaltig beeindrucken. Auch hat es insoweit nicht in den Blick genommen, wie der 50 Jahre alte und seit 2006 als Arzt tätige Angeklagte seinen Beruf im Übrigen ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18 Rn. 8).“

VerkehrsR II: Beweiswert des Nachtrunk und Revision, oder: Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit

© roostler – Fotolia.com

Und als zweite Entscheidung dann noch einmal etwas vom OLG Frankfurt am Main, nämlich der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 – 3 ORs 26/23. Es geht um Nachtrunk und die Feststellungen zur Fahruntüchtigkeit:

„2. Die Sachrüge des Beschwerdeführers ist unbegründet.

Insoweit der Beschwerdeführer geltend macht, der Tatrichter habe pflichtwidrig davon abgesehen, einen Sachverständigen mit einer Begleitstoffanalyse zur Überprüfung des Nachtrunks zu beauftragen, kann dies nicht mit der Sachrüge geltend gemacht werden. Eine Verfahrensrüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO ist aber nicht erhoben worden.

Ein sachlich-rechtlicher Mangel läge nur dann vor, wenn Darstellung und Würdigung des festgestellten Sachverhalts unklar, widersprüchlich oder ersichtlich nicht vollständig wäre, Denkfehler enthielte oder Erfahrungssätze missachtete (st. Rspr., vgl. nur OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.09.2006 – 2 St Ss 170/06, BeckRS 2006, 11724; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 337 Rn. 21 m.w.N.).

a) Angesichts dieses Prüfungsmaßstabs ist die Beweiswürdigung, welche die konkrete Nachtrunkbehauptung des Beschwerdeführers als unglaubhaft würdigt, nicht zu beanstanden. Zwar ist der Beweiswert einer zweiten Blutentnahme im Einzelnen umstritten (MüKo-StGB/Pegel, 4. Aufl. 2022, § 316 Rn. 83; Fischer, StGB, 70. Aufl. 2023, § 316 Rn. 20), gleichwohl bildet sie hier für die Beweiswürdigung des Tatrichters eine tragfähige Grundlage, da sie neben die Widersprüche in der Einlassung des Angeklagten zu seinem Trinkverhalten und die Aussagen der Zeugen V und W tritt, die zudem durch die Angaben des Zeugen POK X bestätigt wurden.

b) Schließlich halten auch die Feststellung der Fahruntüchtigkeit revisionsgerichtlicher Prüfung stand.

Angesichts der in der Anflutungsphase verstärkten Ausfallerscheinungen bedarf es einer Rückrechnung nicht, wenn bei der Blutentnahme wenigstens der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille BAK erreicht ist. Dann steht fest, dass eine entsprechende Körperalkoholmenge zur Tatzeit vorgelegen haben muss (BGH, Beschl. vom 11.12.1973 – 4 StR 130/73, BGHSt 25, 246, 251 = NJW 1974, 246, 247; Schönke/Schröder-StGB/Hecker, 30. Aufl. 2019, § 316 Rn. 17; MüKo-StGB/Pegel aaO., § 316 Rn. 77; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Straßenverkehrsrecht/Burmann, 27. Aufl. 2022, § 316 Rn. 17). Die Berücksichtigung eines Nachtrunks im Umfang einer Dose Bier (5 Volumenprozent) zu 0,5 l durch den Vorderrichter ist zwar rechtsfehlerhaft, jedoch beruht das Urteil nicht darauf. Dem Amtsgericht ist noch zuzustimmen, dass die BAK, die sich aus dem Genuss einer bestimmten Alkoholmenge ergibt, in der Weise errechnet werden darf, dass die wirksame Alkoholmenge in Gramm durch das mit dem sog. Reduktionsfaktor multiplizierte Körpergewicht in Kilogramm geteilt wird. Es bedarf daher der Feststellung des Körpergewichts zum Tatzeitpunkt, der Bestimmung des Reduktionsfaktors und der Mitteilung der aufgenommenen Alkoholmenge in Gramm (vgl. Senat, Beschl. vom 28.11.1996 – 3 Ss 363/96, NZV 1997, 239). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gerecht. Allerdings geht es unzulässiger Weise zuungunsten des Angeklagten davon aus, dass der Angeklagte 0,05 Promille in 30 Minuten zwischen Nachtrunkende und der ersten Blutprobenentnahme abgebaut hat. Zu beanstanden ist dabei aber nicht der Abbauwert von 0,05 Promille in 30 Minuten (= 0,1 Promille pro Stunde), sondern der Abzug des Zeitfaktors an sich, da sich der Angeklagte nach den Erwägungen des Amtsgerichts hinsichtlich des Nachtrunks unwiderlegt noch in der Anflutungsphase befand. Der verminderte Nachtrunkwert führt dazu, dass sich die vorgeworfene BAK zu Lasten des Angeklagten erhöht.

Ein Beruhen des Urteils auf diesem Fehler ist aber ausgeschlossen, zumal es das Amtsgericht unterlassenen hat, von der „Nachtrunkpromille“ das sogenannte Resorptionsdefizit (bei einer tätergünstigen Annahme 10 %) in Abschlag zu bringen.“

VerkehrsR I: Feststellung und Geldbuße bei Vorsatz, oder: „Strafzumessungserwägungen“ bei OWis?

Smiley

Und dann heute mal ein „Verkehrsrechtstag“.

Den beginne ich mit einer Entscheidung aus dem Bußgeldverfahren, und zwar mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 28.04.2024 – 2 ORBs 29/24 – zu den Feststellungen bei der Annahme von Vorsatz und zu den Anforderungen an die dann auch zu den Rechtsfolgenerwägungen notwendigen Feststellungen-

Das OLG hat Folgendes ausgeführt:

„Der Betroffene ist auf der Landstraße statt der am Tatort erlaubten 60 km/h unter Abzug der Toleranz 115 km/h gefahren.

Der Senat sieht sich veranlasst zu Feststellungen von Vorsatz und zu den Anforderungen an die dann auch zu den Strafzumessungserwägungen notwendigen Feststellungen nachfolgendes klarzustellen:

Der Vorwurf der Ordnungsbehörden geht bei Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich vom Fahrlässigkeitsvorwurf aus und nimmt zur Vereinfachung zu Gunsten des Betroffenen an, dass dieser „nur“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unberücksichtigt gelassen hat. Insoweit ist auch die Darlegung von Tatsachen im Urteil zur Schuldbestimmung wesentlich reduziert. In der weiteren Folge greift die gesetzgeberische Strafzumessung der Regelstrafen im Bußgeldkatalog und stellt die Tatrichter von der Darlegung eigener Strafzumessungserwägungen weitestgehend frei.

Greift der Betroffene die Bußgeldentscheidung der Ordnungsbehörden an und stellt das Tatgericht dann bei der Tatprüfung in der Hauptverhandlung fest, dass der fahrlässige Schuldvorwurf den Betroffenen zu Unrecht begünstigt, greifen diese Darlegungserleichterungen nicht und der Tatrichter ist gehalten die den Schuldvorwurf verschärfenden Tatsachen darzulegen. In der Regel handelt es sich dabei um tatortbezogene objektive Feststellungen wie „Baustellen“, „Ein- und Ausfahrten“, Geschwindigkeitstrichter, „Kindergärten, Schulen oder Krankenhäuser“ oder klar erkennbare geschwindigkeitsbeschränkende Umgebungen wie z.B. die Tatsache auf Grund der Bebauung „innerorts“ unterwegs zu sein. Die Ordnungsbehörden sind in Hessen verpflichtet, diese tatortbezogenen Besonderheiten im Messprotokoll, das eine öffentliche Urkunde darstellt, und das in der Hauptverhandlung gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO vom Tatrichter zeugenersetzend zu verlesen ist, zu vermerken, so dass der Tatrichter darauf zurückgreifen kann, ohne den Messbeamten als Zeugenladen zu müssen.

Verschärft der Tatrichter unter entsprechender Darlegung solcher Tatsachen den Schuldvorwurf auf „grob fahrlässig“ oder „vorsätzlich“, greifen die gesetzgeberischen  Strafzumessungserwägungen des amtlichen Bußgeldkatalogs nur noch eingeschränkt und er ist in der Folge ebenfalls gehalten seine eigene Strafzumessungserwägung darzulegen. Dabei sind der Bußgeldrahmen und die nach § 3 Abs. 4a der Bußgeldkatalog-Verordnung zum Vorsatz genannten Regelungen zu berücksichtigen.

Diese Voraussetzungen genügt das vorliegende Urteil nur eingeschränkt. Der Tatrichter hat nur die Geschwindigkeitsbeschränkung als solche und die Tatsache, dass der Betroffene nahezu doppelt so schnell gefahren ist, wie erlaubt angegeben und darauf im Wesentlichen seine Strafzumessungserwägungen gestützt. Der Grund für die Beschränkung der Geschwindigkeit auf der Landstraße auf 60 km/h und die daraus abgeleitete vorsätzliche Nichtbeachtung durch den Betroffenen bei Kenntnis der Beschränkung fehlt.

Ausnahmsweise greifen diese Darlegungsmängel hier aber nicht durch, da nach den Feststellungen der Betroffene sich mit 115 km/h ohnehin dazu entschieden hatte, schon die Regelgeschwindigkeitsbeschränkung auf Landstraßen mit 100 km/h zu missachten. Wer wie der Betroffene damit vorsätzlich sowieso nicht bereit ist sich an die gesetzlich vorgegebenen Geschwindigkeitsregelungen zu halten, der missachtet dann auch vorsätzlich die weiteren Reduktionen innerhalb des gesetzlichen Geschwindigkeitsrahmens, so dass gegen die Annahme von Vorsatz unter entsprechender Verdopplung der Regelbuße nach § 3 Abs. 4a der Bußgeldkatalog-Verordnung darum Ergebnis nichts zu erinnern ist.“

„gesetzgeberische Strafzumessung der Regelstrafen im Bußgeldkatalog“ – wenn man das beim OLG Frankfurt am Main so sieht, erklärt das einiges. 🙂

BtM II: Urteilsgründe bei Handel mit „Kleinstmenge“, oder: Feststellungen zum Wirkstoffgehalt

Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Und dann nach dem Aufreger des Tages, dem BGH, Beschl. v. 23.04.2024 – 5 StR 153/24 – dazu: BtM I: 5. Ss des BGH pampt zur „nicht geringen Menge“, oder: Gesetzesbegründung „verhallt“ beim BGH) geht es mit der nächsten BtM-Entscheidung, dem der OLG Celle, Beschl. v. 04.04.2024 – 2 ORs 17/24 – ruhiger weiter.

Das AG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Nach den den Feststellungen  verkaufte der Angeklagte für insgesamt 220 € gewinnbringend 0,4g Kokain an den gesondert Verfolgten B. und weitere 3,16g Kokain an den gesondert Verfolgten G. Zur Beweiswürdigung hat das AG ausgeführt, Grundlage der getroffenen Feststellungen seien das glaubhafte Geständnis des Angeklagten sowie das in der Hauptverhandlung verlesene Sicherstellungsprotokoll. Zudem habe ein ESA-Schnelltest des sichergestellten Rauschgifts ein positives Ergebnis bzgl. Kokain ergeben, wobei sich eine schlagartig intensive blaue Verfärbung gezeigt habe.

Dagegen die Revision, die keinen Erfolg hatte:

„Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1. Die knappen Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, denn ihnen ist die vorsätzliche Begehungsweise ebenso wie die erforderliche Eigennützigkeit des Betäubungsmittelgeschäftes noch ausreichend zu entnehmen. Für die Annahme von Eigennutz reicht es aus, wenn – wie hier – nach Art und Umfang der auf Umsatz gerichteten Tätigkeit andere als eigennützige Motive ausscheiden (Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG § 29 Rn. 350).

2. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Revisionsgericht prüft allein, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist lediglich dann der Fall, wenn die Beweis-würdigung widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1984, 180; NStZ-RR 2004, 238).

Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes erweist sich die Beweis-würdigung des angefochtenen Urteils als frei von Rechtsfehlern.

Legt der Tatrichter das Geständnis des Angeklagten seinen Feststellungen zugrunde, weil er es für glaubhaft erachtet, so ist er nicht stets verpflichtet, es in den Urteilsgründen in allen seinen Einzelheiten zu dokumentieren; es kann vielmehr bei einfach gelagerten Sachverhalten genügen, auf die Feststellungen Bezug zu nehmen und nachvollziehbar darzulegen, aus welchen Gründen er das Geständnis für glaubhaft erachtet (Senat, Beschluss vom 8. März 2024, 2 ORs 23/24; OLG Celle, Beschluss vom 14.12.2017, 3 Ss 48/17).

So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht hat die Glaubhaftigkeit des Geständnisses ersichtlich durch die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der von dem Angeklagten verkauften Kokainmengen und deren Untersuchung durch einen durchgeführten ESA-Schnelltest überprüft. Zwar darf die Feststellung, dass es sich bei sichergestellten Substanzen um Betäubungsmittel handelt, nicht allein auf das Ergebnis eines ESA-Schnelltests gestützt werden, da es sich nicht um ein in der Praxis als zuverlässig anerkanntes Standardtestverfahren handelt (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. Oktober 2023 – 1 ORs 144/23 –, juris; Senat, Beschluss vom 25. Juni 2014 – 32 Ss 94/14 –, juris). Vorliegend hat das Amtsgericht die Er-kenntnisse aus dem ESA-Schnelltest indes lediglich zur Überprüfung der geständigen Angaben des Angeklagten, der den Verkauf von Kokain an die Zeugen B. und G. eingeräumt hatte, her-angezogen. Dies ist nicht zu beanstanden.

2. Entgegen der Rechtsauffassung der Revision waren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Kokains vorliegend entbehrlich.

Zwar ist es zutreffend, dass auf die hier fehlenden konkreten Feststellungen zum Wirkstoffgehalt nur ausnahmsweise verzichtet werden kann. Bei Kleinstmengen von Betäubungsmitteln kommt dem Wirkstoffgehalt indes nach der Rechtsprechung des BGH keine bestimmende Be-deutung (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) für die Strafbemessung zu; Feststellungen zum Wirkstoff-gehalt des verfahrensgegenständlichen Rauschgifts sind vielmehr entbehrlich, wenn es nach den Gesamtumständen ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflusst hätte (BGH, Beschl. v. 31.5.2022 – 6 StR 117/22, NStZ-RR 2022, 250)

Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung, wonach eine „Kleinstmenge“ im Sinne der o.g. Rechtsprechung nur bei bis zu 3 Konsumeinheiten anzunehmen ist (vgl. Beschluss vom 25.09.2017 – 2 Ss 104/17) nicht mehr fest. Diese dürfte unter Berücksichtigung der o.g. BGH-Rechtsprechung überholt sein. Denn dieser Entscheidung lag u.a. ein festgestellter Besitz von 9g Cannabis zugrunde und damit eine Gewichtsmenge, die den Grenzwert der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG überschreitet (vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Auflage 2021, § 29, Rn. 2125ff.). Der BGH betont, dass „Kleinstmengen“ bereits gegeben sind, wenn das Erreichen des Grenzwerts der nicht geringen Menge rechnerisch von vornherein ausgeschlossen ist (BGH a.a.O.).

So liegt der Fall hier. Denn nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils verkaufte der Angeklagte eine Menge von insgesamt 3,56g Kokain, wobei selbst bei Zugrundelegung „guter Qualität“ im Straßenverkauf von 40 % (vgl. hierzu: Weber/Kornprobst/Maier, a.a.O., vor §§ 29ff., Rn. 1019f.) eine Menge von 1,424g Cocainhydrochlorid und damit weniger als 1/3 des Grenz-wertes der nicht geringen Menge (5,0g Cocainhydrochlorid) gegeben wäre.

Im Übrigen hat zuletzt auch das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 3. März 2023 – (3) 161 Ss 212/22 (73/22) –, juris) in einem Fall, bei dem der Angeklagte nach den Feststellungen eine Tablette Subutex für 10,- € verkauft und im Übrigen 12 weitere Subutex-Tabletten bei sich ge-führt hatte, um auch diese gewinnbringend an weitere Abnehmer zu veräußern, eine „Kleinst-menge“ im o.g. Sinne angenommen, obwohl der Grenzwert der geringen Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG überschritten war. Denn selbst bei Annahme der höchsten am Arzneimarkt erhältlichen Dosis von 8 mg Buprenorphin pro Subutex-Tablette ergab sich eine Gesamtmenge von 104 mg Buprenorphin und damit nur ca. ¼ der nicht geringen Menge (416,67mg Buprenorphin).

Auch das Saarländische Oberlandesgericht hat jüngst bei einer Betäubungsmittelmenge von 10,9 Gramm Marihuana ausgeschlossen, dass die Strafkammer gegen den Angeklagten bei einer Feststellung des Wirkstoffgehaltes nach § 29 Abs. 5 BtMG von Strafe abgesehen oder ein anderes Strafmaß verhängt hätte (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 22. November 2023 – 1 Ss 23/23 –, juris).

Nach alledem waren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt im vorliegenden Fall entbehrlich, so dass sich auch die Strafzumessung des angefochtenen Urteils als rechtsfehlerfrei erweist.“

StPO I: Verurteilung beruht auf DNA-Mischspur, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

entnommen open clipart.org

Und heute dann schon wieder 🙂 StPO, an sich wäre mal wieder OWi dran, aber dafür habe ich kein Material. Daher hier dann StPO.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 13.02.2024 – 4 StR 353/23. Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt . Die dagegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

„Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Täterschaft des Angeklagten durchgreifende Darstellungsmängel im Hinblick auf die Ergebnisse molekulargenetischer Gutachten aufweist.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts warf der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 25. September 2022 im Abstand von wenigen Minuten, fünf bis zehn Meter neben der Fahrbahn stehend, frontal Steine auf drei die Bundesautobahn 30 mit etwa 100 km/h befahrende Pkw, wobei er in der Absicht handelte, jeweils die Frontscheibe zu treffen und Beschädigungen zu verursachen. Die Steine trafen in zwei Fällen plangemäß die Windschutzscheibe, in einem Fall die Frontpartie des anvisierten Fahrzeugs, wodurch Beschädigungen von mindestens 900 Euro je Fahrzeug entstanden.

2. Die Strafkammer hat sich von der Täterschaft des Angeklagten unter anderem aufgrund von an einem Stein und am Griff eines Metalltors im Zugangsbereich zu dem betreffenden Autobahnabschnitt gesicherten DNA-Mischspuren überzeugt. Die Darstellung der Ergebnisse der molekulargenetischen Gutachten entspricht nicht den Anforderungen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung daran stellt.

Während bei Einzelspuren jedenfalls das Gutachtenergebnis in Form einer numerischen biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage mitgeteilt werden muss, ist bei Mischspuren grundsätzlich darzulegen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer anderen Person zu erwarten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187; Beschluss vom 9. November 2021 ‒ 4 StR 262/21; Beschluss vom 18. August 2021 ‒ 5 StR 217/21; Beschluss vom 12. August 2021 ‒ 2 StR 325/20; Beschluss vom 14. Juli 2021 ‒ 6 StR 303/21; Henke, NStZ 2023, 13, 15 f. jeweils mwN). Daran fehlt es hier. Ausnahmsweise kann im Urteil die DNA-Analyse der Hauptkomponente einer Mischspur nach den für die Einzelspur entwickelten Grundsätzen dargestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, BGHSt 63, 187, Rn. 10 ff.), wenn die Peakhöhen von Hauptkomponente zu Nebenkomponente durchgängig bei allen heterozygoten DNA-Systemen im Verhältnis 4:1 stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 6 StR 183/20). Dass diese Voraussetzungen vorliegen, ist dem Urteil ebenfalls nicht zu entnehmen.

3. Der Senat kann angesichts der begrenzten Aussagekraft der übrigen Beweisanzeichen nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Das verlesene Behördengutachten des Landeskriminalamts zum Vergleich des „Profilgrundmusters“ von in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen „Turnschuhen Venice, blau/rot“ mit einer in Tatortnähe im öffentlich zugänglichen Bereich gesicherten „Schuheindruckspur“ ist für die Täterschaft des Angeklagten – jedenfalls ohne nähere Feststellungen zum Verbreitungsgrad dieser Schuhe – nur von begrenzter Aussagekraft. Überdies sind in den Urteilsgründen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen von Sachverständigengutachten so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. April 2020 ‒ 1 StR 28/20, juris Rn. 4; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 34 mwN). Nach dem hier ausschließlich mitgeteilten Inhalt, wonach sich die Spur dem Schuhpaar mit dem Referenzmuster „venrippkegel“ „zuordnen lasse“, kann der Senat die Schlüssigkeit des Gutachtens nicht beurteilen. Die darüber hinaus herangezogene Funkzellenauswertung ist nicht aussagekräftig, da nach den Urteilsgründen die Funkzelle, in die das Mobiltelefon des Angeklagten zur Tatzeit eingeloggt war, sowohl den Wohnort des Angeklagten als auch den Tatortbereich versorgt.“