Archiv der Kategorie: Urteilsgründe

BGH I: „Du warst es“, oder: Die DNA-Spur im Urteil

entnommen open clipart.org

So, und dann zum „normalen Programm 🙂 „. Ich eröffne die 20. KW. heute mit zwei Postings zu BGH-Beschlüssen.

Zunächst weise ich auf den BGH, Beschl. v. 24.01.2019 – 1 StR 564/18 – hin, der sich zur Frage der Anforderungen an die Urteilsgründe verhält, wenn Grundlage der Verurteilung eine DNA-Spur ist, die man dem Angeklagten zugeordnet hat.

Im entschiedenen Fall hatte das LG den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen lauerte der Angeklagte am 29. März 2017 gegen 21.30 Uhr seiner Ehefrau, die sich bereits im Dezember 2015 von ihm getrennt hatte und einem neuen Lebenspartner zuwandte, an deren Arbeitsstelle auf. Er wollte sie aus Eifersucht töten, nachdem er ihre Scheidungsabsichten erkannt hatte. Der Angeklagte näherte sich seiner Ehefrau mit einem Messer von hinten, als sie gerade in ihr Fahrzeug steigen wollte, und fügte ihr eine „leicht bogenförmige“ Schnittverletzung an der Kehle zu. Die Ehefrau drehte sich um und versuchte vergeblich, den Angeklagten abzuwehren; eine von ihr aus der Arbeitsstätte mitgebrachte leere Dose des Herstellers Red Bull fiel dabei zu Boden. Insgesamt stach der Angeklagte seiner Ehefrau neunmal in den Oberkörper und durchtrennte Leber, Lunge und Milz; die Ehefrau verblutete noch am Tatort.

Das Landgericht hat sich aufgrund einer Vielzahl von Hilfstatsachen von der Täterschaft des die Tat abstreitenden Angeklagten überzeugt. Dabei hat es einer vom Angeklagten herrührenden DNA-Spur am Boden der Getränkedose „ganz besondere Indizbedeutung“ zugemessen; denn damit könne er nur am Tatort in Kontakt gekommen sein, anders als mit der Jacke der Geschädigten, an deren Kapuze und Kragenseite ebenfalls auf den Angeklagten hinweisende DNA-Spuren – neben einem belastenden Faserspurenbild – gesichert worden seien, und mit dem linken Finger, unter dessen Nagel die Sachverständige vom Landeskriminalamt eine für die Verursachung durch den Angeklagten sprechende „DYS-Spur“ nachgewiesen habe. Daher sei die DNA-Spur an der Dose in der Gesamtschau das „gewichtigste Indiz“, zu welchem der Angeklagte – anders als sonst (etwa zu einem angeblichen Besuch der Ehefrau am Morgen des Tattages, was als „Sinneswandel“ im Einlassungsverhalten und „Anpassung an das Beweisergebnis“zu würdigen sei) – geschwiegen habe, weil ein Erklärungsversuch offensichtlich sinnlos gewesen sei.

Der BGH hat aufgehoben:

„Diese Beweiswürdigung hält wegen eines durchgreifenden Darstellungsmangels der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie verhält sich nicht zu den Grundlagen, aus denen abzuleiten ist, dass der Angeklagte das an der Red-Bull-Dose in einer Mischspur gesicherte Material „mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 3,3 Millionen mitverursacht habe“ (UA S. 103).

1. Insoweit gilt:

a) Ist dem Tatrichter mangels Sachkunde eine eigene Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens eines Sachverständigen nicht möglich, so genügt es, dass er sich von der Sachkunde des Gutachters überzeugt und sich danach dem Ergebnis des Gutachtens anschließt. Jedoch muss er in diesem Fall die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Sachverständigen im Urteil so wiedergeben, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 5; vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 11 und vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116 mwN). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH, Urteil vom 3. Mai 2012 – 3 StR 46/12, NStZ 2013, 177, 178). Liegt dem Gutachten jedoch ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren zugrunde, wie dies etwa beim daktyloskopischen Gutachten, der Blutalkoholanalyse oder der Bestimmung von Blutgruppen der Fall ist, so genügt die bloße Mitteilung des erzielten Ergebnisses (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 5 und vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, NStZ 2011, 171 mwN).

b) Für molekulargenetische Vergleichsgutachten gilt nichts anderes. Nach der neueren Rechtsprechung muss in den in der forensischen Praxis gebräuchlichen Verfahren lediglich das Gutachtenergebnis in Form der biostatistischen Wahrscheinlichkeitsaussage in numerischer Form mitgeteilt werden, sofern sich die Untersuchungen auf eindeutige Einzelspuren beziehen und keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen (BGH, Beschluss vom 28. August 2018 – 5 StR 50/17, NJW 2018, 3192, 3193, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Diese Vereinfachung gilt demnach nicht für Mischspuren (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 – 4 StR 410/18, juris Rn. 7; Urteil vom 6. Februar 2019 – 1 StR 499/18, juris Rn. 17); solche Spuren weisen mehr als zwei Allele in einem DNA-System auf, mithin Zellmaterial von mehr als einer einzelnen Person.

Insoweit ist nach wie vor grundsätzlich in den Urteilsgründen mitzuteilen, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergaben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ob dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war. Bei Mischspuren können je nach den konkreten Umständen des Einzelfalles strengere Anforderungen gelten (BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 12 f. und vom 19. Januar 2016 – 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118, 119; Urteil vom 6. Februar 2019 – 1 StR 499/18, juris Rn. 18), auch in Bezug auf die Vergleichspopulation (BGH, Urteil vom 24. März 2016 – 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 492); gegebenenfalls ist es notwendig, ergänzende molekulargenetische Untersuchungen durchzuführen (BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477, 479). Regelmäßig wird sich die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es sich handelt (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 – 2 StR 572/16, juris Rn. 13 mwN).

c) Die tatrichterlichen Ausführungen genügen diesen Anforderungen nicht. Sie teilen nur mit, dass als weitere Spurenverursacherin – ebenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 : 3,3 Millionen – eine Besucherin der Tagungsstätte, die die Dose dort zurückließ, in Betracht kommt. Insoweit ist bereits der Typ der Mischspur – etwa Spur ohne klaren Hauptverursacher – nicht hinreichend genau herausgearbeitet. Im Übrigen fehlt es – wie auch bei den anderen DNA-Spuren – völlig an der Darstellung der Systeme und der Wahrscheinlichkeitsberechnung (vgl. zu Letzterem BGH, Urteil vom 7. November 2012 – 5 StR 517/12, NStZ 2013, 179); auf die für den Angeklagten relevante Vergleichspopulation wird nicht eingegangen.

2. Da sich das Landgericht festgelegt hat, dass von der Vielzahl der Indizien die DNA-Spur an der Getränkedose für seine Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) den Ausschlag gegeben hat, kann das Beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO) nicht ausgeschlossen werden. Diese Würdigung des Landgerichts darf das Revisionsgericht nicht durch eine eigene ersetzen.“

Fahrverbot III: Absehen vom Fahrverbot wegen wirtschaftlicher Folgen, oder: Gewogen und zu leicht befunden

© 3dkombinat – Fotolia.de

Aus dem hohen Norden in den Süden zum OLG Zweibrücken und dem OLG Zweibrücken, Beschl. v. 13.02.2019 – 1 OWi 2 Ss Bs 84/18.

Im entschiedenen Fall hatte das AG hat nach einem Geschwindigkeitsverstoß von der Anordnung des Regelfahrverbots unter Anhebung der Geldbuße von 320 € auf 500 € mit der Begründung abgesehen, dass der Betroffene als Vertriebsbeauftragter beschäftigt sei und seine Hauptaufgabe in die Betreuung der Kunden innerhalb seine Verkaufsgebietes bestehe. Aus einer von ihm vorgelegten Bescheinigung seines Arbeitgebers gehe hervor, dass ein Einsatz an anderer Stelle des Unternehmens nicht möglich sei, ein längerer zusammenhängender Urlaub nicht in Betracht komme, ein Ausfall des Betroffenen zu hohen Umsatzverlusten beim Arbeitgeber führen werde und im Falle der Vollziehung eines Fahrverbots daher eine Kündigung in Betracht komme. Ferner sei trotz der Vorbelastungen vom Fahrverbot abzusehen, weil zu erwarten sei, dass der Betroffene nunmehr allein durch die Verhängung der erhöhten Geldbuße zu verkehrsgerechtem Verhalten veranlasst werden könne.

Auf die Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Begründung:

„2. Mit dieser Begründung hat das Amtsgericht die in § 4 Abs. 1 BKatV beschriebene Regelvermutung, dass der Verstoß nicht nur eine grobe Pflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 StVG darstellt, sondern dass es deshalb auch einer erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen mittels der Verhängung eines Fahrverbots bedarf (Deutscher in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 1657) nicht hinreichend widerlegt.

a) Die Erwägungen des Amtsgerichts sind schon deshalb lückenhaft, weil keine näheren Feststellungen zu Art und Umfang der verkehrsrechtlichen Vorbelastungen des Betroffenen sowie zu deren zeitlichem Abstand zu der verfahrensgegenständlichen Handlung mitgeteilt sind. Entsprechende Darlegungen wären jedoch erforderlich gewesen um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter von einem zutreffenden Verständnis des von § 4 Abs. 1 BKatV vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis ausgegangen ist.

aa) Dem Tatrichter steht ein Beurteilungsspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG, Beschluss vom 24.03.1996 – 2 BvR 616/91, NJW 1996, 1809). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage des Fahrverbots zu einem abweichenden Ergebnis gelangen würde (OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16, juris Rn. 6; Deutscher aaO., Rn. 1295 m.w.N.).

bb) Die Annahme, dass die Anordnung eines Fahrverbotes bei Verwirklichung eines der Regelbeispiele in § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV ausnahmsweise nicht erforderlich ist, setzt allerdings regelmäßig voraus, dass der Betroffene Ersttäter ist, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht überdurchschnittlich sind, eine Fahrlässigkeitstat vorliegt und die Regelgeldbuße zumindest verdoppelt werden kann. Weiterhin muss das Bußgeldgericht, will es vom Regelfahrverbot absehen, darlegen, warum im konkreten Fall die in den genannten Fällen regelmäßig notwendige Einwirkung auf den Betroffenen durch das Fahrverbot nicht erforderlich ist (Senat, Beschluss vom 01.08.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 21/17, juris Rn. 8). Hierzu bedarf es, sofern keine ganz erheblichen Härten vorliegen, regelmäßig des Zusammentreffens einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die gegen die Erforderlichkeit des Fahrverbots sprechen (Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 15.11.2012 – 2 SsBs 82/11, juris Rn. 14; s.a. Deutscher aaO. Rn. 1295; König in König/Dauer, StVR, 45. Aufl., § 24 StVG, Rn. 24, jew. m.w.N.). Zwar erscheint es nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erforderlichkeit eines Fahrverbots auch bei einem Wiederholungstäter zu verneinen. Es bedarf dann aber einer vertieften und sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls und der verkehrsrechtlichen Vorbelastungen auseinandersetzenden Begründung, weshalb der mit dem Fahrverbot verfolgte Zweck auch durch ein erhöhtes Bußgeld erreicht werden kann, obwohl der Betroffene die mit einer solchen Sanktion verbundene Warnfunktion – ggfs. sogar wiederholt – missachtet und erneut gefehlt hat. Sind erhebliche, insbesondere einschlägige Vorbelastungen vorhanden, können einem Betroffenen sogar gravierende berufliche Folgen bis hin zur erzwungenen Aufgabe der Tätigkeit zuzumuten sein, denn ansonsten würde einem solchen Verkehrsteilnehmer ein dauerhafter „Freifahrschein” erteilt und eine solche, wegen besonderer Umstände bevorzugte Behandlung wäre gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nicht mehr zu rechtfertigen (Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2015 – 1 OWi 1 Ss Bs 57/15, juris Rn. 5). Ob der Tatrichter diese Grundsätze beachtet und zutreffend angewendet hat, kann der Senat aufgrund der insoweit lückenhaften Ausführungen des Amtsgerichts rechtlich nicht nachprüfen.

b) Hinzutritt, dass die in den Urteilsgründen dargelegten Auswirkungen des Fahrverbots auf die berufliche Tätigkeit des Betroffenen für sich genommen den Entfall der Regelwirkung nicht rechtfertigen können. Denn die Beschwerdeführerin und die Generalstaatsanwaltschaft beanstanden zu Recht, dass sich das Amtsgericht nicht näher mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob und in welchem Umfang der Betroffene – ggfs. in Verbindung mit der Gewährung einer Vollstreckungsfrist nach § 25 Abs. 2a StVG – diese nachteiligen Folgen abmildern oder gar ausräumen kann.

Einer näheren Auseinandersetzung mit den einem Betroffenen offenstehenden und zuzumutenden Möglichkeiten, die Auswirkungen eines Fahrverbots abzumildern, bedarf es regelmäßig zwar nur, wenn der Tatrichter die Zumutbarkeit und damit die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme verneinen will (vgl. hierzu Deutscher aaO. Rn. 1315 ff.). Sieht der Tatrichter – wie hier – hingegen von der Verhängung eines Fahrverbots ab, weil es ausnahmsweise des mit der Maßnahme bezweckten Erziehungseffekts nicht bedarf, sind solche Gesichtspunkte im Regelfall nicht von entscheidender Bedeutung (Senat, Beschluss vom 05.02.2019 – 1 OWi 2 Ss Bs 69/18). Dies setzt jedoch voraus, dass der Tatrichter weitere, gegen die Erforderlichkeit sprechende Umstände von jedenfalls durchschnittlichem Gewicht festgestellt und abgewogen hat. Eine besondere, über das gewöhnliche Maß hinausreichende Härte, die auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Anwendung von § 4 Abs. 4 BKatV isoliert tragen kann, stellt das Fahrverbot für den Betroffenen nur dar, wenn er dessen nachteilige Folgen für die berufliche Tätigkeit nicht unschwer abmildern oder gar gänzlich ausräumen kann. Hält der Tatrichter daher allein wegen der damit für den Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Folgen die Verhängung eines Fahrverbots zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen für nicht erforderlich, so hat er, um das Ausmaß der prognostizierten Folgen und damit das Gewicht dieses Umstandes zu bestimmen, auch die Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, die dem Betroffenen zur Abmilderung dieser Folgen verbleiben. Ist es dem Betroffenen unschwer möglich, die tatsächlichen oder von ihm zumindest befürchteten Auswirkungen des Fahrverbots auf seine berufliche Tätigkeit ohne besonderen Aufwand zu vermeiden, so wird die mit einem erhöhten Bußgeld verbundene Abschreckfunktion begrenzt und die davon ausgehende erzieherische Wirkung nur gering sein.“

Fahrverbot II: Beharrlicher Pflichtenverstoß, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

© lassedesignen Fotolia.com

Die zweite Entscheidung kommt vom OLG Hamburg. Das hat im OLG Hamburg, Beschl. v. 12.03.2019 – 9 RB 9/19 -, u.a. zu den Urteilsanforderungen bei Verhängung eines Fahrverbotes wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes Stellung genommen und das Urteil wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben:

„Jedoch hält der Rechtsfolgenausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zwar ist die Höhe des verhängten Bußgelds im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden.

Das Gericht hat sich bei der Ahndung am Regelsatz des Bußgeldkatalogs von 120 € gemäß 11.3 i.V.m. Tabelle 1 c) 11.3.6. BKAtV orientiert und dies der Bemessung des Bußgeldes zugrunde gelegt. Hiergegen ist grundsätzlich nichts zu erinnern.

b) Jedoch ist die Verhängung eines einmonatigen Fahrbverbots nicht tragfähig begründet.

aa) Das Gericht hat in den Ausführungen zur Rechtsfolgenbemessung keine konkrete Rechtsgrundlage für das Fahrverbot genannt. Dies ergibt sich auch nicht aus der einzigen an der Stelle zitierten Norm des 11.3 i.V.m. Tabelle 1 c). 11.3.6. BKAtV. Für eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften wird in dieser Norm gerade kein Fahrverbot als Regelsanktion vorgeschrieben. Aus dem Gesamtkontext sowie den bei den angewandten Vorschriften angeführten Normen ergibt sich jedoch insoweit, dass das Fahrverbot auf Grundlage des § 25 Abs. 1 StVG angeordnet wurde, wobei hier allein eine beharrliche Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers als Anordnungsgrund in Betracht kam. Beharrlich begangen sind Pflichtverletzungen, die zwar ihrer Art oder den Umständen nach nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben zählen, durch deren zeit- und sachnahe wiederholte Begehung der Täter aber unter Missachtung der Vorwarnung zeigt, dass ihm die für die teilnahme am Straßenverkehr erforderliche rechtstreue Gesinnung und die notwendige Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlen (OLG Hamm NZV 2016, 348 m.w.N.). Nach § 4 Abs. 2 S. 2 StVG kommt in diesem Zusammenhang ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats regelmäßig dann in Betracht, wenn gegen den Führer eines Kraftfahrzeugs wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht. Die Norm regelt damit einen besonders schweren Fall der Beharrlichkeit (BeckOK OWiG/Euler, 21. Auflage, Stand: 1.1.2019, § 4 BKatV, Rn. 3). Das Fahrverbot kann dabei schon für die erste Wiederholungstat angeordnet werden (OLG Bamberg, Beschluss vom 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16, BeckRS 2016, 18783, Rn. 5).

Der Betroffene hatte ausweislich der Urteilsfeststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen auch schon am 18.08.2017 mit seinem Pkw die zulässige Geschwindigkeit um 28 km/h überschritten, weswegen ein Bußgeld von 100 € gegen ihn verhängt worden war. Jedoch hat das Amtsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Ahndung bezüglich dieser Vortat rechtskräftig geworden ist. Zwar setzt die Wertung eines Pflichtenverstoßes als beharrlich im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG nicht ausnahmslos die Feststellung wenigstens einer rechtskräftig abgeschlossenen Ahndung einer früheren Zuwiderhandlung im Zeitpunkt der neuerlichen Tat voraus. Häufig kann und wird es genügen, wenn dem Betroffenen vor der neuen Tat das Unrecht einer früheren Tat auf andere Weise bewusst geworden ist, etwa dann, wenn er durch die Zustellung eines Bußgeldbescheids positive Kenntnis von der Verfolgung der früheren Ordnungswidrigkeit erlangt hatte (OLG Bamberg, Beschluss vom 22.07.2016 – 3 Ss OWi 804/16, BeckRS 2016, 18783, Rn. 8). In einem solchen Fall bedarf es jedoch ausreichender tatrichterlicher Feststellungen, die den Schluss zulassen, der Betroffene habe sich über den vorausgegangenen Warnappell hinweggesetzt (Burmann in: ders./Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 25 StVG Rn. 11 m.w.N.). An diesen Feststellungen fehlt es bislang. Angesichts der Tatsache, dass die Verfehlung vom 18.08.2017 lediglich etwa zwei Monate vor der hier verfahrensgegenständlichen, am 19.10.2017 begangenen Tat lag, liegt es nicht fern, dass ein Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen wegen der Vortat vom 18.08.2017 zum Zeitpunkt des neuerlichen Vorfalls noch gar nicht ergangen war und damit die für die Annahme von Beharrlichkeit erforderliche Warnfunktion noch nicht ausgelöst haben konnte. Hierzu bedarf es näherer Feststellungen. Die – zudem äußerst knappe – Begründung des Gerichts, das Fahrverbot solle den Betroffenen zur zukünftig gewissenhafteren Einhaltung der Verkehrsvorschriften anhalten, trägt die gerichtliche Entscheidung insoweit nicht, da damit letztlich nur allgemein der Zweck eines Fahrverbots umschrieben wird.

Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist das angefochtene Urteil einschließlich der Kostenentscheidung aufzuheben. Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 StPO).“

Dem tritt der Senat bei…..“

Ich komme auf die Entscheidung noch einmal zurück.

OWi I: Geschwindigkeitsüberschreitung auf der BAB, oder: Vorsatz?

© digitalstock – Fotolia.com

Heute dann mal wieder ein OWi-Tag, und zwar zunächst eine Entscheidung zum Vorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitung auf Autobahnen. Die Frage der Verurteilung des Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes hat für den Betroffenen ja große Bedeutung. Denn im Fall der Vorsatzverurteilung ist im Zweifel ein Absehen vom Fahrverbot kaum zu erreichen. Deshalb muss der Verteidiger darauf achten, dass die Urteilsgründe des AG den von der Rechtsprechung ausgestellten Anforderungen entsprechen.

Auf die hat jetzt das OLG Bamberg noch einmal in Zusammenhang mit der Verurteilung eines Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn hingewiesen (vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 01.03.2019 – 3 Ss OWi 126/19), der folgende Leitsätze hat:

  1. Bei einer Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung müssen die tatrichterlichen Feststellungen eindeutig und nachvollziehbar ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen verstoßen oder den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat.
  2. Auch anlässlich der Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung dürfen die Tatgerichte die auf Erfahrung beruhende Wertung, dass ordnungsgemäß aufgestellte, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen von durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern bei zumutbarer Aufmerksamkeit anlässlich der Fahrt in aller Regel wahrgenommen werden, regelmäßig zugrunde legen. Die Möglichkeit, dass der Betroffene die eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen übersehen hat, ist allerdings dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür entweder greifbare Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene im Verfahren einwendet, die beschränkenden Vorschriftszeichen übersehen zu haben.

Strafzumessung III: „Nicht ohne eigene Schuld“, oder: Die Ohrfeige als nicht angemessene Reaktion

© fotomek – Fotolia.com

Die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt dann auch vom 3. Strafsenat des BGH. Es ist der BGH, Beschl. v. 19.12.2018 – 3 StR 391/18. Das LG hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Nach den Feststellungen des LG-Urteils schuldete der Angeklagte dem Geschädigten H.  aus dem Kauf einer Hose 20 €. Deswegen stellte der Zeuge H.  am 15.09.2017 im Beisein des  A.  den Angeklagten zur Rede und forderte ihn auf, den restlichen Kaufpreis zu bezahlen. Als der Angeklagte entgegnete, er könne nicht zahlen, verlangte H.  die Hose zurück. Der Angeklagte lehnte auch dieses ab. Der alkoholisierte H.  ärgerte sich darüber und rangelte mit dem Angeklagten, dem es gelang, den Zeugen wegzuschubsen. Dieser versetzte aus Verärgerung dem Angeklagten eine schmerzende Ohrfeige. Zu einem weiteren Angriff setzte H.  nicht an, was auch der Angeklagte erkannte. Dennoch stieß er, „nicht ausschließbar, weil er aufgrund der erhaltenen Ohrfeige zornig war und sich hierdurch herabgesetzt fühlte“, dem Zeugen sein Klappmesser in den Oberbauch und durchtrennte innerhalb der Wunde willentlich mit einer weiteren Schnittbewegung den linksseitigen Bauchmuskel.

Das LG hat bei der Strafzumessung die Voraussetzungen des 213 Alternative 1 StGB abgelehnt: Der Angeklagte habe durch seine Ankündigung, weder den Kaufpreis zu bezahlen noch die Hose zurückzugeben, die Ohrfeige herausgefordert; H.  s körperlicher Angriff sei verständlich. Nach Abwägung der strafmildernden Umstände mit den straferschwerenden Gründen hat das Landgericht keinen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB angenommen. Dabei hat es zu Lasten des Angeklagten gewürdigt, er habe „den Zeugen H.  wahrheitswidrig einer – gemeinsam mit  A.  begangenen – gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Vornahme mehrerer Schläge bezichtigt“. Das beanstandet der BGH:

„1. Diese Strafzumessungserwägungen halten sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Bereits die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei nicht ohne eigene Schuld in die Auseinandersetzung mit H.  geraten, so dass 213 Alternative 1 StGB nicht anwendbar sei, begegnet durchgreifenden Bedenken.

aa) Nicht „ohne eigene Schuld“ handelt der Täter, der das Opfer zu seinem Verhalten herausfordert. Das ist nicht schon bei jeder Handlung des Täters der Fall, die ursächlich für die ihm zugefügte Misshandlung gewesen ist. Vielmehr muss er dem Opfer genügende Veranlassung gegeben haben; dessen Verhalten muss eine verständliche Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters gewesen sein. Dabei ist die Verständlichkeit auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu prüfen (BGH, Beschlüsse vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 213 Alternative 1 Verschulden 1; vom 2. Oktober 1985 – 3 StR 376/85, StV 1986, 200; vom 26. April 1985 – 2 StR 181/85, StV 1985, 367; vom 22. Juli 1981 – 3 StR 254/81, juris 4).

Die Ohrfeige ist hier nicht als angemessene Reaktion des Geschädigten auf die Leistungsverweigerung des Angeklagten zu werten. Es ist überzogen und nicht mehr verständlich, dass der Zeuge H.  zum Durchsetzen seiner Forderung zunächst eine Rangelei begann und den Angeklagten schließlich sogar ohrfeigte, mithin Gewalt ausübte.

bb) Die Ohrfeige ist nach den Umständen des vorliegenden Falles als ausreichend schwere Provokation zu werten. Sie griff nicht lediglich nur geringfügig in die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten ein, sondern erreichte wegen der erlittenen Schmerzen die erforderliche Erheblichkeit für eine Misshandlung im Sinne des 223 Abs. 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. September 2017 – 1 StR 436/17, NStZ-RR 2018, 20, 21; vom 13. Januar 2016 – 1 StR 581/15, StraFo 2016, 167).

b) Zum als straferschwerend gewürdigten Umstand, den Zeugen H.  zu Unrecht der gefährlichen Körperverletzung bezichtigt zu haben, hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt:

„Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten. Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (BGH, NStZ-RR 2013, 170, 171; vgl. auch Senat, NStZ 2010, 692; BGH, NStZ-RR 1999, 328). Vorliegend lag in der unzutreffenden Behauptung des Angeklagten, er habe nur deshalb mit dem Messer in der Hand nach dem Zeugen H.  geschlagen, weil dieser ihn nach mehreren unter Beteiligung      A.  s ausgeführten Schlägen erneut anzugreifen versucht habe (UA S. 10), keine über das Leugnen eigener Schuld hinausgehende, herabwürdigende Ehrverletzung des Geschädigten, die strafschärfend berücksichtigt hätte werden können; auch eine über das zulässige Verteidigungsverhalten hinausgehende, rechtsfeindliche Gesinnung ist den Angaben nicht zu entnehmen (vgl. BGH,NStZ-RR 1999, 328, 329; Senat, NStZ 2010, 692). Die Falschbelastung des Zeugen H.  hätte deshalb nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden dürfen.“…“