Archiv der Kategorie: Urteil

OWi III: Verdoppelte Geldbuße nicht mehr geringfügig, oder: Nochmals Begründungsanforderungen

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Und zum Tagesschluss habe ich dann noch eine OLG-Entscheidung zu den Begründungsanforderungen bei Festsetzung einer Geldbuße, die über der sog. Geringfügigkeitsgrenze liegt. Es handelt sich um den OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.11.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 488/21.

Festgesetzt worden ist vom AG  nach Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch eine „verdoppelte“ Geldbuße von 480 EUR. Dem OLG reicht die Begründung des Rechtsfolgenausspruch nicht:

„2. Die in dem angefochtenen Beschluss für die Höhe der Geldbuße enthaltene Begründung genügt nicht den Anforderungen nach §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 3 Satz 1 StPO, da sie aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die erforderliche Überprüfung nicht ermöglicht. Das Amtsgericht hat eine Geldbuße in Höhe von 480,00 Euro verhängt, die damit deutlich über der bei 250,00 Euro festzusetzenden Geringfügigkeitsgrenze des § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG liegt, von der an genauere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen als Bemessungskriterium für die Höhe der Geldbuße zu treffen sind (st. Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler: Senatsbeschluss vom 18. April 2017, (1 B) 53 Ss-OWi 194/17 (94/17); Senatsbeschluss vom 8. Juni 2010, 1 Ss (OWi) 109 B/10; siehe auch Kammergericht VRS 122, 285, 286 m. w. N.; Kammergericht VRS 111, 202; OLG Celle NJW 2008, 3079; OLG Jena VRS 110, 443, 446; OLG Jena VRS 113, 351; OLG Köln ZfSch 2006, 116; OLG Düsseldorf NZV 2000, 426; OLG Düsseldorf NZV 2008, 161; OLG Bamberg GewArch 2007, 389, 390; BayObLG DAR 2004, 594; OLG Zweibrücken NZV 1999, 219; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97). In dem angefochtenen Beschluss fehlt es an jeglichen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen, die etwaige Rückschlüsse auf seine finanzielle Situation ermöglichen. Überdies sind solche Feststellungen bei einer Geldbuße wie der vorliegenden auch deshalb veranlasst, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter rechtsfehlerfrei von Erörterungen zu Zahlungserleichterungen nach § 18 OWiG abgesehen hat (vgl. OLG Hamburg NJW 2004, 1813 (1815)). Zudem lässt der Beschluss erkennen, dass die Höhe der verhängten Geldbuße auch auf eine verkehrsrechtliche Vorbelastung des Betroffenen zurückzuführen ist, ohne diese Vorbelastung näher zu bezeichnen.“

OWi I: Bezugnahme auf das „Tatlichtbild“ zulässig?, oder: Nein, denn es geht um den „Urkundeninhalt“

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In der Mitte der 11. KW. heute dann drei OWi-Entscheidungen.

Zunächste etwas aus Bayern, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 31.01.2022 – 202 ObOWi 106/22 – zur Frage der Bezugnahme auf in ein Messfoto eingeblendete Daten. Das AG hat den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Das BayObLG meint in der Rechtsbeschwerde, dass die vom AG getroffenen Feststellungen nicht ausreichen, und zwar auch nicht im Hinblick auf die vom AG gemnäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO vorgenommene Bezugnahme auf das „Tatlichtbild“. Denn:

„d) Auch die in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgte Bezugnahme auf das „Tatlichtbild“ erlaubt es dem Senat nicht, die dortigen Textfelder zur Korrektur der Urteilsgründe und Auflösung des Widerspruchs in den tatrichterlichen Feststellungen heranzuziehen.

aa) Die Bestimmung des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, wonach der Tatrichter zur Erleichterung der Darstellung von Abbildungen wegen der Einzelheiten in Abkehr von dem grundsätzlichen Erfordernis, die maßgeblichen Umstände in den Urteilsgründen zu schildern, die Abbildung durch Bezugnahme zum Inhalt der Urteilsurkunde machen kann, erlaubt dem Senat nicht den Rückgriff hierauf, um Widersprüche in den Tatsachenfeststellungen des tatrichterlichen Urteils aufzulösen. Die Verweisung auf Urkunden, um deren Inhalt es geht, gestattet § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gerade nicht (BGH, Urt. v. 20.10.2021 – 6 StR 319/21; 20.01.2021 – 2 StR 242/20, jew. a.a.O.). Bei den Messdaten handelt es sich aber nicht etwa um Abbildungen, die durch Inaugenscheinnahme zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemäß § 261 StPO gemacht werden könnten. Vielmehr geht es bei deren Verwertung um den Inhalt einer textlichen Darstellung, die allein dem Urkundenbeweis nach § 249 StPO zugänglich ist (ebenso: OLG Hamm, Beschl. v. 09.03.2021 – III-4 RBs 44/21 = ZfSch 2021, 531; 21.01.2016 – III-4 RBs 324/15 = NStZ-RR 2016, 121 = NZV 2016, 241; OLG Düsseldorf Beschl. v. 08.01.2016 – IV-3 RBs 132/15 = DAR 2016, 149; BeckOK StPO/Peglau [41. Ed. 1.10.2021] § 267 Rn. 11; KK-StPO/Kuckein/Bartel 8. Aufl. StPO § 267 Rn. 19, Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Aufl. § 267 Rn. 9), weil es nicht auf das äußere Erscheinungsbild des Textes, sondern allein den Inhalt ankommt. Eine über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO hinausgehende, entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auf in den Akten befindliche Urkunden verbietet sich schon aus methodischen Gründen. Denn bei § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO handelt es sich um eine eng auszulegende und damit nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift, die den Grundsatz, dass ein Urteil aus sich heraus verständlich sein muss, durchbricht.

bb) Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die strenge Differenzierung zwischen Urkunden- und Augenscheinsbeweis für die Frage, ob der Urkundeninhalt wirksam aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) geschöpft wurde, dann eine Grenze findet, wenn der gedankliche Inhalt der Urkunde quasi „durch einen Blick“ auf diese erfasst wird (BGH, Beschl. v. 12.12.2013 – 3 StR 267/13 = NStZ 2014, 606 = StV 2015, 78), auf die Ergänzung der Urteilsgründe durch Bezugnahme auf entsprechende Textteile übertragen werden kann. Denn jedenfalls fehlt es schon an der vom Bundesgerichtshof postulierten Prämisse der Feststellung „auf einem Blick“. Der Text, der im Zusammenhang mit dem Messbild wiedergegeben wird, erschöpft sich nicht lediglich in einem Messwert, sondern enthält zahlreiche Textfelder über mehrere und auch über das Messbild verteilte Zeilen mit unterschiedlichsten Daten. Darauf, ob eine einzelne der dort abgedruckten Daten „auf einen Blick“ erfasst werden könnte, kommt es nicht an. Denn dies würde zur zuverlässigen Gewährleistung eines richtigen Ergebnisses schon deswegen nicht ausreichen, weil es zum Zwecke einer fehlerfreien Zuordnung zum verfahrensgegenständlichen Vorwurf auch eines Rückgriffs auf die weiteren Daten bedürfte und deren Abgleich untereinander geboten wäre, was darauf hinausliefe, dass das Rechtsbeschwerdegericht unzulässiger Weise Beweis erheben und eigene Sachverhaltsfeststellungen treffen müsste. Es ist indes nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, das Urteil möglicherweise tragende Umstände selbst herauszufinden und zu bewerten; bei einem solchen Vorgehen handelt es sich nicht mehr um ein Nachvollziehen des Urteils, sondern um einen Akt eigenständiger Beweiswürdigung, der dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt ist (BGH, Urt. v. 02.11.2011 – 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53 = NJW 2012, 244 = GuT 2011, 541 = NZV 2012, 143 = NStZ 2012, 228 = StV 2012, 272 = BGHR StPO § 267 Abs 1 S 3 Verweisung 4).

cc) Darauf, dass der Tatrichter im Rahmen seiner Bezugnahme nicht einmal die Fundstelle in der Akte zitiert (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 14.09.2011 – 5 StR 355/11 = BGHR StPO § 267 Abs 1 S 3 Verweisung 3), kommt es nach alledem nicht mehr entscheidend an. Gleiches gilt für den Umstand, dass im angefochtenen Urteil, ohne dies weiter zu hinterfragen, zudem festgestellt wurde, dass das Messgerät „bis zum Jahresende 2020 gültig geeicht“ gewesen sei, obwohl der Verstoß sich am 11.04.2021 ereignete.“

Verkehr II: Absehen von der Fahrerlaubnisentziehung, oder: Die Feststellungen müssen stimmen

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Die zweite Entscheidung kommt dann auch vom KG.

Das hat im KG, Urt. v. 10.12.2021 – 3 Ss 56/21 – zu einigen Fragen in Zusammenhang mit der Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung Stellung genommen. Insoweit müssen hier die Leitsätze reichen, und zwar:

  1. Im Zweifel ist eine von der Staatsanwaltschaft eingelegte (Sprung-)Revision (auch) zuungunsten eines Angeklagten eingelegt. Bei Erhebung der allgemeinen Sachrüge wird die uneingeschränkte Überprüfung des tatrichterlichen Urteils begehrt.
  2. Eine Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage des Maßregelausspruchs nach §§ 69 ff. StGB ist dann nicht möglich, wenn im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht. In einer solchen untrennbaren Wechselwirkung stehen regelmäßig Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung.

Außerdem hat das KG sich zum Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) geäußert. Vom LG war abgesehen worden. Das hat dem KG nicht gefallen:

„b) Auch das Absehen von der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB ist durchgreifenden rechtlichen Bedenken ausgesetzt.

aa) Entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts greift vorliegend die Regelvermutung für die Fahrerlaubnisentziehung nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB.

Danach liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, bemisst sich allein nach wirtschaftlichen Kriterien und beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Hamm NZV 2011, 356 m.w.N.). Entscheidend ist der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (BGH NStZ 2011, 215). Die Frage, welche Schadenspositionen dabei außer den Reparaturkosten zu berücksichtigen sind, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, kann aber dahinstehen, da allein die – rechtskräftig festgestellten – Reparaturkosten von 3.096,34 Euro (netto) schon einen bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB darstellen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Dezember 2019 – 204 StRR 1940/19 -, BeckRS 2019, 38522). Auf weitere vom Tatgericht vermisste „genaue Feststellungen zur Schadenshöhe“, die es wegen des unentschuldigten Ausbleibens eines Zeugen nicht aufklären zu können glaubte, kommt es diesbezüglich nicht an.

bb) Die Annahme einer Ausnahme von diesem Regelprinzip durch das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft; die dazu getroffenen Feststellungen erweisen sich ebenfalls als lückenhaft.

Entgegen der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB kann von der Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann abgesehen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die den seiner allgemeinen Natur nach schweren und gefährlichen Verstoß in einem anderen Licht erscheinen lassen als den Regelfall oder die nach der Tat die Eignung günstig beeinflusst haben (vgl. BT-Drs. IV/651, 17).

Solche Umstände lassen sich den Urteilsausführungen nicht entnehmen. Diese beschränken sich darauf mitzuteilen, dass – selbst wenn entgegen der Einschätzung des Amtsgerichts die Regelvermutung des § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB greifen sollte, „[u]nter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Fahrerlaubnis bereits seit dem 24. November 2020 vorläufig entzogen war, […] eine Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr angemessen und erforderlich“ (UA S. 2) erscheine. Der bloße Zeitablauf rechtfertigt ein Absehen von der Maßregel indes nicht (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Da der Eignungsprüfung der Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht vorgegriffen werden soll (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. März 1999 – 1 Ws 191/99 -, juris), bedarf es in aller Regel der Feststellung von zusätzlichen Tatsachen, die über den bloßen Zeitablauf hinaus belegen, dass die Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. November 2010 a.a.O.). Diese zusätzlichen Tatsachen fehlen hier.

Dies gilt gleichermaßen, sollte das Amtsgericht eine Gesamtwürdigung im Rahmen von § 69 Abs. 1 StGB vorgenommen haben wollen.“

Rotlichtverstoß II: Qualifizierter Rotlichtverstoß, oder: Was gehört in die Urteilsgründe?

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Urheber Ulfbastel

In der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, – es handelt sich um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.02.2022 – 1 Rb 34 Ss 9/22 – nimmt das OLG Karlsruhe zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einem sog. qualifizierten Rotlichverstoß – länger als 1 Sekunde Rotlichtzeit – Stellung. Bei diesen Verstößen sind die Anforderungen der OLG im Hinblick auf das drohende Fahrverbot dann immer noch sehr hoch. Das OLG Karlsruhe zeigt nocht einmla, worauf es ankommt:

“ ….

Bei einer Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO müssen die Urteilsgründe Feststellungen darüber enthalten, an welcher konkreten Wechsellichtzeichenanlage sich der Verstoß ereignet hat, wie dieser Bereich verkehrstechnisch gestaltet ist (Fußgängerüberweg, Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, Anzahl und ggf. nähere Ausgestaltung der Fahrstreifen) und welchen Verkehrsbereich die Anlage geschützt hat (Fußgängerfurt und/oder Kreuzungsbereich mit Querverkehr), ebenso ob der Betroffene überhaupt in den geschützten Bereich eingefahren ist (Fahrstreifen und Fahrtrichtung des Betroffenen (OLG Düsseldorf, aaO).

In seiner Entscheidung vom 24.06.1999 hat der Bundesgerichtshof Folgendes entschieden:

“Ein Rotlichtverstoß liegt vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO – „Halt vor der Kreuzung” – verstoßen ·wird, ein Fahrzeugführer also bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage (= LZA) gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich einfährt… Dem bloßen Überfahren einer der LZA zugeordneten Haltelinie (die ergänzend zu dem durch die LZA gegebenen Halt- und Wartegebot anordnet: “Hier halten”) kommt insoweit keine eigenständige Bedeutung zu. Zwar verstößt ein Fahrzeugführer, der bei Rotlicht die Haltelinie überfährt, gegen§§ 41 Abs. 3 Nr. 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, wenn er noch vor dem geschützten Kreuzungsbereich anhält. Diese Ordnungswidrigkeit tritt aber hinter dem Verstoß gegen §§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs, 2 Nr. 2 StVO zurück, wenn er anschließend in den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich einfährt”. Lediglich hinsichtlich der Berechnung der Rotlichtdauer – insbesondere der in Nr. 34.2 BKatV genannten Rotphase von mehr als einer Sekunde – kommt es in den Fällen, in denen vor der LZA eine Haltelinie angebracht ist, auf den Zeitpunkt an, in dem der Betroffene die Haltelinie überfährt (BGH, Beschluss vom 24.06.1999 – 4 StR 61/99 – ,juris = BGHSt 45, 134 = NStZ 1999, 512).”

Ein Rotlichtverstoß liegt damit vor, wenn gegen das Gebot des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO – “Halt vor der Kreuzung” – verstoßen wird, ein Fahrzeugführer also bei Rotlicht in den durch die Lichtzeichenanlage gesicherten Bereich, im Regelfall den Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, einfährt (vgl. BGHSt 45, 134; 43, 285; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 37 StVO Rn. 41 mwN).

Dass dies hier der Fall war, kann den Urteilsgründen auch in ihrer Gesamtschau nicht entnommen werden. Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen sind daher lückenhaft und tragen den Schuldausspruch nicht.

2. Die getroffenen Feststellungen sind auch in Bezug auf die maßgebliche Rotlichtdauer lückenhaft, sodass die Beweiswürdigung für das Rechtsbeschwerdegericht nicht nachvollziehbar ist. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts erfolgte die Messung der Rotlichtdauer mit dem standardisierten Messverfahren Traffiphot III. Auch wenn der Einsatz eines solchen Gerätes ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte darstellt (vgl. u.a. BGHSt 46, 358; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 02.04.2014 – 1 Ss OWi 59/14 -, juris mwN), bedarf es zumindest der Angabe. der wesentlichen Anknüpfungstatsachen wie des Abstands zwischen Haltelinie, erster und zweiter Induktionsschleife sowie der Rotlichtzeiten bei Überfahren der ersten und zweiten Induktionsschleife. Ohne diese Darlegungen lässt sich für das Rechtsbeschwerdegericht die Berechnung der Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie nicht nachvollziehen. Etwas anderes gilt lediglich für den Fall, dass die Induktionsschleife in der Haltelinie selbst angebracht wäre. Dann wären Messzeit und der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie identisch. Aber auch in diesem Falle wäre der Tatrichter gehalten, sowohl die Messzeit als auch den Lageort der Sensorschleife im Urteil darzulegen (vgl., Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, aaO).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer Antragsschrift vom 21.01.2022 zutreffend ausgeführt:

“3. Die auf die erhobene allgemeine Sachrüge hin gebotene Überprüfung des Urteils führt hingegen zur vorläufigen Aufhebung des Urteils, da die Feststellungen des Gerichts nicht rechtsfehlerfrei getroffen wurden und daher eine Verurteilung der Betroffenen wegen fahrlässigen Rotlichtverstoßes nicht tragen.

a) Grundsätzlich zutreffend ging das Gericht zwar davon aus, dass es sich bei der Rotlichtüberwachung durch die Anlage TRAFFIPAX TraffiPhot III um ein standardisiertes Messverfahren handelt, bei dessen Verwendung im Urteil grundsätzlich nur der angewendete Gerätetyp, das gewonnene Messergebnis und ein ggf. in Abzug zu bringender Toleranzwert mitzuteilen sind, sofern keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Messung im konkreten Fall fehlerhaft verlaufen sein könnte. Demzufolge verwies das Amtsgericht in den Urteilsgründen auf das von der Überwachungsanlage aufgenommene und in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Lichtbild AS 13 und führte aus, dass sich aus diesem ergebe, dass die Betroffene die Haltelinie überfahren habe, als die Lichtzeichenanlage nach einer 3,01 sekündigen Gelbphase bereits 27,15 Sekunden Rotlicht angezeigt habe (UA, Seite 4 oben).

Bei der Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes i. 5. d. Nr. 132.3 BKat ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Gerät die Rotlichtdauer beim Erreichen von einer oder zwei in Fahrtrichtung gesehen hinter der Haltelinie in die Fahrbahn eingebrachten Induktionsschleifen misst, während es für die Feststellung der vorwerfbaren Rotlichtdauer auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem die Betroffene mit ihrer Fahrzeugfront die Haltelinie passiert. Von der auf der ersten Induktionsschleife gemessenen und auf dem vom Gericht in Bezug genommenen ersten Messfoto eingeblendeten Fahrzeit ist daher diejenige Fahrzeit abzuziehen, die das Fahrzeug für die Strecke von der Haltelinie bis zur ersten Induktionsschleife benötigt hat. Das Urteil muss daher eine für das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbare Berechnung der Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie enthalten. Dies erfordert jedenfalls die Angabe der Entfernung der ersten und zweiten Induktionsschleife von der Haltelinie sowie der an den Induktionsschleifen gemessenen Zeiten der Rotlichtdauer (OLG Hamm, Beschluss vom 17.07.2006 – 3 Ss OWi 435/06 = SVR 2007, 270; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2017 – lV-1 RBs 264/16 – juris = DAR 2017, 594; Buck/Krumbholz, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, 2. Aufl. 2013, § 9, Rn. 46; vgl. auch OLG Karlsruhe, NZV 2009, 201).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehlt bereits an der Angabe der Entfernung der ersten und zweiten Induktionsschleife von der Haltelinie sowie der an den Induktionsschleifen gemessenen Zeiten der Rotlichtdauer. Darüber hinaus ergibt sich aus den Urteilsgründen, dass das Gericht der Verurteilung der Betroffenen rechtsfehlerhaft allein die sich aus dem ersten Messfoto ergebende Rotlichtdauer Im Zeitpunkt des Überfahrens der ersten Induktionsschleife zugrunde gelegt hat, anstatt anhand des – ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls in der Hauptverhandlung auch eingeführten (vgl. AS 77 i. V. m. AS 423) – Abstands zwischen der Haltelinie und den Induktionsschleifen sowie anhand der auf den Messfotos ersichtlichen, an den Induktionsschleifen gemessenen Zeiten der Rotlichtdauer die maßgebliche Rotlichtdauer im Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie zu ermitteln.”

Und ein bisschen etwas zur Einsicht in Messunterlagen gibt es auch noch:

„Für die erneute Hauptverhandlung und deren Vorbereitung weist der Senat darauf hin, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgen kann (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.05.2021 – 2 BvR 277/19 -, juris und BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 -, juris; Senat, Beschluss vom 16.07.2019 -1 Rb 10 Ss 291/19-, juris). Angesichts des von der Betroffenen im vorliegenden Bußgeldverfahren geltend gemachten Anspruchs auf umfassende Einsicht in bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Unterlagen (vgl. die entsprechende Verfahrensrüge in der Rechtsbeschwerdebegründung vom 27.12.2021 und die diesbezüglichen Ausführungen in der Gegenerklärung vom 10.02.2022) wird das Amtsgericht – neben einer abschließenden Aufklärung bei der Bußgeldbehörde, ob die vom Beschwerdeführer weiterhin begehrten Daten und Unterlagen tatsächlich existieren und vorgelegt werden können – (ggf. mit Hilfe eines technischen Sachverständigen) zu prüfen und entscheiden haben, ob die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem vorliegenden Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbar eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen beziehungsweise seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf. Die Verteidigung kann grundsätzlich jeder auch bloß theoretischen Aufklärungschance nachgehen, wohingegen die Bußgeldbehörden und schließlich die Gerichte von einer weitergehenden Aufklärung gerade in Fällen standardisierter Messverfahren grundsätzlich entbunden sind. Es kommt deshalb insofern nicht darauf an, ob die Bußgeldbehörde oder das Gericht die in Rede stehende Information zur Überzeugung von dem Verstoß für erforderlich erachtet (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 -, Rn. 57, juris).“

Strafzumessung III: Hoher Gesamtsteuerschaden, oder: Kein minder schwerer Fall der Steuerhehlerei?

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 03.02.2022 – 5 RVs 136/21 – zur Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung/-hehlerei.

Der Angeklagte ist wegen Steuerhehlerei in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden.  Hierbei ist das Landgericht davon ausgegangen, dass jeweils ein minder schwerer Fall der (gewerbsmäßigen) Steuerhehlerei nach § 374 Abs. 2 zu verneinen sei, weil der Angeklagte insbesondere einen schon erheblichen Steuerschaden von (insgesamt) 58.000 EUR verursacht habe. Dagegen die Revision, die beim OLG hinsichtlich des Strafuasspruchs Erfolg hatte:

„a) Das Landgericht hat das Vorliegen eines minder schweren Falls der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 2 S. 2 AO) in allen Fällen maßgeblich mit der Begründung verneint, dass der Angeklagte „einen schon erheblichen Steuerschaden von etwa 58.000 EUR“ verursacht hat. Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht damit davon ausgegangen, dass das Tatunrecht der Steuerhehlerei wesentlich durch die Höhe der hinterzogenen Steuern und Abgaben mitbestimmt wird (BGH Beschluss vom 28.6.2011 – 1 StR 37/11BeckRS 2011, 19721 Rn. 7, 8, beck-online, Hauer, in: Beck´scherOK, Stand: 05.10.2021, § 374 AO Rn. 98). Hierbei war das Landgericht – anders als sonst (vgl. BGH Beschluss vom 21.2.1996 – 5 StR 725/95, BeckRS 1996, 31090342, beck-online; Ebner, in: MünchKomm, 3. Aufl. 2019, AO § 374 Rn. 66) – ausnahmsweise auch nicht gehalten, zur Bestimmung des Schuldumfangs für jede Abgabenart (Zoll-Euro, Einfuhrumsatzsteuer, Tabaksteuer) die zugrunde liegenden steuerrechtlichen Grundlagen darzustellen und die verkürzten Steuern zu berechnen. Denn die Feststellungen zur Schadenshöhe sind als doppelrelevante Tatsachen infolge der wirksamen Berufungsbeschränkung in Teilrechtskraft erwachsen (OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2019 – III-1 RVs 64/19 -, Rn. 7, juris m.w.N).

Verkannt hat das Landgericht indes, dass bezüglich des für jede Straftat gesondert zu bestimmenden Strafrahmens nicht der Gesamtschaden, sondern konkret die Höhe der auf die einzelne Straftat entfallenden, hinterzogenen Abgaben und Steuern in Blick zu nehmen ist. Denn grundsätzlich prägt nur dieser Steuerschaden das Unrecht der Tat. Auch bei langen Tatserien, die einen hohen Gesamtschaden verursacht haben, können einzelne Taten lediglich geringfügiges Gewicht oder sogar Bagatellcharakter besitzen. Die Annahme eines minder schweren Falles scheidet in einer solcher Konstellation nicht von vornherein aus. Ein besonders hoher Gesamtsteuerschaden kann allenfalls insofern in die nach § 374 Abs. 2 S. 2 AO vorzunehmende Gesamtwürdigung einfließen, wenn er darauf schließen lässt, dass von vornherein eine Mehrzahl von Taten geplant war und somit bereits in der Einzeltat eine besondere „rechtsfeindliche Gesinnung des Täters“ zum Ausdruck kommt (BGH NStZ-RR 2016, 242; von Heintschel-Heinegg, in: Beck´scherOK – StGB, Stand: 01.11.2021, § 46 StGB Rn. 40).

….“