Archiv der Kategorie: Strafrecht

Verkehrsrecht III: Isolierte Sperrfrist neben Fahrverbot, oder: Das geht nur in Ausnahmefällen

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Und dann zum Schluss der OLG Hamm, Beschl. v. 08.08.2023 – 5 ORs 46/23 – zur Zulässigkeit des Nebeneinander von Fahrverbot und isolierter Sperrfrist. Das möchte das OLG nicht:

„Der Senat hat gegen die – durch das angefochtene Berufungsurteil bestätigte – erstinstanzlich nebeneinander tenorierte Verhängung eines 6-monatigen Fahrverbots (§ 44 Abs. 1 S. 1 StGB) und der Anordnung einer (isolierten) 2-jährigen Sperrfrist (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB) durchgreifende rechtliche Bedenken. Denn die Anordnung eines Fahrverbots und die Festsetzung einer isolierten Sperrfrist schließen einander regelmäßig aus (vgl. zu § 44 StGB a.F.: vgl. BGH Beschl. v. 7.8.2018 – 3 StR 104/18 = BeckRS 2018, 20463 Rn. 6, beck-online; MüKoStGB/Athing/von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl. 2016, StGB § 44 Rn. 8, beck-online). Vorstehendes gilt auch nach der Neufassung des § 44 StGB durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (vgl. Fischer, 70. Auflage, § 44, Rn. 3). Denn das Fahrverbot nach § 44 StGB setzt voraus, dass sich der Täter gerade nicht als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne des § 69 StGB erwiesen hat (vgl. Fischer, a.a.O.). Aufgrund dessen kommt ein Fahrverbot neben der Festsetzung einer isolierten Sperrfrist nur in Betracht, wenn das Gericht dem Täter auch das Fahren mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen verbieten oder nach § 69a Abs. 2 StGB bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen will (vgl. BGH a.a.O.). Das war hier den Urteilsgründen zufolge ersichtlich nicht der Fall. Der nur geringfügige Erfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlaß zur Anwendung des § 473 Abs. 4 StPO. Die Kosten des Rechtsmittels waren nach § 473 Abs. 1 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen.

Verkehrsrecht II: „Bedeutender Fremdschaden“?, oder: Grenze in Hamburg bei 1.800 EUR

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem LG Hamburg, Beschl. v. 09.08.2023 – 612 Qs 75/23 – aus Hamburg. Gegenstand der Entscheidung ist die Frage nach einem bedeutenden Schaden an fremden Sachen i.S. des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Das LG geht von 1.800 EUR aus. Begründung:

„1. Das Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nicht verwirklicht. Danach ist von der Ungeeignetheit eines Täters zum Führen eines Kraftfahrzeugs auszugehen, wenn dieser sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, obwohl er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist. Entgegen der Annahme des Amtsgerichts ist am Pkw des Zeugen D. mit 1.625,25 Euro (vgl. Kfz-Haftpflichtschadensgutachten des Autotax-Expert e.K. vom 13.10.2022, Bl. 34 ff. d.A.) kein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden. Zwar haben die Verkehrsbeschwerdekammern des Landgerichts Hamburg bislang einen bedeutenden Fremdschaden ab einer Wertgrenze von 1.500,00 Euro angenommen (st. Rspr. seit dem Beschluss des LG Hamburg vom 01.02.2007 zum Az. 603 Qs 54/07, BeckRS 2008, 11566). Jedoch sind bei der Beurteilung eines Schadens als bedeutend im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auch die fortschreitende Entwicklung der Reparaturkosten und die Einkommensentwicklung zu berücksichtigen (vgl. bereits LG Hamburg, Beschluss vom 19.07.1991, Az.: 603 Qs 607/91 Rn. 9, zitiert nach juris). Bereits aus diesem Grunde erscheint eine Anhebung der Wertgrenze mittlerweile angebracht. Zudem sollte die Wertgrenze deshalb nicht zu niedrig bemessen werden, weil sonst die Relation zu den anderen Merkmalen „Tötung oder nicht unerhebliche Verletzung eines Menschen“ nicht gewahrt wäre (von Heintschel-Heinegg/Huber in Münchener Kommentar zum StGB, 4. Auflage 2020, § 69 Rn. 72). Ausgehend davon haben sich sämtliche Verkehrsbeschwerdekammern des Landgerichts Hamburg darauf verständigt, den Wert, ab welchem ein bedeutender Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB anzunehmen ist, auf 1.800,00 Euro anzuheben. Diese moderate Erhöhung trägt der allgemeinen Preissteigerung (allein im Jahr 2022 stiegen die Verbraucherpreise im Schnitt um 7,9%, vgl. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_022_611.html#:~:text=022%20vom%2017.,Januar%202023&text=WIESBADEN%20%E2%80%93%20Die%20Verbraucherpreise%20in%20Deutschland,als%20in%20den%20vorangegangenen%20Jahren, zuletzt abgerufen am 08.08.2023) Rechnung und setzt die Merkmale „Tötung oder nicht unerhebliche Verletzung eines Menschen“ und „bedeutender Schaden“ in ein dem Telos des Regelbeispiels entsprechendes Verhältnis.“

Verkehrsrecht I: Lebenslange Fahrerlaubnissperre, oder: Erforderlichkeit einer eingehenden Begründung

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Und heute dann drei verkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich mache den Opener mit dem BGH, Beschl. v. 18.07.2023 – 4 StR 42/23. Das LG hatte gegen den Angeklagten eine lebenslange Sperre für die (Wieder)Erteilung der Fahrerlaubnis angeordnet. Dem BGH hat das nicht gefallen:

„Die Anordnung einer lebenslangen Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a Abs. 1 Satz 2 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Eine solche bedarf stets besonders sorgfältiger Prüfung und erschöpfender Begründung. Sie setzt voraus, dass eine Sperre von fünf Jahren zur Abwendung der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Bei charakterlichen Mängeln – wie vorliegend – kommt sie in der Regel nur bei Fällen schwerster Verkehrskriminalität in Betracht; so z.B. bei chronischer Trunkenheitsdelinquenz und sonsti-ger auf fest verwurzeltem Hang beruhender Verkehrsdelinquenz, bei mehreren Vorstrafen und mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1961 – 4 StR 546/60, BGHSt 15, 393, 398; OLG Hamm, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 5 RVs 176/18, SVR 2019, 268, 269 f.; OLG Köln, Be-schluss vom 18. Mai 2001 – Ss 102/01, NJW 2001, 3491, 3492; Fischer, StGB, 70. Aufl., § 69a Rn. 22 a).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Denn sie lassen schon nicht erkennen, ob sich das Landgericht der vorgenannten besonderen Begründungserfordernisse, die an die Verhängung einer lebenslangen Sperre gestellt werden, bewusst war. Auch fehlt eine solche eingehende Begründung. Das Urteil erschöpft sich in der Ausführung, dass wegen der seit Jahren eingeschliffenen und einer therapeutischen Einwirkung kaum zugänglichen dissozialen Einstellungs- und Verhaltensmuster des Angeklagten – auch in der anstehenden mehrjährigen Haftzeit – das Ende seiner fehlenden Eignung innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist einer zeitigen Sperre von fünf Jahren nicht ab-sehbar und somit nicht zu erwarten sei, dass die Anordnung der gesetzlichen Höchstfrist zur Abwehr der von ihm drohenden Gefahren ausreichen werde. Indes hätte es angesichts fehlender erheblicher Vorverurteilungen des vergleichs-weise jungen Angeklagten wegen Verkehrsdelikten sowie mangels wiederholter Entziehungen der Fahrerlaubnis insoweit näherer Ausführungen bedurft.“

Revision III: Polizeiberichte zur Durchsuchung fehlen, oder: Aber – Hinweis auf Einziehung nicht erteilt

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Und dann habe ich zum Abschluss hier noch das BGH, Urt. v. 12.07.2023 – 6 StR 417/22 – mit einer teilweise erfolgreichen (!) Revision.

Das Landgericht hat den Angeklagten  wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln verurteilt sowie die Einziehung eines mit einer Tennishalle bebauten Grundstücks, der auf dem Hallendach installierten Photovoltaikanlage und des Wertes von Taterträgen angeordnet. Die Revision hatte mit der Verfahrensrüge betreffend die Einziehung Erfolg.

Nach den Feststellungen des LG betrieben die einige Personen in einer leerstehenden Tennishalle des Angeklagten  eine Marihuanaplantage. In der Zeit von September 2020 bis Mai 2021 kam es zu einer Ernte und einer weiteren Anpflanzung. Wegen der ihm versprochenen Hallenmiete billigte den Anbau des Marihuanas zum gewinnbringenden Weiterverkauf und die Versorgung der Plantage mit Strom aus der auf dem Dach der Halle montierten Photovoltaikanlage; ferner unterstützte er beide Anbauvorgänge durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Plantagenarbeiter, Transporttätigkeiten und das Überlassen von Gerätschaften.

Der BGH führt zu den Verfahrensrügen, die der Angeklagte erhoben hat, aus:

„2. Die zum Schuld- und Strafausspruch erhobenen Verfahrensrügen versagen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:

Die Verfahrensrüge, die Strafkammer habe die Erkenntnisse aus der Durchsuchung der Tennishalle rechtsfehlerhaft verwertet, ist unzulässig, weil das Revisionsvorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

a) Danach sind im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN). Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 105 StPO ist grundsätzlich nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn auch die polizeilichen Berichte über die Durchsuchungsmaßnahmen mitgeteilt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2022 – 5 StR 373/21, vom 16. Februar 2016 – 5 StR 10/16, StV 2016, 771, 772, vom 24. Januar 2012 – 4 StR 493/11 und vom 2. Dezember 2010 – 4 StR 464/10; KK-StPO/Henrichs/Weingast, 9. Aufl., § 105 Rn. 23; MüKo-StPO/Hauschild, 2. Aufl., § 105 Rn. 45).

b) Die Revision hat den in den Urteilsgründen mehrfach erwähnten polizeilichen Durchsuchungsbericht vom 10. Mai 2021 nicht mitgeteilt. Dies war hier nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn es ist für den Senat insbesondere mit Blick auf die zeitlichen Abläufe im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Plantage nicht sicher erkennbar, ob die in den Urteilsgründen – in nicht gebotener Weise (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 6 StR 340/21) – dargestellten Verfahrenstatsachen die für die Verwertbarkeit der Durchsuchungserkenntnisse maßgebliche Beweislage vollständig wiedergeben. Dem Senat ist es daher verwehrt, die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung umfassend zu beurteilen und gegebenenfalls weitergehend zu prüfen, ob aus dem Verfahrensfehler im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; BGH, Urteile vom 6. Oktober 2016 ? 2 StR 46/15, NStZ 2017, 367 Rn. 24, und vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 289; Beschlüsse vom 27. November 2018 – 5 StR 566/18, NStZ-RR 2019, 94, 95, vom 16. Februar 2016 – 5 StR 10/16, aaO, und vom 30. August 2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 Rn. 9).“

Aber:

„Eine weitere Verfahrensbeanstandung des Angeklagten führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Einziehung der Photovoltaikanlage.

a) Der Angeklagte rügt zu Recht, dass er auf diese Rechtsfolge weder in der zugelassenen Anklage noch in der Hauptverhandlung hingewiesen wurde.

aa) Einem Angeklagten ist nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO in der Hauptverhandlung stets ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn die zugelassene Anklage keinen Hinweis auf eine dort genannte Rechtsfolge enthält, wie etwa die Maßnahme der Einziehung von Tatmitteln (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB). Die Hinweispflicht gilt unabhängig davon, ob sich in der Hauptverhandlung im Vergleich zum Inhalt der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses neue Tatsachen ergeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2020 – GSSt 1/20, BGHSt 66, 20).

bb) Der danach gebotene Hinweis wurde dem Angeklagten nicht erteilt. Insbesondere musste er nicht davon ausgehen, dass die Einziehung der auf dem Dach der Tennishalle installierten Photovoltaikanlage, die später der Versorgung der Marihuanaplantage mit Strom diente, schon aus ihrer Zubehöreigenschaft (§ 97 BGB) folgt. Denn Zubehör ist grundsätzlich rechtlich selbstständig; es unterliegt insoweit den für bewegliche Sachen geltenden Vorschriften, Zubehörstücke teilen daher nicht zwingend das rechtliche Schicksal der Hauptsache (vgl. MüKo-BGB/Stresemann, 9. Aufl., § 97 Rn. 42).

b) Auf diesem Rechtsfehler, der auch die zugehörigen Feststellungen erfasst (§ 353 Abs. 2 StPO), beruht die Einziehungsentscheidung. Denn es erscheint zumindest möglich, dass sich der Angeklagte erfolgreicher hätte verteidigen können (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 – 5 StR 20/19).“

Corona II: Annahme eines Impfpassfälschungsangebot, oder: Beihilfe zur Impfpassfälschung

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Und als zweite „Corona-Entscheidung“ dann der BayObLG, Beschl. v. 09.08.2023 – 206 StRR 190/23.

Das AG hatte die Angeklagte vom Vorwurf der Anstiftung zum Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz in zwei Fällen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Dagegen die Berufung der Staatsanwaltschaft. Das LG hat die Angeklagte dann wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz in zwei Fällen schuldig gesprochen und deswegen gegen sie eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen verhängt. Dagegen die Revision der Angeklagten, die (nur) hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg hatte.

Folgende Feststellungen waren Ausgangspunkt der Prüfung des BayObLG:

„a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich die Angeklagte erstmals am 8. Juni 2021 in die Praxis des gesondert verfolgten Allgemeinarztes Dr. x begeben. Dies erfolgte nicht ausschließbar, um sich wegen einer Tumorerkrankung am Kleinhirn naturheilkundlich beraten zu lassen, woraufhin ihr als Therapie zur Einnahme von Bittermandeln geraten worden sei. Weiter sei, ebenfalls nicht ausschließbar, auf Initiative von Dr. x ein Gespräch über das Thema „Impfung gegen das COVID-19-Virus“ zustande gekommen, wobei der Arzt der Angeklagten angeboten habe, die Durchführung der Impfung in einem für sie neu anzulegenden Impfpass zu bescheinigen, ohne sie tatsächlich zu impfen. Die Angeklagte habe das Angebot angenommen. Es sei dann ohne tatsächliche Durchführung eine Impfung mit dem Impfstoff von Biontech (COMIRATY) bescheinigt worden. In der ersten Julihälfte 2021 sei die Angeklagte dann erneut in der Praxis erschienen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine zweite Impfung mit dem genannten Impfstoff ohne tatsächliche Durchführung bescheinigt worden. Sowohl für Dr. x als auch für die Angeklagte sei klar gewesen, dass die Dokumentation – wie später tatsächlich geschehen – dazu bestimmt war, von der Angeklagten bei einer geeigneten Stelle vorgelegt zu werden, um ein digitales Impfzertifikat zu erhalten.“

Und da es wie immer aus Bayern eine recht umfangreiche Begründung ist, stelle ich die hier nur teilweise, nämlich zu den Rechtsfolgen ein. Wegen der materiellen Frage nehme ich nur den Leitsatz des BayObLG, nämlich:

Bietet der zu einer Falschdokumentation entschlossene Arzt einer in seiner Praxis anwesenden Patientin an, die Durchführung einer Coronaschutzimpfung in einem Impfpass zu bescheinigen, ohne diese tatsächlich vorzunehmen, und nimmt diese das dann in die Tat umgesetzte Angebot an, leistet sie Beihilfe zur nicht richtigen Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus.

Und zu den Rechtsfolgen führt das BayObLG dann aus:

„2. Die Revision hat jedoch im Rechtsfolgenausspruch Erfolg, denn das Landgericht ist von einem nicht rechtsfehlerfrei begründeten zu hohen Strafrahmen ausgegangen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Bestimmung der verhängten Einzelgeldstrafen und der Gesamtgeldstrafe zum Nachteil der Angeklagten hierauf beruht.

a) Das Landgericht hat zunächst den Strafrahmen des § 74 Abs. 2 IfSG, der bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren reicht, zutreffend nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB gemindert (UA S. 32) und innerhalb dieses Rahmens die konkreten Strafzumessungserwägungen angestellt.

b) Es hat dabei nicht bedacht, dass der Strafrahmen gem. §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein weiteres Mal zwingend zu mindern gewesen wäre; darauf weist auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hin (Vorlageschreiben S. 4, das ergänzend in Bezug genommen wird).

Wie vorstehend zu 1.c.) ausgeführt, macht sich nach § 74 Abs. 2 IfSG derjenige strafbar, der als zur Durchführung von Schutzimpfungen berechtigte Person im Sinne des § 22 IfSG eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 nicht richtig dokumentiert. Damit handelt es sich bei § 74 Abs. 2 IfSG um ein Sonderdelikt (Lorenz/Oglakcioglu in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 74 Rn. 8 m.w.N.; Neuhöfer/Kindhäuser in BeckOK IfSG, Stand 8. Juli 2023, § 74 Rn. 35a; Erb in MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, § 278 Rn. 8; Gaede/Krüger, NJW 2021, 2159, 2161 Rn. 11). Die Impfberechtigung i.S.d. §§ 22 Abs. 1, 74 Abs. 2 IfSG stellt demgemäß ein besonderes persönliches Merkmal dar, welches bei der Angeklagten nicht vorlag.

Der Strafrahmen des § 74 Abs. 2 IfSG wäre folglich zwingend gem. §§ 28 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein weiteres Mal zu mindern gewesen.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die vom Landgericht verhängten Einzelstrafen auf dem Rechtsfehler beruhen; dies erfasst auch die Gesamtstrafe.

(1) Sowohl bei der Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 StGB als auch bei derjenigen nach § 28 Abs. 1 StGB, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB, handelt es sich um obligatorische Milderungen, die keinen Ermessensgebrauch zulassen, und die kumulativ anzuwenden waren. Wie ausgeführt, beruht die vom Landgericht vorgenommene Milderung nach § 27 Abs. 2 StGB auch nicht auf einer unzutreffenden Beurteilung der Teilnahme der Angeklagten an der Haupttat.

(2) Die vom Landgericht verhängten Einzelgeldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen bewegen sich auch nicht so nahe am unteren Rand des sich nach doppelter Milderung ergebenden Rahmens, der zu einer Obergrenze von einem Jahr und einem Monat Freiheitsstrafe führt, dass auszuschließen ist, dass sie bei zutreffender Strafrahmenbestimmung nicht geringer ausgefallen wären.

d) Die Rechtsfolgenentscheidung ist demnach nach § 353 Abs. 1 StPO aufzuheben. Der Senat hebt auch die der Strafbemessung zugrunde liegenden Feststellungen nach § 353 Abs. 2 StPO auf, um dem neuen Tatgericht, an das die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird, eine widerspruchsfreie Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen.

Für das weitere Verfahren wird insoweit jedoch darauf hingewiesen, dass infolge der mit diesem Beschluss eintretenden Rechtskraft hinsichtlich des Schuldspruchs die Feststellungen des Landgerichts zum Tathergang bindend werden (vgl. (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 354 Rn. 46). Lediglich hinsichtlich solcher Feststellungen, die ausschließlich für die Rechtsfolgenbestimmung von Bedeutung sind, entfällt die Bindungswirkung.“