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Bewährung II: Nachträgliche Erfüllung der Auflage, oder: Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung?

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Als zweite Entscheidung dann etwas zum Widerruf der Bewährung, aber: Absehen vom Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, und zwar Absehen vom Widerruf nach nachträglicher Auflagenerfüllung.

Der Sachverhalt ergibt sich aus dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.09.2023 – 1 Ws 166/23 :

„…..Darüber hinaus ist sie teilweise begründet.

a) Die Voraussetzungen für einen Widerruf der mit Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20. September 2021 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung liegen nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB vor. Danach widerruft ein Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person wie hier gröblich oder beharrlich gegen eine Auflage verstößt.

Der Verurteilte hat in der Zeit nach dem 21. August 2022 bis Ende Juli 2023 keine Zahlungen auf die ihm mit Beschluss vom 20. September 2023 erteilte  zulässige Zahlungsauflage geleistet, obwohl er seitens des Landgerichts auf diese Auflage sowie ausgebliebene Zahlungen, insbesondere auch nach der Zahlung vom 21. August 2022, hingewiesen worden ist. Dadurch hat er gröblich und beharrlich gegen die erteilte Zahlungsauflage verstoßen.

Dieser Verstoß war auch schuldhaft, insbesondere war der Verurteilte zahlungsfähig. Er konnte bis August 2021 die Zahlungen leisten und sich Ende des Jahres 2022 eine mehrmonatige Reise in die Türkei leisten, ohne seine Wohnung in Deutschland aufgeben zu müssen. Einer Leistung der Zahlungen stand auch nicht der Aufenthalt des Verurteilten in der Türkei entgegen, zumal der Verurteilte bereits vorher mehrere Monate gegen die Auflage gröblich und beharrlich  verstoßen hatte. Denn er hätte die Zahlungen auch von der Türkei aus ausführen können oder für deren Ausführung von dort durch Dritte sorgen müssen. Für seine Zahlungsfähigkeit spricht auch, dass es dem Verurteilten nach seiner Rückkehr aus der Türkei möglich war, die Auflage durch Zahlung von zwei nicht unerheblichen Beträgen in Höhe von 350,- und 1.000,¬€ vollständig zu begleichen.

Die gewährte Strafaussetzung zur Bewährung wäre deshalb grundsätzlich  wie zunächst zutreffend vom Landgericht Braunschweig beschlossen  zu widerrufen gewesen. Allein die nachträgliche und vollständige Erfüllung der Zahlungsauflage steht einem Widerruf  aufgrund des bereits eingetretenen Verstoßes gegen die Auflage nicht entgegen (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004  2 Ws 190/04 , Rn. 17, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. Oktober 1980 1 Ws 600/80 , juris).

b) Vorliegend genügt es aber, die Bewährungszeit als mildere Maßnahme um ein Jahr zu verlängern.

Nach § 56f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB sieht ein Gericht von einem Widerruf ab, wenn es ausreicht, die Bewährungszeit zu verlängern.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

„Letztlich reicht jedoch die als gegenüber dem Widerruf mildere Maßnahme der Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr vorliegend aus (§ 56 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB), ein Widerruf der Strafaussetzung dürfte sich demgegenüber nunmehr als unverhältnismäßig darstellen.

Eine Verlängerung der Bewährungszeit ist bei der vorliegenden Widerrufskonstellation auch dann zulässig, wenn sie weder zu spezialpräventiven Zwecken noch zu dem Zweck, die Ratenzahlung auf eine noch unerfüllte Auflage innerhalb der Bewährungszeit zu ermöglichen, erfolgt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 30. August 2004 – 2 Ws 190/04 -, juris, Rn. 21f.). Die Bewährungszeit kann trotz der unterschiedlichen Zwecke von Auflagenerteilung und Bemessung der Bewährungszeit auch dann gemäß § 56 f Abs. 2 StGB verlängert werden, wenn Grund für den Widerruf der Strafaussetzung nach § 56 f Abs. 1 StGB der Verstoß gegen eine Auflage ist, die der Verurteilte nachträglich vollständig erfüllt hat (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O., – Leitsatz ). Trotz des funktionalen Unterschiedes kann auf den Verstoß gegen eine inzwischen erledigte Auflage mit einer Verlängerung der Bewährungszeit reagiert werden (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O.; im Erg. ebenso OLG Koblenz in NStZ 1981, 101 – Leitsatz ).

Eine spürbare Verlängerung der Bewährungszeit um ein Jahr reicht hier aus, erscheint aber angesichts der erheblichen Verzögerungen in der Auflagenerfüllung und dem Gewicht des entsprechenden Schuldvorwurfs auch geboten und deshalb im beantragten Umfang verhältnismäßig.“

Dem schließt sich der Senat an. Der Verurteilte hat nach Einreichung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Einlegung der sofortigen Beschwerde die Zahlungsauflage noch innerhalb der mit Beschluss vom 20. September 2021 festgesetzten Bewährungszeit vollständig erfüllt und damit nachträglich die Genugtuung für das begangene Unrecht in dem vollen vom erkennenden Landgericht für erforderlich erachteten Umfang geleistet. Weitere Gesichtspunkte  die für einen Widerruf der Strafaussetzung sprechen könnten  sind nicht ersichtlich. Daher genügt es, die Bewährungszeit um ein Jahr zu verlängern.“

Bewährung I: Voraussetzung günstige „Sozialprognose“, oder: Auch beim mehrfachen „Bewährungsversager“?

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Heute dann eine „Bewährungstag“, also Entscheidungen mit und zu Bewährungsfragen (§§ 56 ff. StGB).

Zunächst das BayObLG, Urt. v.15.09.2023 – 202 StRR 47/23 – zu den Voraussetzungen der Bewährung nach § 56 Abs. 1 StGB, also günstige Sozialprognose.

Das AG hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Das LG hat auf die Strafmaßberufung des Angeklagten dann ausgesetzt. Dagegen dann die Revision der GStA, die Erfolg hatte:

„….. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, weil es zu einer „günstigen Sozialprognose“ gelangt ist, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Wie die Strafzumessung ist zwar auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Einschätzung des Tatrichters grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen. Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es deshalb die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, ist mithin vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (stRspr., vgl. nur BayObLG, Urt. v. 02.12.2022 – 202 StRR 108/22 = OLGSt StGB § 56 Nr 29; 01.04.2022 – 202 StRR 35/22; 24.09.2021 – 202 StRR 98/21; OLG Bamberg, Urt. v. 23.08.2016 – 3 OLG 8 Ss 58/16, bei juris m.w.N.).Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt allerdings dann vor, wenn der Bewährungsentscheidung ein im Gesetz nicht vorgesehener Maßstab zugrunde gelegt wird, die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB verkannt oder sich die Würdigung des Tatgerichts deshalb als unvollständig und damit als rechtsfehlerhaft erweist, weil sie nicht alle für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat oder die Begründung der Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt ist.

2. Die Darlegungen des Landgerichts für seine Erwartung, der Angeklagte werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), halten angesichts dieser Maßstäbe im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Für eine günstige Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, die Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angeklagten, der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich anders als in der Vergangenheit verhalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1988 – 1 StR 138/88 = StV 1989, 15 = NStE Nr 22 zu § 56 StGB = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9; BayObLG und OLG Bamberg a.a.O.). Die Begehung von Straftaten während einer Bewährungszeit belegt vielmehr, dass die frühere Prognose falsch war, weshalb eine erneute günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen kann (BayOblG a.a.O. sowie Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 bei juris). Eine derartige Konstellation liegt hier vor, weil der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach Bewährungszeiten nicht durchgestanden hat und überdies auch bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat unter Bewährung stand. Noch mehr gilt diese Einschätzung dann, wenn der Angeklagte – wie hier – langdauernden Freiheitsentzug erlitten hat und gleichwohl wieder straffällig wurde. Zwar ist in solchen Fällen eine erneute Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. v. 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; BayObLG, Urt. v. 24.09.2021 – 202 StRR 98/21 a.a.O.). Indes muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten in Zukunft heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. Lagen die Gesichtspunkte, die bei isolierter Betrachtung für eine günstige Legalprognose sprechen können, dagegen schon im Zeitpunkt der Verwirklichung der abzuurteilenden Taten vor, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die durch das frühere Bewährungsversagen und die Begehung der neuen Taten trotz langjährigen Strafvollzugs indizierte negative Kriminalprognose zu entkräften (BayObLG a.a.O.). Zudem muss bei massiv vorbestraften Tätern, die sich – wie der Angeklagte – lange Zeit im Strafvollzug befunden haben, den neuen Gesichtspunkten besonderes Gewicht zukommen, um trotz dieser für die Prognose äußerst negativen Indizien die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können. In solchen Fällen kommt es für die Annahme einer günstigen Legalprognose entscheidend darauf an, ob sich in den Lebensverhältnissen des Angeklagten nach Begehung der Taten Änderungen ergeben haben, die den Schluss zulassen, dass die Ursachen für die bisherige Delinquenz beseitigt sind (BayObLG, Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 a.a.O.).

b) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil nicht gerecht.

aa) Soweit das Landgericht darauf abhebt, dass der Angeklagte nach Verwirklichung der verfahrensgegenständlichen Tat Vater einer Tochter geworden ist, bleibt gänzlich offen, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der bisherigen Kinderlosigkeit des Angeklagten und den von ihm in der Vergangenheit verübten Straftaten bestand. Es ist nicht im Ansatz ersichtlich, weshalb der Angeklagte, der massiv und unter anderem auch wegen schwerer Straftaten vorbestraft ist, deswegen langjährigen Strafvollzug verbüßen musste und bei Begehung der neuen Tat sogar zweifach unter Bewährung stand, durch die Geburt seiner Tochter nunmehr dazu gebracht werden soll, sich künftig rechtstreu zu verhalten. Einen Erfahrungssatz dahingehend, dass ein hartnäckig uneinsichtiger und selbst durch langen Strafvollzug nicht zu beindruckender Straftäter, als der sich der Angeklagte erwiesen hat, allein wegen der Vaterschaft ein rechtstreues Leben führen wird, gibt es nicht. Hinzu kommt, dass der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt hat, während der Schwangerschaft seiner Ehefrau eine weitere Straftat begangen zu haben. Soweit die Berufungskammer dem keine Bedeutung für die Prognose beimessen möchte, weil es der Geburt der Tochter ein stärkeres Gewicht für die Annahme künftiger Straffreiheit als dem Wissen um die bevorstehende Geburt beimisst, ist dies ebenfalls nicht plausibel.

bb) Nichts anderes gilt, soweit die Berufungskammer für die Annahme einer günstigen „Sozialprognose“, auf die es im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB von vornherein nicht ankommt, sondern auf eine Legalprognose (vgl. nur zuletzt nur BGH, Urt. v. 10.02.2022 – 1 StR 437/21 = StV 2022, 642; BayObLG, Beschl. v. 05.07.2023 – 202 StRR 49/23 a.a.O.), zusätzlich auf die Arbeitsstelle, die der Angeklagte derzeit innehat, verweist. Insoweit handelt es sich zum einen bereits nicht um einen neuen Gesichtspunkt, zumal der Angeklagte ausweislich der Feststellungen der Berufungskammer auch in der Vergangenheit immer wieder berufstätig war, was ihn aber nicht von der Begehung von Straftaten abhielt. Zum anderen ist die bisherige Berufstätigkeit des Angeklagten durch einen häufigen Wechsel der Arbeitsstellen bzw. einer selbständigen Tätigkeit, also durch eine unstete berufliche Eingliederung, geprägt. Anhaltspunkte, die erwarten lassen, dass er die jetzige Arbeitsstelle auch in Zukunft behalten wird, sind unbeschadet des Umstands, dass selbst dies noch keineswegs ein ausreichendes Indiz für die künftige Straffreiheit wäre, weder vom Tatgericht aufgezeigt noch sonst ersichtlich.

cc) Soweit die Berufungskammer für die Bewährungsentscheidung zusätzlich darauf abstellt, dass der Angeklagte eine „verkehrspsychologische Maßnahme“ absolviert hat, vermag auch dies eine positive Legalprognose nicht zu begründen. Die Berufungskammer verkennt hierbei, dass es im Rahmen des § 56 Abs. 1 StGB auf die Erwartung straffreier Lebensführung ankommt und nicht etwa nur darauf, dass sich der Angeklagte sich künftig an Verkehrsregeln halten wird. Etwas anderes könnte allenfalls dann in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Rechtsverletzungen des Angeklagten in der Vergangenheit auf Verkehrsdelikte beschränkt hätten. Dies ist aber keineswegs der Fall. Den Vorverurteilungen des Angeklagten liegen völlig unterschiedliche Straftaten, unter anderem Verbrechen des versuchten Raubes sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu Grunde, sodass selbst eine Besserung seiner Einstellung zu den Regeln des Straßenverkehrs keineswegs eine günstige Legalprognose rechtfertigt.

dd) Schließlich findet die Erwägung des Landgerichts, dass die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe „für die junge Familie des Angeklagten erheblich einschneidende Folgen hätte“, in § 56 Abs. 1 StGB keine Stütze.“

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG I, oder: Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad/Pedelec

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Vergebens hat ein Betroffener in einem jetzt vom BayVGH entschiedenen Fall gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis auf der Grundlage von § 3 StVG gekämpft. Das Landratsamt hatte die Entziehung damit begründet, dass der Betroffene mit seinem Pedelec gestürzt und dabei erheblich verletzt worden sei. Es sei eine BAK von 2,08 ‰ festgestellt worden. Der Betroffene hatte sich damit verteidigt, das Fahrrad nur geschoben zu haben.

Das hat ihm nicht geholfen. Der BayVGH hat im BayVGH, Beschl. v. 07.09.2023 – 11 CS 23.1298 – den VG-Beschluss betreffend die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bestätigt:

„Gemessen daran begegnen die vom Landratsamt verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere durfte das Landratsamt davon ausgehen, dass der Antragsteller das Fahrrad (Pedelec) am 26. Mai 2022 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,08 ‰ nicht nur geschoben hat, sondern dass er damit gefahren ist und es somit geführt hat.

a) Der Begriff des „Führens“ eines Fahrzeugs im Sinne von 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV deckt sich mit dem des § 316 StGB und § 24a StVG (Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 13 FeV Rn. 23d). Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt es (BayVGH, B. v.. 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755NJW 2015, 1626 Ls. und Rn. 16 ff.). Die Länge der gefahrenen Strecke ist unerheblich (vgl. BayVGH, B. v.. 15.3.2021 – 11 CS 20.2867 – DAR 2021, 647 Rn. 15; B. v.. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27). Das Schieben eines Fahrrads erfüllt hingegen nicht den Begriff des „Führens“.

Es muss mit hinreichender Gewissheit feststehen, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt hat (vgl. BVerwG, U. v.. 7.4.2022 – 3 C 9.21BVerwGE 175, 206 Rn. 38 für wiederholte Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss als Voraussetzung für eine Beibringungsanordnung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV). Allerdings ist hierfür eine Ahndung als Straftat nach § 316 StGB nicht zwingend. Vielmehr ist die Fahrerlaubnisbehörde – soweit sie keinen Beschränkungen nach dem Abweichungsverbot des § 3 Abs. 4 StVG unterliegt – befugt, die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV eigenständig und unabhängig davon zu beurteilen, ob die Tat geahndet wurde oder nicht. Wesentlich für die Auslegung der in § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass es bei § 13 FeV noch nicht unmittelbar um die Entziehung der Fahrerlaubnis geht, sondern um die dieser Entscheidung vorgelagerte Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens dient der Vorbereitung der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen. Gleiches gilt gemäß § 46 Abs. 3 FeV im Vorfeld der Entscheidung über eine Entziehung oder Beschränkung der Fahrerlaubnis. Damit steht § 13 FeV in einem anderen systematischen Kontext als die Vorschriften in § 4 StVG zum Fahreignungs-Bewertungssystem, die gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG für Maßnahmen eine rechtskräftige Ahndung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit voraussetzen. Eine solche Anknüpfung an die rechtskräftige Ahndung enthält § 13 FeV aber gerade nicht. Das bedeutet allerdings mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip und die mit einer medizinisch-psychologischen Begutachtung für den Betroffenen verbundenen Belastungen nicht, dass bereits ein vager Verdacht die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigt. Vielmehr müssen die von der Fahrerlaubnisbehörde herangezogenen Umstände in den Verfahrensakten hinreichend dokumentiert sein (vgl. BVerwG, U. v.. 7.4.2022 a.a.O. Rn. 30-39).

b) Hiervon ausgehend hat das Landratsamt zu Recht angenommen, dass der Antragsteller mit dem Pedelec gefahren und dabei gestürzt ist. Zwar weist der Antragsteller zutreffend darauf hin, dass es keine ihn belastenden Aussagen von Zeugen gibt, die ihn fahrend gesehen hätten. Jedoch sprechen nach Aktenlage die überwiegenden und hinreichend dokumentierten Umstände für eine Trunkenheitsfahrt.

Dem Polizeiprotokoll, mit dem die Polizeiinspektion Bad Kissingen das Landratsamt gemäß § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG über das Unfallgeschehen am 26. Mai 2022 informiert hat und auf das sich das Landratsamt ebenso wie das Verwaltungsgericht stützen konnte (vgl. BayVGH, B. v.. 15.3.2021 a.a.O. Rn. 18), ist zu entnehmen, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers bei ihrer ersten Befragung spontan geäußert hat, der Antragsteller sei „beim Fahren falsch abgebogen bzw. habe den Graben übersehen“. Der befragte Rettungssanitäter bestätigte, dass die Lebensgefährtin des Antragstellers ihm gegenüber zuvor ebenfalls geäußert habe, der Antragsteller sei falsch abgebogen. Diesen spontanen Äußerungen kommt trotz der Alkoholisierung der Lebensgefährtin des Antragstellers erhebliches Gewicht zu. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hat sie ihre Aussage dahingehend relativiert, sie habe nicht sehen können und wisse daher nicht, was der Antragsteller gemacht habe. Damit hat sie jedenfalls auch nicht dessen Einlassung bestätigt, das Fahrrad nur geschoben zu haben.

Das Verhalten des Antragstellers im Strafverfahren spricht ebenfalls dafür, dass er mit dem Fahrrad gefahren ist. Nach seinem Einspruch gegen den zunächst erlassenen Strafbefehl vom 13. September 2022 wegen einer Trunkenheitsfahrt hat das Amtsgericht Bad Kissingen das Verfahren mit Beschluss vom 18. November 2022 gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Voraussetzung hierfür ist zum einen die Zustimmung des Antragstellers als Angeschuldigter und zum anderen muss die Schuld des Täters als gering anzusehen sein, was nur der Fall ist, wenn ein Tatnachweis möglich ist. Dies hat das Amtsgericht dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es in den Gründen ausgeführt hat, der Antragsteller sei hinreichend verdächtig, ein Vergehen nach § 316 StGB begangen zu haben. Ansonsten hätte es das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einstellen bzw. den Antragsteller freisprechen müssen. Ein Schuldspruch setzt den entsprechenden Tatnachweis voraus; verbleiben Zweifel, gilt ‚in dubio pro reo‘. Das Amtsgericht Bad Kissingen hat den Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 9. November 2022 darauf hingewiesen, dass eine Einstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO nur mit dem ausdrücklichen Einverständnis des Antragstellers möglich ist und dass dieser dann die notwendigen eigenen Auslagen selbst trägt. Wäre der Antragsteller der Auffassung gewesen, der Tatnachweis könne nicht geführt werden, hätte er seine Zustimmung verweigern können, um im Strafverfahren einen Freispruch zu erreichen. Die Darstellung seines Bevollmächtigten, die Vorgehensweise des Amtsgerichts Bad Kissingen sei das „übliche Vorgehen“ der Gerichte als „Flucht“ zur Vermeidung von Rechtsanwaltsgebühren, überzeugt daher nicht.

Dass das Fahrrad keine Beschädigungen aufweist, spricht ebenfalls nicht für die Behauptung des Antragstellers, nicht gefahren zu sein. Wenn der Antragsteller beim Sturz mit seinem Kopf auf einen Stein im Grasgelände aufschlägt, muss das Fahrrad dabei nicht zwingend beschädigt werden. Dieser Umstand kann daher weder für noch gegen die Einlassung des Antragstellers angeführt werden. Gleiches gilt im Übrigen für die Schwere der Kopfverletzung des Antragstellers, der bei dem Unfall keinen Helm getragen hat…..“

StGB III: Verkauf von Hanfblütentee mit THC-Gehalt, oder: Verbotener Handel mit BtM?

Hanfblüte

Und dann zum Tagesschluss eine Entscheidung aus dem BTM-Bereich. Der BayObLG, Beschl. v. 24.08.2023 – 202 StRR 52/23 – nimmt Stellung zum Handel mit Hanfblütentee und der Anwendbarkeit der BtMG.

Im Revisionsverfahren ist wegen der Beschränkung der Revision nur noch die Frage des vorsätzlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Streit. Dazu hatte das LG folgende Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagten waren seit dem 26.01.2019 Geschäftsführer der H.-UG (haftungsbeschränkt) und nach deren Umwandlung in eine GmbH zum 16.09.2019 der H.-GmbH, die unter anderem Hanfblütentee in den von ihr betriebenen Ladenlokalen in Würzburg oder über Franchiseunternehmen vertrieb. Der Hanfblütentee enthielt neben Cannabidiol (CBD) auch Tetrahydrocannabinol (THC). Im Zeitraum bis zur staatsanwaltschaftlichen Durchsuchung am 05.11.2019 gaben die Angeklagten mindestens sechs Bestellungen von jeweils mindestens vier Kilogramm CBD-Blüten auf. Die Lieferungen enthielten CBD-Blüten mit einem Gehalt von mindestens 0,10 % und höchstens 0,20 % THC mit einer Gesamtmenge an THC in Höhe von 20,864 Gramm.

Die sachverständig beratene Strafkammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass bei einem Konsum des Hanfblütentees ein Rausch erzeugt werden kann, der durch das Rauchen von zwei dicken Joints (bei einem THC-Gehalt des Tees von 0,20 %) oder vier dicken Joints (bei einem THC-Gehalt des Tees von 0,10 % THC) erreicht werden könne. Dies entspreche jeweils einer zugeführten Menge an THC von 2 mg. Nach der Überzeugung der Strafkammer handelten die Angeklagten mit bedingtem Vorsatz. Sie rechneten zumindest damit, dass durch den Konsum von Hanfblütentee mit einem THC-Gehalt von unter 0,20 % ein Rausch erzielt werden kann und somit ein Missbrauch zu Rauschzwecken im Sinne der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG nicht ausgeschlossen ist.“

Das BayObLG hat aufgehoben, weil ihm die Beweiswürdigung betreffend die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, isnbesondere, dass ein Missbrauch des Hanftees durch Abnehmer zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen ist, nicht rechtsfehlerfrei erschient. Die Darstellung der Ausführungen der Sachverständigen sei unklar und lückenhaft.

Ich stelle hier mal nur die beiden Leitsätze zu der Entscheidung ein. Die umfangreiche Begründung des BayObLG bitte im verlinkten Volltext selbst lesen:

  1. Hanfblütentee, der Tetrahydrocannabinol (THC) enthält, unterfällt grundsätzlich dem Betäubungsmittelgesetz. Eine Ausnahme hiervon besteht nur dann, wenn der THC-Gehalt 0,2 % (ab 01.01.2023: 0,3 %) nicht übersteigt und der Verkehr ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen (Anlage I zu § 1 BtMG).

  2. Gelangt ein Sachverständigengutachten in Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die ihrerseits auf wissenschaftlichen Studien beruht, zu dem Ergebnis, dass bereits bei einem Konsum von 2 mg THC durch Inhalation ein Rausch erzielt werden könne, ist es rechtsfehlerhaft, wenn eine nähere Darlegung unterbleibt, aufgrund welcher Erkenntnisse die Sachverständige zu ihrer Einschätzung gelangt und aus welchen Gründen der Gegenansicht nicht zu folgen ist.

StGB II: Unberechtigter Empfang von Sozialleistung, oder: Betrug durch Unterlassen.

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Und als zweite Entscheidung dann hier etwas vom KG, und zwar der KG, Beschl. v. 04.05.2023 – 3 ORs 20/23zum Zeitpunkt des Vorsatzes bei Unterlassungsdelikten betreffend die  Änderungsmitteilung bei Bezug von Sozialleistungen.

Das LG hatte den Angeklagten wegen betruges verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die keinen Erfolg hatte:

1. Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges. Die Auffassung des Verteidigers, der Eintritt eines Schadens sei dann zu verneinen, wenn der Täter von Anfang an von einer „Kompensation seiner Unterlassung“ ausgeht und von vornherein bereit ist, den Erfolg zu beseitigen, und dass ein solcher Täter mangels „Beendigungsvorsatzes“ ohne Bereicherungsabsicht handele, vermag nicht zu überzeugen.

Soweit der Verteidiger die Auffassung vertritt, es sei kein Schaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB eingetreten, verkennt er, dass dieser bereits mit der täuschungsbedingt erfolgten ersten unberechtigten Überweisung der Sozialleistung eingetreten und die Tat dadurch vollendet worden ist. Dass der Angeklagte – wie von ihm behauptet – darauf vertraut hat, die Behörde werde ihn im Anschluss daran zur Rückzahlung auffordern, und er den überzahlten Betrag nach deren Aufforderung zurückgezahlt hat, ist folglich für den Schadenseintritt und den darauf bezogenen Vorsatz ohne Bedeutung. Bezeichnenderweise spricht der Verteidiger in diesem Zusammenhang von einer Bereitschaft des Täters, den Erfolg zu beseitigen.

Wie sich aus § 16 Abs. 1 StGB ergibt, muss der Täter bei Begehung der Tat alle Umstände kennen, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören. Als maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei (allein) auf die Vornahme der tatbestandlichen Handlung abzustellen (vgl. BGHSt 63, 88 m.w.N.; NStZ 2018, 27; NJW 2015, 3178; Vogel in StGB Leipziger Kommentar 12. Aufl.; § 15 Rdn. 53 m.w.N.; Fischer, StGB 70. Aufl., § 16 Rdn. 2). In Fällen des Betruges durch Unterlassen ist daher maßgebend, wann der Täter verpflichtet gewesen wäre, die rechtlich gebotene Handlung vorzunehmen. Da ein Leistungsberechtigter nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet ist, leistungsrelevante Änderungen seiner Verhältnisse unverzüglich mitzuteilen, ist darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt es für ihn ohne schuldhaftes Zögern möglich ist, die erforderlichen Angaben zur Änderung seiner (Arbeits-) Verhältnisse zu machen, und sind darauf bezogene Feststellungen durch das Tatgericht zu treffen. Das Erfordernis eines auf die Tatbeendigung gerichteten und bis dahin andauernden Vorsatzes kennt das Gesetz demgegenüber nicht; Feststellungen dazu sind entbehrlich.

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil, indem mitgeteilt wird, dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt eigenständig die Veränderung seiner Verhältnisse mitgeteilt hat und in Kenntnis seiner Mitteilungspflicht dazu auch nicht gewillt war, sondern den überzahlten Betrag erst nach entsprechender Aufforderung der Behörde zurückgezahlt hat….“