Archiv der Kategorie: KCanG

KCanG I: Peinlicher Lapsus (?) beim BGH zum KCanG, oder: Neufestsetzung JGG-Weisungen/Jugendstrafe

Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

Und dann heute zum Beginn der 18. KW. wie immer besondere Kategorien, und zwar etwas zum KCanG.

Vorab ein kleiner (?) Nachtrag.: Ich hatte am vergangenen Montag über den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24 berichtet (KCanG III: „Nicht geringe Menge“ bleibt bei 7,5 g, oder: Auch beim BGH: Neuer Wein in alten Schläuchen).  In dem macht der BGH ja erste Ausführungen zur „nicht geringen Menge“ bei BtM nach Inkrafttreten des KCanG.

So weit, aber nicht so gut. Denn, wer jetzt den Link in dem Beitrag anklickt, erhätl als Meldung: „Das gewünschte Dokument steht nicht zur Verfügung. Eventuell ist es nicht mehr oder noch nicht freigegeben.“ Nun, richtig ist wohl, dass der BGG das Dokument „nicht mehr …. freigegeben“ hat. Denn er hat es geändert, und zwar an entscheidenden Stellen (vgl. dazu hier bei de legisbus und auch bei LTO). 

Wer die Entscheidung jetzt sucht, findet den BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24  zwar auch noch auf der Homepage des BGH, allerdings mit dem Hinweis: „Ursprünglich war versehentlich eine nicht beschlossene Fassung eingestellt; 
siehe auch: Pressemitteilung Nr. 93/24 vom 22.4.2024„. Wer meint, in der PM eine Erklärung des BGH zu finden, ist enttäuscht. M.E. mehr als peinlich für den 1. Strafsenat und ohne weitere Worte.

Dies vorausgeschickt, dann jetzt der AG Eilenburg, Beschl. v. 18.04.2024 – 8 VRJs 144/23 jugzur Neufestsetzung drogenbezogener Weisungen nach Inkrafttreten des CanG bei tatmehrheitlichen Verurteilungen und Anwendung von Jugendstrafrecht. Die heranwachsende Verurteilte iwar im JGG-Verfahren u,a, angewiesen worden, sich in eine stationäre Entgiftungsbehandlung  zu begeben und von dort aus eine Langzeittherapie zu beantragen. Die Verurteilte hatte die drogenbezogene Weisung bislang nicht umgesetzt, was mit auch in einem Anhörungstermin thematisiert worden war. Das AG hat nach Inkrafttreten des KCanG von einer Neufestsetzung der ausgesprochenen Ahndung abgesehen:

„2. Unter Zugrundelegung der nunmehr einschlägigen Regelungen, wäre der rechtskräftig abgeurteilte Sachverhalt vom 24.11.2022 straflos geblieben. Obgleich sich das Verfahren noch in der Vollstreckung befindet, ist von einer Neufestsetzung der ausgesprochenen Ahndung abzusehen. Unter Beachtung des erzieherischen Gedankens im Jugendstrafrecht und der Einheitlichkeit der Rechtsfolgenentscheidung ist im vorliegenden Fall maßgebend, dass der zum Zeitpunkt der Tatbegehung unerlaubte Besitz des Betäubungsmittels Cannabis am 24.11.2022 nur einen nicht ins Gewicht fallenden Beitrag der erkannten Rechtsfolge ausmacht und die Verurteilte Mischkonsumentin auch härterer Drogen (Methamphetamin, GHB, etc.) war und ist. Nicht zuletzt ist dies, nachdem die Verurteilte bereits die angewiesene stationäre Entgiftungsbehandlung nicht angetreten hat, im Rahmen der Anhörung deutlich geworden.“

Und als zweite KCanG-Entscheidung ein weiterer AG-Beschluss, nämlich der AG Heinsberg, Beschl. v. 26.04.2024 – 42 VRJs 79/23 – zur Ermäßigung einer Einheitsjugendstrafe nach dem Inkrafttreten des KCanG. Das AG hat in ihm von einer Ermäßigung einer Einheitsjugendstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten abgesehen:

„Eine Ermäßigung der Einheitsjugendstrafe kommt nicht in Betracht. Der Verurteilte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 23.03.2023, Az. 647 Ls 486/22 wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall in insgesamt 13 Fällen schuldig gesprochen, wobei es in 3 Fällen beim Versuch blieb. Einbezogen wurde das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 11.07.2022, Az: 647 Ds 101/22. Dort wurde der Verurteilte wegen versuchten und vollendeten Diebstahls in einem besonders schweren Fall und illegalen Besitzes von Betäubungsmitteln in 3 Fällen schuldig gesprochen. In zwei Fällen ging es um den Besitz von Amphetamin, davon in einem Fall im Rahmen einer natürlichen Handlungseinheit mit einem Joint und damit keiner Tateinheit i.S.d. Art. 313 Abs. 3 EGStGB. Beide Fälle bleiben nach dem CanG auch weiterhin strafbar. In einem weiteren Fall des illegalen Besitzes ging es um den Besitz von nur 0,06g netto Marihuana sowie einen Joint. Angesichts dieser lediglich geringen Mengen und des Tatunrechts der Vielzahl an übrigen Taten war keine relevante Auswirkung auf das Strafmaß gegeben.“

Interessant in dem Zusammenhang ist ein weiterer Beschluss des AG vom gleichen Tag. In dem hat das AG (s. AG Heinsberg, Beschl. v. 26.04.2024 – 42 VRJs 79/23) dem Verurteilten einen Pflichtverteidiger bestellt. Das hat das AG allerdings – leider – nicht näher begründet. Im Beschluss heißt es nur: „§ 140 Abs. 2 SIPO analog„.

KCanG III: „Nicht geringe Menge“ bleibt bei 7,5 g, oder: Auch beim BGH: Neuer Wein in alten Schläuchen

Bild von mohamed Hassan auf Pixabay

Nun, wer hätte das gedacht: Heute morgen in Zusammenhang mit dem OLG Hamburg, Beschl. v. 09.04.2024 – 5 Ws 19/24 – noch gemeckert und auf den BGH gehofft, und nun ist sie dann schon da.

Die erste Entscheidung des BGH zur neuen „nicht geringen Menge“ nach dem KCanG. Und wer gehofft hatte, dass der BGH in eine andere Richtung marschieren würde, wird enttäuscht. Er, zumindest der 1. Strafsenat, tut es nicht. Denn er hat im BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24 – (Achtung: Siehe unten) auch nichts Neues bz. nichts anders gemacht, sondern: Alter Wein in neuen Schläuchen, oder: Es bleibt bei den 7,5 g THC für Cannabis.

In der dazu ergangenen Pressemitteilung heißt es:

Das Landgericht Ulm hatte die Angeklagten A. und M. wegen Betäubungsmitteldelikten im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Marihuanaplantage nach der bisher geltenden Rechtslage jeweils zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil im Verfahren über die Revisionen der beiden Angeklagten entsprechend den zum 1. April 2024 in Kraft getretenen Bestimmungen des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) im Schuldspruch jeweils neu gefasst. Zudem hat er den Grenzwert der nicht geringen Menge i.S. von § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG auf 7,5 g Tetrahydrocannabinol (THC) festgesetzt.

Infolge des gegenüber der bisherigen Rechtslage niedrigeren Strafrahmens des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs das Urteil im Strafausspruch aufgehoben und insoweit zur erneuten Strafbemessung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.“

Das begründet der BGH wortreich, ob überzeugend ist eine andere Frage, m.E. nicht unbedingt. Letztlich sind es die Argumente: Haben wir schon immer so gemacht und schuld ist der Gesetzgeber, der hätte ja sagen können, wenn er etwas anderes gewollt hätte. Hat er aber nicht.

Ich schenke mit die umfangreiche Begründung hier. Wer Interesse hat, kann es bitte nachlesen. Wie wichtig der BGh die Entscheidung selbst ansieht, kann man daran ablesen, dass sie schon vier Tage nach Erlass online. Das ist beim BGH recht ungewöhnlich.

Man muss sehen, wie es weitergeht. Es gibt ja noch fünf andere Senate. Aber ein Pflock ist ka schon mal eingehauen.

Edit: Achtung! Inzwischen steht auf der Homepage des BGH eine andere Version des Beschlusses, der BGH hat seinen Beschluss „berichtigt“. Dazu Näheres hier bei de legisbus und auch bei LTO. Und zum „richtigen“ Beschluss geht es hier: BGH, Beschl. v. 18.04.2024 – 1 StR 106/24 .

KCanG II: Wegwerfen von Cannabis auf der Flucht, oder: Das ist jetzt „sonstiges Inverkehrbringen“

Bild von Kinodel auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung zum neuen KCanG etwas aus Bayern, und zwar der BayObLG, Beschl. v. 08.04.2024 -203 StRR 39/24. Entscheidungen aus Bayern werden sicherlich besonders interessant sein, wenn man sieht, wie dort die Neuregelung „umgesetzt“ werden wird.

Hier geht es jetzt um eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln durch AG und LG. Der Angeklagte hat gegen seine Verurteilung und die die ergangene Einziehungsentscheidung dann Revision eingelegt. Die hatte mit der Sachrüge einen Teilerfolg, das BayObLG hat den Schuldspruch neu gefasst und den Rechtsfolgenausspruch und die Einziehungsentscheidung aufgehoben:

„a) Das Tatgericht hat – soweit für die Begründung der Revisionsentscheidung von Bedeutung – die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

Am 17. September 2022 gegen 23.00 Uhr führte der Angeklagte ohne die für den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis im Stadtgebiet von Weiden i.d.Opf. insgesamt 11,19 Gramm Marihuana wissentlich bei sich. Ein Teil der Betäubungsmittel war zur Übergabe an den Zeugen C. bestimmt. Als der Angeklagte auf dem Weg zum Zeugen bemerkte, dass er zwei Polizeibeamten aufgefallen war, flüchtete er und warf die Betäubungsmittel während der Flucht mit dem Fahrrad vor einem Hauseingang auf dem Boden, wo das Rauschmittel kurz darauf von den Polizeibeamten sichergestellt wurde. Wann und wie der Angeklagte in den Besitz des Marihuanas gekommen ist, hat die Strafkammer nicht feststellen können.

b) Nach der gesetzlichen Neuregelung, die zum 1. April 2024 in Kraft getreten ist, ist zwar alleine der Besitz von bis zu 30 Gramm Konsumcannabis außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes nicht mehr strafbar, auch wenn das Betäubungsmittel wie hier nicht ausschließlich für den Eigenkonsum besessen wird (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2, § 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 1a des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG, BGBl I Nr. 109 vom 27. März 2024). Entsprechendes gilt nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 lit a KCanG für den Erwerb oder die Entgegennahme einer Menge von bis zu 25 Gramm. Die sich zugunsten des Angeklagten auswirkende Gesetzesänderung ist nach § 354a StPO und § 2 Abs. 3 StGB in der Revision zu beachten.

c) Die Feststellungen tragen auch keine Verurteilung wegen versuchter Abgabe von Konsumcannabis. Denn die Grenze zum Versuchsstadium war hier noch nicht überschritten. Ein unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seinem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – 5 StR 15/20-, juris Rn. 4, und Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 397/19-, juris jeweils mwN). Bezüglich des Tatbestands der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln wird die Schwelle zum Versuchsbeginn erst überschritten, wenn der Täter unmittelbar zur Überlassung der Betäubungsmittel ansetzt (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak, 10. Aufl. 2022, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 812 zum Veräußern nach § 29 BtMG; Weber/Kornprobst/Maier/Weber, 6. Aufl. 2021, BtMG 6. Abschnitt § 29 Rn. 1126, 1078 zur Abgabe nach § 29 BtMG). Danach reicht der Transport der abzugebenden Betäubungsmittel zur Übergabe noch nicht aus, vielmehr liegt darin eine straflose Vorbereitungshandlung (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 30. April 1993 – 4St RR 59/93 –, juris; MüKoStGB/Oğlakcıoğlu, 4. Aufl. 2022, BtMG § 29 Rn. 856 zur Abgabe nach § 29 BtMG).

d) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der Angeklagte jedoch wegen des versuchten unerlaubten sonstigen Inverkehrbringens von Konsumcannabis nach § 34 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 KCanG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht.

aa) Die neue gesetzliche Bestimmung kann bezüglich des Umgangs mit Konsumcannabis als Nachfolgeregelung von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG angesehen werden, ohne dass ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot zu besorgen wäre. Das Wesen des vormals in § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 1, 3 BtMG und Anlage I a.F. zu BtMG beschriebenen und nach Abs. 2 auch als Versuch strafbaren Delikts des unerlaubten Inverkehrbringens von Cannabis als ein dem Betäubungsmittelgesetz unterfallendes Rauschmittel ist in seinem Kern auch nach der gesetzlichen Ausgestaltung der Neuregelung unberührt geblieben. Ein Fall, dass der Gesetzgeber durch die völlige Umgestaltung einer Strafvorschrift zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht mehr das bisher verpönte, sondern ein ganz anders geartetes Verhalten als Unrecht betrachtet, mit der Folge, dass die Straftatbestände des alten und des neuen Gesetzes nicht mehr zueinander in Beziehung gesetzt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 1975 – GSSt 1/75 –, BGHSt 26, 167, juris Rn. 14), liegt hier nicht vor. Die Kontinuität des Unrechtstyps ist auch im Rahmen der Neuregelung gewahrt, der Tatvorwurf ist im wesentlichen derselbe geblieben, so dass kein tiefgreifender Wesensunterschied zwischen der alten und der neuen Vorschrift festgestellt werden kann, mit der Folge, dass der Täter, der den neuen Straftatbestand erfüllt, wegen der Straftat verurteilt werden kann (vgl. BGH a.a.O.).

bb) Für den Anwendungsbereich des BtMG ist anerkannt, dass der Auffangtatbestand des sonstigen Inverkehrbringens nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG jedes, gleichwie geartete Eröffnen der Möglichkeit umfasst, dass ein anderer die tatsächliche Verfügung über den Stoff erlangt und ihn nach eigener Entschließung verwenden kann, also jede Verursachung eines Wechsels der Verfügungsgewalt über die Betäubungsmittel durch einen anderen (KG Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2022 – (2) 161 Ss 52/22 (15/22) –, juris; BayObLG BayObLGSt 1960, 182 zu OpG; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 867; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1157; Barrot in BeckOK BtMG, 22. Ed. 15.03.2024, BtMG § 29 Rn. 377). Wirft jemand – auch anlässlich einer Polizeikontrolle – Betäubungsmittel in einer Weise weg, welche die Gefahr begründet, dass Dritte die Betäubungsmittel auffinden, konsumieren oder weitergeben, war dieses Verhalten nach der bisher geltenden Rechtslage von der Strafvorschrift von § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG als sonstiges Inverkehrbringen umfasst (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 6; OLG Zweibrücken, Urteil vom 5. März 1986 – 2 Ss 320/85-, NStZ 1986, 558; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 871; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1170; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378). Die Tat ist erst vollendet, wenn der Dritte Zugriff erlangt hat. Das Versuchsstadium ist erreicht, sobald der Täter die Betäubungsmittel für andere zugreifbar zurücklässt. Finden diese die Drogen nicht, so bleibt es beim Versuch (OLG Zweibrücken a.a.O.; KG a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 880, 881; Oğlakcıoğlu a.a.O. § 29 Rn. 899; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 387, 388; Weber a.a.O. § 29 Rn. 1172 ff.).

cc) Diese Grundsätze sind auf die Strafbarkeit nach § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG entsprechend zu übertragen. Denn in der Neuregelung des Umgangs mit Konsumcannabis wurden die Strafvorschriften aufgrund der strukturellen Vergleichbarkeit an das Betäubungsmittelstrafrecht angelehnt (vgl. BT-Drucks. 20/10426 S. 128). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch – weiterhin – die Dereliktion von Konsumcannabis der Strafbarkeit unterfallen (vgl. BT-Drucks. a.a.O. S. 128 f., S. 136 f.). Die Vorschrift von § 34 Abs. 1 Nr. 10 KCanG erfasst damit auch das bewusste Wegwerfen von Konsumcannabis im öffentlichen Straßenraum.

dd) In subjektiver Hinsicht setzt ein (bedingt) vorsätzliches Inverkehrbringen voraus, dass der Täter dabei zumindest billigend in Kauf nimmt, dass seine weggeworfenen Betäubungsmittel aufgefunden und genutzt werden (vgl. KG Berlin a.a.O. Rn. 7; OLG Zweibrücken a.a.O.; Patzak a.a.O. § 29 Rn. 875; Barrot a.a.O. § 29 Rn. 385 jeweils zu § 29 BtMG).

ee) Da nach den Feststellungen des Landgerichts angesichts der konkreten Umstände der Tat damit zu rechnen war, dass das Cannabis nach dem Wegwerfen in die Verfügungsgewalt von konsum- oder abgabebereiten Dritten gelangte, gleichwohl das Marihuana zeitnah von der Polizei sichergestellt wurde, hat sich der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts des versuchten unerlaubten Inverkehrbringens von Konsumcannabis schuldig gemacht. Dies gilt auch, falls der Angeklagte, als er sich des Marihuanas entledigte, hoffte, es nach der Kontrolle selbst wieder an sich nehmen zu können. Ein zielloses Handeln schließt ein Inverkehrbringen nicht aus (Barrot a.a.O. § 29 Rn. 378).

e) Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Das Wegwerfen der Betäubungsmittel hat der Angeklagte im übrigen eingeräumt.

3. Der Strafausspruch unterliegt der Aufhebung, nachdem der Strafrahmen für den unerlaubten Umgang mit Konsumcannabis nunmehr in § 34 Abs. 1 KCanG herabgesetzt und die Tat – unfreiwillig – nicht vollendet worden ist. Auch die Einziehungsentscheidung kann nicht bestehen bleiben (§ 2 Abs. 5 StGB). Die Entscheidung über die Anordnung der Einziehung von Konsumcannabis steht nach § 37 S. 1 KCanG im Ermessen des Gerichts. Abweichend zur früheren Rechtslage sind fehlende Ausführungen des Tatrichters zur Ermessensausübung bei der Einziehung von sichergestelltem Konsumcannabis mit Blick auf die Regelung von § 3 KCanG nicht mehr unschädlich.“

KCanG I: Neue „nicht geringe Menge“ bei Cannabis?, oder: Der Gesetzgeber interessiert uns nicht

Bild von Social Butterfly auf Pixabay

Es war zu erwarten, dass es nicht lange dauern würde, bis die ersten Entscheidungen zum neuen KCanG vorliegen würden. Viele Fragen in den gesetzlichen Neuregelung sind ungeklärt und/oder offen. Ich werde über ergehende Entscheidungen hier natürlich berichten, ich habe dafür extra eine neue Kategorie eingerichtet.

Meine Bitte: Wer interessante Entscheidungen erstritten hat, soll mir die bitte zukommen lassen. Am besten als PDF, ich bereite sie dann auf und stelle sie ein. So kann mit der Zeit ein schöner (?) Überblick entstehen.

Und dann: Zu diesem neuen Thema habe ich dann heute gleich zwei Entscheidungen, die ich vorstelle möchte. Die erste kommt mit dem OLG Hamburg, Beschl. v. 09.04.2024 – 5 Ws 19/24vom OLG Hamburg. Ergangen ist die Entscheidung in einem Haftbeschwerdeverfahren. Der Angeklagte befindet sich aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des AG Hamburg vom 13.06.2023 seit diesem Tag in Untersuchungshaft in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Mit dem Haftbefehl wird ihm auf der Grundlage des alten Rechts zur Last gelegt, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemeinschaftlich unerlaubt Handel getrieben zu haben (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB). Das Amtsgericht Hamburg hat den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO) bejaht.

Inzwischen ist der Angeklagte am 04.10.2023 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt worde. Zugleich ist die Fortdauer der Untersuchungshaft aus fortbestehenden Haftgründen nach Maßgabe der Verurteilung angeordnet worden. Nach den Feststellungen des AG handelte der Beschwerdeführer mit 72,01 g Marihuana mit einer Gesamtmenge von 10,21g THC. Strafschärfend ist die festgestellte gewerbsmäßige Begehung berücksichtigt worden.

Das LG hat die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten mit Urteil vom 18.03.2024 verworfen und zugleich den Haftbefehl aufrechterhalten. Der Angeklagte hat Revision eingelegt.

Mit seiner Haftbeschwerde wendet sich der Angeklagte gegen den Haftfortdauerbeschluss. Nach den Neuerungen durch Inkrafttreten des KCanG am 01.04.2024 sei eine deutlich geringere Strafe nach Durchführung des Revisionsverfahrens zu verhängen. Es sei nicht zu erwarten, dass der sich seit über neun Monaten in Untersuchungshaft befindende Angeklagte diesen Zeitraum überschreitenden Freiheitsstrafe verurteilt würde, weshalb die Haftfortdauer unverhältnismäßig sei. Die Haftbeschwerde hatte keinen Erfolg:

„Das haftbefehlsgegenständliche Geschehen erfüllt den Tatbestand des unerlaubten Handels mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) sowie die für die Annahme eines besonders schweren Falles normierten Regelbeispiele der Gewerbsmäßigkeit (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 KCanG) und des Handels mit einer „nicht geringen Menge“ (§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG).

aa) Bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des KCanG als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 4 KCanG).

bb) Das vorgeworfene Tatgeschehen stellt sich auch als „Handeltreiben“ im Sinne der Neuregelung dar. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG gewählte Bezeichnung der Tathandlung als „Handeltreiben“ unterscheidet sich begrifflich nicht von derjenigen des § 29 1 S. 1 Nr. 1, 3. Var. BtMG; auch hinsichtlich des Verbotszwecks sind Unterschiede nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich insoweit offensichtlich um eine Übernahme des Regelungsregimes des BtMG, so dass die Grundsätze, die von der Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs des Handeltreibens i.S.d. § 29 Abs. 1 S.1 Nr.1 BtMG entwickelt wurden, auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG übertragen werden können (so auch die Regierungsbegründung, vgl. BT-Drs. 20/8794, S. 94).

cc) Entsprechendes gilt für das in § 34 Abs. 3 Nr. 1 KCanG normierte Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit, so dass auch insoweit davon auszugehen ist, dass gerwerbsmäßig handelt, wer die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (st. Rspr. zu § 29 3 S. 2 Nr. 1 BtMG, vgl. die Nachweise bei Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, Rn. 1644 zu § 29 BtMG). Diese Voraussetzungen erfüllt das haftbefehlsgegenständliche Tatgeschehen, insbesondere im Hinblick auf die vorausgegangene Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vom 22. März 2023 und die vorliegend festgestellten Tatmodalitäten, die beinhalten, dass der Beschwerdeführer und der Mitangeklagte Arslan das Marihuana in insgesamt 54 Gripbeuteln, verteilt auf verschiedene Depots, zum Verkauf bereit hielten.

dd) Zudem ist das in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG normierte Regelbeispiel des Handels mit Cannabis in „nicht geringer Menge“ vorliegend erfüllt. Der Gesetzgeber hat dabei von der Möglichkeit, den Begriff der „nicht geringen Menge“ cannabisspezifisch zu definieren, keinen Gebrauch gemacht und hat insbesondere keine Konkretisierung durch einen Grenzwert vorgenommen. Stattdessen hat er die Bestimmung eines solchen Wertes ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen (vgl. BT-Drs. 20/8704, S. 132). Der Senat geht davon aus, dass der Grenzwert für die nicht geringe Menge Cannabis – wie zuvor unter dem Regelungsregime des BtMG – bei einer Cannabismenge vorliegt, deren Wirkstoffanteil bei mindestens 7,5 g THC liegt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

(1) Auch unter Geltung des BtMG war die nähere Bestimmung der „nicht geringen Menge“ der Rechtsprechung überlassen. Diese Bestimmung hat der BGH in seinem Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 (NJW 1985, 1404) dahingehend vorgenommen, dass der Grenzwert bei einer Mindestwirkstoffmenge von 7,5 g THC erreicht ist. Auf einen Vorlagebeschluss des Schleswig-Holsteinischen OLG hat der BGH diese Grenzziehung mit Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 (NJW 1996, 794) bestätigt und gegen Einwände verteidigt. Diesen Entscheidungen lag die Erwägung zugrunde, dass der Grenzwert für die „nicht geringe Menge“ eines bestimmten Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Intensität festzulegen ist. Maßgeblich ist danach zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Lässt sich eine solche Dosis – wie bei Cannabis – sachverständig nicht oder nicht hinreichend sicher feststellen, so errechnet sich der Grenzwert ausgehend von der Menge einer durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss der Droge gewöhnten Konsumenten als ein Vielfaches dieses Wertes, wobei das Maß der Vervielfachung nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst gesundheitsschädigenden Potentials zu bestimmen ist. Der BGH ist insoweit – sachverständig beraten – davon ausgegangen, dass eine durchschnittliche Konsumeinheit Cannabis bei einer THC-Menge von 15 mg anzusetzen ist. Als Maß der Vervielfachung dieses Wertes hat der BGH in den vorgenannten Entscheidungen den Faktor 500 gewählt, wobei der Wahl dieses Faktors ein Abgleich mit der – als weitaus höher angenommenen und mit dem Faktor 150 bemessenen – Gefährlichkeit von Heroin zugrunde liegt (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, unter I.1.d) der Urteilsgründe). Dies führt zu einer Menge von 500 x 15 mg, mithin 7,5 g. Soweit der BGH sich zur Bemessung des Faktors der Vervielfachung auf Fragen der Gefährlichkeit gestützt hat, ist er im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 9. März 1994 – 2 BvL 43/92 (BVerfGE 90, 145 ff.) von Folgendem ausgegangen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, Rn. 16 bis 18):

„Danach wird eine körperliche Abhängigkeit von Cannabis wohl nicht hervorgerufen; die unmittelbaren gesundheitlichen Schäden bei mäßigem Genuss werden als eher gering angesehen. Jedoch wird die Möglichkeit einer psychischen Abhängigkeit kaum bestritten, wenn auch das Suchtpotential der Cannabisprodukte zu Verhaltensstörungen, Lethargie, Gleichgültigkeit, Angstgefühlen, Realitätsverlust und Depressionen führen; gerade das vermag die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen nachhaltig zu stören. […] Hinzu kommen die durch Cannabisgebrauch für die Sicherheit des Straßenverkehrs entstehenden Gefahren. […] Neben typischen Rauschverläufen werden […] nach gesicherten Erkenntnisses der medizinischen Wissenschaft auch atypische Rauschverläufe beschrieben „mit psychopathologischen Störungen wie z.B. Angst, Panik, innere Unruhe, Verwirrtheit, Halluzinationen, Größenverzerrungen“, […] die also auch schon bei einem einzigen Rausch auftreten können“.

Dieser vom BGH vorgenommenen Grenzziehung für die „nicht geringe Menge“ Cannabis i.R.d. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Instanzrechtsprechung praktisch ausnahmslos gefolgt, so dass bislang von einer insoweit gefestigten Rechtslage ausgegangen werden konnte.

(2) Der Senat sieht keinen Anlass, durch die Neuregelung in § 34 KCanG Veränderungen an dieser Grenzziehung vorzunehmen. Die Regelung in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG knüpft hinsichtlich des Wortlauts ohne jegliche Änderungen an die Regelung in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG an. Auch das Ziel der Regelung entspricht derjenigen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Die Intention des Gesetzes besteht ausweislich der Regierungsbegründung darin, eine kontrollierte und kontrollierbare Qualität der Cannabisprodukte zum Schutz von Konsumenten und so insgesamt einen verbesserten Gesundheitsschutz zu erreichen. Hierzu sollen der illegale Markt eingedämmt sowie die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention gleichsam mit dem Kinder- und Jugendschutz gestärkt werden (vgl. BT-Drs. 20/8704, S. 1). Das Ziel der strafschärfenden Berücksichtigung des Handels mit einer nicht geringen Menge Cannabis liege darin, dass hierdurch „insbesondere gefördert wird, dass Cannabis in einem nicht geringen Ausmaß illegal in den Verkehr kommt bzw. in ihm bleibt“. Es geht mithin – wie im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – um die Verhinderung eines erhöhten Gefahrenpotentials, das sich aus der Ansammlung einer erhöhten (und unkontrollierten) Drogenmenge ergibt (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, Rn. 35 zu § 29a BtMG m.w.N.).

Wohl lässt sich dem Gesetz entnehmen, dass der Gesetzgeber den Handel mit Cannabis in nicht geringer Menge nunmehr für weniger strafwürdig hält als vormals unter Geltung des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, denn dies folgt bereits daraus, dass die Mindeststrafe von vormals einem Jahr auf nunmehr drei Monate Freiheitsstrafe abgesenkt wurde. Daraus ergeben sich aber keine Folgerungen für die Frage, ab welcher Mengengrenze der Handel mit Cannabis der gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Strafandrohung des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG unterliegen soll.

Soweit die Gesetzesbegründung die Erwartung an die Rechtsprechung formuliert, dass der konkrete Wert einer nicht geringen Menge „aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ sein werde, und dass man „im Lichte der legalisierten Mengen an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten“ könne, der Grenzwert also im Ergebnis „deutlich höher liegen [müsse] als in der Vergangenheit“ (BT-Drs. 20/8704, S. 132), folgt der Senat dem nicht. Die Regierungsbegründung verhält sich nicht klar dazu, worin die „geänderte Risikobewertung“ von Cannabis liegt. Wie oben ausgeführt, beruht die vom BGH vorgenommene Festlegung der Grenze auf 7,5 g THC auf einer bestimmten, auch sachverständig vermittelten Einschätzung der Menge einer Konsumeinheit und der Gefährlichkeit von Cannabis. Dass sich an diesen wissenschaftlichen Grundlagen der Einschätzung etwas geändert hätte, ist weder dem KCanG selbst, noch den zur Auslegung heranzuziehenden Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Auf die (unveränderten) Gesundheitsrisiken weist die Regierungsbegründung schließlich auch hin (BT-Drs. 20/8704, S. 68):

„Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen auch, ist der Konsum von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken, wie beispielsweise cannabisinduzierte Psychosen, verbunden. […] Beim Konsum von Cannabis sind junge Altersgruppen besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Solange die Gehirnentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen ist, kann die Gedächtnisleistung nachhaltig beeinträchtigt werden. Dies gilt insbesondere bei einem früh einsetzenden regelmäßigen Konsum und bei einem Konsum von Cannabis mit einem hohen THC-Gehalt. Zudem bringt regelmäßiger Konsum im jungen Alter besondere gesundheitliche Risiken mit sich“.

Auch „im Lichte der legalisierten Mengen“ (BT-Drs. 20/8704, S. 132) muss der durch den BGH zum BtMG wirkstoffbezogen festgelegte Grenzwert von 7,5 g THC für die „nicht geringe Menge“ an Cannabis nicht geändert, gar erhöht werden, um die mit dem KCanG bezweckte Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis – bis zu einer Menge von 25 g bzw. 50 g Cannabis (§ 3, § 1 Nr. 16 KCanG) – zu erreichen. Soweit argumentiert wird, dass die Grenze zur nicht geringen Menge einen Abstand zu den erlaubten Besitzmengen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) wahren müsse, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die vorbenannten Besitzmengen gerade nicht wirkstoffbezogen festgelegt hat. In Anbetracht der vorkommenden Variationsbreite beim Wirkstoffgehalt werden in der Praxis regelmäßig (strafbare) Besitzmengen vorkommen, deren THC-Gehalt den Grenzwert von 7,5 g THC unterschreiten, so dass gegen die hier vorgenommene Grenzziehung nicht eingewandt werden kann, dass der Besitz einer gerade eben strafbaren Menge Cannabis – also geringfügig mehr als 60 g – stets auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG verwirklicht.

Das KCanG bezweckt zudem lediglich, den Konsumenten zu privilegieren. Demgegenüber bleibt das Handeltreiben mit Cannabis strafbar, ohne dass es hierfür einer Mindestmenge bedarf.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich die zitierte Erwartung des Gesetzgebers, dass eine Neufestlegung des Grenzwerts geboten sei, die zudem zu einem deutlich höheren Wert führen müsse, keinen hinreichenden Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat. Sie findet sich weder bei der Formulierung des Regelbeispiels des Handels mit einer „nicht geringen Menge“ wieder, noch hat der Gesetzgeber die Kriterien für die Festlegung des Grenzwerts neubestimmt, oder gar einen Grenzwert selbst vorgegeben. Vor diesem Hintergrund erschiene jede Neufestsetzung des Grenzwerts unter Ansatz eines höheren Multiplikators willkürlich. Eine Erhöhung des Grenzwertes liefe dem Ziel, den Markt für illegal gehandelte Cannabisprodukte einzudämmen, zuwider.

4. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Fluchtgefahr ist gegeben, wenn bei Würdigung der Umstände des Falles aufgrund bestimmter Tatsachen eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit – dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen. So liegt es hier. Bereits in der Straferwartung liegt ein erheblicher Anreiz zur Flucht für den Beschwerdeführer, dem mit Blick auf den gemäß § 34 Abs. 3 KCanG eröffneten Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren (weiterhin) eine Straftat von einigem Gewicht vorgeworfen wird. Dabei wirkt sich erschwerend aus, dass dem Beschwerdeführer die Verwirklichung zweier Regelbeispiele zur Last gelegt wird. Er hat mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, zumal er erst am 22. März 2023 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten mit Aussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Die in dem vorgenannten Verfahren erlittene, knapp viermonatige Untersuchungshaft hat den Beschwerdeführer zudem offenbar nicht nachhaltig beeindruckt. Der Fluchtanreiz erhöht sich zudem dadurch, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich der Vorverurteilung den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu befürchten hat.

Dem aus der Straferwartung folgenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichend belastbaren fluchthemmenden Umstände entgegen. Der recht junge Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und verfügt über keine nennenswerten sozialen Bindungen. Er lebt ohne festen Wohnsitz in Deutschland. Das Asylverfahren ist eingestellt worden. Nach Auslaufen der Aufenthaltsgestattung bis zum 8. Juni 2023 hat das Amt für Migration auch erst aufgrund der erbetenen Auskunftserteilung an das Landgericht eine Duldung bis zum 27. Mai 2024 erteilt. Ein Interesse an der Legalisierung seines Aufenthaltes hat der Beschwerdeführer eigeninitiativ nicht gezeigt. Im Falle der Haftentlassung ist daher auch eher mit seinem Untertauchen zu rechnen.

5. Vor diesem Hintergrund kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden (§ 116 StPO).

6. Die Fortdauer der – mittlerweile seit nahezu zehn Monaten vollzogenen – Untersuchungshaft steht nach alledem auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 S. 1 StPO). Insbesondere liegt nicht nahe, dass die Dauer der Untersuchungshaft die zu erwartende – unbedingte – Freiheitsstrafe annährend erreicht oder übersteigt.“

Dazu nur kurz zwei Fragen:

1. Man hätte es auch kürzer machen können bzw. man fragt sich, warum das OLG so viel schreibt. Warum hat man es sich nicht einfach gemacht und nur geschrieben: „Was der Gesetzgeber will und möchte, interessiert uns nicht. Es bleibt bei der Festlegung der „geringen Menge“ alles beim Alten.“

Man wird sehen, was der BGH macht, denn auf ihn und seine Entscheidung wird es ankommen. Bis dahin wird es in der Frage ein fröhliches „Hauen und Stechen“ geben.

2. Genau so schlimm finde ich den labidaren Satz des OLG zur Verhältnismäßigkeit. Festgesetzt ist eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten, die sich, da nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht mehr erhöhen kann (Stichwort: Verschlechterungsverbot). Davon sind rund 10 Monate bereits in U-Haft „vollstreckt“. Es bleibt also noch eine Reststrafe von maximal sechs Monaten. Und da meint das OLG tatsächlich: „nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe“. Wirklich? Irgendwie scheint mir da jedes maß verloren gegangen zu sein. Ich bin froh, dass ich Mitglied in einem solchen Senat nicht bin und auch nicht war.

Im Übrigen ist klar, was mit der Revision des Angeklagten passieren wird. Man wird sie verwerfen.