Archiv der Kategorie: Sonstige Gerichte

Versäumte Frist II: Schwierige Fristberechnung …, oder: … die darf man nicht dem Personal überlassen

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Die zweite Entscheidung kommt dann vom VGH Baden-Württemberg. Der hat im VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.11.2024 – 9 S 1510/23 – zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in den Fällen einer schwierigen Fristberechnung Stellung genommen.

Die Klägerin hatte im zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt, die Berufung gegen ein VG-Urteil zuzulassen. Der VGH hat den Antrag als unzulässig angesehen. Die Klägerin habe nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils des Verwaltungsgerichts die Gründe dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO):

„2. Der Klägerin ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden liegt vor, wenn diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen wird, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.12.2023 – 8 B 26.23 -, juris Rn. 6). Die Versäumung der Frist für die Zulassungsbegründung ist im vorliegenden Fall nicht unverschuldet gewesen.

a) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Das Verschulden von „Hilfspersonen“ des bevollmächtigten Rechtsanwalts muss sich ein Beteiligter mangels einer Zurechnungsnorm dagegen regelmäßig nicht zurechnen lassen. Allerdings kann den Rechtsanwalt ein eigenes Verschulden treffen, wenn die Organisation seines Büros mangelhaft ist oder die „Hilfspersonen“ nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, überwacht oder angeleitet wurden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 31; Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 8).

Die Wahrung der prozessualen Fristen gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, denen er besondere Sorgfalt widmen muss. Allerdings darf er grundsätzlich die Berechnung und Notierung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten bereitet, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23.06.2011 – 1 B 7.11 – juris Rn. 5, und vom 06.07.2007 – 8 B 51.07 -, juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 32, und Beschluss vom 09.11.2020 – 12 S 1982/20 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9).

Dies findet seine Grenze aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweist. Das gilt etwa für die Frist zur Begründung eines Zulassungsantrags im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof. So läuft nach § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO eine zweimonatige Begründungsfrist, wenn die Berufung bereits in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Bei einer Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht beträgt die Frist zur Begründung der Berufung nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO hingegen einen Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses, der einen Antrag voraussetzt, dessen Stellung und Begründung wiederum gesonderten Fristen unterliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 1 bzw. 4 VwGO). Die Berechnung und Überwachung dieser Fristen bedürfen besonderer Sorgfalt und dürfen daher von einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht vollständig seinem Büropersonal überlassen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9, VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 02.08.2006 – 4 S 2288/05 -, juris Rn. 5, und vom 07.08.2003 – 11 S 1201/03 -, juris Rn. 7; OVG SH, Beschluss vom 03.07.2024 – 5 LB 2/24 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7; OVG Hbg., Beschluss vom 26.10.2022 – 6 Bf 137/22 -, juris Rn. 20; Nds. OVG, Beschluss vom 04.11.2008 – 4 LC 234/07 -, juris Rn. 6; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 28.01.2004 – 10 A 11759/03 -, juris Rn. 18; parallel zur Frist des § 78 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG, mittlerweile AsylG: Senatsbeschluss vom 12.06.2007 – A 9 S 315/07 -, juris Rn. 5; vgl. auch Bier/Steinbeiß-Winkelmann in: Schoch/Schneider, 45. EL Januar 2024, VwGO § 60 Rn. 45). Ein Rechtsanwalt muss durch eine entsprechende Kanzleiorganisation gewährleisten, dass die Überwachung solcher Fristen, die nicht als Routineangelegenheiten behandelt werden dürfen, letztlich eigenverantwortlich ihm obliegt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.12.2023 – 1 A 1840/23 -, juris Rn. 7 m. w. N.).

Nur wenn sich die Abwicklung solcher Verfahren nach den konkreten Verhältnissen in der Rechtsanwaltskanzlei als Routineangelegenheit darstellt, sind geringere Anforderungen zu stellen, allerdings nur in dem Sinne, dass der Rechtsanwalt die Frist nicht selbst berechnen muss, sondern sich auf eine Überprüfung beschränken kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 21.11 -, juris Rn. 23; Senatsbeschluss vom 04.10.2012 – 9 S 859/11 -, juris Rn. 9; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 05.03.1982 – 8 C 159.81 -, juris Rn. 3: „dem Büro geläufige Fristberechnung“; ebenso VGH Bad.-Württ., Urteil vom 21.06.2023 – A 11 S 1695/22 -, juris Rn. 33; OVG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 – 1 A 1756/09 -, juris Rn. 56).

Die eine Wiedereinsetzung beantragenden Beteiligten müssen die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Erforderlich ist eine rechtzeitige, substantiierte und schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.02.2021 – 2 C 11.19 -, juris Rn. 7). Die „Beweislast“ für die Umstände, die dafür sprechen, dass die Fristversäumnis unverschuldet war, liegt bei den Betroffenen, die die Wiedereinsetzung begehren. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht oder bleibt nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung von dem Beteiligten oder dem Prozessbevollmächtigten verschuldet war, so kann Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.09.2023 – 1 C 10.23 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.12.2023 – 1 S 1173/23 -, juris Rn. 19).

b) Nach diesen Maßstäben macht die Klägerin keine Tatsachen glaubhaft, aus denen sich schlüssig ergibt, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO einzuhalten.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muss, erklärt mit Schriftsatz vom 03.11.2023 sinngemäß, er habe sich zwischen dem 21.08.2023 und dem 29.08.2023 im Urlaub befunden. Sein Praktikant M. R., seit Juli 2023 Diplomjurist und außerdem Referendar, habe am 21.08.2023 als Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung irrigerweise den 21.11.2023 eingetragen. Ihm, dem Prozessbevollmächtigten, sei der Fehler am 02.11.2023 zufällig aufgefallen. Die Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristberechnung würden regelmäßig kontrolliert, dabei sei aber die Falschberechnung übersehen worden. Das Eintragen von Fristen sei eine „einfache technische Verrichtung“, die er seinem Praktikanten, der seit Beginn des Studiums in den Semesterferien in seiner Kanzlei mithelfe, überlassen dürfe. Habe er eine Weisung erteilt, könne er sich darauf verlassen, dass diese befolgt werde. Bei dem Praktikanten handele es sich um eine sorgsam ausgewählte Person, die ihre Zuverlässigkeit dadurch unter Beweis gestellt habe, dass sie seit mehreren Jahren „immer und wieder“ mitarbeite und mit „der Fristenproblematik vertraut“ sei. Ein Organisationsverschulden scheide aus, weil die Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten klar abgestimmt worden seien. Dass sein Praktikant der allgemeinen Dienstanweisung hinsichtlich der korrekten Berechnung und Eintragung nicht entsprochen habe, sei ein einmaliges Versehen. Das Vorgetragene versichern der Bevollmächtigte der Klägerin wie auch sein Praktikant an Eides statt.

Unter Berücksichtigung des Vorbringens des Bevollmächtigten der Klägerin und der eidesstattlichen Versicherungen ist davon auszugehen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Berechnung, Eintragung und Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist verstoßen hat. Er legt nicht dar, dass sich die Abwicklung von Berufungszulassungsverfahren vor Oberverwaltungsgerichten in seiner Kanzlei als Routineangelegenheit darstellte bzw. es sich bei der Berechnung der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wegen der Häufigkeit der zu bearbeitenden Berufungszulassungsverfahren um eine in der Rechtsanwaltskanzlei geläufige Fristberechnung handelte und er daher berechtigt gewesen wäre, sich auf eine (ggf. stichprobenartige) Überprüfung der Tätigkeit seines Praktikanten zurückzuziehen. Eine entsprechende schwerpunktmäßige Ausrichtung der Kanzlei ist auch sonst nicht erkennbar. Denn dem Briefkopf zufolge ist der Bevollmächtigte der Klägerin Fachanwalt für Steuerrecht mit den weiteren Schwerpunkten Bau- und Architektenrecht sowie Wirtschaftsrecht. Abgesehen davon legt er nicht dar, dass die Berechnung der Fristen nach § 124a VwGO oder auch nur der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Routine seines Praktikanten gehörte. Das Vorbringen, sein Praktikant, der seit Juli 2023 Diplomjurist sei und seit Beginn dessen Studiums in den Semesterferien bzw. „immer und wieder“ in seiner Kanzlei mithelfe, sei sorgsam ausgewählt, mit „der Fristenproblematik vertraut“ und arbeite seit Jahren unbeanstandet, genügt hierfür ersichtlich nicht. Zwar kann sich ein Rechtsanwalt bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften in der Regel noch mehr als beim Laienpersonal darauf verlassen, dass diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so dass die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20.12.2005 – VI ZB 13/05 -, juris Rn. 6). Gleichwohl ist ein Wissen um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen nicht gleichzusetzen mit einer Routine in der Berechnung der Fristen des § 124a VwGO. Die vom Praktikanten angeblich irrigerweise angenommene Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung von drei Monaten dürfte eher gegen dessen Routine beim Berechnen entsprechender Fristen sprechen. Vor dem Hintergrund des Ausgeführten wäre es die Obliegenheit des Bevollmächtigten gewesen, die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO selbst zu berechnen bzw. rechtzeitig die Fristberechnung zu kontrollieren. Die pauschale Behauptung, er kontrolliere die ordnungsgemäße Führung des Fristenkalenders sowie die ordnungsgemäße Fristenberechnung regelmäßig, habe aber die Falschberechnung übersehen, vermag ihn nicht zu exkulpieren.“

beA-Pflicht im anwaltsgerichtlichen Verfahren ?, oder: AGH Berlin: Ja, versus AGH Hamm: Nein

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Und dann als zweite Entscheidung das AGH Berlin, Urt. v. 18.09.2024 – II AGH 14/23 – zur Frage, welche Formvorschriften im anwaltsgerichtlichen Verfahren gelten.

Das AnwG Berlin hat mit Urteil vom 05.07.2023 gegen einem Rechtsanwalt wegen schuldhaften Verstoßes gegen seine Berufspflichten, und zwar insbesondere, als Inhaber des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten, die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines Verweises sowie einer Geldbuße in Höhe von 3.000,00 EUR verhängt. Dagegen hat der Rechtsanwalt mit per Fax übermitteltem Schriftsatz vom 09.05.2023 Berufung eingelegt. Die Berufung ist gemäß § 322 Absatz 1 StPO als unzulässig verworfen worden:

„II. Die Berufung ist gemäß § 322 Absatz 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Denn sie entspricht nicht den Formerfordernissen des § 32d Satz 2 StPO in Verbindung mit § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO.

1. Nach der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO, welcher gemäß § 116 Absatz 1 Satz 2 BRAO für das anwaltsgerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden ist, müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Berufung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 6 StR 609/23 –, Rn. 4, juris). Diesen Anforderungen entspricht die am 9. Mai 2023 per Fax übermittelte Berufungsschrift nicht (für per Telefax übermittelte Revisionseinlegung: BGH, Beschluss vom 9. August 2022 – 6 StR 268/22 –, Rn. 3, juris). Die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nach § 32d Satz 3 StPO sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ohnehin stellt eine Verzögerung bei der Einrichtung des besonderen elektronischen Anwaltsfachs regelmäßig keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung dar (BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 5 StR 328/22 –, Rn. 2, juris).

2. Dem steht nicht entgegen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt zugleich Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens, mithin nicht für einen Dritten, sondern in eigener Angelegenheit aufgetreten ist (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 14. Juli 2023 – 201 ObOWi 707/23 –, Rn. 5, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2023 – III-4 ORs 62/23 –, Rn. 7, juris; s.a. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2023 – AnwZ (Brfg) 10/23 –, Rn. 8, juris). § 32d StPO gilt für Verteidiger und Rechtsanwälte. Als Rechtsanwalt ist er Betroffener des anwaltsgerichtlichen Verfahrens. Ist er gerade als Rechtsanwalt Beteiligter des Verfahrens, muss er auch die für Rechtsanwälte geltenden zwingenden Formvorschriften einhalten.

3. Entgegen der Rechtsprechung des Anwaltsgerichtshofes Hamm (Urteil vom 21. April 2023 – 2 AGH 10/22 –, Rn. 4, juris) kann der BRAO auch keine Regelung entnommen werden, wonach § 32d Satz 2 StPO im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung finde. Insbesondere kommt § 37 BRAO hierfür nicht in Betracht, weil diese Vorschrift nach gesetzessystematischer als auch historischer Auslegung im anwaltsgerichtlichen Verfahren keine Anwendung findet. Dafür spricht auch der Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.

….“

Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung, oder: Neuer Verkehrsverstoß – Fahrerlaubnis auf Probe

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Im zweiten Posting geht es dann auch noch einmal um die Entziehung der Fahrerlaubnis, aber es handelte sich um einen Fahrerlaubnis auf Probe. Dazu das OVG Münster im OVG Münster, Beschl. v. 30.10.2024 – 16 B 998/23:

„Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

Das fristgerecht eingegangene Beschwerdevorbringen erschüttert nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für die auf § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis der Antragstellerin seien im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Verfügung erfüllt gewesen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Rechtsauffassung der Antragstellerin, dass Verkehrsverstöße unabhängig vom Ablauf der in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG genannten Zweimonatsfrist während der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung grundsätzlich nicht als Grundlage für die Entziehung einer Fahrerlaubnis auf Probe herangezogen werden dürften, finde im Gesetz keine Stütze. Für die von der Antragstellerin vertretene Auffassung geben der Wortlaut und die Konzeption der Vorschrift nichts her. Mit der der Entziehung vorangehenden Verwarnung nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG wird dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe lediglich nahegelegt, innerhalb von zwei Monaten an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. Der Wortlaut von § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG nimmt ausdrücklich Bezug auf diese Zweimonatsfrist und nicht auf die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung. Weder die Teilnahme noch die Nichtteilnahme an einer solchen Beratung haben nach dem Gesetzeswortlaut fahrerlaubnisrechtliche Konsequenzen. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob eine verkehrspsychologische Beratung innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen wird. Begeht der Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe nach Ablauf des Zeitraums von zwei Monaten eine weitere schwerwiegende Zuwiderhandlung oder zwei weitere weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen, ist die Fahrerlaubnis vielmehr unabhängig davon zu entziehen, ob und ggf. wann der Betroffene an einer verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen hat.
Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2a StVG Rn. 38, 46; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 15. November 2023, § 2a StVG Rn. 234, 249, 257.

Zuwiderhandlungen, die von einem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe vor Ablauf der Zweimonatsfrist begangen werden, sind im Hinblick auf § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG dagegen unbeachtlich.
Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 2a StVG Rn. 46; Trésoret, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 15. November 2023, § 2a StVG Rn. 249, 268.

Würde der Ansicht der Antragstellerin gefolgt, dass eine erst nach Ablauf der zwei Monate in Anspruch genommene oder beendete verkehrspsychologische Beratung dazu führt, dass auch ein nach dieser Frist, aber noch während des Zeitraums der Beratung begangener Verkehrsverstoß für die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG irrelevant ist, hätten es Betroffene in der Hand, die Zweimonatsfrist zu verlängern und in dieser Zeit Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr zu begehen, ohne eine Entziehung nach der o. g. Vorschrift fürchten zu müssen. Dies widerspräche den gesetzlichen Vorgaben. Soweit die Antragstellerin auf ihre Ansicht stützende Ausführungen auf einer Internetseite verweist, finden diese keinen Anknüpfungspunkt im Gesetz und sind schon deshalb nicht geeignet, von der Auffassung der Antragstellerin zu überzeugen.

Vor diesem Hintergrund spielt es keine Rolle, dass die Antragstellerin die Beratung, wie sie vorträgt, deshalb nicht innerhalb von zwei Monaten beginnen konnte, weil die Frist in die Vorweihnachtszeit fiel, sie erst das Geld für die Beratung aufbringen musste und der Berater zunächst keine Zeit hatte.

Der Hinweis der Antragstellerin, ihr könne nicht vorgeworfen werden, die Zweimonatsfrist nicht bereits im Vorfeld beim Antragsgegner verlängert zu haben, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Der Antragsgegner hat den Entzug der Fahrerlaubnis auf Probe nicht auf einen solchen Vorwurf gestützt. Im Übrigen legt das Fehlen einer Verlängerungsmöglichkeit dieser gesetzlichen Frist in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG es nicht nahe, dass sie verlängerbar sein könnte,
vgl. dazu Knop, in: Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 2016, § 2a StVG Rn. 31, m. w. N.,
zumal die Nichtteilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung keine rechtlichen Folgen hat. Der von der Antragstellerin angeführte § 224 ZPO betrifft nicht die Frist in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG; die Verlängerungsmöglichkeit in § 31 Abs. 7 VwVfG NRW gilt nur für behördlich gesetzte, nicht für gesetzliche Fristen.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Mai 2006 – 13 B 533/06 -, juris, Rn. 4 ff.

Soweit die Antragstellerin ausführt, sie würde trotz der Teilnahme an der Beratung „exakt so gestellt, wie jemand, der auf die Beratung verzichtet hat“, so trifft dies zu und entspricht der gesetzgeberischen Konzeption des § 2a Abs. 2 StVG.

Der Vortrag der Antragstellerin, es führe zu keinem unerträglichen Zustand, wenn ihr vor einem „endgültigen Beschluss des Gerichts“ die Fahrerlaubnis belassen würde, versteht der Senat dahin, dass ihrer Ansicht nach die allgemeine Interessenabwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu ihren Gunsten ausfallen müsse. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde jedoch nicht zum Erfolg. Denn der Gesetzgeber hat mit dem gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 2a Abs. 6 StVG) einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet und es bedarf deshalb besonderer Umstände, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Solche Umstände hat die Antragstellerin mit ihrer Behauptung, sie sei kein „Verkehrsrowdy“, und mit ihrem Hinweis auf die Gründe ihrer Verkehrsverstöße nicht dargelegt. Denn es entspricht gerade dem Ziel des § 2a StVG, frühzeitig auf Fahranfänger einzuwirken. Es stellt nach der Wertung des Gesetz- und Verordnungsgebers mithin keinen atypischen Umstand dar, dass bereits die von der Antragstellerin als Inhaberin einer Fahrerlaubnis auf Probe begangenen Verkehrszuwiderhandlungen die in § 2a Abs. 2 StVG vorgesehenen Folgen zusammen mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Klage nach § 2a Abs. 6 VwGO nach sich ziehen. Die geschilderten Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Berufs als hauptsächlich in Nachtschichten arbeitende Intensivbeatmungspflegerin gehören zu den typischen Folgen einer sofort vollziehbaren Fahrerlaubnisentziehung, die als solche schon in der gesetzgeberischen Grundentscheidung Berücksichtigung gefunden haben. Sie können daher ebenfalls kein Überwiegen des Interesses der Antragstellerin begründen, vorläufig von der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung verschont zu bleiben.

Soweit die Antragstellerin darüber hinaus auf den gesamten Sachvortrag in der ersten Instanz Bezug nimmt, fehlt es an einer gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderlichen Auseinandersetzung mit der später ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der sich danach ergebende Streitwert von 5.000,- Euro ist nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 sowie § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).“

Neues zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach StVG, oder: Pedelec, Entzugsbehandlung, Schlafapnoe

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Und im „Kessel-Buntes“ heute dann verwaltungsrechtliche Entscheidungen aus dem Verkehrsrecht.

Hier kommen zunächst einige Entscheidungen zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem StVG, und zwar:

Die Fahrerlaubnisbehörde hat anzuordnen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn er ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit die einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt hat. Dies gilt nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad und auch für ein Pedelec, weil dieses einem Fahrrad rechtlich gleichgestellt ist.

Ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, das auch ohne Behandlung keine übermäßige Tagesmüdigkeit zur Folge hat, begründet keinen Eignungsmangel nach Nr. 11.2.3 der Anlage 4 zur FeV und kann keine Kontrollauflage rechtfertigen.

1. Es entspricht gesicherten Erkenntnissen der Alkoholforschung, dass Betroffene mit Blutalkoholkonzentrationen ab 1,6 Promille über deutlich abweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Trinkfestigkeit verfügen.

2. Neben stationären Therapien kommen auch ambulante Maßnahmen von 24 Wochen, ganztägige ambulante Maßnahmen in Tageskliniken an Werktagen über einen Zeitraum von acht bis sechzehn Wochen und stationär-ambulante Kombinationstherapien in Betracht als Entzugsbehandlung in Betracht, nicht aber die stationäre Entgiftung und Nachsorgekontakte, die sporadisch stattfinden und der Rückfallprophylaxe dienen.

Wiedereinsetzung I: Rechtsanwalt verpasst Termin, oder: Verschulden bei falsch geplanter Anfahrt

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen zur Wiedereinsetzung. Die eine kommt vom AGH Hamm, die andere vom OLG Frankfurt am Main.

Ich beginne die Berichterstattung mit dem AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 05.09.2024 – 2 AGH 1/24. In dem Verfahren hatte eine Rechtsanwältin Berufung gegen ein Urteil des AnwG eingelegt. Die ist vom AGH Nordrhein-Westfalen durch Urteil wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung verworfen worden. Die angeschuldigte Rechtsanwältin hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Antrag hatte keinen Erfolg:

„Die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung nach § 116 Abs. 1 S. 2 BRAO i.V.m. § 45 StPO liegen nicht vor. Der Antrag ist zwar fristgerecht innerhalb der Wochenfrist des § 116 Abs. 1 S. 2 BRAO i.V.m. § 45 Abs. 1 StPO gestellt, er ist jedoch zumindest unbegründet.

Es kann dahinstehen, ob der per Telefax gestellte und ausschließlich mit einer anwaltlichen Versicherung zur Glaubhaftmachung eingereichte Wiedereinsetzungsantrag zulässig ist. Denn er ist in jedem Falle nicht begründet.

Ob ein Wiedereinsetzungsantrag im vorliegenden Falle rechtswirksam per Telefax eingereicht werden konnte oder ob es einer Übermittlung an den Senat per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) bedurft hätte, kann mithin dahinstehen. Eine zwingende Verpflichtung zur Einreichung per beA für die Einhaltung der Schriftform i.S. einer Wirksamkeitsvoraussetzung ergibt sich ausschließlich aus § 32d S. 2 StPO für die dort abschließend aufgezählten Anträge und Erklärungen (Köhler, in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 32d Rn. 1). Ein Wiedereinsetzungsantrag wird von dieser Enumeration erkennbar nicht umfasst. Eine Verpflichtung zur Einreichung von Wiedereinsetzungsanträgen per beA bestünde im anwaltsgerichtlichen Verfahren mithin nur dann, wenn die „entsprechende“ Anwendung dieser Vorschrift nach § 116 BRAO über ihren gesetzlich abschließend formulierten Katalog hinaus Ausdehnung erforderte. Soweit § 32d S. 1 StPO bestimmt, dass Verteidiger und Rechtsanwälte u.a. schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln „sollen“, ist dies – im abgrenzenden Lichte des dortigen S. 2 – nicht zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. Köhler a.a.O., „Regelfall“). Denn auch wenn im Übrigen – getreu der Regel „soll heißt muss, wenn kann“ – grundsätzlich ein „Sollen“ im Sinne eines „Müssen“ zu verstehen ist, so könnte namentlich der prozessuale Ausnahmefall des Wiedereinsetzungsgesuches als einer Art Notmaßnahme zur Rückerlangung einer dem Anschein nach bereits verloren gegangenen Rechtsposition der gerichtlichen Fairness halber zu einer weniger formenstrengen Auslegung Veranlassung geben. Dies gilt namentlich in Ansehung des Umstandes, dass die Einlegung der Berufung selbst nach der Rechtsprechung des Senates einer Nutzung des beA nicht zwingend bedarf. Mithin liegt nicht nahe, für den bloßen Wiedereinsetzungsantrag strengere Regeln zur Anwendung zu bringen als für das den Rechtszug ursprünglich eröffnende Rechtsmittel. Auch § 32a Abs. 1 StPO spricht ersichtlich nur davon, dass elektronische Dokumente bei u.a. Gerichten nach Maßgabe der folgenden Absätze eingereicht werden „können“. Letztlich spricht also gesamthaft eher mehr dafür als dagegen, dass die erforderliche Schriftform auch durch ein Telefax gewahrt werden kann (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. § 45 Rn. 1 i.V.m. Einl Rn. 128).

Desgleichen kann dahinstehen, ob es im anwaltsgerichtlichen Verfahren für die nötige Glaubhaftmachung der dem Wiedereinsetzungsgesuch zugrundeliegenden Tatsachen hinreicht, sie anwaltlich als richtig zu versichern. Im Strafprozess reicht eine eigene eidesstattliche Versicherung des Angeklagten nicht als Mittel der Glaubhaftmachung aus, da sie nicht über den Wert einer eigenen (einfachen) Erklärung hinausgeht (Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 45 Rn. 8 mit Verweis auf BGH vom 12.3.2014 zu 1 StR 74/14). In diesem Verständnis müsste vorliegend also bereits von einer Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages ausgegangen werden. Gegen eine solche schematische Übertragung der strafprozessualen Regel auf das anwaltsgerichtliche Verfahren spricht indes, dass der beschuldigte Rechtsanwalt Organ der Rechtspflege ist. Er legt also mit einer etwaigen anwaltlichen Versicherung infolge der ihm bekannten Rechtsfolgen einer unrichtigen Versicherung regelhaft mehr in die Waagschale der Glaubwürdigkeitsabwägung als der strafprozessual Angeklagte.

Das Wiedereinsetzungsgesuch ist jedoch bei allem jedenfalls unbegründet.

Eine Rechtsanwältin, die weiß, um 13.00 Uhr in Hamm (Westf.) zu einem Termin erscheinen zu müssen, handelt sorgfaltswidrig, wenn sie erst 75 Minuten zuvor mit dem Pkw von C. aus zu diesem Termin aufbricht. Für eine Autofahrt von 75 Kilometern zwischen Kanzlei und Gerichtsgebäude nur 75 Minuten Fahrtzeit einzuplanen, setzt für ein rechtzeitiges Erreichen des Zielortes schon rein rechnerisch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h voraus. Innerstädtisch ist diese Geschwindigkeit nicht gestattet; dortige Verzögerungen müssten also außerorts vollständig kompensiert werden, was an einem Freitagmittag – quer durch das gerichtsbekannt aktuell zusätzlich von Baustellen durchzogene Ruhrgebiet – von vornherein ausgeschlossen erscheint. Eine solche Planung der Anfahrzeit ist namentlich dann unzureichend, wenn die Rechtsanwältin – wie der Antragstellerin nach eigenem Vortrag schon bei Fahrtantritt positiv bekannt war – nicht über ein funktionsfähiges Mobiltelefon verfügt, mit dem sie eine etwaige unvorhersehbare Verzögerung an das Gericht mitteilen könnte. Zu den zumutbaren Maßnahmen für den Rechtsanwalt zählt im Übrigen auch, notfalls eine Tankstelle oder ein Rastplatz anzufahren, um das Gericht von dort aus über eine drohende verspätete Ankunft telefonisch zu unterrichten (vgl. OLG Celle, Urteil vom 24.06.2004, 11 U 57/04, NJW 2004, 2534). Eine solche potentielle Verzögerung für das Erreichen des Gerichtssaales lag zudem auch in dem Umstand, dass die bloße Anfahrt an das Gerichtsgebäude mit einem Zutritt zu dem Gerichtssaal notwendig nicht identisch ist. Für das Parken des eigenen Pkw und für den Fußweg von dem Parkplatz in den Saal hätte eine sorgfältige Planung weitere Zeiträume berücksichtigen müssen. Zu einer weiteren, mehrminütigen Verzögerungen im Eingangsgereich zum Gerichtsgebäude an einer Gerichtspforte kommt es infolge Personenprüfung für Rechtsanwälte gerichtsbekannt überdies nur dann, wenn sie ihren Anwaltsausweis nicht präsentieren können. Das Mitführen des Rechtsanwaltsausweises ist eine Sorgfaltspflicht, die auch dem hindernisfreien und mithin rechtzeitigen Zugang zu dem Gerichtssaal zu dienen bestimmt ist. Weiß ein Rechtsanwalt, dass er seinen Rechtsanwaltsausweis nicht bei sich führt, hat er dies bei seiner Anreiseplanung zeitlich einzukalkulieren. Führt er seinen Ausweis unwissentlich nicht bei sich, hat er sich vorhalten zu lassen, insoweit nicht ordnungsgerecht für den Zutritt zu Gericht vorbereitet gewesen zu sein. Das gilt namentlich dann, wenn der Rechtsanwalt nicht einmal hoffen kann, Bediensteten in der Sicherheitsschleuse von Person bekannt zu sein. Genau hiervon war im vorliegenden Fall aber für die Antragstellerin auszugehen, die nach eigenem Vortrag im Anschluß an das Betreten des Gerichtsgebäudes zunächst noch fußläufig in einen unzutreffenden Gebäudetrakt ging, bis sie den Saal schlußendlich mit knapp dreiviertelstündiger Verspätung gegenüber der Ladungszeit erreichte. Nur der Ortsunkundige verläuft sich in einem Gerichtsgebäude. Ortsunkundige sind bei Gericht aber denknotwendig nicht erwartbar von Person bekannt. Folglich schied für die Antragstellerin auch a priori aus, eine ausweislos zügige Zugangsabwicklung in das Gerichtsgebäude erhoffen zu können. Dass sie allerdings auch ihr persönlich unbekannte Justizmitarbeiter in der Sicherheitsschleuse hätte fragen können, wie sie den angezielten Saal schnellstens würde erreichen können, liegt zusätzlich auf der Hand. Nach allem kann dahinstehen, ob die Antragstellerin mithin tatsächlich bereits – wie sie versichert – um 11.45 Uhr zu ihrer Anreise aufgebrochen ist oder ob sie die später noch an das Gericht und ihren Pflichtverteidiger faxschriftlich versandten Schriftsätze in C. selbsthändig verschickt haben könnte.“

Die Ausführungen des AGH zur Zulässigkeit kann man auch in anderen Verfahren anwenden, die zur Begründetheit immer dann, wenn das Verschulden des Rechtsanwalts dem Mandanten zugerechnet wird.