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StPO I: Beweisverwertung + Verlesungsfragen, oder: Auch die StA „kann“ keine Verfahrensrügen

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Ich stelle heute StPO-Entscheidungen vor, und zwar alle drei zur Verfahrensrüge.

Den Opener macht das BGH, Urt. v. 13.03.2024 – 5 StR 273/23. Das LG hatte den Angeklagten vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Sachrüge Erfolg hatte. Mit ihren Verfahrensrügen ist die Staatsanwaltschaft allerdings gescheitert:

„1. Die Verfahrensrügen dringen allerdings nicht durch, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechen und daher unzulässig sind.

a) Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2023 – 6 StR 417/22, NStZ-RR 2023, 284 mwN). Diese Anforderungen gelten gleichermaßen und unterschiedslos für jeden Beschwerdeführer, sei es der Angeklagte, der Nebenkläger oder – wie hier – die Staatsanwaltschaft.

b) Die Staatsanwaltschaft wird dem für keine der erhobenen Verfahrensbeanstandungen gerecht.

aa) Soweit sie eine Verletzung des § 261 StPO rügt, weil das Landgericht zu Unrecht angenommen habe, die bei der Durchsuchung des am Tattag vom Angeklagten genutzten Autos aufgefundenen Beweise (rund 65 Gramm Kokain, ein Mobiltelefon des Angeklagten) seien nicht verwertbar, beschränkt sich ihr Revisionsvortrag darauf, die Urteilsgründe auszugsweise wiederzugeben und in Bezug zu nehmen. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Wird beanstandet, das Tatgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des Richtervorbehalts nach § 105 Abs. 1 StPO angenommen, weil das Ergebnis der Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer Tataufklärung und dem Individualinteresse des Betroffenen an der Wahrung seiner Rechtsgüter den Angeklagten rechtsfehlerhaft begünstige, müssen jedenfalls alle Polizeiberichte und andere Unterlagen vorgelegt werden, die mit der Durchsuchungsmaßnahme im Zusammenhang stehen. Denn nur auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes prüfen, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich oder gar willkürlich begangen wurde. Dies wiederum ist aber für die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes von entscheidender Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 – 6 StR 319/21, NStZ 2022, 125; Beschluss vom 5. April 2022 – 3 StR 16/22, NJW 2022, 2126, 2128).

Dementsprechend hätte die Revision sowohl den in den Urteilsgründen erwähnten polizeilichen Einsatzplan zum Tattag und die Ergebnisse der am gleichen Tag durchgeführten Observation des Angeklagten als auch den Durchsuchungsbericht mitteilen müssen. Das Gleiche gilt für die – ebenfalls in den Urteilsgründen in Bezug genommene – gegen den gesondert verfolgten Bruder des Angeklagten gerichtete richterliche Anordnung zur Durchsuchung der Gartenparzelle nebst Kraftfahrzeugen. Denn auch daraus könnten sich Umstände ergeben, die bei der Prüfung eines Beweisverwertungsverbots vom Senat heranzuziehen gewesen wären.

Daran ändert auch nichts, dass das Landgericht in den Urteilsgründen rechtlich nicht gebotene Ausführungen zu Verfahrensstoff gemacht hat, der für ein Verwertungsverbot relevant sein kann. Zwar können zur Ergänzung der Verfahrensrüge die Urteilsausführungen herangezogen werden, da das Revisionsgericht die Urteilsgründe bei einer umfassend erhobenen Sachrüge ohnehin zur Kenntnis nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2018 – 4 StR 524/17; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 344 Rn. 21a). Der Umstand, dass die Urteilsgründe Ausführungen dazu enthalten, warum die Beweise aus der Durchsuchung des Autos aus Sicht der Strafkammer nicht erhoben oder verwertet werden durften, befreit den Beschwerdeführer aber nicht von der Verpflichtung zu einem geordneten Vortrag der den geltend gemachten Verfahrensmangel begründenden Tatsachen im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dies folgt schon daraus, dass Ausführungen zu Verfahrensvorgängen im Urteil rechtlich nicht geboten sind und die vollständige Wiedergabe der maßgeblichen Verfahrensvorgänge in den Urteilsgründen mithin nicht gewährleistet ist. Zudem sind Feststellungen des Tatgerichts für das Revisionsgericht nicht bindend; vielmehr ist seine tatsächliche Sicht der Verfahrensvorgänge die allein maßgebliche (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2018 – 2 StR 131/18, NStZ 2019, 107, 108).

bb) Soweit die Staatsanwaltschaft eine Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO rügt, weil das Landgericht ihren Antrag auf Verlesung dreier Gutachten über DNA-Spurentreffer abgelehnt hat, teilt sie – worauf der Generalbundesanwalt zu Recht hingewiesen hat – zahlreiche Unterlagen nicht mit, die in dem Beweisantrag und dem Ablehnungsbeschluss aufgeführt sind. Insbesondere werden die Gutachten zu den Spurentreffern und der Beschluss des Amtsgerichts Kiel nicht vorgetragen.“

Ähnlich im BGH, Urt. 30.04.2024 – 1 StR 426/23:

„b) Die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

aa) Die Staatsanwaltschaft rügt, das Landgericht habe zu Unrecht den Inhalt einer im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunde im Urteil nicht erörtert. Sie teilt aber weder den Inhalt der von der Verteidigung herbeigeführten Entscheidung des Gerichts (§ 238 Abs. 2 StPO) über die Selbstleseanordnung noch eine gegen diese Entscheidung erhobene Gegenvorstellung und die Entscheidung hierüber mit. Vortrag hierzu war nicht etwa, wie die Revision meint, deswegen entbehrlich, weil die Rüge nicht die Durchführung des Selbstleseverfahrens, sondern die Frage der gebotenen Verwertung einer durch das Selbstleseverfahren eingeführten Urkunde betraf. Die Verwertung setzt die ordnungsgemäße Anordnung und Durchführung des Selbstleseverfahrens voraus.

Man sieht: Auch für die Staatsanwaltschaft sind Verfahrensrügen „schwierig“ 🙂 .

StPO I: Zwei Wege zur Bestellung eines Dolmetschers, oder: (K)Ein gemeinschaftlicher Nebenklägerbeistand

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Ich beginne dann die 36. KW. mit StPO-Entscheidungen.

Hier kommen zunächst zwei Entscheidungen des BGH, die beide in einem Sicherungsverfahren ergangen sind.

In dem BGH, Beschl. v. 08.07.2024 – 5 StR 236/24 – hat der BGH, dem Beschuldigten für ein Mandantengespräch mit seinem Verteidiger einen Dolmetscher beigeordnet:

„Dem über seinen Verteidiger gestellten Antrag des Beschuldigten vom 5. Juli 2024 ist zu entsprechen.

Gemäß § 187 Abs. 1 Satz 1 GVG zieht das Gericht für einen Beschuldigten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, einen Dolmetscher oder Übersetzer heran, soweit dies zur Ausübung seiner strafprozessualen Rechte erforderlich ist. Die Norm gilt – wie hier – auch für interne Besprechungen mit dem Verteidiger, etwa zur Vorbereitung von Anträgen und Prozesserklärungen im Rechtsmittelverfahren (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 187 Rn. 6).

Da der Verteidiger ausdrücklich die „unentgeltliche Beiordnung“ beantragt hat, ist der Dolmetscher unmittelbar zu bestellen (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 187 Rn. 9; BeckOK GVG/Allgayer, 23. Ed., § 187 GVG Rn. 5; OLG Celle, Beschluss vom 9. März 2011 – 1 Ws 102/11; vgl. zur alternativ möglichen Feststellung der Erforderlichkeit einer Eigenbeauftragung des Dolmetschers durch den Pflichtverteidiger gemäß § 46 Abs. 2 RVG mit späterer Geltendmachung der Auslagen im Vergütungsfestsetzungsverfahren auch Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 187 Rn. 23, 24).“

Also, weil die Fragen immer wieder kommen: Es gibt zwei Wege, die der BGH aufzeigt.

In dem Verfahren ist dann auch der BGH, Beschl. v. 30.07.2024 – 5 StR 236/24 – ergangen, in dem der BGH zur Bestellung eines gemeinschaftlichen Beistands für die Eltern eines Getöteten kurz Stellung genommen hat, und zwar wie folgt:

„Die Anschlussberechtigung des U. Z. als Vater der getöteten N. Ze. folgt aus § 395 Abs. 1 iVm Abs. 2 Nr. 1 StPO; sein Anspruch auf Beistandsbestellung ergibt sich aus § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Von der Bestellung eines gemeinschaftlichen Beistands für beide Elternteile gemäß § 397b Abs. 1 StPO hat der Senat angesichts des zwischen diesen bestehenden Konflikts keinen Gebrauch gemacht.“

 

 

Corona II: Reisestorno wegen Corona-Warnung, oder: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um

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Und dann im zweiten „Corona-Posting“ die zivilrechtliche Entscheidung. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 09.07.2024 – X ZR 101/23. Es geht um die Stornierung einer Reise wegen der Covid-19-Pandemie und die Rückzahlung einer Anzahlung für diese Pauschalreise.

Die Klägerin verlangt die Rückzahlung einer Anzahlung, die sie für für eine Pauschalreise gezahlt hat. Die Klägerin hatte am 01.07.2021 bei der Beklagten für sich und eine weitere Mitreisende zum Gesamtpreis von 1.552 EUR eine Flugreise mit Hotelaufenthalt und Verpflegung nach Palma de Mallorca gebucht. Die Reise sollte vom 30.07.2021 bis zum 06.082021 stattfinden sollte. Die Klägering leistete auf den Reisepreis eine Anzahlung von 1.242 EUR.

Nach dem geschlossenen Vertrag konnte die Reise bis 21 Tage vor Reiseantritt kostenlos storniert und bis 14 Tage vorher gebührenfrei umgebucht werden. Im Übrigen sollten die AGB der Beklagten gelten. Diese sehen eine Stornierungspauschale vor, und zwar bei einem Rücktritt des Reisenden bis vier Tage vor Reiseantritt 75 % des Reisepreises und ab drei Tage vor Reiseantritt 80 %.

Am 09.07.2021 stufte das RKI Spanien einschließlich der Balearen als Risikogebiet ein. Am 23.07. 2021 kündigte das Institut die Einstufung als Hochrisikogebiet ab dem 27.07.2021 an und das Auswärtige Amt hat eine Reisewarnung ausgesprochen.

Am 26.07.2021 stornierte die Klägerin die Reise unter Bezugnahme auf diese Maßnahmen und forderte die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung auf. Die Beklagte teilte der Klägerin am gleichen Tag mit, infolge des Rücktritts falle eine Stornierungsgebühr in Höhe von 1.164 EUR an.

Mit ihrer Klage hat verlangte die Klägerin u.a. die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung. Das AG hat die Beklagte zur Zahlung von 78 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin ihr Begehren in voller Höhe weiterverfolgt. Das LG hat der Klägerin die Verzugspauschale sowie einen Teil der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zugesprochen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt, ohne Erfolg:

„2. Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage in dem zweitinstanzlich verfolgten Umfang dennoch unbegründet ist, weil die Beklagte dem Anspruch auf Erstattung der Anzahlung einen Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann und dieser Anspruch im Streitfall nicht nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB ausgeschlossen ist.

a) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Covid-19-Pandemie im Streitfall einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.

Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand bewertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 28. März 2023 – X ZR 78/22, NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom 14. November 2023 – X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom 23. Januar 2024 – X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn 17).

Dies gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im Juli und August 2021 (BGH, Urteil vom 14. November 2023 – X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 19).

b) Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass im Streitfall keine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zu besorgen war.

aa) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass für die Frage, ob eine erhebliche Beeinträchtigung besteht, von Bedeutung sein kann, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren.

Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann eine erhebliche Beeinträchtigung jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn bei Vertragsschluss Umstände vorliegen oder absehbar sind, die der Durchführung der Reise zwar nicht zwingend entgegenstehen, aber doch so gravierend sind, dass nicht jeder Reisende die damit verbundenen Risiken auf sich nehmen möchte. Einem Reisenden, der in einer solchen Situation eine Reise bucht, ist es in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken zum Zeitpunkt des Reisebeginns fortbestehen (BGH, Urteil vom 19. September 2023 – X ZR 103/22, NJW-RR 2023, 1540 Rn. 41).

Absehbar in diesem Sinne ist ein Risiko nicht nur dann, wenn es im Zeitpunkt der Buchung nahezu unausweichlich erscheint, dass sich das Risiko bis zum geplanten Beginn der Reise verwirklichen wird. Ausreichend ist vielmehr, wenn im Zeitpunkt der Buchung ungewiss ist, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen kommt.

bb) Vor diesem Hintergrund ist die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass die im Streitfall vorliegenden Umstände nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB geführt haben, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

(1) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Reisewarnung des Auswärtigen Amts zwar Indizwirkung zukommt, hieraus aber nicht zwingend folgt, dass eine erhebliche Beeinträchtigung zu bejahen ist.

(2) Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es dem Reisenden in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn bereits bei Buchung der Reise eine Reisewarnung bestanden hat, diese auch bei Reisebeginn weiterhin oder wieder besteht und die Risikolage sich nicht wesentlich verändert hat (BGH, Urteil vom 19. September 2023 – X ZR 103/22, NJW-RR 2023, 1540 Rn. 41).

(3) Im Streitfall hat sich die Risikolage zwischen dem Zeitpunkt der Buchung und dem Zeitpunkt des vorgesehenen Reisebeginns zwar verändert. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war aber bereits bei Buchung aus allgemein zugänglichen Informationsquellen ersichtlich, dass aufgrund des Verhaltens von Urlaubern auf Mallorca ein schneller Anstieg der damals noch relativ geringen Infektionsraten befürchtet wurde.

Diese Feststellungen tragen die vom Berufungsgericht vorgenommene tatrichterliche Würdigung, dass die spätere Entwicklung schon bei Buchung absehbar war. Den Feststellungen ist zwar nicht zu entnehmen, dass ein schneller Anstieg der Inzidenzen, die Einstufung als Risiko- bzw. Hochrisikogebiet und eine Reisewarnung im Zeitpunkt der Buchung als nahezu unausweichlich erschienen. Aus ihnen ergibt sich aber, dass ein Zustand der Ungewissheit bestand, der eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für kurzfristige Veränderungen dieser Art begründete.

c) Entgegen der Auffassung der Revision sind die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Entschädigungsanspruchs gemäß § 651h Abs. 3 BGB auch nicht deshalb gegeben, weil die Beklagte unter diesen Umständen verpflichtet gewesen wäre, das Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Pauschalreisevertrags abzulehnen oder die Reise erst gar nicht anzubieten.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts stand die Einstufung als Risiko-, Hochinzidenz- oder Hochrisikogebiet einer Durchführung der Reise im Streitfall nicht entgegen. Die Konsequenzen einer solchen Einstufung, insbesondere damit verbundene Beschränkungen während des Aufenthalts oder nach der Rückkehr, mögen dennoch von zahlreichen Reisenden als so schwerwiegend eingeschätzt werden, dass sie von einem Antritt der Reise absehen. Auch in Fällen, in denen schon bei Buchung zu erwarten oder zumindest konkret damit zu rechnen ist, dass es zu solchen Beschränkungen kommen kann, ist es dem Reiseveranstalter indes nicht verwehrt, eine Buchung anzubieten.“

Mich überrascht die Entscheidung nicht. Einem Reisenden, der nach Beginn der Pandemie eine Reise gebucht hat, ist es m.E. zur Recht in der Regel zumutbar, die Reise auch dann anzutreten, wenn die im Zeitpunkt der Buchung bestehenden oder absehbaren Risiken fortbestehen. es war doch zu der Zeit überhaupt nicht vorhersehbar, wie sich die Pandemie entwickeln würde. Eigenes Risiko eben.

Verkehrsrecht I: Straßenverkehrsgefährdung, oder: Flucht vor Polizeikontrolle

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Heute gibt es dann einen „Verkehrsrechts-Donnerstag“.

An dem macht der BGH, Beschl. v. 19.06.2024 – 4 StR 73/24 – den Opener. Das LG hatte den Angeklagten auch wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB verurteilt. Insoweit hat der BGH aufgehoben:

2. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten A. hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand. Die Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB im Fall II.4. der Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen.

a) Nach diesen steuerte der Angeklagte im öffentlichen Straßenverkehr einen Mietwagen, in dessen Besitz er unrechtmäßig gelangt war und der außer ihm mit drei weiteren Insassen besetzt war. Als das Fahrzeug einer Polizeikontrolle unterzogen werden sollte, flüchtete der Angeklagte mit stark überhöhter Geschwindigkeit und unter Missachtung von Verkehrsregeln. Während seiner Fluchtfahrt hielt er es für möglich, dass seine gefährliche Fahrweise zu einem Unfall und damit zu einer Verletzung seiner Mitinsassen führen könnte, ordnete deren Gesundheit jedoch seinem Fluchtziel unter. Im Bereich einer rechtwinklig verlaufenden Linkskurve, wo die Einsicht in die nach links weiterführende Straße durch eine „heckenähnliche Anpflanzung verschiedener Bäume“ am Straßenrand fast vollständig verdeckt war, befand sich eine Verkehrsinsel, über die ein Fahrradweg führte. Dort kam der Angeklagte „aufgrund seiner grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrweise in Form einer nach wie vor deutlich überhöhten Geschwindigkeit“ von der Fahrbahn ab und der von ihm gesteuerte Mietwagen kollidierte mit dem Bordstein der Verkehrsinsel, wodurch beide rechte Reifen des Fahrzeugs beschädigt wurden. Der Angeklagte verlor die Kontrolle über dieses, so dass es beinahe zu der Kollision mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer gekommen wäre. Er setzte seine Flucht gleichwohl fort, konnte kurz darauf aber von der Besatzung des ihn verfolgenden Polizeiwagens gestellt werden, wobei eine Polizeibeamtin verletzt wurde.

b) Diese Feststellungen belegen die Voraussetzungen einer (vorsätzlichen) Gefährdung des Straßenverkehrs im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB nicht. Denn sie ergeben nicht, dass der von dem Straftatbestand vorausgesetzte Gefahrerfolg eingetreten und gerade durch die Tathandlung bewirkt worden ist.

aa) Die Vorschrift des § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschluss vom 2. Februar 2023 – 4 StR 293/22 Rn. 5 mwN).

Hieran gemessen fehlt es an Feststellungen, die den tatbestandsmäßigen Gefährdungserfolg belegen. Das Landgericht hat in seiner rechtlichen Würdigung darauf abgestellt, dass der Kontrollverlust des Angeklagten über das Fahrzeug dessen Kollision mit dem Bordstein der Verkehrsinsel zur Folge gehabt habe, was zum Platzen zweier Reifen geführt „und damit Leib und Leben der Fahrzeuginsassen in die konkrete Gefahr einer Verletzung gebracht“ habe. Dabei hat das Landgericht zwar zutreffend angenommen, dass die Mitfahrer des Angeklagten A.    – anders als das von ihm geführte fremde Fahrzeug – vom Schutzbereich des § 315c Abs. 1 StGB erfasst waren, denn sie hatten nach den Feststellungen weder in die Rechtsgutsgefährdung eingewilligt noch waren sie tatbeteiligt (vgl. zu beiden Tatobjekten nur BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12 Rn. 5 f. mwN). Letzteres würde auch dann gelten, wenn der festgestellte Umstand, dass einer der Mitfahrer das Geschehen mit seinem Mobiltelefon filmte, die Annahme einer psychischen Beihilfe tragen sollte; denn diese würde eine Tatbeteiligung jedenfalls der weiteren Mitinsassen des Fahrzeugs nicht begründen können.

Allerdings kann den Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden, dass das Kollisionsgeschehen an der Verkehrsinsel oder eine andere während der Fahrt eingetretene Situation die Fahrzeuginsassen in eine den obigen Anforderungen entsprechende Schadensnähe brachte, sie also nicht nur abstrakt, sondern konkret an Leib oder Leben gefährdet waren. Feststellungen dazu, welche körperliche Wirkung der Anstoß des Fahrzeugs an den Bordstein der Verkehrsinsel – der zwar zu einem Reifenschaden führte, die Fahrtauglichkeit des Mietwagens aber nicht aufhob – auf die Mitfahrer des Angeklagten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen.

bb) Ungeachtet dessen kann den Urteilsgründen auch nicht entnommen werden, dass ein etwaiger Gefährdungserfolg gerade auf der Tathandlung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB beruhte. Diese hat die Jugendkammer zwar rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Urteilsgründe ergeben ohne weiteres, dass der Angeklagte A.   im Bereich der Verkehrsinsel grob verkehrswidrig und rücksichtslos zu schnell fuhr und – in ihrem Gesamtzusammenhang – auch dass es sich hierbei um eine unübersichtliche Stelle im Sinne der Strafvorschrift handelte. Der objektive Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB („und dadurch“) setzt aber darüber hinaus voraus, dass die konkrete Gefahr in einem inneren Zusammenhang mit den Risiken steht, die von der unübersichtlichen Stelle typischerweise ausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2019 – 4 StR 130/19 Rn. 16 mwN). Dieser Gefahrverwirklichungszusammenhang ergibt sich aus den Feststellungen des Landgerichts nicht. Danach kam der Angeklagte im Bereich der Kurve, in der sich die Verkehrsinsel befand, aufgrund seiner deutlich überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab und kollidierte mit dem Bordstein. Dass diese Kollision durch die Unübersichtlichkeit der Unfallstelle – etwa durch ein hieraus resultierendes Übersehen der Verkehrsinsel – wenigstens mitverursacht wurde, ist damit nicht festgestellt.

cc) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang hinsichtlich des Eintritts einer konkreten Gefahr im Sinne von § 315c Abs. 1 StGB und ihrer Verursachung noch ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die zur Annahme einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB führen. Er lässt daher die tateinheitlich erfolgte Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs im Wege der Schuldspruchänderung analog § 354 Abs. 1 StPO entfallen.“

Pflichti I: Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, oder: Voraussetzungen für einen Sicherungsverteidiger

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Ich stelle heute dann mal wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen vor. Im Moment ist an der „Front“ allesdings Ruhe, Ich heb nicht so viel Entscheidungen vorliegen wie noch vor einiger Zeit.

ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 26.06.2024 – StB 35/24 -, der sich noch einmal zur Entbindung des Pflichtverteidigers äußert. Es handelt sich um ein Verfahren in Zusammenhang mit der (versuchten) Erstürmung des Reichstagsgebäudes.

Der Vorsitzendes des OLG-Senats hatte den Antrag auf Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte. Der BGH führt aus:

„Die gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO statthafte, fristgerechte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO) hat den Antrag auf Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt T. zu Recht abgelehnt. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Auch im Übrigen besteht kein Anlass zur Aufhebung der Verteidigerbeiordnung gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO.

1. a) Nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet ist. Mit dieser am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Vorschrift (BGBl. I S. 2128, 2130, 2134) sollten zwei von der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannte Fälle des Rechts auf Verteidigerwechsel normiert werden. Deshalb kann für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zu bejahen ist, auf die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 48). Danach ist anerkannt, dass Maßstab für die Störung des Vertrauensverhältnisses die Sicht eines verständigen Angeklagten und eine solche von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2020 – StB 4/20, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Aufhebung 2 Rn. 6 f. mwN).

b) Daran gemessen ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kein Grund für eine Rücknahme der Verteidigerbestellung. Aus den zutreffenden und auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens fortgeltenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die Bezug genommen wird, ist weder von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen, noch ist das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung erkennbar (§ 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO). Ergänzend ist nur Folgendes auszuführen:

aa) Es ist schon nicht ersichtlich, dass die behauptete Unkenntnis des Angeklagten von seiner Kostentragungspflicht für die angefallenen Pflichtverteidigergebühren eine grobe Pflichtverletzung von Rechtsanwalt T. darstellt. Hinzu kommt, dass der Angeklagte Rechtsanwalt T. zuvor selbst bevollmächtigt hatte. Dem Angeklagten war damit bewusst, dass er für dessen Tätigkeit als Wahlverteidiger honorarpflichtig ist. Die nachfolgende Beiordnung wurde sodann mit Zustimmung des Angeklagten vorgenommen. Hierdurch ist er auch vor dem Hintergrund nicht beschwert, dass er etwaig zu einem späteren Zeitpunkt mit den Kosten des Pflichtverteidigers belastet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2023 – StB 27/23).

bb) Der weiterhin behauptete Umstand, Rechtsanwalt T. habe hohe Honorarforderungen gestellt und seine Tätigkeiten als Wahlverteidiger später überhöht abgerechnet, begründet weder einen Vertrauensverlust noch eine grobe Pflichtverletzung. Zwar kommt die Zurücknahme der Beiordnung wegen einer Störung des Vertrauensverhältnisses in Betracht, wenn der Pflichtverteidiger den Angeklagten ungeachtet dessen erklärter Ablehnung wiederholt bedrängt, eine schriftliche Vereinbarung über ein Honorar abzuschließen, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigen würde, und hierbei zum Ausdruck bringt, ohne den Abschluss dieser Vereinbarung sei seine Motivation eingeschränkt, für den Angeklagten tätig zu werden (vgl. KG, Beschluss vom 23. Januar 2012 – 4 Ws 3/12, StV 2013, 142, 143; KK-StPO/Willnow, 9. Aufl., § 143a Rn. 12). Indes ist dem Vortrag des Angeklagten bereits ein derartiges pflichtwidriges Verhalten von Rechtsanwalt T. nicht zu entnehmen. Dessen Honorarforderungen standen zudem im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Wahlverteidiger und lagen zeitlich vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger.

cc) Ferner rechtfertigen die vom Angeklagten vorgetragenen Umstände zum Schließfach in der Sch. nicht die Rücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt T. . Dass sich dieser zumindest vorübergehend gehindert sah, auf Wunsch des Angeklagten und seines Wahlverteidigers den Schlüssel für das Schließfach an den Sohn des Angeklagten auszuhändigen, erscheint in der konkreten Konstellation vertretbar. Im Übrigen gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Pflichtverteidiger von der Unrichtigkeit seiner Angaben überzeugt war, das Schließfach sei von den Ermittlungsbehörden aufgebohrt worden.

2. Die Bestellung von Rechtsanwalt T. zum Pflichtverteidiger ist auch nicht gemäß § 143a Abs. 1 Satz 1 StPO aufzuheben, weil der Angeklagte mit Rechtsanwalt Dr. S. einen anderen Verteidiger gewählt hat. Denn es begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts die Aufrechterhaltung der Beiordnung von Rechtsanwalt T. als Pflichtverteidiger gemäß § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO aus den Gründen des § 144 StPO weiterhin für erforderlich gehalten hat.

a) Nach § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. März 2024 – StB 19/24, NStZ-RR 2024, 178, 179; vom 5. Mai 2022 – StB 12/22, juris Rn. 12; vom 24. März 2022 – StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 – StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).

Bei der Entscheidung über die Bestellung eines Sicherungsverteidigers kommt dem hierzu gemäß § 142 Abs. 3 StPO berufenen Richter ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Dessen Beurteilung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert, kann das Beschwerdegericht daher nur beanstanden, wenn sie sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren hält; anderenfalls hat es sie hinzunehmen (vgl. zur Fallkonstellation der Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 – StB 12/22, juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 – StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 18).

b) Gemessen daran ist gegen das Vorgehen des Vorsitzenden nichts zu erinnern. Zwar fehlt es an einer ausdrücklichen Erörterung des § 144 StPO in den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich jedoch, dass der Vorsitzende die Verfahrenssicherung im Blick gehabt und nach den dargelegten Maßstäben keinen Anlass gesehen hat, Rechtsanwalt T. zu entpflichten. Der Vorsitzende ist im Rahmen der Beurteilung des Entpflichtungsgrundes nach § 143a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO auf entsprechende sachliche Gesichtspunkte eingegangen. Seine daraus hervorgehende Wertung, die Rechte des Angeklagten an einer effektiven Verteidigung (s. Art. 6 Abs. 3 Buchst. c EMRK) geböten aufgrund des außergewöhnlich umfangreichen und schwierigen Verfahrens die Bestellung von zwei Pflichtverteidigern neben dem Wahlverteidiger, überschreitet den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht und ist frei von Ermessensfehlern.“

Hatten wir alles schon mal.