Archiv der Kategorie: Corona

Corona II: Öffentlicher Raum und Kontakte, oder: VO passen nicht/zu unbestimmt

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Und im zweiten Posting dann zwei instanzgerichtliche Entscheidungen zu „Corona-Fragen“. In beiden Entscheidungen geht es um die Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus.

Zunächst hier das AG Salzgitter, Urt. v. 14.12.2020 – 11a OWi 123 Js 40670/20 – und zur Frage des gemeinsamen Aufenthalts im öffentlichen Raum. Das AG stellt fest: Der gemeinsame Aufenthalt von 3 Personen in einem Privat-Pkw stellt keinen Aufenthalt im öffentlichen Raum dar. Das hatten wir schon im AG Stuttgart, Beschl. v. 08.09-2020 – 4 OWi 177 Js 68534/20 – bzw. im AG Reutlingen, Beschl. v. 09.12.2020 – 4 OWi 23 Js 16246/20. Beide hatte ich ja auch hier im Blog: Corona I: Fünf Personen im Privat-Pkw, oder: Kein Verstoß gegen Corona-VO und Corona II: Aufenthalt im Pkw = öffentlicher Raum? oder: Was ist mit der Wirksamkeit der Corona-VO BW?

Bei der zweiten Entscheidung betreffend Corona handelt es sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.12.2020 – 2 Ss (OWi) 286/20 -. Das hat zur Kontaktbeschränkung Stellung genommen und stellt fest:

Ein Verstoß gegen § 1 der Nds. Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus in der Fassung vom 24.4.2020: „Jede Person hat physische Kontakte zu anderen Menschen, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehören, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren“, kann mangels Bestimmtheit der Norm nicht mit einem Bußgeld sanktioniert werden.

Der Betroffene ist frei gesprochen worden. Das OLG gibt ihm aber mit auf den Weg:

„Soweit die Staatsanwaltschaft Osnabrück zur Begründung ihrer Rechtsbeschwerde ausführt, Kontaktverbote als solche seien nicht verfassungswidrig und § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG (i.V.m. § 32 IfSG) böte eine ausreichende Rechtsgrundlage, teilt der Senat diese Auffassung ausdrücklich. Lediglich die zu unbestimmte Fassung des Bußgeldtatbestandes rechtfertigt deshalb den erfolgten Freispruch.

Zudem weist der Senat darauf hin, dass in dem Verhalten des Betroffenen ein Höchstmaß sozialer Rücksichtslosigkeit zum Ausdruck kommt, das geeignet ist, Mitmenschen schweren Schaden zuzufügen, und verachtenswert ist. Eine ungebremste Erkrankungswelle bot -und bietet auch heute noch die Gefahr, dass es zu schweren -und, wie sich jetzt zeigt, in zunehmendem Maße tödlichen Krankheitsverläufen kommt und das Gesundheitsversorgungssystem in Deutschland an seine Kapazitätsgrenzen gerät. Dieser Gefahr konnte -und kann auch jetzt noch nur dadurch begegnet werden, die Verbreitung der Erkrankung so gut wie möglich zu verlangsamen. Hierzu dient insbesondere auch die Schaffung sozialer Distanz. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Staat geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen ergreift, auch wenn diese in die Grundrechte der Bürger eingreifen.“

Wenn man die Entscheidung anwenden will: Immer darauf achten, um welche VO es geht. Denn die VO sind inzwischen ja einige Mal geändert worden.

Corona I: FFP2-Masken-Pflicht, touristische Ausflüge, Abfuhr für das AG Weimar, oder: 3 x VGH Bayern

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Zum Start in den neuen Monat und in die 5. KW. ein bisschen Corona. Wen mir vor einem Jahr jemand vorausgesagt hätte, dass das in einem Jahr noch eine Thema ist: Ich hätte es nicht geglaubt.

Ich stelle hier zunächst drei Entscheidungen des BayVGH vor, und zwar.

  • BayVGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 20 NE 21.171: Ergangen ist die Entscheidung im Verfahren über den Erlass einer einsteweiligen Anordnung. Der BayVGH hat es abgelehnt, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung in FFP2-Qualität beim Einkaufen oder bei der Benutzung von Verkehrsmitteln des Öffentlichen Personennahverkehrs vorläufig außer Vollzug zu setzen. FFP2-Masken böten voraussichtlich gegenüber medizinischen oder sogenannten Community-Masken einen erhöhten Selbst- und Fremdschutz. Deshalb bestünden gegen ihre Eignung und Erforderlichkeit zur Bekämpfung der Corona-Pandemie keine Bedenken. Gesundheitsgefährdungen seien insbesondere wegen der regelmäßig begrenzten zeitlichen Tragedauer nicht zu erwarten. Auch seien grundsätzlich die Aufwendungen für die Anschaffung der Masken zumutbar.

  • BayVGH, Beschl. v. 26.01.2021 – 20 NE 21.162Ergangen ist die Entscheidung ebenfalls im einstweiligen Verfahren. In dem Beschluss hat der VGH das Verbot touristischer Tagesausflüge für Bewohner von sog. Hotspots (§ 25 Abs. 1 Satz 1 der 11. BayIfSMV) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das Verbot aller Voraussicht nach gegen den Grundsatz der Normenklarheit verstoße. Für die Betroffenen sei der räumliche Geltungsbereich des Verbots touristischer Tagesausflüge über einen Umkreis von 15 km um die Wohnortgemeinde hinaus nicht hinreichend erkennbar. Die textliche Festlegung eines 15-km-Umkreises sei nicht deutlich und anschaulich genug. Im Hinblick ebenfalls angegriffene Befugnis der betroffenen Kommunen, eine Einreisesperre für touristische Tagesausflüge anzuordnen (§ 25 Abs. 1 Satz 4 11. BayIfSMV) hat der Senat den Eilantrag dagegen abgelehnt.

Die Beschlüsse haben zwar nur Wirkung für Bayern, sie werden aber sicherlich bei den anderen Landesverfassungsgerichten auch noch gelesen.

Und dann noch ein Nachtrag: Ich hatte in der vorigen Woche über das AG Weimar, Urt. v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20 berichtet (vgl. dazu Corona I: Kontakt-, Alkohol- und Ausgangsverbot, oder: Was sagen Gerichte zur Wirksamkeit von Corona-VO?). Dazu hatte mich ein Blogleser auf den BayVGH, Beschl. v. 24.01.2021 – 10 CS 21.249 – hingewiesen, der mir beim Erstellen des Beitrags nicht bekannt war. Darin hat der BayVGH zum AG Weimar – Urteil Stellung genommen. In der Sache ging es um Beschränkungen für eine für den 24.01.2021 „angemeldeten Versammlung mit dem Thema: „Wir fordern, dass der 10. Senat des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wird, weil dieser sich gem. § 7 Abs. 1 Nr. 10 des Völkerstrafgesetzbuches für eine unerwünschte politische Gruppierung („Querdenker“), u.a. Demonstration in Stein bei Nürnberg am 17.01.2021, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar gemacht hat“ verfügt hat. Das Versammlungsmotto wurde im Beschwerdeverfahren dahingehend ergänzt, dass auch die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts München in die Anklage mit aufgenommen werden soll.“

Zu dem Versammlungsthema verkneife ich mir jetzt einen Kommentar, die Passage betreffend AG Weimar stelle ich aber ein. Der BayVGH meint dazu:

„Das Urteil des Amtsgerichts Weimar (U.v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20), auf das sich der Antragsteller bezieht, um weiter zu begründen, dass eine „Epidemische Lage von nationaler Tragweite“ nicht vorliege, ändert hieran ebenfalls nichts. Abgesehen davon, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist und Rechtsmittel insofern schon angekündigt sind (https://www.mdr.de/thueringen/mitte-westthueringen/ weimar/corona-urteil-kontaktbeschraenkung-weimar-100.html), hält es der Senat für eine methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung, die hinsichtlich der Gefahren der Corona-Pandemie im Widerspruch zur (vom Amtsgericht nicht ansatzweise berücksichtigten) ganz überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte steht (vgl. statt aller aus dem Zeitraum April/Mai 2020 BVerfG, B.v. 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 – juris; HessVGH, B.v. 1.4.2020 – 2 B 925/20 – juris; BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 NE 20.735 – juris; OVG LSA, B.v. 30.4.2020 – 3 R 69/20 – juris; ThürOVG, B.v. 7.5.2020 – 3 EN 311/20 – juris; OVG Bremen, U.v. 12.5.2020 – 1 B 140/20 – juris). Wenn das Amtsgericht Weimar meint, dass „am 18.04.2020, dem Tag des Erlasses der 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO“ keine epidemische Lage nationaler Tragweite vorgelegen habe, setzt es seine eigene Auffassung an die Stelle der Einschätzung des Bundestages und des Thüringer Verordnungsgebers, ohne sich auch nur ansatzweise mit den wissenschaftlichen und tatsächlichen Grundlagen auseinanderzusetzen, die zu deren Einschätzung geführt haben und maßt sich gleichzeitig eine Sachkunde zu infektiologischen und epidemiologischen Sachverhalten an, die ihm angesichts der hochkomplexen Situtation ersichtlich nicht zukommt (vgl. zu den Grenzen einer Beurteilung komplexer Sachverhalte durch den Richter ohne Hinzuziehung von Sachverständigen etwa BGH, B.v. 9.4.2019 – VI ZR 377/17 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 10.11.1983 – 3 C 56/82BVerwGE 68, 177 – juris Rn. 30 jeweils m.w.N.). Das Amtsgericht führt einzelne von ihm für maßgeblich gehaltene Kriterien und Belege an und blendet dabei gegenteilige Hinweise und Quellen systematisch aus. So ist die von ihm zentral herangezogene „Metastudie des Medizinwissenschaftlers und Statistikers John Ioannidis“ zur Infentionssterblichkeitsrate (IFR) bestenfalls umstritten, spätere Studien (die der Senat noch während des vorliegenden Eilverfahrens auffinden konnte) gehen von einer deutlich höheren IFR insbesondere bei älteren Menschen aus (vgl. etwa Levin et al., Assessing the Age Specificity of Infection Fatality Rates for COVID-19: Systematic Review, Meta-Analysis, and Public Policy Implications vom 8. Dezember 2020, abrufbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s10654-020-00698-1). Im Übrigen vermengt das Amtsgericht die im Gefahrabwehrrecht maßgebliche ex-ante-Betrachtung (stRspr, vgl. etwa BayVGH, U.v. 22.5.2017 – 10 B 17.83 – juris Rn. 25 m.w.N.) mit Elementen einer ex-post-Betrachtug und stellt vielfach keine Überlegungen zu Kausalitäteten bzw. Koinzidenzien ab. Die naheliegende Annahme etwa, dass gerade die vom Amtsgericht als unverhältnismäßig angesehenen Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 dazu geführten haben könten, dass es im ersten Halbjahr 2020 zu einer vergleichsweise niederigen Übersterblichkeit und zu einer vergleichsweise geringen Auslastung der Intensivbettenkapazitäten kam, spart das Amtsgericht soweit ersichtlich vollkommen aus.

Soweit das Amtsgericht Weimar darüber hinaus der Auffassung ist, dass § 28 IfSG am 18. April 2020 im Hinblick auf die Wesentlichkeitslehre keine taugliche Rechtsgrundlage für die 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO gewesen sei und insofern auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 20 NE 20.2360 – juris) verweist, hat der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs diese Bedenken für die nach der Einfügung von § 28a IfSG geltende Rechtslage nicht mehr wiederholt (vgl. etwa BavGH, B.v. 8.12.2020 – 20 NE 20.2461 – juris Rn. 21). Der erkennende Senat war bereits zuvor der Auffassung, dass Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 32 i.V.m. § 28 IfSG grundsätzlich zulässig waren (BayVGH, B.v. 7.11.2020 – 10 CS 20.2583 – juris Rn. 4 m.w.N.).“

Der deutlichen Abfuhr schließe ich mich gern an und erspare mir jedes weitere Wort, außer: Kommentarfunktion habe ich lieber mal wieder geschlossen.

Corona II: Ausbleiben des Angeklagten und Aussetzung der Hauptverhandlung, oder: Was sagen Gerichte?

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Und im zweiten Posting dann zwei weitere Entscheidungen mit Corona-Bezug.

Zunächst der LG München I, Beschl. v. 04.01.2021 – 15 Qs 46/20. Der Angeklagte war zu einem Fortsetzungstermin in der auf seinen Einspruch gegen einen Strafbefehl anberaumten Hauptverhandlung nicht erschienen. Begründung: Bei ihm sei eine Testung auf Covid19 durchgeführt worden. Das AG hat das als nicht genügend angesehen und den Einspruch verworfen. Das LG München I hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Nach Ansicht der Kammer ist dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da das Nichterscheinen im Hauptverhandlungs-termin unverschuldet war. Nach § 412, § 392 Abs. 7 S. 1 i.V.m. § 44 S. 1 StPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, den Einspruchstermin wahrzunehmen. Der Angeklagte war durch das Telefax seines Rechtsanwaltes vom 26.10.2020 mit den beigefügten Unterlagen ausreichend entschuldigt. Aufgrund der geschilderten Symptome und der Entnahme eines Abstrichs bestand bis zur Mitteilung des Testergebnisses für den Angeklagten eine Quarantänepflicht. Überdies darf das Gerichtsgebäude ohnehin nur von fieberfreien Personen ohne akute respiratorische Symptome betreten werden. Auch das Nichterscheinen des Verteidigers war ausreichend entschuldigt. Zwar war insoweit eine Isolierung bzw. Quarantäne ärztlich bzw. behördlich nicht angeordnet worden. Tatsächlich bestand aber insbesondere aufgrund der mehrstündigen gemeinsamen Autofahrt des Verteidigers mit dem Angeklagten wenige Tage vor Auftreten der Symptome beim Angeklagten ein nicht unerhebliches Risiko einer COVID-19 Infektion auch beim Verteidiger. Bis zum Vorliegen des Testergebnisses des Angeklagten war eine freiwillige Isolierung des Verteidigers sinnvoll und bei einer Risikoabwägung auch geboten.“

Die zweite Entscheidung kommt dann mit dem LG Stralsund, Beschl. v. 18.01.2021 – 23 Kls 17/20 jug. – vom anderen Ende der Republik. Der Beschluss behandelt die Aussetzung der Hauptverhandlung, wenn wegen der Corona-Pandemie eine hinreichende räumliche Distanzierung der Prozessbeteiligten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Öffentlichkeit im Verhandlungssaal nicht zu gewährleisten ist. Und: Er setzt in einem Verfahren mit dem Vorwurf des versuchten Totschlags Haftbefehle gegen einige der Angeklagten außer Vollzug.

Die Aussetzung ist m.E. auf der Grundlage der vom LG in dem Beschluss geschilderten räumlichen Umstände auf jeden Fall gerechtfertigt. Bis zu 34 Personen auf knapp 117 m² Schwurgerichtssaal ist einfach zu viel. Was nicht geht, geht nicht. Und: Die Außervollzugsetzung der Haftbefehle ist/war dann die zwingende Folge.

Corona I: Kontakt-, Alkohol- und Ausgangsverbot, oder: Was sagen Gerichte zur Wirksamkeit von Corona-VO?

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Heute dann der Start in die 4. KW.

Und ich starte mit Entscheidungen zu Corona. Zunächst stelle sich drei Entscheidungen vor, die sich mit der Wirksamkeit von Corona-Verordnungen aus zwei Bundesländern befassen, und zwar der aus Bayern und der aus Thüringen:

An der Spitze steht der Hinweis auf den BayVGH, Beschl. v. 19.01.2021 – 20 NE 21.76, über den ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist. Ergangen ist der Beschluss in einem Normenkontrollverfahren eines Bürgers aus Regensburg. Der Beschluss hat im zusammengefasst etwa folgenden Inhalt:

  • Der BayVGH hat das in Bayern angeordnete Alkoholverbot im öffentlichen Raum (§ 24 Abs. 2 der 11. BayIfSMV) vorläufig außer Vollzug gesetzt. Begründung:  Nach § 28a IfSG sind  Alkoholverbote nur an bestimmten öffentlichen Plätzen vorgesehen. Die Anordnung eines Alkoholverbots für gesamt Bayern überschreite diese Verordnungsermächtigung des Bundesgesetzgebers.
  • Abgelehnt hat der BayVGH hingegen die Außervollzugsetzung der Regelungen über Kontaktbeschränkungen, wonach sich Angehörige eines Hausstandes nur noch mit einer Person eines anderen Hausstandes treffen dürfen. Diese Kontaktbeschränkungen sind nach Auffassung des BayVGH vom IfSG gedeckt, hinreichend bestimmt und angesichts des aktuellen pandemischen Geschehens auch verhältnismäßig.
  • Mit der ebenfalls angeordneten Schließung von Bibliotheken und Archiven hatte der BayVGH Probleme, da keine Ausnahmen für Bring-und Abholdienste vorgesehen sind, was Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit haben könnte. Bis zu einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache überwiege aber das öffentliche Interesse an der Eindämmung der Corona-Pandemie das individuelle Interesse des Antragstellers, so dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist.
  • Schließlich hat der BayVGH den Antrag, die 15-km-Regelung für tagestouristische Ausflüge außer Vollzug zu setzen, als unzulässig abgewiesen. Begründung hier: Der Antragsteller sei von der Regelung derzeit/noch nicht betroffen, weil die Regelung erst ab einer Sieben-Tages-Inzidenzvon 200 gelte und Regensburg eine viel niedrigere Inzidenz aufweise.

Die zweite Entscheidung, die ich dem Zusammenhang vorstelle, kommt auch aus Bayern, und zwar vom AG Straubing. Das hat sich im AG Straubing, Beschl. v. 09.01.2021 – 7 OWi 709 Js 13822/20 jug – mit der Ordnungswidrigkeit des Aufenthalts im öffentlichen Raum im Hinblick auf die Ausgangsbeschränkung nach dem BaylfSMV befasst. Der Betroffenen war durch Bußgeldbescheid zur Last gelegt worden, sich am 10.4.2020 gegen 20:30 Uhr zusammen mit einer anderen Frau in Straubing am Bahnhofsgelände aufgehalten zu haben. Darin hat der Bußgeldbescheid einen Verstoß gegen § 4 Abs. 2 der zu dem Zeitpunkt gütligen gesehen, der das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubte.

Das AG Straubing hat frei gesprochen. Kurzfassung der Begründung: § 4 Abs. 2 BaylfSMV habe das Verlassen der Wohnung verboten und nicht den Aufenthalt in der Öffentlichkeit. Nach § 5 Nr. 9 BaylfSMV sei das Verlassen der Wohnung ordnungswidrig. Eine Auslegung von § 5 Nr. 9 BaylfSMV dahingehend, dass jeder Aufenthalt in der Öffentlichkeit ohne triftigen Grund bußgeldbewehrt sei, scheitere an Art. 103 Abs. 2 GG. Der Wortlaut der Verordnung sei eindeutig. Dass der Verordnungsgeber damit möglicherweise, wie sich auch aus der Gesamtschau mit § 4 Abs. 1 BaylfSMV ergebe andere Ziele verfolgt habe, könne sein. Der Verordnungsgeber habe sich aber bewusst für die Regelung einer Ausgangssperre entschieden und nicht für Kontakt- oder Aufenthaltbeschränkungen, wie sie teilweise in anderen Bundesländern gegolten hätten. Auch habe die Verordnung keine Rückkehrpflicht nach einem Verlassen mit triftigem Grund vorgesehen.

Und als dritte Entscheidung stelle ich das AG Weimar, Urt. v. 11.01.2021 – 6 OWi – 523 Js 202518/20 – vor. Gegenstand des Verfahrens war hier eine Geburtstagsfeier in den Abendstunden des am 24.04.2020, zu der sich die Betroffene zusammen mit mindestens sieben weiteren Personen im Hinterhof eines Hauses in W. aufhielt, um den Geburtstag eines der Beteiligten zu feiern. Die insgesamt acht Beteiligten verteilten sich auf sieben verschiedene Haushalte. Dieses Verhalten des Betroffenen verstieß gegen § 2 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 der Dritten Thüringer Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO) vom 18.04.2020 in der Fassung vom 23.04.2020. Danach wäre maximal ein Gast aus einem anderen Haushalt erlaubt gewesen.

Das AG Weimar hat frei gesprochen. Das AG sieht die Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0) vom 26.03.2020 als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher nichtig an. Begründung:

  • Die VO war formell verfassungswidrig: Für den Erlass der in der Verordnungen enthaltenen weitreichenden Regelungen wäre nämlich nicht die Exekutive zuständig gewesen, sondern die Legislative. Es hätte auch nicht nur eine Verordnung sondern ein Gesetz erlassen werden müssen.
  • Die VO sei auch materiell verfassungswidrig. Denn die am 28.03.2020 vom Bundestag festgesteller epidemische Lage von nationaler Tragweite“ habe es nicht gegeben habe. Die Reproduktionszahl R sei nach den den Zahlen des Robert-Koch-Instituts nämlich schon am 21.03.2020 unter den Wert Eins gefallen. Auch die Zahlen zur Übersterblichkeit, zur Intensivbettenbelegung und zur Letalität des Virus lieferten keine Grundlage für so eine Behauptung. Das müsse man bei einer Abwägung von Rechtsgütern berücksichtigen.
  • Das Kontaktverbot sei zudem nicht verhältnusmäßig (gewesen), da es gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG als unantastbar garantierte Menschenwürde verstoße.

Ich verkneife mir lange Kommentare zu den Entscheidungen, nur so viel:

Dem BayVGH kann ich folgen, dem AG Straubing – auf den ersten Blick – auch. Mal sehen, was das BayObLG damit macht; ich gehe davon aus, dass die Staatsanwaltschaft Rechtsbeschwerde einlegen wird.

Beim AG Weimar habe ich erhebliche Probleme. Ich sehe die Zahlen und die Grundlagen für die im Frühjahr getroffenen Maßnahmen anders als das AG Weimar, dessen Urteil jetzt natürlich Wasser auf die Mühlen der Corona-Leugner ist, man muss nur mal mit dem Aktenzeichen bei Googel suchen. Ich fühle mich durch die bisherigen Maßnahmen im Übrigen auch nicht in meiner „Menschenwürde“ beeinträchtigt.

Damit aber genug. Und bzw. ach so: Ich habe die Kommentarfunktion geschlossen.Ich habe keine Zeit – und auch, das räume ich ein, keine Lust – auf lange Diskussionen. Das mögen die, die anderer Meinung sind als ich an anderer Stelle erledigen 🙂 .

Corona II: Öffentlichkeitsgrundsatz versus Kontaktdatenerfassung, oder: Verhandlung bleibt öffentlich

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um eine verwaltungsgerichtliche, und zwar um OVG Lüneburg, Beschl. v. 05.11.2020 – 9 LA 115/20. Er steht in Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen bei den VG, hat aber m.E. ggf. Bedeutung darüber hinaus.

Entschieden worden ist über die Frage, ob die Kontaktdatenerfassung von Besuchern einer Gerichstverhandlung gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz verstößt. Das OVG hat die Frage verneint:

„Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt.

Gemäß § 55 VwGO i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht öffentlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Verhandlung öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der Verhandlung grundsätzlich jedermann zugänglich sind (siehe nur BVerwG, Beschluss vom 20.7.2016 – 8 B 1.15 – juris Rn. 12). Der Kläger meint, dieser Grundsatz sei vorliegend verletzt worden, da das Verwaltungsgericht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen habe, es sei angewiesen, die Kontaktdaten der Gerichtsbesucher aus Gründen des Infektionsschutzes zu erfassen. Dies und die Umsetzung dieser Praxis seien geeignet gewesen, potentielle Zuhörer von dem Besuch einer mündlichen Verhandlung abzuhalten. Es könne „verfassungsrechtlich geschützte Bedürfnisse von Personen geben, bei einem Termin zuhören zu wollen, aber nicht angeben zu wollen, wer sie sind und wo sie wohnen.“ Die derzeitige Corona-Pandemie könne diese Maßnahme nicht rechtfertigen. Sie sei auch durch die niedersächsischen Corona-Verordnungen nicht gedeckt.

Mit diesem Vorbringen dringt der Kläger, der einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gerügt hat (§ 173 VwGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO; vgl. zur Rügenotwendigkeit etwa OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 26.3.2010 – OVG 3 N 33.10 – juris Rn. 4), nicht durch.

Soweit er auf Regelungen der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblichen Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 (GVBl. S. 97) Bezug nimmt, ist dem Kläger zwar darin zuzustimmen, dass diese den Gerichten keine Pflicht zur Erfassung der Kontaktdaten ihrer Besucher auferlegt. Nach § 3 Nr. 15 der Verordnung ist der Besuch von Gerichten unter den Voraussetzungen des § 2 – zu denen die Erfassung von Kontaktdaten nicht zählt – ausdrücklich zulässig. Dies schließt eine solche Erfassung jedoch – anders als der Kläger meint – nicht aus. § 11 der Verordnung erlaubt es den örtlich zuständigen Behörden, weitergehende Anordnungen zu treffen, soweit es im Interesse des Gesundheitsschutzes zwingend erforderlich ist und den sonstigen Regelungen der Verordnung nicht widerspricht. Der Kläger hat weder nachvollziehbar dargelegt noch ist es sonst offensichtlich, dass die Erfassung von Kontaktdaten in weiteren als in der Verordnung bereits vorgesehenen Bereichen mit den Regelungen dieser Verordnung nicht in Einklang zu bringen wäre. Hiergegen spricht vor allem, dass die Gerichte kraft ihres Hausrechts gemäß § 16 des Niedersächsischen Justizgesetzes ohnehin die Befugnis besitzen, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der (auch gesundheitlichen) Sicherheit im Dienstgebäude zu treffen (vgl. für die vergleichbare Rechtslage in Schleswig-Holstein OVG SH, Beschluss vom 22.7.2020 – 5 LA 223/20 – juris Rn. 20). Dass auch Gerichte zur Erfassung der Kontaktdaten befugt sind, ist in § 5 Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 7. Oktober 2020 (GVBl. S. 346) klargestellt worden. Die Regelung befindet sich inhaltsgleich auch in § 5 Abs. 2 Satz 1 der aktuell gültigen Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 vom 30. Oktober 2020 (GVBl. S. 368).

Unabhängig von der Frage nach der Rechtsgrundlage einer Kontaktdatenerfassung hat der Kläger nicht nachvollziehbar dargelegt, dass eine solche den Öffentlichkeitsgrundsatz in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigte. Sein pauschaler Hinweis auf entgegenstehende „verfassungsrechtlich geschützte Bedürfnisse“ wird auch nicht durch seinen ebenfalls nur allgemeinen Verweis auf religiöse Gründe oder auf das Interesse, von Strafverfolgung verschont zu bleiben, hinreichend spezifiziert. Gerade im letztgenannten Fall erschließt sich die Schutzbedürftigkeit nicht. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wird auch nicht durch die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung angeblich niedrigen Infektionszahlen im Landkreis Stade oder den Umstand begründet, dass die Angabe von Kontaktdaten etwa bei dem Besuch eines Supermarktes nicht erforderlich sei. Letzteres ist mit dem Besuch einer Gerichtsverhandlung schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier eine ungleich längere gemeinsame Verweilzeit in einem kleineren Raum (Gerichtssaal) gegeben ist. Ersteres rechtfertigt die Kontaktdatenerfassung umso mehr, da bei geringen Fallzahlen die mit der Erfassung beabsichtigte Ermöglichung einer Nachverfolgung von Kontaktpersonen erfolgversprechender ist als im Falle eines unübersichtlichen Infektionsgeschehens. Die Datenerfassung stellt somit letztlich eine für Besucher einer Gerichtsverhandlung im Interesse des Gesundheitsschutzes hinzunehmende Beeinträchtigung dar, die den Zugang zum Gerichtssaal für die jeweils Betroffenen obendrein allenfalls psychisch, nicht aber physisch hemmt. Dies steht einer verfassungsrechtlich unzulässigen Verweigerung des Zutritts nicht gleich (so auch OVG Berl.-Bbg., Beschluss vom 27.5.2020 – OVG 11 S 43/20 – juris Rn. 24 unter Verweis auf Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 169 Rn. 40 m. w. N.).“