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Pro reo 2020, oder: Mein Dank gilt auch hier allen

Und dann auch hier – aus gegebenem Anlass:

Die ARGE Strafrecht hat mir gestern in Leipzig beim 38. Strafverteidiger Kolloquium offiziell den „Pro reo 2020“ überreicht (zum Pro reo hier). Pandemiebedingt hat die Preisverleihung leider ein Jahr warten müssen. Aber: Immerhin bin ich damit der bisher einzige Preisträger, der zwei Jahre „abdeckt. Wir können froh sein, dass es nicht drei Jahre geworden sind. Denn die Pandemiezahlen sehen ja für solche Veranstaltungen nicht unbedingt gut aus. Aber in Leipzig war es – trotz Hotspot Sachsen – recht safe. Es war eine 2G-Veranstaltung mit der (freiwilligen) Möglichkeit zum Schnellttest. Der ist auch eifrig genutzt worden. Ich habe mich dann heute morgen noch einmal getestet. Derzeit alles gut – wenn man mal davon ausgeht, dass diese Test genügend Aussagekraft habe.

Es war eine sehr schöne Veranstaltung. Es hat Spaß gemacht, alte Freude und Kollegen mal wieder „live“ zu treffen und nicht nur zu telefonieren und zu chatten. Wie immer interessante Gespräche. Auch das Thema des Kolloquiums fand ich gut: Kommunikation (im Strafverfahren). Da ist sicherlich – von allen Seiten – noch Luft nach oben.

Gestern dann das persönliche Highligth. Die Preisverleihung, nach einer fulminanten Laudation vom Kollegen Frank Nobis, mit dem mich ja nun der OLG Hamm, Beschl. v. 06.06.2003 – 2 Ws 122/03 – verbindet. Ich habe die Gelegenheit genutzt und – wie Frank Nobis schon länger versprochen – das „berühmte“ „Golfplatzgeheimnus“ gelüftet 🙂 .

Ich poste hier nicht wegen der Begründung der Jury für die Preisverleihung, wenn die intessiert, kann man hier nachlesen. Ich will auch hier Dank abstatten. Und damit mache ich es mir einfach. Ich zitiere danzu nur – teilweise – aus meinen gestrigen Dankesworten, und zwar:

“ ….. Zunächst herzlichen Dank allen, die daran beteiligt sind, dass ich den Preis „pro reo 2020“ erhalten habe. Das sind diejenigen, die mich als Preisträger vorgeschlagen haben, aber natürlich auch die Jury, die dem Vorschlag gefolgt ist. Das sind dann aber auch alle anderen, die mich in den vergangenen Jahren auf dem Weg hierhin begleitet haben. Also im Grunde Sie alle als „Anwaltskollegen“, In den Dank schließe ich ausdrücklich aber auch die „Richterkollegen“ aus vergangenen Zeiten ein; auch die haben einen Teil, wie wir von Frank gerade gehört haben, beigetragen, mancher zum Guten, mancher aber auch zum nicht so Guten. Bei der Gelegenheit: Einen Dank auch an die Ausrichter dieser Preisverleihung. Sie haben diese Veranstaltung mit einem recht hohen „Coronasicherheitskonzept“ ausgestattet haben. Das ist 2G plus, man fühlte und fühlt sich einigermaßen sicher in diesen bewegten Pandemiezeiten.

Der Dank gilt vor allem natürlich auch meiner Familie, die diesen nicht unbedingt einfachen Weg an diese Stelle ja mitgegangen ist, allen voran meine Frau, die da unten sitzt und das nun gar nicht mag, wenn ich sie erwähne. Aber das musste jetzt mal sein. Denn dieser Weg ist zeitintensiv gewesen und ist es noch, dafür haben viele andere Dinge hintan stehen müssen, obwohl ich meine, dass es etwas besser geworden ist. Allerdings, wenn ich Frank so höre…..

Und, last but noch least, Dank dann natrülich auch dir, lieber Frank, für die – wie du es mal ausgedrückt hast – „ultimativen Lobhudeleien“. Dass die so heftig werden würden, hätte ich allerdings nicht erwartet. Auf dich und deinen Anstoß komme ich noch zurück. Ich hatte ja versprochen, dass ich irgendwann das angesprochene Geheimnis lüften werde. Wenn nicht heute, wann dann?

Und damit will ich es mit dem Danken gut sein lassen. Es soll ja nicht wie bei der Verleihung eines Oscars oder eines Ehrenoscars für das Lebenswerk sein/werden, obwohl ich mich schon ein wenig so fühle und obwohl man sicherlich noch dem ein oder anderen mehr hätte danken können.

…….

Abschließend danke ich nochmals für die große Ehre, Pro-reo-Preisträger 2020 sein zu dürfen. Ich bin mir, wenn ich mir die Reihe der bisherigen Preisträger anschaue, der besonderen Ehre, die mit der Auszeichnung verbunden ist, bewusst, und bin auf die Anerkennung, die in der Ehrung liegt, schon, das räume ich ein, ein wenig stolz.

Ich schließe dann jetzt mit den Worten, mit denen auch die Begründung der Jury schließt: „Ad multos annos!“. Das hoffe ich, sowohl für den „Pro reo“ als auch für mich. An mir soll es nicht liegen, wenn man mich lässt. Denn es macht noch immer Spaß.“

Ich hoffe, darin finden sich alle wieder – auch die Blogleserinnen und – leser. Ad multos annos.

Und damit soll es dann jetzt auch gut sein. Kehren wir zur alltäglichen Arbeit zurück.

Akteneinsicht II: 4 x zur AE im Bußgeldverfahren, oder: Umfang, Einstellung, Umformatierung, Rohmessdaten

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Vor ein paar Jahren habe ich  bald wöchentlich über Fragen der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren berichtet. Inzwischen haben sich manche Probleme zu dem Themenkreis erledigt, andere sind hinzu gekommen. Insgesamt steht das Thema nicht mehr so im Vordergrund, wenn auch die OLG weitgehend nach wie vor mauern und versuchen, die Rechtsprechung der VerfG zu umgehen. In dem Zusammenhang warten alle auf die vom BVerfG angekündigte zweite Entscheidung (2 BvR 1167/20).

Ich habe hier heute dann mal wieder einige AG-Entscheidungen, die mir Kollegen zu der Problematik in der letzten Zeit geschickt haben. Die stelle ich der Vollständigkeit halber, aber auch, um mal wieder das Problem zu erinnern, vor:

Dem Betroffenen steht aus dem Recht auf faire Verfahrensgestaltung ein Anspruch auf Einsicht in die Messserie des Tattages sowie in die gegenständliche xml-Datei nebst Überlassung von Passwort und Token zu.

Ermöglicht es die Verwaltungsbehörde dem Gericht für die Dauer des Verfahrens nicht die Bedienungsanleitung des Gerätes ausreichend zur Kenntnis zu nehmen, sie zur Akte zu nehmen und untersagt sie auch ein Kopieren, so ist die Messung nicht prüfbar. Das Verfahren kann nach § 47 OWiG eingestellt werden.

Dem Akteneinsichtsrecht im Bußgeldverfahren wird damit genüge getan, dass die Verwaltungsbehörde der Verteidigung eine Kopie des gesamten Originalmessfilms im sbt-Format zur Verfügung stellt. Es existiert weder ein Recht noch eine Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, die sich bei den Akten befindlichen Datenträger bzw. die darauf befindlichen Daten durch eine Umformatierung abzuändern.

Auch unter Beachtung der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 (2 BvR 1616/18) steht dem Betroffenen ein Recht auf Zugang zu, außerhalb der Akte befindlichen Informationen, insbesondere der vollständigen Rohmessdaten der Messreihe nicht zu.

Wochenspiegel für die 44. KW., das war Corona, Corona, Laserpistole, Chatkontrolle, DFB und Kindermädchen

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Und dann der Wochenspiegel für die 44. KW. mit leider immer weiter gestiegenen Inzidenzen. Wenn man die Zahlen so sieht, ist einem, jedenfalls mir, nicht ganz wohl. Man kann nur hoffen, dass das Boostern und die Ansprache des ein oder anderern, der sich bislang nicht hat impfen lassen, hilft. Und: Weiter vorsichtig sein. Masken und Abstand, zumindest mit dem letzten haben die Ostfriesen ja eh kein Problem :-).

Hier dann jetzt die Hinweise auf folgende Beiträge aus der vergangenen Woche:

  1. LG Aachen: Kosten der Desinfektion sind zu erstatten!,

  2. Podcasttipp: Sind Sie geimpft? – Corona und Arbeitsrecht – Rechtsbelehrung 99,

  3. „Erste Tätigkeitsstätte“ Homeoffice – Auswirkungen auf die Dienstwagenbesteuerung?

  4. BGH: DFB darf Geldstrafen gegen Vereine wegen Verhalten von Fans verhängen

  5. LG München I: Autoverpfändung („Cash & Drive“) durch Pfandleihhaus unwirksam ,

  6. Anhörung des Beschuldigten vor Akteneinsicht an Verletzte

  7. EU-Kommission schlägt Chatkontrollen vor,

  8. AG München: Mieter hat keinen Anspruch auf Genehmigung des Einbaus einer Ladestation für Elektrofahrzeuge durch selbstgewählten Anbieter,

  9. Messungen mit Laserpistolen im Saarland nicht mehr verwertbar

  10. und dann aus meinem Blog: Pflichti I: Verteidiger besucht den Angeklagten nicht, oder: Egal, Verteidiger ist kein “Kindermädchen”

StGB II: Das „In Brand setzen“ von Jagdhochsitzen, oder: Ein Jagdhochsitz kann eine „Hütte“ sein

Bild von Hebi B. auf Pixabay

Die zweite  StGB-Entscheidung stammt dann auch vom BGH. Es handelt sich um das BGH, Urt. v. 08.09.2021 – 6 StR 174/21 – zur Frage: Kann ein Jagdhochsitz eine Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB sein?

Ausgegangen ist der BGh von folgenden Feststellungen: Der Angeklagte hat seit 1998 ohne Erfolg um die Aufnahme in die Jägerschaft an seinem Wohnort bemüht. Auf­grund der empfundenen Verletzung, Trauer und Wut über seine Abweisung be­schloss er, sich an der Jägerschaft zu rächen. Darauf zündete er jeweils mehrere hundert Kilo schwere, überdachte Jagdhochsitze an, die völlig oder teilweise ausbrannten. Außerdem setzte er eine auf einem Anhänger montierte Ansitzein­richtung in Brand, die vollständig ausbrannte. Das Feuer griff auf den umliegen­den Waldboden über, wodurch eine Fläche von ca. 300 qm samt Grünbewuchs verkohlte und vier Kiefern beschädigt wurden. Der Angeklagte nahm dabei zumindest billigend in Kauf, dass sich der Brand aufgrund der tro­ckenen Witterung auch auf weitere Teile des Waldgebiets ausbreiten würde. Dies konnte durch rechtzeitiges Eingreifen der Feuerwehr jedoch verhindert werden. Das LG hat den Angeklagten u.a wegen mehrfacher vorsätzlicher Brandstiftung verurteilt. Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos:

„a) Der Erörterung bedarf lediglich die von der Revision bemängelte Bewertung der jeweils in ihren Grundflächen mindestens 1,44 Quadratmeter großen und etwa mannshohen Jagdkanzeln (Fälle 9 bis 13, 15 und 17) als „Hütten“ im Sinne des § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB . Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Der Begriff der Hütte im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst Bauwerke, bei denen an die Größe, Festigkeit und Dauerhaftigkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Gebäuden, die aber dennoch ein selbstständiges, unbewegliches Ganzes bilden, das eine nicht völlig geringfügige Bodenfläche bedeckt und ausreichend abgeschlossen ist. Erforderlich sind eine hinreichende Erdverbundenheit und eine damit praktizierte Immobilität (vgl. MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 306 Rdnr. 24; Schönke/Schröder/Heine/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 306 Rdnr. 4). Abgeschlossenheit erfordert dabei keine Verschlossenheit oder sonstige den Zutritt beschränkenden Vorrichtungen (vgl. MüKoStGB, a.a.O., Rdnr. 25), sondern eine gegen äußere Einwirkungen genügend schützende dauerhafte und feste Begrenzung (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl., § 306 Rdnr. 3a). Abhängig vom Einzelfall kann eine solche auch bei nur zum Teil umschlossenen Räumen gegeben sein (vgl. Matt/Renzikowski/Dietmeier, StGB, 2. Aufl., § 306 Rdnr. 4). Daran gemessen handelt es sich bei den vorliegend in Rede stehenden Jagdhochsitzen um unbewegliche Gebäude mit kleineren Abmessungen und damit um Hütten im Sinne von § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Ihnen ist gemein, dass sie über eine nicht völlig unbeachtliche Bodenfläche sowie über Begrenzungen nach oben durch ein Dach und nach allen Seiten durch Wände und Türen verfügen, so dass sie jeweils von zumindest zwei Personen betreten und zum Aufenthalt genutzt werden können. Darüber hinaus weisen sie eine hinreichende Erdverbundenheit auf, weil sie entweder mittels einer Verankerung oder auf Grund ihres erheblichen Eigengewichts fest mit dem Erdboden verbunden sind. Eine durch das Eigengewicht der Baulichkeit begründete Verbindung mit Grund und Boden genügt insoweit ebenso wie eine über eine Stützkonstruktion – etwa durch Pfähle oder Pfosten – hergestellte Verbindung (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Juli 1981 – 3 Ss 28/81 -, NStZ 1981,482).“

Dem schließt sich der Senat an (vgl. zum Begriff der „Hütte“ schon RGSt 17, 179, 184). Der Umstand, dass einige der Jagdkanzeln durch Spannseile gegen Windeinwirkung gesichert waren, ändert an ihrer „Selbstständigkeit“ nichts.“

StGB III: Verstoß gegen das PflichtversicherungsG, oder: Vier Zeilen Feststellungen sind ein wenig knapp

Und dann zum Tagesschluss noch ein Klassiker: Der (berühmte) Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz, zu dem das KG im KG, Beschl. v. 22.06.2021 – 3 Ss 30/21 – Stellung genommen hat:

„1. Es ist bereits zweifelhaft, ob die aus knapp vier Zeilen bestehenden Urteilsfeststellungen die Verurteilung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz tragen. Denn die Mitteilung, dass „kein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag bestand“ (UA S. 3), ist Ergebnis einer rechtlichen Würdigung, deren tatsächliche Voraussetzungen sich gegebenenfalls in den Urteilsfeststellungen wiederfinden müssen.

2. Jedenfalls ist die Beweiswürdigung in sachlich-rechtlicher Hinsicht unzureichend. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruhen, und die vom Tatrichter gezogenen Schlussfolgerungen dürfen nicht nur eine Vermutung darstellen (vgl. nur BGH NStZ-RR 2018, 89). Diese Anforderungen erfüllt die Beweiswürdigung hier nicht.

Es fehlt insbesondere an einer Darstellung der Umstände, aus denen das Tatgericht schließt, für das vom Angeklagten genutzte Kraftfahrzeug habe kein Versicherungsvertrag mehr bestanden. Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung hiervon ausschließlich auf die Einlassung des Angeklagten, die allerdings über eine Kündigung nichts enthält. Vielmehr unterstellt das Amtsgericht zu dessen Nachteil den Zugang eines Kündigungsschreibens vom 8. April 2019.

Auch wenn der Tatrichter die Beweise frei würdigt, stellt die Annahme, das Schreiben sei bei der Versicherung sicher abgesandt worden und dem Angeklagten ebenso gewiss rechtswirksam zugegangen, im Letzten eine bloße Vermutung dar. Ob auch ohne förmliche Zustellung bei einem den Zugang des Kündigungsschreibens bestreitenden oder sich hierzu nicht erklärenden Angeklagten etwas anderes gelten kann, wenn das Tatgericht seine Überzeugung vom Zugang dezidiert begründet, muss hier offen bleiben (verneinend OLG Brandenburg, Beschluss vom 1. April 2020 – (1) 53 Ss 35/20 (24/20) –, juris; ebenso Senat VRS 102, 128 [2001] m.w.N.). Denn im angefochtenen Urteil fehlt es schon an der Mitteilung, dass das Schreiben zugegangen sei, erst recht aber an einer Begründung, warum der Tatrichter diese Überzeugung gewonnen hat. Vielmehr wird die rechtswirksame Beendigung des Versicherungsvertrags stillschweigend vorausgesetzt.

Der Senat teilt die Einschätzung des Strafrichters, der Angeklagte habe angesichts seines eigenen Vorverhaltens und insbesondere der zögerlichen und säumigen Prämienzahlungen jeden Grund dafür gehabt, mit einer Kündigung des Versicherungsvertrags zu rechnen (UA S. 4). Der Prämienrückstand führt aber nicht ipse iure zur Beendigung des Versicherungsvertrags. Hierzu bedarf es grundsätzlich der Kündigung und – im Regelfall – ihres Zugangs (§ 38 Abs. 3 VVG). Daher entband die Feststellung des Zahlungsverzugs das Amtsgericht nicht von der Feststellung, dass die Kündigung den Angeklagten auch tatsächlich erreicht hat (vgl. Senat ZfSch 2018, 474). Auch dass der Angeklagte in seiner Einlassung diesbezüglich „auffällig vage“ geblieben und wegen Betrugs vorbestraft sei (UA S. 4), ersetzt die Feststellung einer zivilrechtlich wirksamen Kündigung des Versicherungsvertrags nicht. „