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StGB I: Selbstbestimmungsrecht und Vergewaltigung, oder: Bedingtes Einverständnis mit dem Vaginalverkehr

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Der heutige Mittwoch ist dann drei StGB-Entscheidungen gewidmet,

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Urt. v. 01.03.2022 – 5 RVs 124/21. In dem Verfahren, das schon ein wenig länger andauert, geht es um einen Vergewaltigungsvorwurf.

Das AG hatte den Angeklagten zunächst am 06.05.2019 wegen Vergewaltigung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben Verteidigung und Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 02.04.2020 hat das LG das angefochtene Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt wird. Zugleich hat es die Berufung des Angeklagten verworfen.

Auf die Revision des Angeklagten hat dann das OLG Hamm mit Beschluss vom 01.09.2020 das LG-Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Im zweiten Durchgang hat das LG dann das Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2019 auf die Berufung des Angeklagten dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt bleibt und ihn hinsichtlich der ihm durch die Anklage zur Last gelegten Vergewaltigung freigesprochen.

Hinsichtlich des Vergewaltigungsvorwurfs hat das LG festgestellt, dass der Angeklagte und die Nebenklägerin sich in den Wochen vor dem angeklagten Vorfall mehrfach, aber nie endgültig getrennt hatten. Nach einer Geburtstagsfeier bei einem Zeugen übernachteten der Angeklagte und die Geschädigte im Schlafzimmer von dessen Wohnung. Im Bett fing der Angeklagte an, sexuelle Handlungen mit der Geschädigten vorzunehmen, wobei unklar geblieben ist, wie genau er diese initiierte und wie die Geschädigte hierauf eingangs reagierte. Der Angeklagte vollzog sodann mit der Nebenklägerin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Hierüber geriet die Nebenklägerin in Wut, da zwischen beiden abgesprochen war, dass der Angeklagte entweder mit einem Kondom den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss vollziehen dürfe oder sie oder er geeignete Mittel zur Verhinderung einer Schwangerschaft ergreifen sollten. Konkret benutzte die Geschädigte zur Verhütung entweder einen Vaginalring oder der Angeklagte zog den Penis aus der Vagina, bevor es zum Samenerguss kam.

Gegen diesen Freispruch hat dann die Nebenklägerin Revision eingelegt. Und die hatte – erneut – Erfolg:

„a)  Zu Recht beanstanden Nebenklage und Generalstaatswaltschaft, dass das Landgericht den Unrechtsgehalt der Tat nicht ausgeschöpft hat und somit seiner Kognitionspflicht (§ 264 StPO) nicht ausreichend nachgekommen ist. Nach den – allerdings nicht rechtsfehlerfrei (dazu unter c)) – getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte den objektiven Tatbestand des sexuellen Übergriffs (§ 177 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

aa)  Durch § 177 Abs. 1 StGB in der seit dem 10.11.2016 geltenden Fassung wird das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung durch die sogenannte „Nein-heißt-Nein-Lösung“ umfassend, d.h. unabhängig von einem Nötigungselement geschützt (BT-Drs. 18/9097 S. 21 ff.). Wegen sexuellen Übergriffs macht sich dementsprechend unter anderem strafbar, wer an einer anderen Person gegen deren erkennbaren Willen sexuelle Handlungen vornimmt. Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit ist dabei – wie sich aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/9097 S. 23) sowie der systematischen Zusammenschau mit Abs. 2 (OLG Schleswig, Urteil vom 19.03.2021 – 2 OLG 4 Ss 13/21 -, Rn. 22, juris; Renzikowski, in: MünchKomm, 4. Aufl. 2021, § 177 StGB Rn. 50) ergibt – nicht der rechtsgeschäftliche, sondern der natürliche Wille des Opfers. Willensbedingte Mängel hindern ein tatbestandsausschließendes Einverständnis daher auch dann nicht, wenn das Einverständnis des Opfers durch Täuschung erschlichen wurde (Ziegler, in: Beck´scherOK, Stand: 01.11.2021, StGB § 177 Rn. 1, Eisele, in: Schönke/Schröder, 30. Aufl. 2019, StGB § 177 Rn. 20). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Einverständnis ist, dass die betroffene Person die sexuelle Bedeutung der entsprechenden sexuellen Handlung kennt (Renzikowski, in: MünchKomm, a.a.O., § 177 StGB Rn. 50). Lehnt das Opfer die sexuelle Handlung hingegen ab, ist es gleichgültig aus welchen Gründen sie dies tut (Ziegler, in: Beck´scherOK, a.a.O., § 177 Rn. 11).

bb) Ausgehend von den soeben dargelegten Grundsätzen wurde die hier maßgebliche Frage, unter welchen Voraussetzungen ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Opfers anzunehmen ist, in der letzten Zeit intensiv bezüglich des heimlichen Abziehens des Kondoms während des Geschlechtsverkehrs (sog. „Stealthing“) diskutiert. Die mit dieser Fragestellung befassten Obergerichte – KG Berlin (Beschluss vom 27.07.2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) -, juris); OLG Schleswig (Urteil vom 19.03.2021 – 2 OLG 4 Ss 13/21 -, Rn. 22, juris); Bayerisches Oberstes Landesgericht (Beschluss vom 20.08.2021 – 206 StRR 87/21 -, juris) – sind der herrschenden Meinung (s. die Nachweise bei Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20.08.2021 – 206 StRR 87/21 -, juris) gefolgt und haben einheitlich und mit überzeugender Begründung die Strafbarkeit des „Stealthing“ nach § 177 Abs. 1 StGB jedenfalls dann bejaht, wenn der Täter in den Körper des Opfers absprachewidrig ejakuliert.

cc)  Die in den vorgenannten Entscheidungen aufgestellten Maßstäbe können auch vorliegend herangezogen werden. Danach ist davon auszugehen, dass das von § 177 StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung die Freiheit der Person beinhaltet, über Zeitpunkt, Art, Form und Partner sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden (KG Berlin, Beschluss vom 27.07.2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) -, Rn. 22, juris). Nach dem Schutzzweck der Norm kann der Rechtsgutinhaber daher nicht nur darüber bestimmen, ob überhaupt Geschlechtsverkehr stattfinden soll, sondern auch darüber, unter welchen Voraussetzungen er mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist (KG Berlin, Beschluss vom 27. Juli 2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) -, Rn. 22, juris). Somit kann sich das Einvernehmen des Sexualpartners konkret sehr wohl nur auf bestimmte sexuelle Handlungen – beispielsweise Geschlechtsverkehr ausschließlich unter Verwendung eines Kondoms – beziehen, während gleichzeitig anderen sexuellen Handlungen ein erkennbarer Wille entgegenstehen kann (OLG Schleswig, Urteil vom 19. März 2021 – 2 OLG 4 Ss 13/21 -, Rn. 16, juris).

In der vorliegenden Fallgestaltung ist hierbei insbesondere von Bedeutung, dass dem Samenerguss in der Vagina in sexualstrafrechtlicher Hinsicht eine andere Handlungsqualität als der „bloßen“ vaginalen Penetration zukommt (KG Berlin, Beschluss vom 27.07.2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) -, Rn. 25, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht; Beschluss vom 20.08.2021 – 206 StRR 87/21 -, Rn. 17). Dies wird allein schon im Hinblick auf den ungewollten Kontakt mit dem Sperma des Sexualpartners sowie dem damit verbundenen erhöhten Risiko einer ungewollten Schwangerschaft deutlich, auch wenn dies nicht die Motive des Opfers für die ablehnende Haltung sein müssen (Bayerisches Oberstes Landesgericht; Beschluss vom 20.08.2021 – 206 StRR 87/21 -, Rn. 17; juris; KG Berlin, Beschluss vom 27.07,2020 – (4) 161 Ss 48/20 (58/20) -, Rn. 25, juris). Ebenso wie nach der vorzitierten obergerichtlichen Rechtsprechung die Verwendung eines Kondoms konstitutiver Bestandteil für das Einverständnis mit der sexuellen Aktivität sein kann, kann dies genauso auch die Bedingung des Opfers sein, den vaginalen Geschlechtsverkehr vor dem Samenerguss zu beenden. Dass diese Art der Empfängnisverhütung im Vergleich zu anderen Verhütungsmethoden deutlich unsicherer ist, ändert nichts an der Beachtlichkeit des Opferwillens. Setzt sich der Sexualpartner bewusst absprachewidrig über diese vom Opfer gesetzte Grenze hinweg, stellt dies eine so erhebliche Abweichung vom konsentierten sexuellen Handlungsgeschehen dar, dass die sexuelle Handlung nicht mehr vom tatbestandsausschließenden Einverständnis gedeckt und damit regelmäßig nach § 177 Abs. 1 StGB strafbar ist.

dd)  Gemessen an den vorbeschriebenen Anforderungen hat der Angeklagte nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils in objektiver Hinsicht sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin gegen deren erkennbaren Willen vorgenommen.

So war zwischen ihm und der Nebenklägerin verbindlich abgesprochen, dass er den Geschlechtsverkehr nur dann bis zum Samenerguss vollzieht, wenn ein Verhütungsmittel – konkret Kondom oder Vaginalring – zum Einsatz kommt. Anderenfalls sollte der Vaginalverkehr vor dem Samenerguss beendet und hierdurch das Risiko einer Schwangerschaft gesenkt werden.

Dass vorliegend die von der Nebenklägerin aufgestellte Bedingung für den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht vorlag, ist durch das Landgericht nicht ausdrücklich festgestellt worden. In objektiver Hinsicht ergibt sich dies jedoch hinreichend deutlich aus den Gesamtumständen. Denn nur so ist plausibel, dass die Nebenklägerin über den Vollzug des Geschlechtsverkehrs bis zum Samenerguss in Wut geriet und in den Kleidungsstücken des Angeklagten Geld für die „Pille danach“ suchte. Zugleich folgt hieraus, dass die Nebenklägerin ihre Ablehnung gegen den Vollzug des Geschlechtsverkehrs bis zum Samenerguss auch nicht zwischenzeitlich – was angesichts des dynamischen Verlaufs des sexuellen Geschehens stets als Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist – aufgegeben hatte.

b) In subjektiver Hinsicht fehlt es hingegen – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat – an den erforderlichen Feststellungen. Weder lässt sich dem Urteil entnehmen, ob der Angeklagte vorsätzlich in Bezug auf den fehlenden Bedingungseintritt, insbesondere also in Bezug auf die fehlende Verwendung eines Vaginalrings durch die Nebenklägerin handelte, noch ob er den vorzeitigen Abbruch des Geschlechtsverkehrs vorsätzlich unterließ.

Dem Senat ist bewusst, dass es das Tatgericht voraussichtlich vor erhebliche Probleme stellen wird, die in subjektiver Hinsicht bestehenden Feststellungslücken zu schließen. Die zu erwartenden Beweisschwierigkeiten sind jedoch gerade typische Folge des Regelungsmodells des § 177 Abs. 1 StGB (Renzikowski, in: MünchKomm, a.a.O., § 177 StGB Rn. 53) und haben im Falle der Unerweislichkeit den Freispruch des Angeklagten zur Folge.“

StPO II: Verletzung der Mitteilungspflicht? oder: Verständigungs- oder Organisationsgespräch?

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Im zweiten Posting des Tages dann noch einmal etwas zur Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO9, und zwat der BGH, Beschl. v. 03.03.2022 – 5 StR 228/21. Die Sache ist zum zweiten Mal beim BGH. Der BGH hatte ein erstes Urteil des LG aufgehoben. Das hatte in dann erneut wegen  Untreue verurteilt, allerdings nicht mehr zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe.  Dagegen hat der Angeklagate dann nochmals Revision eingelegt, mit der u.a. ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO gerügt worden war. Die hatte keinen Erfolg.

Die Rüge des Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO war im Hinblick auf ein zwischen der Vorsitzenden und dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft am 06.04.2020 geführtes Telefonat erhoben worden. In dem Telefonat hatte die Vorsitzende den Oberstaatsanwalt gefragt, ob er für einen gemeinsamen Besprechungstermin mit der Strafkammer und dem Verteidiger zur Verfügung stehe. Der Oberstaatsanwalt hatte dies bejaht und zugleich aber mitgeteilt mit, er wolle bereits jetzt erklären, dass er mit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO, wie vom Verteidiger vorgeschlagen, nicht einverstanden sei. Dies hat die Vorsitzende in einem zu den Akten gebrachten Vermerk niedergelegt, der vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger im Wege der Akteneinsicht und dem Angeklagten durch Übersendung einer Kopie des Aktenauszuges bekannt gemacht wurde. In der Hauptverhandlung teilte sie den Inhalt dieses Vermerks dann nicht (noch einmal) mit.

Der BGH sieht keinen Rechtsfehler:

„a) Die Rügen eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 StPO zeigen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

aa) Die Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO im Hinblick auf ein zwischen der Vorsitzenden und dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft am 6. April 2020 geführtes Telefonat ist unbegründet. In dem Telefonat fragte die Vorsitzende den Oberstaatsanwalt, ob er für einen gemeinsamen Besprechungstermin mit der Strafkammer und dem Verteidiger zur Verfügung stehe. Der Oberstaatsanwalt bejahte dies und teilte mit, er wolle bereits jetzt erklären, dass er mit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO, wie vom Verteidiger vorgeschlagen, nicht einverstanden sei. Dies legte die Vorsitzende in einem zu den Akten gebrachten Vermerk nieder, der vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger im Wege der Akteneinsicht und dem Angeklagten durch Übersendung einer Kopie des Aktenauszuges bekannt wurde. In der Hauptverhandlung teilte sie den Inhalt dieses Vermerks nicht mit.

Einen Rechtsfehler deckt die Revision damit nicht auf, denn Gegenstand des Telefongesprächs war nicht die Möglichkeit einer Verständigung, so dass es nicht der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO unterfiel. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei außerhalb einer Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 85; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461; BGH, Beschluss vom 18. August 2021 – 5 StR 199/21, NStZ 2022, 55). So verhält es sich hier nicht.

Die Frage der Vorsitzenden zielte allein auf die Organisation eines gemeinsamen Gesprächs zwischen den Verfahrensbeteiligten hin. Die Äußerung des Oberstaatsanwalts in diesem Zusammenhang stellt lediglich eine einseitige Willensbekundung auf den – wie allseits bekannt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 5 StR 366/19 Rn. 42) – bereits im ersten Durchgang von der Verteidigung formulierten Vorschlag einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO dar, die als solche (eine Reaktion der Vorsitzenden hierauf wird auch von der Revision nicht bestimmt behauptet) nicht mitteilungsbedürftig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 5 StR 366/19 Rn. 42). An der inhaltlichen Richtigkeit des Vermerks der Vorsitzenden bestehen keine Zweifel, zumal nach der Äußerung des Oberstaatsanwalts – anders als möglicherweise in anderen Fällen – auch keine Reaktion der Vorsitzenden hierzu nahelag, denn ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft kommt eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO von vornherein nicht in Betracht. Die von der Revision in diesem Zusammenhang behauptete Verletzung von § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO liegt nicht vor, denn das Protokoll gibt den Verfahrensgang zutreffend wieder.

bb) Soweit die Revision das Fehlen einer sogenannten „Negativmitteilung“ nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO rügt, also einer ausdrücklichen Mitteilung der Vorsitzenden, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden hatten, schließt der Senat aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO beruht. Denn auch nach dem Vortrag der Revision (insbesondere auch zu dem ausführlich dokumentierten und in der Hauptverhandlung mitgeteilten Erörterungstermin am 9. November 2020) kann der Senat ausschließen, dass es Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben hat (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 26. August 2014 – 2 BvR 2172/13, NStZ 2014, 592, 594; BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 – 1 StR 523/13, NStZ-RR 2014, 115; vom 25. Februar 2015 – 5 StR 258/13, NStZ 2015, 232 mwN).“

Corona II: Nochmals Impfausweis und Sperrwirkung, oder: Die Apotheke ist eine Behörde

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Und als zweite Entscheidung dann nochmals etwas zur Sperrwirkung, und zwar der LG Kempten, Beschl. v. 28.02.2022 – 2 Qs 27/22. Der Beschuldigte hatte am 16.11.2021 bei der pp. -Apotheke in Sonthofen einen gefälschten Impfausweis vorgelegt, um ein COVID-Impfzertifikat zu erhalten. In dem „Comirnaty“, durchgeführt durch das Impfzentrum Stuttgart, behauptet. Gestritten wird jetzt um die Rechtsmäßigkeit einer Durchsuchung, die beim Beschuldigten durchgeführt worden ist. In dem Zusammenhnag nimmt das LG zur sog. „Sperrwirkung“ Stellung:

„Die Vorlage des gefälschten Impfpasses war auch nach der bis zum 23.11.2021 geltenden Gesetzeslage strafbar gemäß §§ 277, 279, 270 StGB .

Der verfahrensgegenständliche Impfpass ist ein Gesundheitszeugnis. Impfpässe stellen nach h.M. Gesundheitszeugnisse dar (vgl. z.B. die zutreffende Zusammenfassung bei BeckOK: „Gesundheitszeugnisse beinhalten Erklärungen über den Gesundheitszustand eines Menschen und zwar zu einem früheren Zustand, zum gegenwärtigen Zustand wie auch über künftige Gesundheitsaussichten (BGHSt 10, 157; OLG Stuttgart BeckRS 2013, 18816; LG Frankfurt a. M. BeckRS 2021, 9575; Lackner/Kühl Rn. 1; Fischer Rn. 3; Schönke/Schröder/Heine/Schuster Rn. 2; MüKoStGB/Erb Rn. 2; LK-StGB/Zieschang Rn. 2; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2015, Rn. 913; Leifeld NZV 2013, 422).“)

Dem steht vorliegend auch nicht die vom Verteidiger zitierte Entscheidung des OLG Bamberg vom 17.01.2022 entgegen. Dort ging es, anders als im vorliegenden Fall, um die Frage, ob bereits die Herstellung von Blankett-Impfausweisen, also solchen, die nicht einem konkreten individualisierbaren Menschen zugeordnet werden können, bereits Gesundheitszeugnisse i.S.d. §§ 277 ff StGB sind. Vorliegend besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der Impfausweis auf den Beschuldigten lautete, denn nur durch Vorlage eines Ausweisdokumentes derselben Person ein Impfzertifikat für diese erlangen.

Der Impfpass war gefälscht. Der Beschuldigte hat dieses gefälschte Gesundheitszeugnis auch zur Täuschung einer Behörde verwendet, indem er es in der Apotheke zur Erlangung eines Impfzertifikats vorgelegt hat.

Zwar ist die Apotheke selbst keine Behörde i.S.d. § 279 StGB.

Die Apotheke dient bei der Ausstellung des Impfzertifikats jedoch, was vom LG Aschaffenburg in der vom Verteidiger zitierten Entscheidung vom 20.01.2022 übersehen wurde, lediglich als Vermittler zwischen dem Bürger und dem Robert-Koch-Institut, das eine Bundesbehörde ist.

Dass die Ausstellung durch das Robert-Koch-Institut nicht aufgrund der individuellen Prüfung einzelner dort beschäftigter Mitarbeiter, sondern aufgrund eines Datenverarbeitungsprozesses geschieht, ist unerheblich, da der Täuschung im Rechtsverkehr gemäß § 270 StGB die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung im Rechtsverkehr gleichsteht. Bei der Täuschung i.S.d. § 279 StGB handelt es sich auch um eine solche im Rechtsverkehr, da § 279 auf die §§ 277 und 278 StGB verweist, die jeweils von einer Täuschung im Rechtsverkehr als Tatbestandsmerkmal sprechen.

Auf die Frage, ob eine Täuschung von Privatpersonen vor der Gesetzesneufassung, gültig ab 24.11.2021, bereits strafbar war oder nicht, kommt es vorliegend nicht an, da eine Behörde getäuscht wurde.

Da der Straftatbestand des § 279 StGB vorliegend erfüllt wurde, kommt es nach Auffassung der Kammer auch nicht darauf an, ob der Impfausweis als zusätzliche, über eine Erklärung über den Gesundheitszustand hinausgehende Erklärung in Form der verabreichten Impfchargennummern enthält.

Eines Rückgriffs auf § 267 StGB bedarf es daher vorliegend ebenso wenig wie der Diskussion der Frage, ob die §§ 277 bis 279 StGB insoweit eine Sperrwirkung für die §§ 267 ff StGB entfalten.“

Es wird Zeit, dass sich der BGH zu den Fragen äußert.

Hinweis auf Höhe der Anwaltsgebühren erforderlich?, oder: Sittenwidrigkeit beim 3,6-Fachen über RVG?

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Und dann noch etwas zur Vergütungsvereinbarung (§ 3a RVG). Auch „kein Strafrechtsgrundfall“, aber das OLG München, Urt. v. 02.02.2022 – 15 U 2738/21 Rae – gilt acuh für andere Rechtsgebiete,

Folgender Sachverhalt: Der Kläger hatte einen Fachanwalt für Arbeitsrecht mit der gerichtlichen Vertretung in einem Kündigungsschutzprozess beauftragt. Zwischen dem Kläger und dem jetzt beklagten Rechtsanwalt wurde eine Vergütungsvereinbarung getroffen, die für den Rechtsanwalt ein Stundenhonorar von 340 EUR netto, mindestens aber das gesetzliche Honorar vorsah. Die Vereinbarung enthielt zudem eine sog. Nachverhandlungsklausel“ für ein Pauschalhonorar. Das sollte sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen, wobei eine Abfindung dem Gegenstandswert hinzuzurechnen sein sollte.

Der Kündigungsschutzprozesse endete mit einem Vergleich, der u.a. eine Abfindungszahlung von 60.000 EUR brutto vorsah. Kurze Zeit nach dem Vergleich unterzeichneten die Parteien in der Kanzlei des Rechtsanwalts eine weitere Vergütungsvereinbarung, welche die erste Vereinbarung ersetzte und ein Pauschalhonorar von 12.000 EUR brutto vorsah. Der Rechtsanwalt hat mit der Rechtsschutzversicherung des Klägers die gesetzliche Vergütung von 3.305,82 EUR abgerechnet und verrechnete die vom Arbeitgeber auf sein Anderkonto bezahlte Abfindungsleistung mit seinem restlichen Vergütungsanspruch aus dem Pauschalhonorar.

Der klagende Mandat verlangt nun Zahlung der verrechneten Abfindung. Das LG hat der Klage statt gegeben. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg:

„1. Die zweite Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vom 28.01.2020 ersetzt die erste Stundenhonorar-Vereinbarung zwischen den Parteien und entspricht der Vorschrift des § 3 a Abs. 1 Satz 1 und 2 RVG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung. Die Vergütungsvereinbarung war entsprechend der Vorschrift des RVG in Textform gehalten und als solche bezeichnet. Sie enthielt keine sonstigen Abreden und war auch von der Vollmacht getrennt.

2. Inhaltlich ist diese Vergütung nicht zu beanstanden. Eine Herabsetzung der Vergütung nach § 3 a Abs. 2 Satz 1 RVG kommt – ungeachtet der Verpflichtung zur Erholung eines Gutachtens der zuständigen Rechtsanwaltskammer – nicht in Betracht. Auch eine Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben.

a) Die Regelung des § 3a Abs. 1 RVG soll den Auftraggeber vor einer unüberlegten, leichtfertigen oder unbewussten Eingehung von solchen Zahlungspflichten schützen, die ihm und darüber hinaus dem Ansehen der Rechtspflege schaden könnten (Toussaint/Toussaint, 51. Auflage 2021, § 3 a RVG, Rn. 17). Eine höhere als die gesetzliche Vergütung einschließlich Auslagen ist hierbei allerdings keineswegs sittenwidrig. Eine zwischen den Parteien eines Anwaltsvertrags vereinbarte Vergütung muss vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben unangemessen hoch sein (BGH NJW 2010, 1364). Maßgeblich ist weder die Sicht des Auftraggebers noch diejenige des Anwalts, es gilt ein möglichst objektiver Maßstab. Die gesetzliche Vergütung ist hierbei zwar ein Indiz für die Unangemessenheit, trägt den vorgenannten Umständen aber als eine Pauschgebühr oft nicht in ausreichendem Maße Rechnung (Toussaint/Toussaint, § 3 a RVG, Rn. 42). Ausgangspunkt für die gesetzlichen Gebühren im vorliegenden Fall ist die soziale Schutzvorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG. Danach bemisst sich der Streitwert in arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozessen nach maximal dem Dreifachen eines Bruttomonatsgehalts, hier unstreitig 3.305,00 €. Das hier in der zweiten Vergütungsvereinbarung zwischen den Parteien vereinbarte Honorar brutto 12.000,00 € stellt mithin das 3,6-fache der gesetzlichen Gebühren des Beklagten dar. Ein auffälliges Missverhältnis besteht allerdings nicht bereits aufgrund dieser 3,6-fachen Überschreitung, da dies – gerade bei Vergütungsvereinbarungen im unteren und mittleren Streitwertbereich – erst angenommen wird, wenn das vertraglich vereinbarte Honorar mehr als das 5-fache der gesetzlichen Vergütung beträgt (BGH AnwBl. 2017, 208; BGH NJW 2005, 2142; OLG München NJW-RR 2012, 1469; Toussaint/Toussaint, § 3 a RVG, Rn. 41 – Stichwort „gesetzliche Vergütung“).

b) Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage, ob ein für eine Sittenwidrigkeit sprechendes Missverhältnis vorliegt, auch der nach dem Anwaltsvertrag geschuldete tatsächliche Aufwand, besondere und Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit zu berücksichtigen (BGH, NJW 2000, 669). Gerade bei Sachen mit niedrigem oder mittlerem Streitwert kann auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein mehrfaches übersteigt, angemessen sein (BGH, NJW-RR 2017, 377, 379). Der Mandant, der geltend macht, die mit dem Anwalt getroffene Vergütungsvereinbarung sei sittenwidrig oder unangemessen hoch und daher nichtig oder herabzusetzen und sich hierbei auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar beruft, muss nicht nur dartun, dass die Vergütung die vereinbarten gesetzlichen Gebühren überschreitet (was hier unstreitig ist), sondern zudem darlegen und beweisen, dass nach Umfang und Schwierigkeit der im Rahmen des konkreten Mandates geschuldeten anwaltlichen Tätigkeit objektiv nur eine geringere als die vereinbarte Vergütung marktangemessen ist. Erst wenn auf dieser Grundlage feststeht, dass die versprochene Vergütung das angemessene Honorar deutlich überschreitet, kann ein besonders grobes Missverhältnis vorliegen (BGH NJW-RR 2017, 377, 379). Für die Frage, welche Vergütung im konkreten Fall marktangemessen ist, hat das Gericht alle für und gegen ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Leistung des Anwalts und dem vereinbarten Honorar sprechenden Indizien im jeweiligen Einzelfall zu würdigen (BGH, a.a.O.).

c) Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles vermag der Senat eine Unangemessenheit des vereinbarten Honorars in Höhe von brutto 12.000,00 € nicht zu erkennen. Es kann bereits nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger sich bewusst für eine Mandatierung gerade des Beklagten, einen Fachanwalt für Arbeitsrecht, entschieden hat, weil er diesen als „harten Hund“ in einem anderen arbeitsrechtlichen Prozess erlebt hatte. Auch muss berücksichtigt werden, dass das Bruttomonatsgehalt des Klägers von 7.906,00 € ein hohes Gehalt darstellt und die vom Beklagten ausgehandelte Abfindung in Höhe von 60.000,00 € angesichts einer Beschäftigungsdauer des Klägers bei der Firma G. von lediglich drei bis vier Jahren (nach den eigenen Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat am 02.02.2022) eher mehr als das doppelte der üblicherweise zu zahlenden Abfindung bei betriebsbedingten Kündigungen darstellt (üblich ist ein Bruttomonatsgehalt pro Jahr der Beschäftigung). Unberücksichtigt darf im Rahmen der Abwägung auch nicht bleiben, dass der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts in Kündigungsschutzprozessen bei der Vertretung von Arbeitnehmern aus § 42 Abs. 2 GKG aus sozialen Gründen gedeckelt ist, um das Verfahren vor den Arbeitsgerichten möglichst günstig zu gestalten (vgl. Toussaint/Elzer, § 42 GKG, Rn. 34).

Nach alledem vermag der Senat im Rahmen der Abwägung des hier vorzunehmenden Einzelfalles trotz Vereinbarung des 3,6-fachen der gesetzlichen Gebühren ein auffälliges Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht festzustellen.

3. Auch ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer (ungefragten) Aufklärungspflicht besteht entgegen der Annahme des Landgerichtes nicht:

a) Eine gesetzliche Regelung zur Hinweispflicht des Rechtsanwalts findet sich lediglich in § 49 b Abs. 5 BRAO. Danach hat der Rechtsanwalt vor Übernahme eines Auftrags ungefragt hinzuweisen, wenn sich die zu erhebende Gebühr nach dem Gegenstandswert richtet. Hierum geht es vorliegend aber nicht, da die in der zweiten Vergütungsvereinbarung vereinbarte Pauschalvergütung von brutto 12.000,00 € sich weder nach dem Gegenstand der anwaltlichen Vertretung im Kündigungsschutzprozess richtet noch überhaupt vor Übernahme des Auftrages erfolgte.

b) Ungefragt schuldet der Rechtsanwalt in allen anderen Fällen seinem Auftraggeber grundsätzlich keinen solchen Hinweis auf die bisher entstandenen oder noch zu entstehenden Gebühren. Nur auf Verlangen des Auftraggebers hat der Rechtsanwalt die voraussichtliche Höhe seines Entgeltes mitzuteilen (BGH, NJW 1998, 3486, 3487). Allerdings kann sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Pflicht des Rechtsanwalts ergeben, auch ohne Frage des Auftraggebers diesen über die voraussichtliche Höhe seiner Vergütung zu belehren. Insoweit hat die erforderliche Gesamtwürdigung zu berücksichtigen einerseits den Schwierigkeitsgrad und Umfang der anwaltlichen Aufgabe, einen etwaig ungewöhnlich hohen Gegenstandswert und sich daraus ergebende hohe Gebühren, die das vom Auftraggeber erstrebte Ziel wirtschaftlich sinnlos machen können, andererseits die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten sowie dessen Vermögensverhältnisse und Erfahrungen im Umgang mit Rechtsanwälten. Letztlich hängt die anwaltliche Pflicht, den Auftraggeber vor Vertragsschluss über die voraussichtliche Höhe der Vergütung aufzuklären, entscheidend davon ab, ob der Rechtsanwalt nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Aufklärungsbedürfnis erkennen konnte und musste (BGH NJW 1998, 3486, 3487; BGH NJW 1985, 2642, 2643).

c) Unter Würdigung dieser Umstände des Einzelfalles vermag der Senat eine letztlich auf Treu und Glauben fußende Aufklärungspflicht über die bisher – aus der ersten Vergütungsvereinbarung – entstandene Vergütung nicht zu erkennen. Die vom Beklagten geleistete Stundenanzahl ist hier schon deshalb irrelevant, weil es sich zum einen nicht um ein Dauermandat handelte, in dem eine monatliche Abrechnung der geleisteten Stunden überhaupt auch nur vereinbart war. Zudem war aus der ersten Vergütungsvereinbarung klar ersichtlich, dass der Mandant und Kläger in jedem Falle eine Vergütung in Höhe der gesetzlichen Vergütung (hier 3.305,82 €) schuldete. Auch der von ihm geschuldete Betrag (€ 12.000,-) war vor Unterschriftsleistung unter die zweite Vergütungsvereinbarung für den Kläger eindeutig und unzweifelhaft ersichtlich. Zwar trägt der Kläger im Ansatz zutreffend vor, dass möglicherweise die Absichtserklärung in der ersten Vergütungsvereinbarung, später eine zweite Vergütungsvereinbarung zu schließen, irreführend war und bei einem rechtlichen Laien subjektiv der Eindruck entstehen konnte, zum Abschluss einer derartigen zweiten Vergütungsvereinbarung verpflichtet zu sein. Das vom Kläger behauptete grobe Ungleichgewicht in der Verhandlungsposition vermag der Senat allerdings in der hier vorliegenden Konstellation nicht zu erkennen. Der Kläger begab sich aus freiwilligen Stücken und nach einer bereits abgeschlossenen Vergütungsvereinbarung in die Kanzleiräume des Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt war der Vergleich vor dem Arbeitsgericht mit einer Abfindungszahlung von 60.000,00 € bereits abgeschlossen und der arbeitsgerichtliche Termin aufgehoben. Es bestand daher keinerlei Abhängigkeit des Klägers vom Beklagten insoweit, als dessen Wohlwollen im Hinblick auf die Verhandlungstätigkeit des Beklagten für den Kläger am Verhandlungsergebnis noch etwas geändert hätte. Hinzu kommt – worauf die Berufung zu Recht hinweist – dass es dem Kläger unbenommen und ein Leichtes gewesen wäre, den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vereinbarung nach der Höhe der bisher entstandenen Vergütung zu fragen. Auf entsprechendes Verlangen des Klägers wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Höhe seines Entgeltes mitzuteilen (siehe BGH a.a.O.). Soweit die Klagepartei meint, der Beklagte habe auf diesem Wege 22 % der Nettoabfindung des Klägers erhalten, sind zum einen hierbei etwaige Steuerrückerstattungen zum Ende des Kalenderjahres 2020 aufgrund der anschließenden Arbeitslosigkeit des Klägers nicht berücksichtigt und zum anderen kann diese Frage nur insoweit eine Rolle spielen, als sie das – oben bereits verneinte – Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, nicht aber eine ungeklärte Aufklärungspflicht betrifft.

Maßgeblich für die Frage einer Offenbarungspflicht über die bis zur entstandenen Gebühr ist vorliegend, ob der Mandant objektiv die voraussichtlich von ihm zu bezahlende Höhe der Vergütung erkennen konnte. Hierbei kann nicht außer Betracht bleiben, dass dem Kläger bereits aus der ersten Vergütungsvereinbarung (Anlage K 4) aus § 1 deutlich ersichtlich war, dass der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt die Vereinbarung eines Pauschalhonorars anstrebte, das sich am Dreifachen der gesetzlichen Vergütung orientieren sollte und dem Verlauf und den Besonderheiten des Mandats Rechnung tragen wird. Auch wenn letztlich die vereinbarte Pauschalvergütung etwas höher war als das ursprünglich angedachte (hier das 3,6-fache), so hält sich die Vergütungsvereinbarung noch im Wesentlichen im Rahmen des ursprünglich beabsichtigten. Somit konnte und durfte für den Kläger nicht überraschend sein, dass vom Beklagten eine Honorarvereinbarung angestrebt wurde, die deutlich höher war als die gesetzliche Vergütung und möglicherweise auch als die tatsächlich geleistete Stundenzahl. Berücksichtigt man die vom Beklagten ausgehandelte Abfindung, die angesichts der Beschäftigungszeit des Klägers das Doppelte des Üblichen ausmachte sowie die noch drei weiteren Monatsgehälter, die nach dem abgeschlossenen Vergleich vom Arbeitgeber bis Ende Mai 2020 an den Kläger zu bezahlen waren, so ist unter Berücksichtigung dieses „Gesamtpaketes“ die vereinbarte Vergütung auch nicht als wirtschaftlich sinnlos anzusehen. Soweit der Kläger moniert, im Kalendermonat der Zahlung der Abfindung sei ein erheblicher Betrag aus dieser Abfindung zu versteuern gewesen (Nettobetrag unter 40.000,00 €), so wird der Kläger einen nicht unerheblichen Teil hiervon im Rahmen der Einkommenssteuer 2020 auch unter Berücksichtigung der sich anschließenden Arbeitslosigkeit wieder zurückerhalten haben.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände sowie der oben zur Höhe der Vergütung bereits abgehandelten Argumente vermag der Senat eine ungefragte Aufklärungspflicht über die Höhe der bis zum Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung entstandenen Gebühren nicht zu erkennen. Es wäre dem Kläger – wie ausgeführt – unbenommen gewesen, den Beklagten vor Abschluss der zweiten Vergütungsvereinbarung über die bis zu diesem Zeitpunkt angefallenen Gebühren zu fragen oder die ihm vorgelegte zweite Vergütungsvereinbarung schlicht nicht zu unterzeichnen. Einer Drucksituation unterlag der Kläger aufgrund des zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des abgeschlossenen Vergleichs ersichtlich nicht mehr.“

OWi II: Vorsatz und Geschwindigkeitsüberschreitung, oder: Muss der Umfang dem Betroffenen bekannt sein?

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Mit der zweiten Entscheidung, dem OLG Hamm, Beschl. v. 07.02.2022 – 5 RBs 12/22 –, dann noch einmal etwas zum Vorsatz bei der Geschwindigkeitsüberschreitung:

„Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft ist anzumerken, dass der Umstand, dass einem Betroffenen der Umfang einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglicherweise nicht exakt bekannt ist, der Annahme von Vorsatz nicht entgegensteht. Vorsätzliches Handeln setzt eine solche Kenntnis nämlich nicht voraus. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v.19.02.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 684/20 -juris; vgl. auch BayObLG NZV 1999, 97; OLG Düsseldorf NZV 1996, 463). Dem Betroffenen war damit bewusst, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit jedenfalls nicht unerheblich erheblich überschritten hat. Wenn er es im Bewusstsein dessen unterließ, seine Geschwindigkeit durch den ihm jederzeit problemlos möglichen Blick auf den Tachometer zu kontrollieren und herabzumindern, brachte er dadurch hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass er eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch in dem tatsächlich realisierten Ausmaß zumindest billigend in Kauf nahm.“