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Corona II: Nochmals Impfausweis und Sperrwirkung, oder: Die Apotheke ist eine Behörde

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Und als zweite Entscheidung dann nochmals etwas zur Sperrwirkung, und zwar der LG Kempten, Beschl. v. 28.02.2022 – 2 Qs 27/22. Der Beschuldigte hatte am 16.11.2021 bei der pp. -Apotheke in Sonthofen einen gefälschten Impfausweis vorgelegt, um ein COVID-Impfzertifikat zu erhalten. In dem „Comirnaty“, durchgeführt durch das Impfzentrum Stuttgart, behauptet. Gestritten wird jetzt um die Rechtsmäßigkeit einer Durchsuchung, die beim Beschuldigten durchgeführt worden ist. In dem Zusammenhnag nimmt das LG zur sog. „Sperrwirkung“ Stellung:

„Die Vorlage des gefälschten Impfpasses war auch nach der bis zum 23.11.2021 geltenden Gesetzeslage strafbar gemäß §§ 277, 279, 270 StGB .

Der verfahrensgegenständliche Impfpass ist ein Gesundheitszeugnis. Impfpässe stellen nach h.M. Gesundheitszeugnisse dar (vgl. z.B. die zutreffende Zusammenfassung bei BeckOK: „Gesundheitszeugnisse beinhalten Erklärungen über den Gesundheitszustand eines Menschen und zwar zu einem früheren Zustand, zum gegenwärtigen Zustand wie auch über künftige Gesundheitsaussichten (BGHSt 10, 157; OLG Stuttgart BeckRS 2013, 18816; LG Frankfurt a. M. BeckRS 2021, 9575; Lackner/Kühl Rn. 1; Fischer Rn. 3; Schönke/Schröder/Heine/Schuster Rn. 2; MüKoStGB/Erb Rn. 2; LK-StGB/Zieschang Rn. 2; Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 5. Aufl. 2015, Rn. 913; Leifeld NZV 2013, 422).“)

Dem steht vorliegend auch nicht die vom Verteidiger zitierte Entscheidung des OLG Bamberg vom 17.01.2022 entgegen. Dort ging es, anders als im vorliegenden Fall, um die Frage, ob bereits die Herstellung von Blankett-Impfausweisen, also solchen, die nicht einem konkreten individualisierbaren Menschen zugeordnet werden können, bereits Gesundheitszeugnisse i.S.d. §§ 277 ff StGB sind. Vorliegend besteht jedoch kein Zweifel daran, dass der Impfausweis auf den Beschuldigten lautete, denn nur durch Vorlage eines Ausweisdokumentes derselben Person ein Impfzertifikat für diese erlangen.

Der Impfpass war gefälscht. Der Beschuldigte hat dieses gefälschte Gesundheitszeugnis auch zur Täuschung einer Behörde verwendet, indem er es in der Apotheke zur Erlangung eines Impfzertifikats vorgelegt hat.

Zwar ist die Apotheke selbst keine Behörde i.S.d. § 279 StGB.

Die Apotheke dient bei der Ausstellung des Impfzertifikats jedoch, was vom LG Aschaffenburg in der vom Verteidiger zitierten Entscheidung vom 20.01.2022 übersehen wurde, lediglich als Vermittler zwischen dem Bürger und dem Robert-Koch-Institut, das eine Bundesbehörde ist.

Dass die Ausstellung durch das Robert-Koch-Institut nicht aufgrund der individuellen Prüfung einzelner dort beschäftigter Mitarbeiter, sondern aufgrund eines Datenverarbeitungsprozesses geschieht, ist unerheblich, da der Täuschung im Rechtsverkehr gemäß § 270 StGB die fälschliche Beeinflussung einer Datenverarbeitung im Rechtsverkehr gleichsteht. Bei der Täuschung i.S.d. § 279 StGB handelt es sich auch um eine solche im Rechtsverkehr, da § 279 auf die §§ 277 und 278 StGB verweist, die jeweils von einer Täuschung im Rechtsverkehr als Tatbestandsmerkmal sprechen.

Auf die Frage, ob eine Täuschung von Privatpersonen vor der Gesetzesneufassung, gültig ab 24.11.2021, bereits strafbar war oder nicht, kommt es vorliegend nicht an, da eine Behörde getäuscht wurde.

Da der Straftatbestand des § 279 StGB vorliegend erfüllt wurde, kommt es nach Auffassung der Kammer auch nicht darauf an, ob der Impfausweis als zusätzliche, über eine Erklärung über den Gesundheitszustand hinausgehende Erklärung in Form der verabreichten Impfchargennummern enthält.

Eines Rückgriffs auf § 267 StGB bedarf es daher vorliegend ebenso wenig wie der Diskussion der Frage, ob die §§ 277 bis 279 StGB insoweit eine Sperrwirkung für die §§ 267 ff StGB entfalten.“

Es wird Zeit, dass sich der BGH zu den Fragen äußert.

„Warum soll ich einen Strafbefehl anregen?“, denn: Zusätzliche Verfahrensgebühr gibt es ja nicht.

So, wenn alles gut gegangen ist, bin ich ab heute wieder vor Ort. D.h., dass die Kommentarfunktion wieder auf ist.

Ich eröffne den Gebührenfreitag mit einer weniger schönen Entscheidung, und zwar mit dem LG Kempen, Beschl. v. 02.07.2018 – 3 Qs 99/18. Es geht mal wieder um das Entstehen der Gebühr Nr. 4141 VV RVG.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den inzwischen Verurteilten ein Ermittlungsverfahren wegen falscher uneidlicher Aussage geführt. Die Pflichtverteidigerin des damaligen Beschuldigten hat angeregt, die Sache im Strafbefehlsverfahren zu erledigen und erklärt, dass der Beschuldigte einen Strafbefehl mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von neun Monaten akzeptieren werde. Die Staatsanwaltschaft beantragte einen entsprechenden Strafbefehl, der rechtskräftig wurde. Es wird nun gestritten, ob die Gebühr Nr. 4141 VV RVG entstanden ist. Das AG hatte festgesetzt. Das passt natürlich dem „Hüter der Staatskasse“ nicht, der Beschwerde einlegt. Das LG hat sich ihm angeschlossen.

„Die vorliegende Konstellation, in welcher auf Anregung der Verteidigerin RAin pp. seitens der Staatsanwaltschaft Kempten ein Strafbefehl beantragt und vom Amtsgericht Kempten erlassen und dieser durch ausdrücklichen Rechtsmittelverzicht rechtskräftig gemacht wurde, ist in den Tatbeständen der vorgenannten Nr. 4141 VV gerade nicht erwähnt. In der Literatur wird daher eine entsprechende Anwendung des Gebührentatbestands auf die Vereinbarung eines Strafbefehls vertreten (so insbesondere Soujon zfs 2007, 662, der offenbar immer dann, wenn es zu einem rechtskräftigen Strafbefehl ohne Hauptverhandlung kommt, eine Gebühr nach VV 4141 gewähren will; zu allem Burhoff RVGreport 2008, 201 ff.; ders. Festschrift ARGE Strafrecht, 107 (119); Burhoff/Burhoff Nr. 4141 VV Rn. 52; N. Schneider AnwBl 2006, 274; ders. AGkompakt 2011, 86; Schneider/Wolf/N. Schneider VV 4141 Rn. 149 ff., Gerold/Schmidt/Burhoff VV Rn. 28–33, beck-online). Diese Auffassung vermag allerdings nicht zu überzeugen.

Nach allgemeinen Grundsätzen setzt eine Analogie nämlich eine planwidrige Regelungslücke voraus. Davon kann aber bei der vorliegenden Konstellation nicht ausgegangen werden. So wurden etwa gemeinsamen Vorschläge von DAV und BRAK zur strukturellen Änderung bzw. Ergänzung der VV 4141 in Nr. 11 d in AnwBl 2011, 120 (122) gemacht, die jedoch vom Gesetzgeber gerade nicht in das 2. KostRMoG übernommen worden sind (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 23. A. 2017, VV Rn. 28–33).

Durch ein Urteil oder einen erlassenen Strafbefehl wird der Rechtszug, so kein Rechtsmittel eingelegt wird, beendet. Da es somit zu keiner weiteren Verhandlung in der Sache kommt, kann schon rein sprachlich im Sinne der Nr. 4141 VV-RVG keine Hauptverhandlung entbehrlich werden, da es zu einer solchen ohne die Einlegung eines Rechtsmittels gar nicht kommt. Wollte man ein Tätigwerden des Anwalts im Sinne von Nr. 4141 VV-RVG bereits auf die Beratung des Verurteilten, eine ergangene Entscheidung (Urteil oder Strafbefehl) zu akzeptieren, erstrecken, würde dann bereits die Erklärung eines Rechtsmittelverzichts am Ende der Hauptverhandlung die Einigungsgebühr auslösen. Dieses war sicher nicht die Intention des Gesetzgebers bei der Schaffung dieses Gebührentatbestandes. Dies zeigt, unabhängig von der insoweit entstehenden Problematik des Nachweises eines entsprechenden Tätigwerdens des Anwalts und eines möglichen Missbrauchs, dass nach Beendigung der Instanz ohne die vorherige Einlegung eines Rechtsmittels die Einigungsgebühr der Nr. 4141 VV-RVG nicht anfallen kann (so OLG Nürnberg, VRR 2009, 399). Dieser Auffassung tritt die Kammer bei.“

Da fragt man sich doch als Verteidiger: Warum soll ich das Verfahren auf diese Weise abkürzen? Das Ergebnis kann ich ggf. für den Mandanten auch in der Hauptverhandlung erzielen. Und ich verdiene dann noch die Terminsgebühr.