Und im dritten Posting habe ich hier noch etwas Verfahrensrechtliches in Zusammenhang mit BtM, nämlich die Frage, wie mit der gleichzeitigen Begehung einer Brandstiftung und dem strafbaren Besitz eines Restes von Betäubungsmitteln umzugehen ist. Dazu äußert sich das AG Reutlingen, Urt. v. 28.02.2025 – 5 Ds 57 Js 5986/24 jug.
Der Angeklagte war am 24.11.2023 erstmals wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden. Das AG ist insoweit von einer einheitlichen Tat mit einer jetzt (noch) angeklagten versuchten schweren Brandstiftung ausgegangen und hat das Verfahren insoweit eingestellt:
„Soweit dem Angeklagten eine versuchte schwere Brandstiftung in zwei tateinheitlichen Fällen der Sachbeschädigung am 19. Juli 2023 vorgeworfen wird, ist das Verfahren einzustellen. Es liegt ein Verfahrenshindernis vor.
Die Anklage geht von folgendem Sachverhalt aus, der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung auch glaubhaft eingestanden ist:
Aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses und Tatplans mit D. entzündete der Angeklagte am 19. Juli 2023 gegen 00:46 Uhr in der Hauptstraße in Eningen unter Achalm zur Abholung bereitgestellte, mit Müll befüllte Plastikmüllsäcke mittels Feuerzeug. Hierbei hielt es der Angeklagte für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass das Feuer der an der Anschrift Hauptstraße XX in Brand gesetzten Müllsäcke auch auf das direkt daneben befindliche Wohn- und Geschäftsgebäude übergreifen würde. Nur durch das rechtzeitige Eingreifen der Feuerwehr konnte verhindert werden, dass das Gebäude selbständig in Brand geriet. Durch Hitze und Ruß wurden Fassade, eine große Fensterscheibe und eine Fensterbank beschädigt. Der Schaden belief sich auf etwa 6.800,- Euro. An der Anschrift Hauptstraße XX entstand weiterer Schaden in Höhe von ca. 682,- Euro am Gehweg und einem angrenzenden Grünstreifen.
Die prozessuale Tat ist jedoch bereits durch das Urteil vom 24. November 2023 unter dem Tatvorwurf des Besitzes von Betäubungsmitteln rechtskräftig abgeurteilt worden. Während der Brandlegung, die der Angeklagte – wie er – im Blick auf seine bekannte und aktenkundige Freude am Betäubungsmittelkonsum und im Einklang mit den Bekundungen des Zeugen Schauerte zum Zustand und Betragen des Angeklagten in der Vorfallsnacht – glaubhaft angibt – unter dem Einfluss eines Cannabisrausches begangen hat, führte er jene abgeurteilten 2,37 Gramm Marihuana mit sich. Seine Einlassung, er habe die Tat unter dem Einfluss des zuvor konsumierten Cannabis begangen, war detailliert, insbesondere was den Konsumzeitpunkt und seine gefühlte Enthemmung betrifft, und wurde durch die Feststellungen in einem Sicherstellungsbericht objektiv bestätigt.
Die Betäubungsmittel wurden bei einer Durchsuchung aufgefunden, als der Angeklagte unmittelbar nach der Tat, noch ganz in der Nähe des Tatortes, quasi „im Flammenschein“, von einer nach Brandstiftern fahndenden Streifenwagenbesatzung (PHK M. / EPHM B.) beobachtet und angehalten wurde. Die Beamten hatten den Angeklagten und den gesondert verfolgten D. bei der Brandlegung an einem Mülleimer beobachtet und Minuten später vor Ort kontrolliert. Bei dem Angeklagten wurden ein Feuerzeug und 3,17 Gramm „brutto“ Marihuana festgestellt. Hierzu wurde ein gesonderter Vermerk (Bl. 34 d.A.) gefertigt, welcher in der Hauptverhandlung verlesen ist. Die Abweichung der gewogenen Mengen erklärt sich zwanglos mit gerichtsbekannten Trocknungsvorgängen und dem ebenfalls gerichtsbekannten Umstand, dass das Polizeipräsidium Reutlingen nicht über geeichte Waagen verfügt.
Vorliegend ist sogar ein besonderer innerer Beziehungs- und Bedingungszusammenhang zwischen der bereits abgeurteilten und der angeklagten Tat gegeben. Die Sachbeschädigungen und versuchten Brandlegungen wurden nach unwiderlegbarer Einlassung des Angeklagten gerade auch infolge des Rausches begangen (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 28.05.2020 – 2 Ss 42/20).
Nach den medizinisch-psychiatrischen und forensischen Erkenntnissen kann der Konsum von Cannabis zu einer akuten psychischen Enthemmung und einer Veränderung des Risikoverhaltens führen. In der akuten und subakuten Wirkungsphase – typischerweise ein bis sechs Stunden nach Konsum – dominieren euphorische, heiter-ausgelassene Zustände, die mit einer Einschränkung von Konzentration, Aufmerksamkeit und kritischer Reflexionsfähigkeit einhergehen. Häufig beobachtet werden Denkstörungen, situative Desorientierung und illusionäre Verkennungen. Konsumenten neigen dabei zu Selbstüberschätzung, Kritikschwäche und erhöhter Risikobereitschaft, was insbesondere in Verbindung mit Impulsdurchbrüchen oder fehlender Hemmung zu unüberlegtem und gefährlichem Verhalten führen kann. Diese Wirkungen treten unabhängig von einer individuellen Disposition regelmäßig in der Konsumphase auf und sind zumindest nicht widerlegbar. Auch atypische Rauschverläufe mit aggressivem Verhalten, Panik oder irrationalem Handeln sind forensisch beschrieben. Es ist daher nahe liegend, dass der vorliegende Cannabiskonsum die Bereitschaft des Angeklagten zu einer unreflektierten und gefährlichen Tatbegehung zumindest mitverursacht hat (vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl. 2021, § 1 Rn. 296–302.)
Dem Zweifelssatz folgend ist davon auszugehen, dass die Tat ohne die festgestellte Beeinflussung durch Rauschmittel so nicht stattgefunden hätte. Das ziellose Herumstreifen in der Stadt, das pubertäre Gelabere, verbunden mit der rauschmittelbedingten Enthemmung und einer veränderten Risikovernehmung fügt sich zum „Zündeln“.
Die Tat als Prozessgegenstand ist freilich nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört auch dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet (vgl. BGH, Beschl. v. 09.11.2022 – 2 StR 386/21; OLG Stuttgart, Beschl. v. 01.07.2021 – 1 Rv 13 Ss 421/21, NJW 2021, 2596). Für die Beurteilung des prozessualen Tatbegriffs und des Umfangs des Strafklageverbrauchs ist auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2022 (2 StR 368/21) von Bedeutung. Der BGH hebt dort hervor, dass zur Tat im Sinne des § 264 StPO nicht nur der in der Anklage umschriebene Geschehensablauf gehört, sondern das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach natürlicher Betrachtung ein einheitliches Vorkommnis bildet.
Gemessen daran ist hinsichtlich des im Rahmen der noch am Tatort erfolgten Durchsuchung festgestellten Besitzes von Betäubungsmitteln, der Enthemmung, dem Rausch und der versuchten Brandlegung – unabhängig von der Frage der materiell-rechtlichen Konkurrenz – von einer prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO auszugehen. Dafür spricht nicht nur der nahe zeitliche und räumliche Zusammenhang beider Taten, sondern auch der enge sachliche Bezug des Betäubungsmittelkonsums zur vorausgegangenen „Tour“ durch die Stadt.
Kurz: Der Angeklagte wird auf frischer Tat angetroffen, durchsucht, dabei wurde bei ihm eine Substanz aufgefunden, die ein Dauerdelikt verwirklicht. Zwangsläufig und denknotwendig kann und muss davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte bereits während der Begehung der angeklagten Tat die Betäubungsmittel in seiner Tasche hatte, mithin besaß. Auszuschließen ist, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel unter ständiger Beobachtung durch die Polizei zwischen Brandlegung und Durchsuchung in seinen Besitz gebracht hat. Dass der Angeklagte zuvor schon Cannabis besessen und konsumiert hatte, hebt den festgestellten Zusammenhang zwischen Brandlegung, Besitz und der polizeilichen Kontrollsituation nicht auf.
Jedes andere Ergebnis stellte sich insoweit als unnatürliche Aufspaltung eines als einheitlich zu betrachtenden Lebensvorganges dar. Die getrennte Verfolgung der beiden Teilaspekte würde dem Grundsatz der Einheit der prozessualen Tat widersprechen. Dies gilt insbesondere auch im Lichte der Entscheidung des OLG Hamm (NStZ 2019, 695), wonach selbst bei materiell-rechtlicher Realkonkurrenz eine prozessuale Tat vorliegen kann, wenn die Delikte in einem funktionalen Zusammenhang stehen und als einheitliches Tun erscheinen.
Mit der rechtskräftigen Aburteilung des Betäubungsmittelbesitzes durch Urteil vom 24. November 2023 ist die Strafklage hinsichtlich des gesamten einheitlichen Lebensvorganges verbraucht. Das Doppelbestrafungsverbot gemäß Art. 103 Abs. 3 GG steht einer weiteren Verfolgung entgegen. Es liegt ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis in Form eines Befassungsverbots vor. Das Verfahren war daher einzustellen.“

