Und dann am Gebührenfreitag zunächst etwas zum Ärgern/Kopfschütteln, nämlich den LG Magdeburg, Beschl. v. 07.02.2025 – 29 Qs 4/25, der zumindest teilweise falsch ist, und zwar hinsichtlich der Ausführungen der LG zum Verhältnis Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Richtig ist das, was das LG nochmals Erstreckung ausgeführt hat.
Folgender Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Angeklagten in zunächst zwei verschiedenen Verfahren wegen des Tatverdachts des Besitzes und Verbreitens von kinderpornografischen Inhalten. In dem Verfahren V 1 legitimierte sich der Verteidiger als Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 20.03.2023 für den Angeklagten und beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidiger. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 17.04.2023 wurde das Verfahren V 1 zum führenden Verfahren V 2 verbunden und mit Beschluss vom 6.09.2023 ordnete das AG den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bei.
Das AG verurteilte den Angeklagten dann am 28.11.2024 wegen Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Schriften zu einer Freiheitsstrafe. Mit Schriftsatz vom 03.12.2024 beantragte der Verteidiger die Festsetzung der Verteidigervergütung in Höhe von 1.478,43 EUR. Der Antrag beinhaltete u.a. eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG sowie eine Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG sowie eine Postpauschale Nr. 7002 VV RVG jeweils auch für das Verfahren V 1. Das AG teilte dem Verteidiger mit, dass eine Beiordnung im Verfahren V 1 nicht erfolgt sei und deshalb für dieses Verfahren keine Pflichtverteidigergebühren geltend gemacht werden könnten. Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das genannte Verfahren sei nicht erfolgt. Hierzu nahm der Verteidiger Stellung und trug vor, dass er in dem damaligen eigenständigen Ermittlungsverfahren V 1 tätig geworden sei und die entsprechenden Gebühren gemäß Nr. 4100 und 4104 VV RVG entstanden seien. Einmal entstandene Gebühren würden nicht aufgrund der Verfahrensverbindung untergehen.
Das AG hat dann die Pflichtverteidigervergütung nur in Höhe von 1.083,35 EUR festgesetzt und den Kostenfestsetzungsantrag im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass die Kosten des Ermittlungsverfahrens V 1 nicht erstattungsfähig seien, denn es fehle an einer Beiordnung in diesem Verfahren. Es werde zwar nicht bestritten, dass durch die Verbindung der Ermittlungsverfahren die Gebühren nicht untergehen. Dies führe jedoch nicht zu einer Erstattungsfähigkeit als Pflichtverteidigergebühren aus der Landeskasse (OLG Celle, Beschl. v. 4.9.2019 – 2 Ws 253/19).
Hiergegen wendete sich der Verteidiger mit seiner sofortigen Beschwerde. Die hatte nur teilweise Erfolg. Das LG hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG auch für das Verfahren V 1 festgesetzt. Die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG ist für das Verfahren V 1 hingegen nicht festgesetzt worden:
„Die allgemeine Vergütung des Verteidigers und die Vergütung im vorbereitenden Verfahren richtet sich nach Nr. 4100 bis 4105 VV RVG. Ausgangspunkt bildet dabei stets die in Nr. 4100 VV RVG geregelte Grundgebühr. Gemäß Anmerkung 1 zu Nr. 4100 W RVG erhält der Rechtsanwalt eine Grundgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Der Rechtsfall wird dabei bestimmt vom strafrechtlichen Vorwurf, der dem Auftraggeber gemacht wird und wie er von den Strafverfolgungsbehörden verfahrensmäßig behandelt wird. Grundsätzlich ist jedes von den Strafverfolgungsbehörden betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall im Sinne von Nr. 4100 W RVG, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind. Eine spätere Verfahrensverbindung hat auf bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss (OLG Celle, Beschluss vom 26.01.2022 – 2 Ws 19/22, BeckRS 2022, 6165 m. w. N.).
Nach diesen Grundsätzen bildete das Verfahren 459 Js 46414/22 bis zur Verbindung einen eigenständigen Rechtsfall. Grundlage waren jeweils einzelne Straftaten des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hat beide Verfahren nach Übernahme separat in ihr Verfahrensregister eingetragen und ein eigenes Aktenzeichen hierfür vergeben. Die Verbindung der Verfahren erfolgte erst zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. als die Grundgebühr bereits entstanden war.
Im Rahmen des § 48 Abs. 6 RVG war lange umstritten, ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits aus Abs. 6 S. 1 folgt und ob der Anwendungsbereich des Abs. 6 S. 3 entsprechend auf Fälle beschränkt ist, in denen nach einer Beiordnung noch weitere Verfahren hinzuverbunden werden (vgl. hierzu K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 66. Ed. 1.12.2024, RVG § 48 Rn. 130). Werden Verfahren zunächst verbunden und erfolgt erst danach die anwaltliche Bestellung oder Beiordnung in dem nunmehr verbundenen Verfahren, gilt Abs. 6 S.1 unmittelbar. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum das Gericht nach Abs. 6 S. 3 die Erstreckungswirkung ausdrücklich anordnen sollte (vgl. auch LG Osnabrück AGS 2024, 113).
Die zum 1.1.2021 erfolgte Ergänzung von Abs. 6 S. 3 mit dem KostRAG vom 21.12.2020 (BGBl. 13229) stellt dies klar und beschränkt den Anwendungsbereich des Abs. 6 S. 3 auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen. Damit ist auch klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Bestellung oder Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil Abs. 6 S. 1 unmittelbar gilt (K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 66. Ed. 1.12.2024, RVG § 48 Rn. 129; Kotz/Voigt in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Auflage 2022, § 42 Vergütung nach dem RVG und Vergütungs-vereinbarung, Rn. 35).
Der Höhe nach ist für die Tätigkeit des Verteidigers in dem Verfahren 459 Js 46414/22 die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG und die Post- und Telekommunikationspauschale entstanden. Einen Anspruch auf Festsetzung der vom Verteidiger daneben jeweils abgerechneten Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG besteht dagegen nicht.
Die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG entsteht nach Übernahme des Mandats und soll den Aufwand für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abgelten. Die Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG soll dagegen nach der Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information abgelten. Die Verfahrensgebühr entsteht zwar nach Anmerkung 1 zu Nr. 4100 W RVG neben der Grundgebühr. Abgegolten werden mit ihr im vorbereitenden Verfahren allerdings nur Tätigkeiten nach der Erstinformation des Rechtsanwalts, d.h. alle Tätigkeiten nach erstem Mandantengespräch und erster Akteneinsicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, Vorbem. 4 Rn. 14). Die erste Akteneinsicht ist dagegen bereits von der Grundgebühr umfasst (ThürOLG, Beschluss vom 11. Januar 2005 – ARs 185/04; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 4100 Rn. 22). Wird das Verfahren nach erfolgter Erstinformation zu einem anderen Verfahren verbunden, besteht für die Annahme einer neben der Grundgebühr stets entstehenden Verfahrensgebühr (Nr. 4104) kein Raum.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 03.04.2023 wurde dem Verteidiger erstmals Akteneinsicht in dem Verfahren 459 Js 46414/22 gewährt. Weitere, über die erste Einarbeitung in den jeweiligen Fall hinausgehende Tätigkeiten bis zur kurze Zeit später erfolgten Verfahrensverbindung hat der Verteidiger nicht vorgetragen und waren nach Lage der Dinge unter Berücksichtigung des Verfahrensstadiums auch nicht zu erwarten.
Da es sich bei den Ermittlungsverfahren um einzelne Rechtsfälle handelt, ist neben der Grundgebühr die ebenfalls vom Verteidiger in seiner Kostenrechnung abgerechnete Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VVRVG) festzusetzen. Entsprechend des Antrags des Verteidigers betrug die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG für den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt 175,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 Euro.“
Wie gesagt: Den Ausführungen des LG zur Verbindung und Erstreckung ist nichts hinzuzufügen. Sie sind zutreffend. Mit dem KostRÄndG v. 21.12.2020 hat sich ab 1.1.2021 der frühere Streit um die Anwendung und Auslegung von § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erledigt. Der Verteidiger/Rechtsanwalt muss daher darauf achten, dass zunächst verbunden wird und dann die Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgt. Dann ist ein besonderer Erstreckungsantrag nicht erforderlich. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen nach der Bestellung erst (hinzu)verbunden wird.
Vehement zu widersprechen ist allerdings den Ausführungen des LG zum Entstehen der Verfahrensgebühr 4104 VV RVG. Insoweit ist die Entscheidung fehlerhaft, und zwar ebenso wie eine des LG Siegen (LG Siegen, Beschl. v. 19.2.2024 – 10 Qs 4/24 und eine des LG Koblenz (LG Koblenz, Beschl. v. 18.11.2024 – 3 Qs 45/24. Ebenso wie diese LG verkennen hier AG und auch das LG das Zusammenspiel von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Das ist um so bedauerlicher (und unverständlicher), weil die Fragen an sich durch das 2. KostRMoG seit 2013 geklärt sind. Von daher ist mir unverständlich, warum auf einmal die Gerichte von der m.E. eindeutigen Regelung abweichen. Einzelheiten zu der Frage erspare ich mich. Dazu ist m.E. genug geschrieben, aber es scheint die LG in ihrer „Mia san mia-Mentalität“ nicht zu interessieren.