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Verhältnis Verbindung und Erstreckung – Topp, oder: Verhältnis Grundgebühr und Verfahrensgebühr – Flop

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Und dann am Gebührenfreitag zunächst etwas zum Ärgern/Kopfschütteln, nämlich den LG Magdeburg, Beschl. v. 07.02.2025 – 29 Qs 4/25, der zumindest teilweise falsch ist, und zwar hinsichtlich der Ausführungen der LG zum Verhältnis Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Richtig ist das, was das LG nochmals Erstreckung ausgeführt hat.

Folgender Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Angeklagten in zunächst zwei verschiedenen Verfahren wegen des Tatverdachts des Besitzes und Verbreitens von kinderpornografischen Inhalten. In dem Verfahren V 1 legitimierte sich der Verteidiger als Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 20.03.2023 für den Angeklagten und beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidiger. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 17.04.2023 wurde das Verfahren V 1 zum führenden Verfahren V 2 verbunden und mit Beschluss vom 6.09.2023 ordnete das AG den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bei.

Das AG verurteilte den Angeklagten dann am 28.11.2024 wegen Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Schriften zu einer Freiheitsstrafe. Mit Schriftsatz vom 03.12.2024 beantragte der Verteidiger die Festsetzung der Verteidigervergütung in Höhe von 1.478,43 EUR. Der Antrag beinhaltete u.a. eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG sowie eine Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG sowie eine Postpauschale Nr. 7002 VV RVG jeweils auch für das Verfahren V 1. Das AG teilte dem Verteidiger mit, dass eine Beiordnung im Verfahren V 1 nicht erfolgt sei und deshalb für dieses Verfahren keine Pflichtverteidigergebühren geltend gemacht werden könnten. Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das genannte Verfahren sei nicht erfolgt. Hierzu nahm der Verteidiger Stellung und trug vor, dass er in dem damaligen eigenständigen Ermittlungsverfahren V 1 tätig geworden sei und die entsprechenden Gebühren gemäß Nr. 4100 und 4104 VV RVG entstanden seien. Einmal entstandene Gebühren würden nicht aufgrund der Verfahrensverbindung untergehen.

Das AG hat dann die Pflichtverteidigervergütung nur in Höhe von 1.083,35 EUR festgesetzt und den Kostenfestsetzungsantrag im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass die Kosten des Ermittlungsverfahrens V 1 nicht erstattungsfähig seien, denn es fehle an einer Beiordnung in diesem Verfahren. Es werde zwar nicht bestritten, dass durch die Verbindung der Ermittlungsverfahren die Gebühren nicht untergehen. Dies führe jedoch nicht zu einer Erstattungsfähigkeit als Pflichtverteidigergebühren aus der Landeskasse (OLG Celle, Beschl. v. 4.9.2019 – 2 Ws 253/19).

Hiergegen wendete sich der Verteidiger mit seiner sofortigen Beschwerde. Die hatte nur teilweise Erfolg. Das LG hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG auch für das Verfahren V 1 festgesetzt. Die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG ist für das Verfahren V 1 hingegen nicht festgesetzt worden:

„Die allgemeine Vergütung des Verteidigers und die Vergütung im vorbereitenden Verfahren richtet sich nach Nr. 4100 bis 4105 VV RVG. Ausgangspunkt bildet dabei stets die in Nr. 4100 VV RVG geregelte Grundgebühr. Gemäß Anmerkung 1 zu Nr. 4100 W RVG erhält der Rechtsanwalt eine Grundgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Der Rechtsfall wird dabei bestimmt vom strafrechtlichen Vorwurf, der dem Auftraggeber gemacht wird und wie er von den Strafverfolgungsbehörden verfahrensmäßig behandelt wird. Grundsätzlich ist jedes von den Strafverfolgungsbehörden betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall im Sinne von Nr. 4100 W RVG, solange die Verfahren nicht miteinander verbunden sind. Eine spätere Verfahrensverbindung hat auf bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandene Gebühren keinen Einfluss (OLG Celle, Beschluss vom 26.01.2022 – 2 Ws 19/22, BeckRS 2022, 6165 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen bildete das Verfahren 459 Js 46414/22 bis zur Verbindung einen eigenständigen Rechtsfall. Grundlage waren jeweils einzelne Straftaten des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hat beide Verfahren nach Übernahme separat in ihr Verfahrensregister eingetragen und ein eigenes Aktenzeichen hierfür vergeben. Die Verbindung der Verfahren erfolgte erst zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. als die Grundgebühr bereits entstanden war.

Im Rahmen des § 48 Abs. 6 RVG war lange umstritten, ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits aus Abs. 6 S. 1 folgt und ob der Anwendungsbereich des Abs. 6 S. 3 entsprechend auf Fälle beschränkt ist, in denen nach einer Beiordnung noch weitere Verfahren hinzuverbunden werden (vgl. hierzu K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 66. Ed. 1.12.2024, RVG § 48 Rn. 130). Werden Verfahren zunächst verbunden und erfolgt erst danach die anwaltliche Bestellung oder Beiordnung in dem nunmehr verbundenen Verfahren, gilt Abs. 6 S.1 unmittelbar. Es sind keine Gründe ersichtlich, warum das Gericht nach Abs. 6 S. 3 die Erstreckungswirkung ausdrücklich anordnen sollte (vgl. auch LG Osnabrück AGS 2024, 113).

Die zum 1.1.2021 erfolgte Ergänzung von Abs. 6 S. 3 mit dem KostRAG vom 21.12.2020 (BGBl. 13229) stellt dies klar und beschränkt den Anwendungsbereich des Abs. 6 S. 3 auf die Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen. Damit ist auch klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Bestellung oder Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil Abs. 6 S. 1 unmittelbar gilt (K. Sommerfeldt/M. Sommerfeldt in: BeckOK RVG, 66. Ed. 1.12.2024, RVG § 48 Rn. 129; Kotz/Voigt in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Auflage 2022, § 42 Vergütung nach dem RVG und Vergütungs-vereinbarung, Rn. 35).

Der Höhe nach ist für die Tätigkeit des Verteidigers in dem Verfahren 459 Js 46414/22 die Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG und die Post- und Telekommunikationspauschale entstanden. Einen Anspruch auf Festsetzung der vom Verteidiger daneben jeweils abgerechneten Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG besteht dagegen nicht.

Die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG entsteht nach Übernahme des Mandats und soll den Aufwand für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abgelten. Die Verfahrensgebühr im vorbereitenden Verfahren nach Nr. 4104 VV RVG soll dagegen nach der Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information abgelten. Die Verfahrensgebühr entsteht zwar nach Anmerkung 1 zu Nr. 4100 W RVG neben der Grundgebühr. Abgegolten werden mit ihr im vorbereitenden Verfahren allerdings nur Tätigkeiten nach der Erstinformation des Rechtsanwalts, d.h. alle Tätigkeiten nach erstem Mandantengespräch und erster Akteneinsicht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, Vorbem. 4 Rn. 14). Die erste Akteneinsicht ist dagegen bereits von der Grundgebühr umfasst (ThürOLG, Beschluss vom 11. Januar 2005 – ARs 185/04; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021, VV 4100 Rn. 22). Wird das Verfahren nach erfolgter Erstinformation zu einem anderen Verfahren verbunden, besteht für die Annahme einer neben der Grundgebühr stets entstehenden Verfahrensgebühr (Nr. 4104) kein Raum.

Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 03.04.2023 wurde dem Verteidiger erstmals Akteneinsicht in dem Verfahren 459 Js 46414/22 gewährt. Weitere, über die erste Einarbeitung in den jeweiligen Fall hinausgehende Tätigkeiten bis zur kurze Zeit später erfolgten Verfahrensverbindung hat der Verteidiger nicht vorgetragen und waren nach Lage der Dinge unter Berücksichtigung des Verfahrensstadiums auch nicht zu erwarten.

Da es sich bei den Ermittlungsverfahren um einzelne Rechtsfälle handelt, ist neben der Grundgebühr die ebenfalls vom Verteidiger in seiner Kostenrechnung abgerechnete Pauschale für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VVRVG) festzusetzen. Entsprechend des Antrags des Verteidigers betrug die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG für den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt 175,00 Euro, die Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 Euro.“

Wie gesagt: Den Ausführungen des LG zur Verbindung und Erstreckung ist nichts hinzuzufügen. Sie sind zutreffend. Mit dem KostRÄndG v. 21.12.2020 hat sich ab 1.1.2021 der frühere Streit um die Anwendung und Auslegung von § 48 Abs. 6 S. 1 RVG erledigt. Der Verteidiger/Rechtsanwalt muss daher darauf achten, dass zunächst verbunden wird und dann die Bestellung zum Pflichtverteidiger erfolgt. Dann ist ein besonderer Erstreckungsantrag nicht erforderlich. Etwas anderes gilt in den Fällen, in denen nach der Bestellung erst (hinzu)verbunden wird.

Vehement zu widersprechen ist allerdings den Ausführungen des LG zum Entstehen der Verfahrensgebühr 4104 VV RVG. Insoweit ist die Entscheidung fehlerhaft, und zwar ebenso wie eine des LG Siegen (LG Siegen, Beschl. v. 19.2.2024 – 10 Qs 4/24 und eine des LG Koblenz (LG Koblenz, Beschl. v. 18.11.2024 – 3 Qs 45/24. Ebenso wie diese LG verkennen hier AG und auch das LG das Zusammenspiel von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Das ist um so bedauerlicher (und unverständlicher), weil die Fragen an sich durch das 2. KostRMoG seit 2013 geklärt sind. Von daher ist mir unverständlich, warum auf einmal die Gerichte von der m.E. eindeutigen Regelung abweichen. Einzelheiten zu der Frage erspare ich mich. Dazu ist m.E. genug geschrieben, aber es scheint die LG in ihrer „Mia san mia-Mentalität“ nicht zu interessieren.

Erstreckung und Verhältnis Grund-/Verfahrensgebühr, oder: Gönnt man dem Verteidiger nicht alle Gebühren?

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Und dann der angekündigte – zumindest teilweise – „unschöne“ LG, Beschluss, und zwar der LG Magdeburg, Beschl. v. 07.02.2025 – 29 Qs 4/25, der sich nochmals zur Erstreckung und zum Verhältnis Grundgebühr und Verfahrensgebühr äußert. Leider teilweise falsch.

Folgender Sachverhalt: Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen den Angeklagten in zunächst zwei verschiedenen Verfahren wegen des Tatverdachts des Besitzes und Verbreitens von kinderpornografischen Inhalten. In dem Verfahren V 1 legitimierte sich der Verteidiger als Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 20.03.2023 für den Angeklagten und beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidiger. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 17.04.2023 wurde das Verfahren V 1 zum führenden Verfahren V 2 verbunden und mit Beschluss vom 06.09.2023 ordnete das AG den Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bei.

Das AG verurteilte den Angeklagten dann am 28.11.2024 wegen Besitzes von kinder- und jugendpornografischen Schriften zu einer Freiheitsstrafe. Mit Schriftsatz vom 03.12.2024 beantragte der Verteidiger die Festsetzung der Verteidigervergütung in Höhe von 1.478,43 EUR. Der Antrag beinhaltete u.a. eine Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG sowie eine Vorverfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG sowie eine Postpauschale Nr. 7002 VV RVG jeweils auch für das Verfahren V 1.

Mit Schriftsatz vom 27.12.2024 teilte das AG dem Verteidiger mit, dass eine Beiordnung im Verfahren V 1 nicht erfolgt sei und deshalb für dieses Verfahren keine Pflichtverteidigergebühren geltend gemacht werden könnten. Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das genannte Verfahren sei nicht erfolgt. Hierzu nahm der Verteidiger Stellung und trug vor, dass er in dem damaligen eigenständigen Ermittlungsverfahren V 1 tätig geworden sei und die entsprechenden Gebühren gemäß Nr. 4100 und 4104 VV RVG entstanden seien. Einmal entstandene Gebühren würden nicht aufgrund der Verfahrensverbindung untergehen. Das AG hat dann die Pflichtverteidigervergütung nur in Höhe von 1.083,35 EUR festgesetzt und den Kostenfestsetzungsantrag im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass die Kosten des Ermittlungsverfahrens V 1 nicht erstattungsfähig seien, denn es fehle an einer Beiordnung in diesem Verfahren. Es werde zwar nicht bestritten, dass durch die Verbindung der Ermittlungsverfahren die Gebühren nicht untergehen. Dies führe jedoch nicht zu einer Erstattungsfähigkeit als Pflichtverteidigergebühren aus der Landeskasse (OLG Celle, Beschl. v. 4.9.2019 – 2 Ws 253/19).  Hiergegen wendete sich der Verteidiger mit seiner sofortigen Beschwerde.

Die hatte nur teilweise Erfolg. Das LG hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und die Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG auch für das Verfahren V 1 festgesetzt. Die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG ist für das Verfahren V 1 hingegen nicht festgesetzt worden.

Da ich zu den Fragen schon einige Entscheidungen vorgestellt habe, beschränke ich mich hier auf die Leitsätze.

1. Werden Verfahren zunächst verbunden und erfolgt erst danach die anwaltliche Bestellung oder Beiordnung in dem nunmehr verbundenen Verfahren, gilt § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG unmit-telbar.

2. Wird das Verfahren nach erfolgter Erstinformation zu einem anderen Verfahren verbunden, besteht für die Annahme einer neben der Grundgebühr stets entstehenden Verfahrensgebühr kein Raum.

Anzumerken ist:

Den Ausführungen des LG zur Verbindung und Erstreckung – Leitsatz 1 – ist nichts hinzuzufügen. Sie sind zutreffend.

Vehement zu widersprechen ist allerdings den Ausführungen des LG zum Entstehen der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG und damit dem Leitsatz 2. Insoweit ist die Entscheidung fehlerhaft, und zwar ebenso wie eine des LG Siegen (LG Siegen, Beschl. v. 19.2.2024 – 10 Qs 4/24, AGS 2024, 211) und eine des LG Koblenz (LG Koblenz, Beschl. v. 18.11.2024 – 3 Qs 45/24). Beide hatte ich hier auch vorgestellt. Ebenso wie diese LG verkennen hier AG und auch das LG das Zusammenspiel von Grundgebühr und Verfahrensgebühr. Das ist um so bedauerlicher (und unverständlicher), weil die Fragen an sich durch das 2. KostRMoG seit 2013 geklärt sind. da ich bereits mehrfach etwas dazu gesagt habe, spare ich mir weitere Anmerkungen.

Allerdings. Ich habe bei diesen Entscheidungen, die das Verhältnis falsch sehen, zunehmend den Eindruck, als ob die häufig auch in der Richtung Stellung nehmenden Vertreter der Staatskasse aber auch AG/LG den Verteidigern die Verfahrensgebühren nicht „gönnen“ und deshalb das Verhältnis Grundgebühr/Verfahrensgebühr so falsch sehen und die Gesetzesänderung „reparieren“ wollen. Dass der Verteidiger in diesen Fällen ggf. für eine sehr geringe Tätigkeit eine Verfahrensgebühr erhält, ist aber nun mal Folge der gesetzlichen Regelung und eben auch der Pauschalgebührencharakters der Pflichtverteidigervergütung. Das kann und darf man so nicht korrigieren. Zumal man damit das gesetzgeberische Anliegen, das 2013 zu den Änderungen in der Nr. 4100 VV RVG durch das KostRMoG geführt hat konterkariert. Denn man kommt dann wieder in die Diskussion um das Verhältnis und den Abgeltungsbereích der Grundgebühr/Verfahrensgebühr, die der Gesetzgeber mit der Änderungen gerade beenden wollte.

(Späte) Einsicht beim AG Augsburg, oder: Geht doch bzw. doch kein Augsburger Landrecht

© Alex White - Fotolia-com

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Anfang September hatte ich unter: Augsburger Landrecht? oder: Von Berlin nach Augsburg ist es (zu) weit (?) über die falsche Rechtsauffassung einer Rechtspflegering beim AG Augsburg zum Verhältnis Grundgebühr/Verfahrensgebühr, die nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG nun immer nebeneinander anfallen, berichtet. Der Rechtspflegerin gefällt das wohl nicht und sie hatte  nach einem Pflichtverteidigerwechsel die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG nicht zu Gunsten des (jungen) Kollegen festgesetzt. Der hat Erinnerung eingelegt. Und teilt nun mit:

„Ich darf Ihnen mitteilen, dass die zuständige Rechtspflegerin auf die Stellungnahme des Bezirksrevisors am AG Augsburg hin meiner Erinnerung abgeholfen und nun auch die Verfahrensgebühr festgesetzt hat.

Der Revisor verwies u.a. darauf, dass der Fall in Ihrem Blog diskutiert werde.

Na bitte, geht doch. Ich weiß zwar nicht, warum der Bezirksrevisor und ich „nachhelfen“ müssen, aber: Nun ist die Verfahrensgebühr ja auch festgesetzt. Alles gut.

Nachgekartet hat die Rechtspflegerin dann in der Begründung mit einem kleinen „Seitenhieb“ aber doch – nach Berlin denke ich; ganz kampflos wollte sie dann das Feld wohl doch nicht räumen:

„In Bezug auf die Festgebühren eines Pflichtverteidigers erscheint dies hier, bei der knappen Verteidigertätigkeit des Rechtsanwalts pp., der nicht einmal persönlichen Kontakt zum Mandanten hatte, unverhältnismäßig, doch besteht Bindung an den Gesetzestext“.

Na ja, ob das sein musste? Und ob die Neuregelung „unverhältnismäßig“ ist? Es sind eben Festbetragsgebühren, die der Pflichtverteidiger erhält. Das mag dann an der ein oder anderen Stelle vielleicht ein wenig zu viel sein, aber: An vielen anderen Stellen ist es dann aber auch angesichts des Aufwandes, den der Verteidiger betreiben muss, zu wenig. Das ist eben so, auch wenn es der Rechtspflegerin nicht gefällt.

Der Kollege ist dann auch nicht mehr „verärgert“, sondern freut sich über die Verfahrensgebühr. Und. „Um so mehr freut es mich dann, dass Sie mit Ihrem Blog und Ihrer Entscheidungssammlung Hilfestellungen für uns Kollegen bieten. Dafür möchte ich Ihnen recht herzlich danken!“

Bitte schön, gern geschehen. Dafür betreibe ich das ja hier.

Augsburger Landrecht? oder: Von Berlin nach Augsburg ist es (zu) weit (?)

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Ich gehe davon aus, dass mein gestriges Posting Der „kostenneutrale“ neue Pflichtverteidiger – so nicht Anlass für die gestrige Email-Nachricht eines Kollegen war, über die ich mich geärgert habe. Nun, nicht über die Nachricht, sondern über den gebührenrechtlichen Sachverhalt, den der Kollege mitteilt. Und zwar:

„Am 20.04.15 wurde ich vom AG Augsburg zum Pflichtverteidiger bestellt.

Am 09.07.15 wurde ich vom Gericht als Pflichtvert. ohne Angabe von Gründen entbunden und eine neue Pflichtvert. aus München (!) „unter Anrechnung der bisher entst. Pflichtvet.gebühren“ bestellt.

Meine Nachfrage bei Gericht ergab, dass der Wechsel „auf Wunsch des Angekl.“ erfolgte.

Der Angekl. hatte sich trotz schriftl. Aufforderung meinerseits nie bei mir gemeldet.

Am 16.07.15 erstellte ich meinen KFA, welcher neben der Grundgeb. auch die Verfahrensgeb. enthielt.

Am 30.07.15 bat die zust. Rechtspflegerin um Stellungnahme, da die Verf.geb. nicht angefallen sei. Dem schloss sich die neue Pflichtverteidigerin vehement an. Bereits im Vorfeld verwies diese darauf, dass mir keine Verf,geb. zustünde!

Am 03.08.15 gab ich meine Stellungnahme ab, mit Hinweisen auf Anm. 1 zu Nr.4100 VV RVG und Ihre Entscheidungssammlung.

Heute nun kam der Festsetzungsbeschluss, wiederum auch mit Stellungnahme der werten Kollegin: Die Verf.geb. wurde nicht festgesetzt.

Interessant dürfte nun die Argumentation der Rechtspflegerin für Sie sein.

Dort heißt es: „Auch ist es nicht der Fall, dass Grund- und Verf.geb. immer gleichzeitig anfallen. Nach den Änderungen durch das 2.KostMoG wurde klargestellt, dass die Grundgeb. immer neben der Verfgeb. ensteht. Dies bedeutet, wenn eine Verf.geb. erwachsen ist, ist auch immer die Grundgebühr angefallen. Dies gilt aber nicht anders herum, dass mit erwachsener Grundgeb. auch immer eine Verf.geb. anfällt. Hierfür ist eine weitere Tätigkeit, über die erste Einarbeitung hinaus, erforderlich.“

Sie können sich sicher vorstellen, dass mich diese Argumentation sehr verärgert.

Ich werde in jedem Fall Erinnerung einlegen.“

Ja, das kann ich verstehen, dass der Kollege verärgert ist. Ich bin es ja auch.

Geantwortet habe ich ihm u.a.: „… Augsburger Landrecht.“ Und ich habe mich gefragt, ob der Weg von Berlin, wo der Bundestag im Sommer 2013 (!!!) das 2. KostRMoG erlassen hat, nach Augsburg wirklich so weit ist, dass man die Gesetzesänderung zwar zur Kenntnis genommen hat – immerhin -, aber es offenbar dann doch anders machen will. Udn zwar dann jetzt (bewuss [?]) falsch. Denn es entstehen nach den Änderungen durch das 2. KostMoG jetzt Grundgebühr und Verfahrensgebühr immer nebeneinander. Die Grundgebühr ist quasi eine besondere Verfahrensgebühr, die die Einarbeitungstätigkeiten besonders honoriert. Das hat aber mit dem Entstehen der Verfahrensgebühr überhaupt nichts zu tun. Ggf. entsteht die nur als Mindestgebühr, aber sie entsteht. Beim Pflichtverteidiger ist das aber, da er Festbetragsgebühren erhält, ohne Bedeutung.

Das ist übrigens einhellige Meinung in der dazu vorliegenden Rechtsprechung. Die hier dann für die Frau Rechtspflegerin beim AG Augsburg zum Mitschreiben/Abschreiben – quasi als Fortbildung – noch einmal:

Nur das OLG Nürnberg hat es bisher – allerdings ohne Begründung – anders gesehen (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.11.2014 – 2 Ws 553/14, StraFo 2015, 39 = AGS 2015, 29 = StRR 2015, 118 = NStZ-RR 2015, 95 [Ls.]). Aber: Das hat seinen Sitz ja auch in Bayern. und nach dort ist von Berlin aus der Weg weit 🙂 .

Gibt es in Bayern nach 18 Monaten noch keine neuen RVG-Texte?

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Im Moment muss ich ein wenig mehr Gebührenrecht machen als sonst. Denn ich habe eine ganze Menge von interessanten Entscheidungen in meinem „Blogordner“ hängen, die mir sonst zu alt für ein Posting werden. Zu denen gehört auch der OLG Nürnberg, Beschl. v. 13.11.2014 – 2 Ws 553/14, in dem es um das leidige Thema der Gebühren des sog. „Terminsvertreters“ im Strafverfahren geht.

Folgender Sachverhalt: Mit Verfügung des Strafkammervorsitzenden wurde der Rechtsanwalt dem Angeklagten als Pflichtverteidiger „für den heutigen Sitzungstag“ beigeordnet, weil sich der Wahlverteidiger des Angeklagten an diesem Tag im Urlaub befand. Der Pflichtverteidiger hat dann später die Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, der gerichtlichen Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG, der Terminsgebühr Nr. 4120 VV RVG und Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV RVG beantragt. Festgesetzt worden sind nur die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG und Terminsgebühr Nr. 4120 VV RVG. Nicht aber die Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG.

In der Entscheidung hat sich das OLG  der wohl h.M. in Rechtsprechung und Literatur angeschlossen, wonach sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Verteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger beigeordnet worden ist, nicht auf die Terminsgebühren beschränkt, sondern alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG umfasst (vgl.  Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl. 2014, Nr. 4100 VV Rn. 8 ff. m.w.N. ). Es hat dann aber die Verfahrensgebühr Nr. 4118 VV RVG nicht gewährt. Begründung: Keine über den Abgeltungsbereich der Grundgebühr hinausgehende eigene Tätigkeit.

Tja, in meinen Augen eine Entscheidung, die nur nur zum Teil richtig ist. Das OLG hat m.E. die Änderungen in der Nr. 4100 VV RVG durch das 2. KostRMoG übersehen. Dazu kurz:

  1. Zutreffend sind die Ausführungen des OLG zur Frage, welche Gebühren für den „Terminsvertreter“ anfallen. Das können alle Gebühren sein, die auch der Verteidiger verdienen kann, also Grundgebühr, Verfahrensgebühr und Terminsgebühr (vgl. Burhoff/Burhoff, RVG, a.a.O.; Nr. 4100 Rn. 8 ff. m.w.N.). Dazu ist in der Vergangenheit schon viel geschrieben worden. Das will ich hier jetzt nicht wiederholen.
  2. Falsch ist m.E. die Entscheidung dann aber hinsichtlich der einzelnen beim Pflichtverteidiger entstandenen Gebühren. Dazu ist beim Terminsvertreter in der Vergangenheit – insofern hat das OLG – Recht – darum gestritten worden, ob der „Terminsvertreter“ neben der Grundgebühr und Terminsgebühr i.d.R. auch die Verfahrensgebühr erhält und/oder, ob er dazu besonders vortragen muss. Hinzuweisen ist hier nur darauf, dass selbst nach „altem Recht“ m.E. die gerichtliche Verfahrensgebühr beim Pflichtverteidiger entstanden wäre. Denn die von ihm erbrachten Tätigkeiten gehen weit über den Abgeltungsbereich der Grundgebühr hinaus (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4100 VV Rn. 25 ff. m.w.N.; zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 34 ff. m.w.N.). Auf die Frage kommt es – und darum ist die OLG Entscheidung falsch – jedoch seit dem 01.08.2013 nicht mehr an. Denn nun entstehen nach den Änderungen durch das 2. KostRMoG Grundgebühr und Verfahrensgebühr (immer) nebeneinander (vgl. Burhoff RVGreport 2014, 42). Die vom OLG angestellten Überlegungen haben nur noch Bedeutung für die Bemessung der beiden Gebühren. Das spielt aber nur beim Wahlanwalt eine Rolle, nicht hingegen beim Pflichtverteidiger, der Pauschgebühren erhält. Das hat das OLG hier übersehen, man fragt sich warum. Dass es auch anders, nämlich richtig, geht, zeigen OLG Saarbrücken, Beschl. v. 10.11.2014 – 1 Ws 148/14, LG Oldenburg, Beschl. v. 22.09.2014 – 5 Qs 304/14 und der LG Duisburg, Beschl. v. 03.06.2014 – 34 Qs 52/13.

Das OLG Nürnberg setzt sich mit der Neuregelung, die 18 Monate als ist, noch nicht mal auseinander. Daher die Frage: Sollte es in Bayern noch keine neuen RVG-Texte geben?