Die Frage, welche Gebühren der Terminsvertreter des verhinderten Pflichtverteidigers erhält, gehört (auch) zu den „Never-Ending-Storys“ des Gebührenrechts. Jetzt hat sich dazu noch einmal das OLG Brandenburg im OLG Brandenburg, Beschl. v. 22.04.2025 – 1 Ws 152/24 – geäußert und seine Rechtsprechung aus einer früheren Entscheidung und die LG-Entscheidung den LG Neuruppin, Beschl. v. 25.03.2024 – 11 Qs 76/23 -, die ich hier auch vorgestellt hatte, bestätigt.
Nach dem Sachverhalt hat der Strafrichter in einem Strafverfahren gegen den Verurteilten wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem AG mit Einverständnis des Verurteilten den in unmittelbarer Nähe des AG kanzleiansässigen Rechtsanwalt R 2 für den Hauptverhandlungstag am 26.04.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet, nachdem der für das Verfahren bereits beigeordnete Pflichtverteidiger R 1 für diesen Tag seine Verhinderung angezeigt hatte. Gemäß Protokoll vom 26.04.2022 lautete der Beschluss dazu wie folgt: „Dem Angeklagten wird für den heutigen Hauptverhandlungstag Rechtsanwalt R 2 aus pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.“
Im Anschluss daran – die Beweisaufnahme war bereits im Hauptverhandlungstermin am 21.04.2022 geschlossen worden – wurden die Schlussanträge gestellt und dem Angeklagten wurde das letzte Wort erteilt. Sodann wurde das Urteil verkündet. Rechtsanwalt R 3 hat dann gegen Urteil ein unbestimmtes Rechtsmittel eingelegt, ist aber im anschließenden Berufungsverfahren nicht als Verteidiger des Angeklagten aufgetreten.
Rechtsanwalt R 2 hat am 29.04.2022 die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren beantragt. Er hat die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG und die Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG nebst Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG und USt geltend gemacht.
Die Kostenbeamtin des AG hat am 02.06. 2022 nur die Terminsgebühr festgesetzt und das damit begründet, dass „nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen“ sei, Rechtsanwalt R 2 hingegen „nur für den Termin am 26.04.2022 bestellt“ worden sein. Der Erinnerung hat sie nicht abgeholfen. Das AG hat diese am 08.12.2023 als unbegründet verworfen. Auf das Rechtsmittel des Rechtsanwalts R 2 hat der Einzelrichter der Strafkammer die Sache gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Kammer zur Entscheidung übertragen. Diese hat den AG-Beschluss aufgehoben und die Gebühren antragsgemäß festgesetzt.
Gegen diesen Festsetzungsbeschluss hat nun der Bezirksrevisor die zugelassene weitere Beschwerde eingelegt, mit welcher er beantragt, die Vergütung des Rechtsanwalts R 2 unter Wegfall der Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG festzusetzen. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg. Ich beschränke mich hier auf den Leitsatz:
Dem wegen Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers (nur) für einen Hauptverhandlungstermin beigeordnete Verteidiger steht als Vergütung für seine Tätigkeit nicht nur die Terminsgebühr zu, sondern darüber hinaus auch die Grund- und ggf. eine Verfahrensgebühr zu.
Anzumerken ist Folgendes:
Die Entscheidung ist zutreffend. Das OLG bestätigt den LG Neuruppin, Beschl. v. 25.o3.2024 – 11 Qs 76/23, den wir in AGS 2024, 224 vorgestellt haben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anmerkung zur Beschwerdeentscheidung des LG Neuruppin verwiesen (vgl. hier: Gebühren des Terminsvertreters des „Pflichti“, oder: Der Terminsvertreter verdient alle Gebühren).
Allerdings ist auf zwei Punkte betreffend die OLG-Entscheidung kritisch hinzuweisen:
Das OLG gewährt in seinem Beschluss vom 22.04.2025 dem Terminsvertreter auch die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG; in dem in Bezug genommenen OLG Brandenburg, Beschl. v. 26.2.2024 – 1 Ws 13/24 (S), hatte es die hingegen nicht festgesetzt. Ich hatte bereits in der Anmerkung zu dem Beschluss des OLG darauf hingewiesen, dass die Ansicht des OLG zum Entstehen der Verfahrensgebühr (vgl. Vorbem. 4 Abs. 2 VV RVG) nicht zutreffend ist und das OLG das Zusammenspiel zwischen der Grundgebühr und der Verfahrensgebühr verkennt. Das zu erkennen, scheint schwierig zu sein 🙂 . Ich gehe aber hier nicht mehr darauf ein – die Frage ist „ausgeschrieben“.
Und: Warum hat es bis zur OLG-Entscheidung mal wieder so gedauert. Der ursprüngliche Festsetzungsantrag datiert vom 29.04.2022. Die Kostenbeamtin hat am 02.06.2022 festgesetzt und der Erinnerung des Rechtsanwalts am 10.6.2022 nicht abgeholfen und die Sache dem zuständigen Strafrichter beim AG Neuruppin zur Entscheidung vorgelegt. Der entscheidet dann am 08.12.2023 (sic!). Das LG hat LG Neuruppin hat am 25.03.2024 entschieden und dann dauert es mehr als ein Jahr, bis das OLG endgültig entscheidet. Die Zeitabläufe bei der Kostenbeamtin und beim LG sind m.E. nicht zu beanstanden. Alles andere ist aber in meinen Augen nicht hinnehmbar. Der Strafrichter lässt sich 18 Monate Zeit und der OLG-Senat dann auch noch mal 12 Monate. Man weiß nicht, woran es gelegen hat, aber sicherlich nicht an der Schwierigkeit der zu entscheidenden Rechtsfrage, zu der das OLG ja auch bereits Stellung genommen hatte. M.E. muss das schneller gehen – und geht es ja auch, wie Kostenbeamtin und LG bewiesen haben. Es geht immerhin um Lohn für für den Staat erbrachte Tätigkeiten. Ich möchte den Aufschrei nicht hören, wenn sich der Dienstherr bei der Überweisung der Gehälter im öffentlichen Dienst auch so lange Zeit nehmen würde.