Archiv für den Monat: Juli 2022

Wie ermitteln sich die Sachverständigenkosten? oder: Falsche Ermittlung der Schadenshöhe

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Und als zweite Entscheidung dann das LG Saarbrücken, Urt. v. 1102.2022 – 13 S 31/21. Also auch schon etwas älter. Ist wegen der „beA-Berichterstattung (auch) liegen geblieben.

Gestritten wird/wurde in dem Verfahren um den Ersatz von Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall. Bei dem Unfall wurde das erst wenige Wochen vor dem Unfall erworbene Fahrzeug des Klägers durch einen Anstoß an der vorderen rechten Ecke beschädigt. Die alleinige Haftung der beklagten Versicherung ist nicht im Streit.

Der Kläger ließ vorgerichtlich ein Schadengutachten erstatten, das Bruttoreparaturkosten von 8.189,25 EUR, einen Wiederbeschaffungswert von 5.000,- EUR sowie einen Restwert von 730,- EUR ausweist. Der Schadengutachter rechnete mit bislang nicht beglichener Rechnung gegenüber dem Kläger einen Betrag von 870,49 EUR ab. Die zunächst an den Schadengutachter abgetretenen Schadensersatzansprüche hat dieser an den Kläger zurück abgetreten. Die Beklagte erstattete im Januar 2019 Reparaturkosten in Höhe von 3.087,49 EUR. Eine Erstattung der Sachverständigenkosten erfolgte nicht.

U.a. die hat der Kläger eingeklagt. Das AG hat der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Berufung hatte teilweise Erfolg:

„2. Im Ausgangspunkt zutreffend ist das Erstgericht ferner davon ausgegangen, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, 115 VVG zusteht. Denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung – wie hier – zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16, NJW 2017, 1875). Dabei kann der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur diejenigen Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, ist Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen, wobei sich aus dem Wirtschaftsgebot allerdings eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preise ergibt (vgl. BGH, vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17, NJW 2018, 693).

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bildet der von dem Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrundeliegenden getroffenen Preisvereinbarung tatsächlich erbrachte Aufwand (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, da sich in ihm die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig niederschlagen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2019 – VI ZR 315/18, NJW 2020, 1001). Hat der Geschädigte die Rechnung noch nicht gezahlt, kann der erforderliche Herstellungsaufwand auch anhand des Gutachterauftrags und der Rechnung bestimmt werden, sofern der Geschädigte eine Honorarvereinbarung vorlegt, die er für plausibel halten durfte. Fehlt es – wie hier – sowohl an einer vom Geschädigten beglichenen Rechnung als auch an einer plausiblen Honorarvereinbarung und einer damit korrespondierenden Rechnung, ist die Höhe der erforderlichen Kosten unabhängig von der Rechnung und Vereinbarung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 – VI ZR 104/19, VersR 2020, 245).

4. Dabei kann bei Fehlen einer Preisvereinbarung der für die Erstellung des Gutachtens erforderliche Aufwand in Höhe der gemäß § 632 Abs. 2 BGB üblichen Vergütung für einen Kraftfahrzeugsachverständigen geschätzt werden, da der verständige Geschädigte in diesem Fall davon ausgehen wird, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 aaO). Kammerbekannt rechnen Schadengutachter im Gerichtsbezirk ihr Grundhonorar üblicherweise nach der BVSK ab, sodass dieses anhand der BVSK geschätzt werden kann (unbeanstandet gelassen von BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 aaO). Dabei ist für die Schätzung hier die BVSK 2015 heranzuziehen, die auch der Schadengutachter ausweislich der Rechnung seinem Honoraranspruch zugrunde gelegt hat. Für die Nebenkosten mit Ausnahme der Fahrkosten kann nach der von dem Bundesgerichtshof nicht beanstandeten (vgl.BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15, NJW 2016, 3092) Rechtsprechung der Kammer das JVEG als Schätzgrundlage herangezogen werden.

5. Da sich das Grundhonorar nach der BVSK aus der Höhe des Kfz-Schadens ableitet, bildet der vom Sachverständigen ermittelte Schadensaufwand nur dann die für das Honorar maßgebliche Größe, wenn er zutreffend ermittelt ist. Die Höhe des zu erstattenden Grundhonorars lässt sich damit erst nach Feststellung der zutreffenden Schadenshöhe beziffern, wenn diese wie hier im Streit steht (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 2017 – VI ZR 61/17, NJW 2018, 693). Das Erstgericht durfte daher nicht offenlassen, ob der Schadengutachter den Schaden zutreffend ermittelt hat. Nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme belaufen sich die erforderlichen unfallbedingten Reparaturkosten abweichend von dem Schadengutachten auf lediglich 3.087,49 Euro. Der Gerichtssachverständige, an dessen Qualifikation nach den Erfahrungen der Kammer keine Zweifel bestehen, hat in seinem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass das augenscheinliche Schadensbild am Klägerfahrzeug Schäden an der Fahrwerks- und Lenkgeometrie zwar nicht ausschließt, aber auch nicht zwingend auf einen Schaden an Achs- oder Lenkungsteilen schließen lässt. Nach dem Vermessungsprotokoll, das auch noch im Nachhinein noch Erkenntnisse zum tatsächlichen Ereignisschaden liefert, ergeben sich keine Hinweise dafür, dass ereignisbedingt Achsteile und Teile der Lenkgeometrie beschädigt wurden. Insbesondere liegen sowohl der Sturzwert vorne rechts als auch der Nachlauf innerhalb der Toleranz, was bei einem starken Anstoß mit einhergehender Erneuerungsbedürftigkeit der Achsteile nicht zu erwarten wäre. In Anbetracht der Ausführungen des Gerichtssachverständigen ist die Kammer – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Schadengutachters in dessen Stellungnahme vom 21.10.2021 (Bl. 201 f. GA) – nicht davon überzeugt, dass unfallbedingt ein Achsschaden eingetreten ist. Danach bemessen sich die erforderlichen Reparaturkosten hier auf 3.087,49 Euro netto. Soweit der Gerichtssachverständige ausgeführt hat, unter Berücksichtigung der aktuellen Stundenverrechnungssätze und Ersatzteilpreise ergäben sich Reparaturkosten von 3.386,54 Euro netto, ist dies hier unerheblich, da die Beklagte den Schaden zutreffend ermittelt und bereits mit der Zahlung im Januar 2019 vollständig ausgeglichen hat, so dass die damals geltenden Preise maßgeblich sind (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2020 – VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795).

6. Ausgehend hiervon kann der Kläger als erforderlichen Herstellungsaufwand hier einen Betrag von 685,44 Euro verlangen.

a) Das Grundhonorar ist nach der Rechtsprechung der Kammer nach dem Honorarkorridor V der BVSK zu ermitteln. Der Mittelwert des Honorarkorridors V der BVSK 2015 beläuft sich bei Nettoreparaturkosten von 3.087,49 Euro auf 460,50,- Euro.

b) Die in Rechnung gestellten Nebenkosten entsprechen nach der von dem Kläger vorgenommenen Korrektur betreffend die Schreibgebühren den Sätzen des JVEG. Auch ist der für die Fahrtkosten in Ansatz gebrachte Betrag von 0,70 Euro je Kilometer nicht zu beanstanden. Die erstattungsfähigen Nebenkosten belaufen sich damit auf 115,50 Euro.

c) Damit kann der Kläger unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer i.H.v. 109,44 Euro insgesamt 685,44 Euro verlangen.

7. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die fehlerhafte Schadensberechnung durch den Schadengutachter führe zu einem Entfall des Anspruchs auf Erstattung der Sachverständigenkosten.

a) Nach allgemeiner Meinung ist der Sachverständige nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten gegenüber dem Schädiger i.S.v. §§ 254 Abs. 2, 278 BGB. Der Schädiger hat daher grundsätzlich auch die Sachverständigenkosten für ein unbrauchbares Gutachten zu ersetzen, es sei denn, der Geschädigte hat die Unbrauchbarkeit selbst verschuldet (vgl. OLG Bremen, NJW-RR 2021, 1468; OLG München, DAR 21, 90; OLG Naumburg, DV 2019, 167; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05. März 2019 – 1 U 84/18 –, juris und NZV 2019, 207; OLG Saarbrücken, VersR 2019, 561; OLG Köln, VersR 2012, 1008; OLG Frankfurt, Urteil vom 21. Januar 2008 – 25 U 220/04 –, juris). Dass das Erstgericht hiervon nicht ausgegangen ist, begegnet keinen Bedenken. Es hat dabei mit Recht darauf abgestellt, dass dem Schadengutachter ein Vermessungsprotokoll vorlag, aus dem sich ein Vorschaden ergab. Dieser konnte daher nicht verschwiegen werden. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass das Erstgericht auch keine Anhaltspunkte dafür gesehen hat, dass der Vorschaden während der nur wenige Wochen kurzen Besitzzeit des Klägers eingetreten ist bzw. dieser einen außerhalb seiner Besitzzeit eingetretenen Vorschäden kannte…..“

Obliegenheitsverletzung nach einem Verkehrsunfall, oder: Unerlaubtes Entfernen und/oder Nachtrunk

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Heute dann mal kein beA im „Kessel Buntes“, sondern mal wieder – seit längerem – zivilverkehrsrechtliche Entscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Braunschweig, Beschl. v. 28.02.2022 – 11 U 176/20 -, einem nach § 522 Abs. 2 ZPO ergangenen Hinweisbeschluss. Das OLG nimmt zur Berufung eines Versicherungsnehmers Stellung, der nach einem Verkehrsunfall Ansprüche aus seiner Kaskoversicherung geltend gemacht hat. Der Kläger war mit seinem Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von circa 20 km/h gegen eine Laterne gefahren. Er hatte nicht an der Unfallstelle gewartet, sondern sich zu dem nahe gelegenen Haus seiner Eltern begeben. Dort wurde von Polizeibeamten angetroffen. Die von der Polizei circa 1,5 Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe des Klägers wies 2,79 Promille auf. Mit seiner Klage begehrte er den Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden sowie die Zahlung der Reparaturkosten für die Laterne. Die beklagte Versicherung lehnte dies aufgrund der erheblichen Alkoholisierung des Klägers ab. Der Kläger hat behauptet, nach dem Unfall 0,7 Liter Wodka getrunken und sich schlafen gelegt zu haben. Den behaupteten „Nachtrunk“ hat die Versicherung als nicht plausibel angesehen.

Das LG hat die Klage gegen die Versicherung abgewiesen. Das OLG tritt dem in seinem Hinweisbeschluss bei:

„Dem Kläger steht ein Anspruch auf Ersatz seiner eigenen Reparaturkosten sowie der seitens der Stadt ihm gegenüber geltend gemachten Kosten gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VVG i.V.m. A.1, A.2 AKB nicht zu.

Die Beklagte ist nach E.7.1 AKB i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei, da der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit aus E.1.3 AKB verletzt hat, indem er nach seinen eigenen Angaben nach dem Unfallgeschehen 0,7 l Wodka zu sich genommen und damit eine zuverlässige Ermittlung seines Blutalkoholgehalts zur Unfallzeit vereitelt hat. Diese Ermittlung hätte es der Beklagten ermöglicht zu prüfen, ob sie sich auf eine Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nach A.2.9.1, D.1 AKB hätte berufen können.

a) Was zum Inhalt einer durch Leistungsfreiheit sanktionierten Obliegenheit im Sinne von § 28 Abs. 2 VVG gehört, ergibt sich grundsätzlich aus den zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages getroffenen Vereinbarungen, also aus dem Versicherungsvertrag und den diesem zugrunde liegenden Bedingungen (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 8, juris).

Nach E.1.3 der hier vereinbarten AKB hat der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalles alles zu tun, was der Aufklärung des Schadens dienen kann. Die Aufklärungsobliegenheit ist danach erkennbar weit gefasst. Sie schließt die Auskunftsobliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG ein, geht aber in gesetzlich zulässiger Weise (vgl. dazu: Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 31 Aufl., § 31 Rn. 31) darüber hinaus. Sie erschöpft sich nicht im Erteilen von Informationen, sondern erstreckt sich grundsätzlich auch auf das Verhalten des Versicherungsnehmers am Unfallort (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Halbach in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 4. Aufl., AKB 2015 E., Rn. 5). Ausdrücklich obliegt dem Versicherungsnehmer in diesem Zusammenhang die vertragliche Pflicht, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen z.B. zum Alkohol- und Drogenkonsum des Fahrers zu ermöglichen. Der Zweck dieser Obliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 11, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

Demgemäß verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheit auch durch einen ins Gewicht fallenden Nachtrunk (jeweils zu § 3 Nr. 1, § 7 V AKB a.F.: BGH, Urteil vom 22.05.1970 – IV ZR 1084/68, VersR 1970, 826; Urteil vom 19.10.1967 – II ZR 53/65, juris Rn. 4; Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2018, E. Pflichten im Schadensfall, Tz. 29). Das gilt nicht nur in der Haftpflichtversicherung, sondern auch in der Fahrzeugversicherung, wenn Dritte – wie hier die Stadt – durch den Unfall geschädigt sind, und ergibt sich nicht allein aus den vertraglichen Vereinbarungen, sondern auch aus der durch § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers, die seine Verpflichtung einschließt, sich auch für eine polizeilich angeordnete, nicht durch Nachtrunk verfälschte Blutprobe bereitzuhalten. In diesen Fällen kann selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung mit dem Versicherer davon ausgegangen werden, dass die vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers diese Verpflichtung ebenfalls mit umfasst (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 –, Rn. 9, juris; Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 53, juris; OLG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2000 – 8 U 4357/99, juris Rn. 8; OLG Köln, Urteil vom 30. Juli 1992 – 5 U 44/92 –, Rn. 5, juris; KG Berlin, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.07.2014 – 3 U 66/13, juris Rn. 12), da es für die Sachaufklärung und Verschuldensabwägung zwischen den Unfallbeteiligten entscheidend auch auf eine einwandfreie BAK-Bestimmung ankommt (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris m.w.N.), die bereits bei einem geringen Nachtrunk nicht mehr durchführbar ist. So verletzt ein Versicherungsnehmer seine vertragliche Pflicht zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts bereits dann, wenn er die genaue Bestimmung des Blutalkoholgehalts erschwert. Die Obliegenheit, eine einwandfreie BAK-Bestimmung zu ermöglichen, wirkt sich als Reflex auch auf das Aufklärungsinteresse des Kaskoversicherers aus, da die im Rahmen der Aufklärung des Haftpflichtschadens durchgeführte Blutentnahme auch dem Versicherer zugute kommt, der die Ermittlungen bei der Abwicklung des Kaskoschadens verwerten kann (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Februar 1995 – 10 U 5408/94 –, Rn. 3, juris; OLG Düsseldorf VersR 1993, 45, 46).

b) aa) Von diesen Maßstäben ausgehend, hat der Kläger durch die Einnahme der von ihm selbst vorgetragenen erheblichen Menge Alkohols die ihn nicht nur aufgrund des eingetretenen Fremdschadens, sondern vielmehr auch aufgrund der sich aus E.1.3 AKB ergebenden ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung treffende Obliegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu seinem Alkoholkonsum zu ermöglichen, verletzt und durch den behaupteten Nachtrunk aktiv den berechtigten Interessen der Beklagten entgegengewirkt. Der Kläger hatte vorliegend Ermittlungen der Polizei zur Frage eines etwaigen Alkoholkonsums auch zu erwarten. Er selbst hatte – nach seinem Vortrag – die Polizei gerufen und veranlasst, dass sein Vater sich zur Unfallstelle begab. Im Rahmen solcher Ermittlungen der Polizei – insbesondere angesichts des vom Kläger selbst beschriebenen Unfallverlaufs – stellt die Entnahme einer Blutprobe eine routinemäßige Maßnahme dar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom, 30.06.1992 – 4 U 205/91VersR 1993, 1141).

Dass der Nachtrunk der Verschleierung des Sachverhalts – also einer etwaigen tatsächlichen Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt – diente, ist für die Frage der Verwirklichung der Obliegenheitsverletzung nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 12.11.1975 – IV ZR 5/74, juris Rn. 9 und 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 55, juris; KG, Beschluss vom 26.10.2010 – 6 U 209/09, juris Rn. 3). Auch der Umstand, dass hier, da lediglich stehende Objekte beschädigt worden sind, die Frage einer Alkoholisierung des Klägers auf die Haftungsfrage keinen Einfluss haben kann, ist unerheblich (vgl. auch: OLG Köln, Urteil vom 19.01.1999 – Ss 526/98, juris Rn. 15). Der Zweck der den Kläger treffenden Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu auch die Feststellung solcher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann, so dass aus dem Nachtrunk eine Obliegenheitsverletzung gegenüber dem Versicherer unabhängig von einem Beweisinteresse des Geschädigten abzuleiten ist (BGH, Urteil vom 01. Dezember 1999 – IV ZR 71/99 – , Rn. 9, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 54, juris).

bb) Der objektive Verstoß gegen die Aufklärungspflicht erfolgte auch vorsätzlich.

Zwar hat die Beklagte den Vorsatz des Klägers als Voraussetzung ihrer Leistungsfreiheit zu beweisen (§ 28 Abs. 2 Satz 1 VVG bzw. E.7.1 AKB). Bereits aus dem erheblichen und offensichtlichen Schaden an der Straßenlaterne ist aber auf das Bewusstsein des Klägers zu schließen, dass er einen Fremdschaden verursacht hat und er deshalb Feststellungen der von ihm selbst nach seinem Vortrag herbeigerufenen Polizei zum Unfallhergang – auch zum Grad seiner Alkoholisierung – zu erwarten hatte. Angesichts der Menge des von ihm konsumierten Alkohols musste ihm auch bewusst sein, dass er dadurch entsprechende Feststellungen der Polizei zumindest erschweren, wenn nicht vereiteln würde.

Soweit vorsätzliches Handeln grundsätzlich auch das Bewusstsein erfordert, gegen eine bestehende Verhaltensnorm zu verstoßen (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 14), genügt es für das Bewusstsein der Obliegenheitsverletzung, dass der Versicherungsnehmer kraft „Parallelwertung in der Laiensphäre“ die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19 –, Rn. 61, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Oktober 2014 – 7 U 121/14 –, Rn. 57, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.04.2015 – 14 U 208/14, juris Rn. 9). Anders ist es jedoch bei elementaren, allgemein bestehenden und bekannten Pflichten, die auch im Versicherungsvertrag ihren Niederschlag gefunden haben. Hier genügt zum Bewusstsein der Rechtswidrigkeit die vorhandene Erkenntnis, gegen das unzweifelhafte, generelle Verbot zu verstoßen. Die weitere Vorstellung, im Besonderen auch dem Versicherer gegenüber zur Beachtung dieses Verbots verpflichtet zu sein, ist dann nicht zu fordern (BGH, Urteil vom 18.02.1970 – IV ZR 1089/68, juris Rn. 15). Zu diesen allgemeinen Verhaltensregeln nach einem Verkehrsunfall gehört in erster Linie das für jeden Beteiligten gültige Gebot, im Interesse der Aufklärung bis zur Aufnahme des Unfalls durch die verständigte Polizei am Unfallort zu bleiben (BGH, Urteil vom 18. Februar 1970, a.a.O.). Soweit sich der Unfallverursacher nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist vom Unfallort entfernt hat, trifft ihn die Verpflichtung, die erforderlichen Feststellungen – zu welchen auch der Grad seiner Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt gehört – unverzüglich nachträglich zu ermöglichen.

Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger, ungeachtet der Frage, ob er sich überhaupt berechtigt vom Unfallort im Sinne von § 142 Abs. 2 StGB entfernt hat, vorliegend bewusst verstoßen, denn es ist allgemein bekannt, dass die Frage einer möglichen Alkoholisierung des Fahrers für die Einstandspflicht des Versicherers in der Kfz-Schadensversicherung von nicht unerheblicher Bedeutung ist.

cc) Der Kläger handelte auch schuldhaft. Ein medizinisch beachtlicher Unfallschock, der Einfluss auf die Schuldfähigkeit hätte haben können, ist nicht dargelegt……“

Ich habe da mal eine Frage: Sind nach Wiederaufnahme der Ermittlungen erneut Gebühren angefallen?

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Und dann noch zum Schluss des Tages die Gebührenfrage. Heute mal wieder zum erneuten Anfall der Gebühren nach Wiederaufnahme der Ermittlungen, nämlich:

„Ich habe einen Mandanten im Vorverfahren verteidigt, welches nach § 170 StPO eingestellt wurde.

Aufgrund einer Beschwerde wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen und unter einem anderen Aktenzeichen geführt .

Erneut Gebühren angefallen ?“

Keine Auslagen nach Rücknahme der Berufung der StA, oder: Warum wird die Landeskasse geschützt?

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Und dann als zweite gebührenrechtliche Entscheidung dann noch der LG Wuppertal, Beschl. v. 16.05.2022 – 23 Qs 63/22. Der Beschluss behandelt noch einmal die Problematik der Auslagenerstattung für den Angeklagten betreffend die Verteidigerkosten, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung vor Begründung zurücknimmt.

Das LG Wuppertal reiht sich mit seiner Entscheidung in den Chor der Stimmen ein, die meinen: Die werden nicht erstattet:

„Die Kammer schließt sich auch in der Begründung den zutreffenden Erwägungen des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses an. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine günstigere Entscheidung. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (etwa Beschluss vom 17.04.2019 — Az. 23 Qs 82/19) gelten als notwendig nur die Auslagen, die aufgrund eines berechtigten Schutzinteresses aufgewendet worden sind. Die Gebühren und Auslagen deren Festsetzung die Verteidigung mit Schriftsatz vom 20.05.2021 beantragt hat, sind jedoch — soweit sie nicht die erste Instanz       betreffen und damit durch den bereits erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss erledigt sind — nicht notwendig. Der Kostenfestsetzungsantrag wurde daher, soweit er die Positionen für die Berufungsinstanz anbelangt (80,- VV 4124, 80,- VV 4141, 20,- W 7002, 34,20 VV 7008, insgesamt 214,20 Euro), zu Recht vom Amtsgericht Mettmann zurückgewiesen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung berührt die Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft die Sphäre des früheren Angeklagten noch nicht derart weitgehend, dass für ihn ein berechtigter Anlass bestand, bereits zu diesem frühen Zeitpunkt kostenpflichtige anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist zwar zutreffend, dass nach den Vorschriften der Strafprozessordnung die Begründung der Berufung weder erforderlich noch zwingend vorgeschrieben ist. Der rechtskundigen Verteidigung ist jedoch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel aufgrund der Richtlinien für das Strafverfahren zu begründen hat und dem früheren Angeklagten durch die Einlegung der Berufung ohne Begründung keine Nachteile entstehen können. Der Verteidiger weiß auch, dass die Rechtsmitteleinlegung noch nicht bedeutet, dass das Rechtsmittel auch tatsächlich weiter verfolgt wird. So liegen die Dinge auch hier.

Vor Kenntnis der Begründung des von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsmittels sind keine sachgerechten Vorbereitungen zur weiteren Verteidigung möglich oder erforderlich. Diese werden erst dann notwendig, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründet und damit den Umfang der Anfechtung klar umrissen hat. Es ist dem früheren Angeklagten zwar unbenommen, sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen. Die dadurch entstehenden Auslagen können jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden. Denn zu diesem Zeitpunkt genügt seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft. Es liegen auch keine Umstände vor, die im vorliegenden Fall eine Eile bei der Verteidigung hätten begründen können. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass bereits zu diesem früheren Zeitpunkt die Erforderlichkeit bestand, in einem doch eher einfach gelagerten Fall eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Der allein sachgerechte und notwendige Rat des Verteidigers, zunächst die Berufungsbegründung abzuwarten, löst keine besondere Gebühr aus.“

Der Beschluss gehört m.E. zu der Rubrik: „Hätte man besser nicht gelesen“. Denn es folgt bereits aus dem Beschluss selbst, dass die Auffassung des LG falsch ist. Denn. wenn es „dem früheren Angeklagten zwar unbenommen [ist], sich schon vor diesem Zeitpunkt mit seinem Verteidiger in Verbindung zu setzen und sich beraten zu lassen„, dann ist nicht nachvollziehbar, warum „die dadurch entstehenden Auslagen ….. jedoch nicht als notwendig im Sinne von § 473 Abs. 2 StPO anerkannt werden“ können. Auch, wenn „zu diesem Zeitpunkt …… seitens der Verteidigung ein Hinweis auf die bekannte Rechtslage und Praxis der Staatsanwaltschaft“ genügt, folgt daraus doch nicht, dass der Angeklagte die Auslagen nicht erstattet erhält. Die Kammer geht selbst von der Notwendigkeit eines solchen (kurzen) Hinweises aus, will der Staatskasse die dadurch entstehenden Kosten/Auslagen aber nicht erstatten. Mir erschließt sich nicht, warum man die Staatsanwaltschaft/die Landeskasse an der Stelle so schützt. Die andere – richtige – Auffassung hätte ja vielleicht auch dann mal endlich zur Folge, dass von den Staatsanwaltschaften nicht so viele Berufungen eingelegt werden, die man dann wieder zurücknimmt. Getreu dem Satz: Ist egal, kostet ja nichts.

 

War ich als Pflichtverteidiger konkludent beigeordnet?, oder: Neue Besen kehren gut (?)

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Und – wie an jedem Freitag – heute dann gebührenrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich den OLG Köln, Beschl. v. 28.03.2022 – 2 Ws 103/22 – vor. Der würde an sich auch ganz gut zu einem „Pflichti-Tag“ passen, aber: Das RVG steht im Vordergrund, daher kommt der Beschluss heute.

In der Entscheidung geht es um die Frage einer konkludenten Beiordnung der Kollegin Lingenu aus Möncgengladbach, die mir den Beschluss geschickt hat. Zwischen der Kammer, bei der gegen den Mandanten der Kollegin ein Verfahren wegen mehrfacher Brandstiftung, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Mord, geführt wurde und der Kollegin war im Rahmen von Terminabsprachen abgesprochen worden und dann in einem Vermerk festgejalten worden: „Mit Blick auf die im Rahmen der Terminabstimmung zutage getretene Terminlage der Verteidigung ist beabsichtigt, Frau Rechtsanwältin W. sowie Frau Rechtsanwältin L. verfahrenssichernd beizuordnen.“

Die schriftliche Beiordnung der Kollegin erfolgte dann aber nicht. Die Kollegin wurde zur Hauptverhandlung geladen und nahm in der Zeit vom 25.01.2021 bis zur Verkündung des Urteils am 02.06.2021 an 21 Hauptverhandlungsterminen teil. Sie hat dann ihren Vergütungsantrag gestellt. Im Rahmen des Vergütungsfestsetzungsverfahrens wurde dann festgestellt, dass ihre formelle Beiordnung bis dahin nicht erfolgt war. Die Kollegin hat daraufhin beantragt, die (zumindest) konkludente Beiordnung betreffend den Angeklagten nachträglich schriftlich zu fassen bzw. hilfsweise, sie rückwirkend dem Angeklagten als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Dies wurde von der nunmehrigen – neuen – Vorsitzenden der Jugendkammer abgelehnt. Sie ist davon ausgegangen, dass weder eine Bestellung durch schlüssiges Verhalten anzunehmen sei noch eine rückwirkende Bestellung in Betracht komme. Dagegen hat der Angeklagte sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG dann Erfolg:

„Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Rechtsanwältin Pp. ist dem Angeklagten für das Verfahren spätestens ab dem Beginn der Hauptverhandlung am 25.01.2021 und für deren gesamte Dauer als Sicherungsverteidigerin gemäß § 144 Abs. 1 StPO beigeordnet worden.

a) Im Regelfall bedarf die Bestellung eines Verteidigers einer ausdrücklichen Verfügung des zuständigen Richters (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 142 Rn. 17 m.w.N.). An einer solchen fehlt es vorliegend, denn anders als im Falle von Rechtsanwältin Pp. erfolgte im Nachgang zu der E-Mail des Vorsitzenden vom 20.11.2020 anschließend keine formelle Beiordnung von Rechtsanwältin Pp.. Sie ist aber aus nachfolgenden Gründen stillschweigend durch den Vorsitzenden beigeordnet worden.

b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Bestellung eines Verteidigers in Ausnahmefällen durch das betreffende Gericht auch aufgrund schlüssigen Verhaltens erfolgen kann (vgl. BGH, Beschlüsse v. 20.07.2009, 1 StR 344/08, und v. 04.11.2014, 1 StR 586/12; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.09.2014, 1 Ws 126.114; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rn. 17 m.w.N.). Voraussetzung für eine konkludente Verteidigerbestellung ist ein Verhalten des zuständigen Richters, das unter Beachtung aller hierfür maßgebenden Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss v. 17.09.2014, 1 Ws 126/14; KG Berlin, Beschluss v. 29.05.2012, 1 Ws 30/12; LG Stade, Beschluss vom 28.03.2018, 132 Qs 34/18). Die maßgebenden Umstände und das Verhalten des zuständigen Richters sind dabei so auszulegen, wie sie aus der Sicht eines verständigen und . redlichen Beteiligten aufzufassen sind (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 30.07.2014, 1 Ws 106/13; LG Stade, Beschluss vom 28.03.2018, 132 Qs 34/18).

c) Hieran gemessen musste Rechtsanwältin Pp. nach der ausdrücklichen Ankündigung des Vorsitzenden in der E-Mail vom 20.11.2020, sie als Sicherungsverteidigerin zu bestellen, die anschließend erfolgenden Terminabsprachen und die Ladung zu den abgesprochenen Terminen so verstehen, dass sie dem Angeklagten als Sicherungs-verteidigerin beigeordnet worden war. Denn ohne ihre Beiordnung hätte jedenfalls an vier avisierten Terminen die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden können. Im Hinblick auf die Dauer der Untersuchungshaft – und die zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgte Haftfortdauerentscheidung nach 6 Monaten – hatte der Vorsitzende – die durch die vorgenannte E-Mail aktenkundige – Absicht, durch Bestellung von Sicherungsverteidigern für beide Angeklagten eine zeitnahe Durchführung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Mangels aktenkundiger Gründe, die im weiteren Verlauf gegen die Bei-ordnung von Rechtsanwältin Pp. gesprochen haben könnten, ist davon auszugehen, dass anders als im Falle von Rechtsanwältin Pp. die formelle Beiordnung von Rechtsanwältin Pp. aufgrund gerichtsinterner Abläufe versehentlich vergessen wurde.

Spätestens aber das ohne Hinweis auf eine Tätigkeit als Wahlverteidigerin – hierzu hätte im Hinblick auf die E-Mail vom 20.11-.2020 aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin Pp. Anlass bestanden – erfolgende Mitwirkenlassen an der Hauptverhandlung ab dem 25.01.2021 und die Aufrechterhaltung der Termine, in denen allein eine Vertretung durch Rechtsanwältin Pp. gewährleistet wurde, konnte aus Sicht des Angeklagten und von Rechtsanwältin Pp. nur im Sinne einer Beiordnung ausgelegt werden.

Die Voraussetzungen für die Bestellung von Rechtsanwältin Pp. als zusätzlicher Pflichtverteidigerin nach § 144 Abs. 1 StPO lagen auch vor. …..“

Das Verhalten der „neuen“ Vorsitzenden klint so ein bisschen nach „neue Besen kehren gut“ bzw. nach: „Was schert mich das Geschwätz meines Vorgängers“.