Archiv für den Monat: Januar 2022

Verkehrsrecht III: Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: bedeutender Fremdschaden und Prozessverhalten

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Und die dritte Entscheidung kommt mit dem KG, Beschl. v. 03.08.2021 – – (3) 121 Ss 60/21 (32/21) – aus Berlin. Denn stelle ich wegen der Ausführungen des KG zur Entziehung der Fahrerlaubnis in den Fällen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB – unerlaubtes Entfernen und bedeutender Fremdschaden – vor. Die Ausführungen des KG zu verschiedenen Verfahrensrügen mag jeder selbst lesen.

Das KG führt zum Fremdschaden u.a. aus:

„5. Auch die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Einziehung des Führerscheins mit Anordnung einer Sperrfrist halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand; die dazu getroffenen Feststellungen erweisen sich als lückenhaft.

Gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt ein Regelfall der Fahrerlaubnisentziehung wegen charakterlicher Ungeeignetheit vor, wenn der Täter eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Sinne von § 142 StGB weiß oder wissen kann, dass durch den Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist.

a) Ob ein bedeutender Schaden vorliegt, beurteilt sich nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert wird (vgl. OLG Hamm NZV 2011, 356 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2013 – III-3 Ws 225/13 -, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 12.05.2005 – 2 Ss 278/05BeckRS 2005, 06462 – m.w.N.; OLG Naumburg NZV 1996, 204; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20.12.1995 – 2 Ss 366/95 -, juris). Da bei der Bemessung dieser Schadensgrenze nur diejenigen Schadenspositionen berücksichtigungsfähig sind, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind (vgl. OLG Hamm und OLG Düsseldorf a.a.O.; Weiland in juris-PK Straßenverkehrsrecht, § 69 Rdn. 53; Valerius in LK-StGB 13. Aufl., § 69 Rdn. 127 m.w.N.; von Heintschel-Heinegg/Huber in MüKo-StGB 4. Aufl., § 69 Rdn. 71 m.w.N.), muss das Tatgericht jedenfalls bei Unfallgeschehen, bei denen – wie hier – nicht bereits von vornherein ersichtlich ist, dass ein bedeutender Schaden entstanden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 9. Juni 1998 – 1St RR 115/98 -, juris), nicht nur mitteilen, welche unfallbedingten Fremdschäden entstanden sind, sondern auch, wie diese wertmäßig zu beziffern sind. Dies kann regelmäßig etwa durch (gedrängte) Wiedergabe eines entsprechenden schriftlichen Kfz-Sachverständigengutachtens geschehen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht teilt lediglich mit, dass der Angeklagte mit seinem Pkw gegen die rechte Seite des vom Zeugen D. geführten Pkw fuhr, wodurch an beiden Fahrzeugen Lackschäden, hingegen keine Dellen in den jeweiligen Karosserieteilen entstanden. Bei einem derartigen Unfallgeschehen drängt sich ein bedeutender Fremdschaden, namentlich der vom Zeugen D. klageweise geltend gemachte Schadensbetrag nicht ohne weiteres auf, so dass es näherer Ausführungen zur Fremdschadenshöhe bedurft hätte, woran es im angefochtenen Urteil jedoch fehlt. Die bloße Wiedergabe des vom Zeugen D. klageweise geltend gemachten – angesichts der mitgeteilten Schäden an den Kfz ohnehin vergleichsweise hoch angesetzten – Schadensersatzbetrages genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Denn der Senat vermag anhand dessen nicht zu überprüfen, welche Schadenspositionen der Zeuge überhaupt geltend macht, sowie ob und ggf. in welcher Höhe sie zivilrechtlich erstattungsfähig sind. Er kann deshalb auch nicht prüfen, ob ein bedeutender Fremdschaden nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entstanden ist.

b) Hinzu tritt, dass das Landgericht in seine diesbezügliche Entscheidung trotz des angenommenen Regelfalls von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die seit der Tat vom 4. Februar 2017 verstrichene Zeit (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts bereits über vier Jahre) hätte einfließen lassen müssen (vgl. BVerfG ZfSch 2018, 47; BGH StV 1992, 30; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17. Januar 2005 – Ss 428/04 (I 2) -, juris). Die von der Kammer herangezogene Begründung, die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs bestehe wegen seiner fehlenden Einsicht in das von ihm begangene Unrecht fort, ist nicht tragfähig. Allein der Umstand, dass ein Angeklagter von seiner Unschuld überzeugt ist und sich entsprechend in – jedenfalls insoweit – prozessordungskonformer Weise verteidigt, lässt noch nicht den Schluss auf eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu (zur Strafzumessung bei zulässigem Verteidigungsverhalten vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 1997 – (3) 1 Ss 88/97 (38/97) -; KG StV 2021, 48). Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen seit Begehung der verfahrensgegenständlichen Verkehrsstraftat weder strafrechtlich noch sonst straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und das festgestellte Unfallgeschehen keine Besonderheiten aufweist, das auf langfristige, noch zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung fortbestehende charakterliche Defizite des Angeklagten hindeutet, die verkehrsrechtlich von Relevanz sind. Wenngleich die verstrichene Zeit nicht zwingend einer Entziehung der Fahrerlaubnis entgegensteht (vgl. Senat, Beschluss vom 1. November 2010 – (3) 1 Ss 317/10 (108/10) -, juris; OLG Koblenz DAR 2008, 47), legen die dargelegten Umstände nach Einschätzung des Senats nahe, dass die charakterliche Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht mehr gegeben ist (vgl. dazu auch OLG Hamm DAR 2013, 160 und Beschluss vom 11. September 2014 – III-4 RVs 111/14 -, juris). Dass sich das Landgericht damit nicht auseinandergesetzt hat, macht die angefochtene Entscheidung lückenhaft.“

Verkehrsrecht II: Einziehung des Führerscheins erst in der Berufung, oder: Verschlechterungsverbot?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.11.2021 – 1 OLG 2 Ss 56/21 – behandelt eine verfahrensrechtliche Frage in Zusammenhnag mit der Einziehung eines (gefälschten) Führerscheins.

Das AG hat den Angeklagten u.a. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt. Zudem hat es eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet. Eine Einziehungsentscheidung hat das AG nicht getroffen. Das LG hat auf die Berufung des Angeklagten den Rechtsfolgenausspruch geändert. Zudem hat es die Sperrfrist reduziert und die Einziehung eines (gefälschten) britischen Führerscheins angeordnet. Das weitergehende Rechtsmittel hat das LG verworfen. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte:

„2. Die Einziehungsentscheidung hält jedoch rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt, dass das Verschlechterungsverbot (§ 331 StPO) einer erstmaligen Anordnung der Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) auf lediglich vom Angeklagten eingelegte Rechtsmittel entgegensteht; dies gilt selbst dann, wenn eine selbstständige Einziehung nach § 76a StGB möglich wäre bzw. wenn im Ersturteil die Einziehung rechtsfehlerhaft unterblieben war (BGH, Beschluss vom 10.01.2019 – 5 StR 387/18, juris Rn. 15 ff., BGHSt 64, 48; Beschluss vom 22.01.2019 – 3 StR 48/18, juris Rn. 7). Es hat hier jedoch die erstmalige Anordnung ausnahmsweise für zulässig gehalten, nachdem der Angeklagte und sein Verteidiger den in erster Instanz erklärten Verzicht auf die Rückgabe aller sichergestellter Gegenstände bezüglich des im Rahmen der tatgegenständlichen Verkehrskontrolle sichergestellten Führerscheins widerrufen haben. Das Landgericht hat den Widerruf des Verzichts für wirksam gehalten, weil Angeklagter und Verteidiger erklärt haben, „dass zwischen ihnen abgesprochen war, dass sich die Verzichtserklärung nicht auf den Führerschein, sondern nur [auf] die im Rahmen der Verkehrskontrolle gefundenen anderen Gegenstände beziehen sollte, der Verteidiger aber dennoch eine umfassende Verzichtserklärung abgegeben hat“ und das Amtsgericht infolge der umfassenden Verzichtserklärung von einer Einziehungsanordnung abgesehen hatte (UA S. 10). Das Landgericht hat demnach entsprechend diesen Vorbringens angenommen, dass der Verteidiger nicht beauftragt war, einen Verzicht hinsichtlich der Rückgabe des Führerscheins zu erklären. Die Erklärung eines Verzichts auf den Anspruch auf Herausgabe einer sichergestellten Sache ist jedoch unwiderruflich (vgl. BayObLGSt 1996, 99, 100). Ob der Angeklagte die nach zivilrechtlichen Grundsätzen zu behandelnde und ein Angebot zur Übertragung des Eigentums an den Staat beinhaltende Erklärung seines Verteidigers (vgl. BGH, NZWiSt 2019, 309, 310 auch zur Gegenansicht) hier wirksam anfechten konnte (§ 119 BGB), ist fraglich. Ein Erklärungsirrtum auf Seiten des Angeklagten liegt hier eher fern, weil der Verzicht in seiner Anwesenheit erklärt worden ist und er der Erklärung nicht widersprochen hat. Selbst wenn man aber die Wirksamkeit einer Anfechtung unterstellt, rechtfertigt ein solcher Sachverhalt nicht eine Durchbrechung des Verbots der Schlechterstellung.“

Verkehrsrecht I: Nochmals Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Wenn das Wegfahren den Betrug vollendet

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Heute dann eine „Verkehrsrechtstag“ mit Entscheidungen, die zumindest verkehrsrechtlichen Bezug haben.

Den Reigen eröffnet der BGH, Beschl. v. 12.10.2021 – 5 StR 173/21, und zwar noch einmal zu den Konkurrenzen beim Fahren ohne Fahrerlaubnis. Die Revision des Angeklagten hatte ein bisschen Erfolg:

1. Die tatmehrheitliche Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in den Fällen 1 und 7 hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Mitglied einer Bande, die sich zur deliktischen Beschaffung von Kraftfahrzeugen und deren Weiterverkauf zusammengeschlossen hatte. Im Rahmen der Bandenabrede mietete der Angeklagte unter Verwendung gefälschter Ausweispapiere in den Fällen 1 und 7 jeweils ein Wohnmobil. Die Rückgabewilligkeit nach Ablauf der Mietzeit spiegelte er dabei lediglich vor. Nachdem die gutgläubigen Vermieter ihm die Fahrzeuge überlassen hatten, fuhr er die Wohnmobile nach H., wo sie von anderen Mitgliedern der Gruppierung zum Verkauf vorbereitet wurden. Wie er wusste, verfügte er bei den Transferfahrten nicht über die dafür erforderliche Fahrerlaubnis.

b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts stellen die beiden – in Tateinheit mit Urkundenfälschung begangenen – Betrugstaten und das jeweils nachfolgende Fahren ohne Fahrerlaubnis danach keine eigenständigen Taten im Sinne des 53 StGB dar. Denn das Wegfahren des Fahrzeugs stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Besitzüberlassung und somit der Vollendung des Betrugs (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 – 3 StR 569/17); mindestens diente es der Sicherung des betrügerisch erlangten Besitzes. Das – jeweils als selbständige Tat ausgeurteilte – Fahren ohne Fahrerlaubnis war somit Teil eines einheitlichen Tatgeschehens. Damit stehen die Delikte im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2018- 5 StR 278/18; Beschlüsse vom 27. Januar 2016 – 5 StR 497/15; vom 27. November 2013 – 2 StR 82/13; vom 6. März 2012 – 1 StR 28/12; vom 27. Oktober 1987 – 1 StR 529/87, BGHR StVG § 21 Konkurrenzen 1). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

c) Dies entzieht den für die Delikte nach 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG verhängten Einzelstrafen die Grundlage; sie entfallen. Einer Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche bedarf es nicht. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht angesichts der im unteren Bereich liegenden Geldstrafen bei zutreffender rechtlicher Bewertung zu milderen Gesamtfreiheitsstrafen gelangt wäre (§ 337 Abs. 1 StPO), zumal die konkurrenzrechtliche Bewertung den Unrechts- und Schuldgehalt des Tuns des Angeklagten unberührt lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2019 – 3 StR 130/19).“

Beweis III: Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, oder: Vorliegen weiterer Beweismittel

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Die letzte Entscheidung heute verhält sich zu Beweiswürdigungsregeln, und zwar tzr Frage der Aussage-gegen-Aussagekonstellation bei Vorliegen weiterer tatbezogener Beweismittel. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 05.11.2021 – (2) 121 Ss 100/21 (24/21). Das KG nimmt zu der Frage in einem Zusatz Stellung, und zwar wie folgt:

„3. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

„Gegen die von dem Angeklagten mit seiner Revision ebenfalls angegriffene Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils bestehen unter Berücksichtigung der maßgeblichen Rechtsgrundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1997 – 5 StR 178/97 –, juris) keine durchgreifenden Bedenken. Die Annahme der Revision, dass eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vorliegt, trifft hier schon deshalb nicht zu, weil – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist – in Gestalt der bei der Anzeigenaufnahme gefertigten Lichtbilder und des ärztliche Attests des Dr. med. P. vom 20. Januar 2020 weitere unmittelbar tatbezogene, sachliche Beweismittel vorlagen, die die Angaben der Zeugin stützen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 – 5 StR 451/19 – juris; Senat, NStZ 2019, 360). Der Anwendung der vom BGH (allein) für die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ entwickelten besonders strengen Beweiswürdigungsregeln (vgl. BGHSt 44, 153; 44, 257) bedurfte es somit nicht.“.

Beweis II: Wann liegt denn nun eine Vernehmung vor?, oder: Was ist eine Durchsuchung?

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Die zweite Entscheidung des Tages kommt aus Bayern. Das BayOBlG hat im BayObLG, Beschl. v. 13.9.2021 – 202 StRR 105/21 – zur Abgrenzung der „Vernehmung“ zur „informatorischen Befragung“ und zu der Frage Stellung genommen, wann eine Durchsuchung i.S. des § 102 StPO vorliegt.

Das AG hat den Angeklagten unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung hat das LG verworfen. Hiergegen richtet sich dann die u.a. auf die Verfahrensrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die hatte keinen Erfolg.

Das LG hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte bewahrte am 08.03.2019 in seiner Wohnung 7,49 g Marihuana sowie 0,42 g Cannabis-Tabakgemisch und 0,34 g Amphetamin auf. Nachdem Polizeibeamte, denen mitgeteilt worden war, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen sei, gegen 9:10 Uhr den Angeklagten an der Wohnungstür hierauf angesprochen hatten, habe dieser sofort gestanden, dass er soeben einen „Joint“ geraucht habe. Auf Aufforderung durch die Beamten habe er die in der Wohnung befindlichen Betäubungsmittel an diese herausgegeben.

Der Angeklagte hat mit seinen Verfahrensrügen Verwertungsverbote hinsichtlich der sichergestellten Betäubungsmittel und seines Geständnisses vor der Polizei geltend gemacht. Wie gesagt: Ohne Erfolg:

„b) Die erhobenen Verfahrensrügen sind indes bereits unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht gerecht werden. Hiernach ist der Beschwerdeführer gehalten, die den Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau wiederzugeben, dass das Revisionsgericht allein anhand der Begründungsschrift beurteilen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st.Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 28.02.2019 – 1 StR 604/17 = StV 2019, 808 = BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 2 Ungeeignetheit 26 = StraFo 2019, 243; 27.09.2018 – 4 StR 135/18 = NStZ-RR 2019, 26; 20.09.2018 – 3 StR 195/18 = NStZ-RR 2019, 190; Beschluss vom 01.12.2020 – 4 StR 519/19 = NStZ-RR 2021, 116 = Blutalkohol 58, 159 (2021); 29.09.2020 – 5 StR 123/20 = JR 2021, 231; 13.05.2020 – 4 StR 533/19 = medstra 2021, 42 = NStZ 2021, 178; 17.07.2019 – 5 StR 195/19, bei juris; 09.08.2016 – 1 StR 334/16 = NStZ 2017, 299 = StraFo 2017, 24 = StV 2017, 791; 19.05.2015 – 1 StR 128/15 = BGHSt 60, 238 = NStZ 2015, 541 = StraFo 2015, 381 = StV 2016, 78 = JR 2016, 78; 11.03.2014 – 1 StR 711/13 = NStZ 2014, 532 = BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 29 = StV 2015, 87; BayObLG, Beschluss vom 09.08.2021 – 202 ObOWi 860/21, bei juris). Dem entspricht die Rechtfertigungsschrift nicht.

aa) In Bezug auf das vor der Polizei abgelegte Geständnis, das der Beschwerdeführer wegen Verstoßes gegen die Belehrungspflicht für unverwertbar hält, fehlt es in mehrfacher Hinsicht an erforderlichem Sachvortrag, der dem Senat die Überprüfung ermöglichen würde, ob gegen die Belehrungspflicht nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO verstoßen wurde.

(1) Die Revision legt schon nicht dar, dass gegen den Angeklagten im Zeitpunkt des Erscheinens der Polizeibeamten an seiner Wohnungstür überhaupt ein Anfangsverdacht bestanden hatte. Die Pflicht zur Belehrung einer Person als Beschuldigten nach § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO wird erst dann ausgelöst, wenn sich der Verdacht gegen sie so verdichtet hat, dass sie ernstlich als Täter einer Straftat in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 07.09.2017 – 1 StR 186/17 = wistra 2018, 91). Aus den in der Revisionsbegründungsschrift wiedergegebenen Passagen des Berufungsurteils lässt sich dies gerade nicht ableiten. Hiernach sei laut Aussage des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten der Polizeidienststelle mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen gewesen sei, und der Polizeibeamte habe dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahrgenommen. Hieraus resultiert indes noch keineswegs ein konkreter Anfangsverdacht gerade in Bezug auf den Angeklagten hinsichtlich eines Betäubungsmitteldelikts. Denn die Inhaberschaft einer Wohnung ist ebenso wenig strafrechtlich relevant (vgl. BGH, Urt. v. 25.04.2017 – 5 StR 106/17 = NStZ-RR 2017, 219 = StraFo 2017, 257 = StV 2018, 503) wie der bloße etwaige Konsum von Betäubungsmitteln (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 14.10.2013 – 3 Ss 102/13 = StV 2014, 621 = OLGSt BtMG § 29 Nr. 21 m.w.N.). Dass die Polizeibeamten gerade den Angeklagten als Täter eines Betäubungsmitteldelikts konkret in Verdacht hatten, ergibt sich auch sonst aus der Rechtfertigungsschrift nicht.

(2) Zudem unterbleibt jeglicher Vortrag dazu, ob überhaupt eine die Belehrungspflicht erst auslösende „Vernehmung“ vorlag, als das Geständnis vor der Polizei abgelegt wurde. Hiervon kann nur dann gesprochen werden, wenn der Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt bereits den Beschuldigtenstatus eingenommen hatte, was sich aber aus der Rechtfertigungsschrift ebenfalls nicht ergibt. Ungeachtet dessen ist die im Berufungsurteil erwähnte, durch die Revisionsbegründung nicht weiter untermauerte bloße „Ansprache“ des Angeklagten auf den Marihuanageruch noch keineswegs als Vernehmung im Sinne einer gezielten Befragung eines Tatverdächtigen zu werten. Vielmehr liegt mangels ausreichenden weiteren Vortrags der Revision nicht fern, dass es lediglich um eine informatorische Befragung einer zum Kreis der potentiellen Tatverdächtigen gehörenden Person zum Zwecke der Klärung ging, ob oder gegen wen gegebenenfalls förmlich als Beschuldigter zu ermitteln ist, durch die die Belehrungspflicht § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO noch nicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2019 – StB 14/19 = BGHSt 64, 89 = NJW 2019, 2627 = NStZ 2019, 539 = StraFo 2019, 376 = JR 2020, 81; 27.10.1982 – 3 StR 364/82 = NStZ 1983, 86; BayObLG, Beschluss vom 02.11.2004 – 1St RR 109/04 = VD 2005, 101 = NStZ-RR 2005, 175 = wistra 2005, 239 = StV 2005, 430 = NZV 2005, 494 = Blutalkohol 43, 312 (2006); KK-StPO/Diemer 8. Aufl. § 136 Rn 4).

(3) Darüber hinaus unterbleibt ein Vortrag dazu, ob dem Angeklagten seine Rechte aus § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 bis 6 StPO zum damaligen Zeitpunkt nicht ohnehin bereits bekannt waren. Ausführungen hierzu waren umso mehr erforderlich, als er vielfach und massiv vorbestraft ist, sodass es naheliegt, dass ihm schon aufgrund seiner Kontakte zu Ermittlungsbehörden und Gerichten seine Rechte bekannt waren. Sollte dies der Fall gewesen sein, durfte der Inhalt der Angaben, die er ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwertet werden (BGH, Beschluss vom 27.02.1992 – 5 StR 190/91 = BGHSt 38, 214).

(4) Schließlich scheitert die Zulässigkeit der Verfahrensrüge daran, dass der bereits in erster Instanz verteidigte Beschwerdeführer der Verwertung seines vor der Polizei abgelegten Geständnisses nicht rechtzeitig, d. h. bis zu dem in § 257 StPO vorgesehenen Zeitpunkt, mit einer konkreten Stoßrichtung widersprochen hat (vgl. grundlegend: BGH a.a.O.), was zur Rügepräklusion führt (vgl. nur BGH, Urt. v. 09.05.2018 – 5 StR 17/18 = NSW StPO § 105 (BGHintern) = NJW 2018, 2279 = StraFo 2018, 385 = StV 2018, 772 = NStZ 2018, 737 = BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 1 m.w.N.).

bb) Soweit die Revision geltend macht, die Erkenntnisse aus der Sicherstellung der Betäubungsmittel unterlägen einem Beweisverwertungsverbot, weil sie aufgrund einer gegen den Richtervorbehalt (§ 105 StPO) verstoßenden Durchsuchung erlangt worden seien, versagt auch diese Verfahrensrüge.

(1) Da der auch für die Rüge unzulässiger Verwertung von Durchsuchungsfunden erforderliche Verwertungswiderspruch (vgl. nur BGH a.a.O.) in erster Instanz nicht erhoben wurde, ist diese Verfahrensrüge ebenfalls präkludiert und deswegen bereits unzulässig.

(2) Ungeachtet dessen kam es weder nach dem Vortrag der Revision noch nach den Gründen des Berufungsurteils zu einer Durchsuchung. Kennzeichnend für eine Durchsuchung im Sinne des § 102 StPO ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.05.1987 – 1 BvR 1113/85 = BVerfGE 75, 318 = NJW 1987, 2500 = WuM 1987, 303 = DVBl 1987, 1062 = Rbeistand 1987, 120 = MDR 1987, 903 = JuS 1988, 149; Löwe-Rosenberg/Tsambikakis StPO 27. Aufl. § 102 Rn. 1). Hiervon kann schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Angeklagte die Betäubungsmittel auf die „Ansprache“ durch die Polizei an der Wohnungstür sofort freiwillig herausgegeben hat, so dass es zu einer Durchsuchung deshalb gar nicht kam.

(3) Für das Vorliegen eines Verwertungsverbots nach § 136a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 StPO aufgrund einer etwaigen Ankündigung einer Durchsuchung unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt ergeben sich nach dem Revisionsvortrag schon keine Anhaltspunkte.“

M.E. eine dieser typischen bayerischen Fleißarbeiten, die von Zitaten strotzen, obwohl das alls gar nicht nötig gewesen wäre. Denn:

Man kann nur den Kopf schütteln über den Verteidiger. Dem scheinen die Grundkenntnisse im Recht der Beweisverwertungsverbote zu fehlen. Denn inzwischen sollte bei jedem Verteidiger angekommen sein, dass – wenn ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht wird – in der Hauptverhandlung widersprochen werden muss und dass der Umstand, dass widersprochen worden ist, dann auch in der Revision im Rahmen der Begründung der Verfahrensrüge vorgetragen werden muss. Und damit wäre es m.E. gut gewesen. Denn aus dem Grund ist die Entscheidung – im Ergebnis – zutreffend.

Aber: Das BayObLG muss natürlich einer staunenden (?) Fachwelt mitteilen, was es im Übrigen von der Sache hält. Und da ist die Entscheidung m.E. falsch. Denn der Angeklagte hätte als Beschuldigter belehrt werden müssen und seine ohne Belehrung gemachten Angaben wären damit, wenn widersprochen worden wäre, unverwertbar gewesen. Denn der Verdacht gegen ihn im Hinblick auf ein BtM-Delikt hatte sich zum Zeitpunkt der Befragung bereits so verdichtet, dass er als Täter einer Straftat in Betracht kam (zur Beschuldigteneigenschaft Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, Rn 1041 ff.). Ich halte fest: Der Polizeidienststelle wird mitgeteilt worden, dass aus der Wohnung des Angeklagten starker Marihuanageruch wahrzunehmen ist, Polizeibeamte nehmen dann im Treppenhaus des Wohnanwesens des Angeklagten ebenfalls Marihuanageruch wahr, der Angeklagte öffnet die Wohnungstür. Bei den Umständen soll der Angeklagte dann nicht als Täter einer Straftat – eines BtM-Delikts, und zwar zumindest Besitz von BtM – in Betracht. Man fragt sich, was eigentlich noch passieren muss, bis man in Bayern als Beschuldigter angesehen wird? Für mich unverständlich, aber: Bayern eben.