Archiv für den Monat: Oktober 2021

Das hier ist der 12.000 Beitrag im BOB seit 2008, oder: Zu dem Anlass darf es ein wenig Statistik sein …

Bild von Colin Behrens auf Pixabay

Heute ist ein besonderer Tag, denn jetzt geht hier mit diesem Beitrag gerade der 12.000 Beitrag des BOB online. Gut, dass WordPress mitzählt. Ist ja dann doch – wie ich meine – eine stolze Zahl an Beiträgen.

Begonnen hat alles – noch zu LexisNexis- bzw. WKD Zeiten – am 01.11.2008 um 07.29 Uhr mit dem Beitrag: Anhebung der Tagessatzhöchstgrenze im Bundeskabinett beschlossen. Wenn man sich den anschaut: Ohne Bilder und ein wenig unstrukturiert, Newcomer eben. Schade, dass es nicht ganz geklappt hat mit dem Jahrestag bzw. dem Überschreiten der 12.000-er Grenze genau am 01.11.2021. Dann wäre es genau 13 Jahre gewesen.

(Fast) 13 Jahre sind eine lange Zeit und 12.000 Beiträge auch „ganz schön“. Ich habe das zum Anlass genommen, mal ein wenig Statistik zu betreiben. Mir ist es allerdings nicht gelungen, den Beitrag mit den meisten Klicks zu finden. In den 13 Jahren ist nämlich das Statistik-Tool geändert worden. Man dann daher die Klickzahlen aus früheren Jahren nicht mit denen aus den letzten Jahren vergleichen. Schade, aber kann man leider nicht ändern.

Also daher nur:

Wenn ich es richtig sehe und auch richtig gezählt worden ist = die Zähler bei den neuen Tools nicht immer wieder auf Null gestellt worden sind -, wofür einiges spricht: Es werden derzeit rund 4.0 Mio Besucher angezeigt. Nicht schlecht. Und wenn ich mir vorstelle, dass bei jedem für jeden Besuch nur 1 EUR abgebucht worden wäre……. 🙂 .

Und dann: Veröffentlicht worden sind – Doppelzählung ist möglich –

8.219 Einträge in der Rubrik „Entscheidungen“

3.945 Einträge in der Kategorie „StPO“

2.368 Einträge in der Kategorie „StGB“

1.740 Einträge in der Kategorie „OWi“

1.747 Einträge in der Rubrik „Gebührenrecht „

805 Einträge in der Kategorie „Gebührenrätsel und Lösungen“

785 Einträge in der Kategorie „Zivilrecht“

585 Einträge in der Kategorie „Sonntagswitze“

335 Einträge in der Kategorier „Verwaltungsrecht“

Und: Es hat 17.698 Kommentare gegeben. Leider wird nicht angezeigt, wie viel „gute“ und/oder wie viel „schlechte“ 🙂 .

Ich nehme das Überschreiten der 12.000-er Grenze zum Anlass, mich bei allen zu bedanken, die den BOB in den vergangenen fast 13 Jahre besucht haben und/oder, die kommentiert haben – auch wenn mir nicht alle Kommentare gefallen haben. Ein besonderer Dank gilt auch all denen, die mir immer wieder Entscheidungen geschickt haben. Bitte damit nicht aufhören. Denn das Blog lebt ja auch davon, dass ich Entscheidungen vorstellen kann, die es an anderen Stellen nicht gibt. Und ein ganz besonderer Dank gilt dann meinem „Blogwart“ Mirko Laudon, der – teilweise neben seiner anwaltlichen Tätigkeit – das Blog technisch betreut und meine vielfältigen Wünsche immer erfüllt hat. Wer schon mal mit mir zusammen gearbeitet hat, weiß, was das für eine Ochsentour für ihn war 🙂 .

In dem Sinne und mit dem Versprechen: Es wird weiter gehen. Auf geht es. Packen wir es an. Ad multos annos.

Nachträgliche Aufhebung der Pflichtverteidigung, oder: Kein Entfallen des Gebührenanspruchs

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Und als zweite Entscheidung des Tages dann der AG Osnabrück, Beschl. v. 11.10.2021 – 202 Ds (211 Js 11318/21) 235/21, den mir der Kollege Schäck aus Dortmund geschickt hat. Als ich die Entscheidung gelesemn habe, habe ich den Kopf geschüttelt. Nicht so sehr über den AG-Beschluss, sondern mehr über die darin mitgeteilte Argumentation des Bezirksrevisors. man fragt sich manchmal, warum eigentlich von der Staatskasse nichts unversucht gelassen wird, anwaltliche Gebühren nicht festsetzen zu lassen. Zumindest ist das mein Eindruck.

Folgender Sachverhalt, der mit Pflichtverteidigung zu tun hat. Der Staatsanwaltschaft hat am 22.04.2021 Anklage gegen die Angeschuldigte wegen Bedrohung zum Jugendschöffengericht erhoben. Bei Übersendung der Anklageschrift an die Angeschuldigte wies das AG darauf hin, dass ihr ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei und sie Gelegenheit zur Benennung eines Rechtsanwaltes/einer Rechtsanwältin binnen einer Woche habe. Weiterhin wurde angekündigt, dass für den Fall der Nichtbenennung ein Pflichtverteidiger durch das Gericht bestellt werde. Mit Schreiben vom 29.04.2021 meldete sich dann der Kollege für die Angeschuldigte zur Akte und beantragte seine Bestellung als Pflichtverteidiger. Im weiteren Verlauf erfolgte auf Antrag der Staatsanwaltschaft dann eine Eröffnung des Verfahrens vor dem Strafrichter. Die Staatsanwaltschaft beantragte, von einer Beiordnung wegen nicht mehr bestehender Voraussetzungen abzusehen; das AG ordnete gleichwohl den Verteidiger mit Beschluss vom 17.06.2021 bei. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das LG die Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben.

Den Antrag des Kollegen auf Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung hat der Kostenbeamte abgelehnt. Hiergegen richtete sich die Erinnerung des Rechtsanwalts, zu der der Bezirksrevisor gehört worden ist. Er hat Zurückweisung des Rechtsmittels. Das Rechtsmittel hatte hingegen beim AG Erfolg:

„Der Rechtsbehelf gegen den Beschluss vom 27.07.2021 ist als Erinnerung gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 RVG statthaft und auch in der Sache begründet. Die nachträgliche Aufhebung des Bestellungsbeschlusses vom 17.06.2021 hat im vorliegenden Fall keine Auswirkung auf die dem Beschwerdeführer zustehenden Pflichtverteidigergebühren.

Für die Entstehung eines Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse ist grundsätzlich der Bestellungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 RVG entscheidend. Mit der Ausführung anwaltlicher Tätigkeiten auf Basis einer Beiordnung entstehen die Grund- und Verfahrensgebühren nach Nr. 4100, 4106 WRVG (vgl. Gerold /Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage, RVG VV 4100 Rn. 12).

 

Eine zeitlich nachfolgende Aufhebungsentscheidung hinsichtlich der Pflichtverteidigerbestellung hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf diese bereits entstandenen Gebühren. Dies folgt aus der Vorschrift des § 15 Abs. 4 RVG, wonach nachträgliche Änderungen hinsichtlich der Angelegenheit ohne Bedeutung für den Vergütungsanspruch sind. Diese Norm gilt nach ihrem Sinn und Zweck auch für die Staatskasse (vgl. Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse (§§ 44, 45, 50) Rn. 2400). Eine Ausnahme vom normierten Grundsatz kann sich gemäß § 15 Abs. 4 RVG nur aus dem RVG selbst ergeben, wofür hier keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

Ob für Fälle einer äußerst kurzfristigen Beiordnung, die ein bereits bestehendes Wahlmandat gleichsam „überlagert“, eine Ausnahme im Hinblick auf die ohnehin bereits entstandene Wahlverteidigervergütung und fehlende Schutzbedürftigkeit / fehlenden Vertrauensschutz zu begründen sind (so die Argumentation in der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 23.08.2021), bedarf hier keiner Entscheidung: Es ist im vorliegenden Fall nicht ansatzweise ersichtlich, dass schon vor der Anhörung der Angeschuldigten zur Pflichtverteidigerbestellung ein Wahlmandat bestanden hätte. Im Gegenteil meldete sich der Verteidiger erst auf die Anhörung der Angeschuldigten zur Akte und beantragte seine Beiordnung. Eine Tätigkeit des Verteidigers im Vertrauen auf eine Wahlverteidigervergütung — und daher ggf. mangelnde Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf eine potentiell aufhebbare Bestellung als Pflichtverteidiger — sind fernliegend. Der Beschwerdeführer hat von einer Mandantin bevollmächtigen lassen, welche ausdrücklich durch das Amtsgericht auf eine notwendige Verteidigung hingewiesen wurde. Dies lässt hinsichtlich der Bevollmächtigung nur den Schluss zu, dass diese vor dem Hintergrund der für sicher gehaltenen Bestellung als Pflichtverteidiger erfolgte. Bei Beginn der anwaltlichen Tätigkeit (und somit zum Zeitpunkt der Entstehung der Gebühren) war sein Vertrauen auf die gerichtlich angekündigte — und letztlich ausgesprochene – Beiordnung schutzwürdig, auch wenn sich die maßgeblichen Umstände später geändert haben. Eine Abweichung vom Grundsatz der Vergütung auch bei nachträglicher Aufhebung des Beiordnungsbeschlusses ist daher nicht gerechtfertigt.

Der gesetzliche Kontext spricht ebenfalls dafür, dass der Gebührenanspruch schon vor Bestandskraft der Beiordnung entsteht und bei nachträglicher Aufhebung erhalten bleibt. So ist es Ratio der Rückwirkungsvorschrift des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG, das Tätigwerden schon vor Bestellung als Pflichtverteidiger ohne Verlust der entsprechenden Ansprüche gegen die Staatskasse ausdrücklich zuzulassen. Erst recht muss dies bei einer später tatsächlich erfolgten und noch später wieder aufgehobenen Beiordnung gelten.

Unter Aufhebung des Beschlusses vom 27.07.2021 ist die der Höhe nach nicht zu beanstandende Vergütung daher wie beantragt in Höhe von 405,79 € festzusetzen.“

Dazu nur kurz – mehr demnächst im AGS und/oder StRR:

  1. Die Entscheidung ist zutreffend. Ebenso hat in der Vergangenheit bereits LG Kaiserslautern RVGreport 2019, 135 = JurBüro 2019, 245 = RVGprofessionell 2019, 111) entschieden. Die Auffassung des Kostenbeamten würde für den Kollegen, der Rechtsanwalt, der in gutem Glauben auf die Wirksamkeit der Bestellung tätig geworden ist, letztlich zur Arbeit zum Nulltarif führen. Das wäre ein wenig viel Sonderopfer.
  2. Zu den nicht tragenden „Hilfserwägungen“ des AG zu den Ausführungen des Bezirksrevisors: Mir erschließt sich nicht, was fehlende Schutzbedürftigkeit/fehlender Vertrauensschutz und ein ggf. zunächst begründetes Wahlanwaltsmandat mit den Pflichtverteidigergebühren zu tun haben sollen. Aber das kann man wahrscheinlich auch nicht erklären 🙂 .

Reisekosten des Rechtsanwalts am/vom dritten Ort, oder: Nicht nur Erstattung der fiktiven Reisekosten

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Heute ist Gebührenfreitag. Und ich starte mit dem BGH, Beschl. v. 14.09.2021 – VIII ZB 85/20. Thematik: Erstattung von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts. Die Entscheidung ist zwar im Zivilrecht ergangen, die Ausführungen des BGH haben m.E. aber auch darüber hinaus Bedeutung.

Gegenstand des Verfahrens war die Klage eines Leasingsnehmers gegen eine in München ansässige Leasinggesellschaft auf Rückabwicklung eines Leasingvertrags. Geklagt wurde beim LG München I. Die beklagte Gesellschaft hat für das Verfahren eine in Köln ansässige Rechtsanwaltskanzlei beauftragt. Die war auf Leasingrecht spezialisiert. Das LG München I hat die Klage abgewiesen und dem Kkläger die Verfahrenskosten auferlegt. Der Kläger hat zunächst Berufung eingelegt, die aber wieder zurückgenommen. Das OLG hat ihm dann die Kosten auferlegt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin dann für des erstinstanzliche Verfahren die Reisekosten ihrer Prozessbevollmächtigeten aus Kölner in Höhe von rund 290 EUR geltend gemacht. Das LG München I hat lediglich Fahrtkosten in Höhe von 20 EUR und eine Abwesenheitspauschale von 25 EUR anerkeannt. Dagegen das Rechtsmittel zum OLG. Das die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts am dritten Ort als notwendig und damit verbundene Mehrkosten als grundsätzlich erstattungsfähig angesehen, die hierdurch ausgelösten Mehrkosten seien jedoch nicht automatisch in voller Höhe erstattungsfähig. Die Rechtsbeschwerde beim BGH hatte Erfolg.

Hier die Leitsätze der Entscheidung:

1. Zur Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines nicht am Prozessort und auch nicht am Sitz der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten.
2. War die Hinzuziehung des Prozessbevollmächtigten einer Partei im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO notwendig, können die zu erstattenden Kosten bei der Vertretung der Partei vor dem Gericht an ihrem Sitz nicht auf die fiktiven (Reise-)Kosten eines Anwalts begrenzt werden, dessen Kanzleisitz an dem von dem Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirkes liegt. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO verlangt im Falle der notwendigen Einschaltung eines auswärtigen Anwalts regelmäßig keine zusätzliche Prüfung, ob im konkreten Einzelfall auch die Wahrnehmung des Verhandlungstermins gerade durch diesen Rechtsanwalt unbedingt erforderlich war oder auch durch einen im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalt hätte erfolgen können (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 25. Oktober 2011 – VIII ZB 93/10, NJW-RR 2012, 695 Rn.16).

OWi III: Leivtex XV3, oder: Wenn du deinen Einspruch beschränkst, sehe ich vom Fahrverbot ab

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Und dann noch die dritte Entscheidung, das AG Eilenburg, Urt. v. 30.09.2021 – 8 OWi 956 Js 12381/21 – zu den Rechtsfolgen bei Geschwindigkeitsverstößen, die mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät LEIVTEC XV3 festgestellt wurden. Das AG hat von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot abgesehen, u.a. weil der Betroffene seinen Einspruch beschränkt hatte:

„Ausweislich des bundeseinheitlichen Tatbestandskatalogs für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten ist für eine solche Tat bei fahrlässigem Verhalten und für einen Ersttäter der Ausspruch einer Geldbuße von 200,00 Euro (11.3.7 BKat) nebst Verhängung eines Regelfahrverbotes für die Dauer von einem Monat auf der Grundlage von § 25 Abs. 1 StVG, § 4 Abs. 1 BKatV vorgesehen. Das Gericht hat von dieser Regelfahrverbotsanordnung gemäß § 4 Abs. 4 BKatV i. V. m. § 17 Abs. 3 OWiG unter angemessener Erhöhung der hier grundsätzlich als tat- und schuldangemessen erachteten Regelgeldbuße von 200,00 Euro auf eine Geldbuße in Höhe von 400,00 Euro bei Beachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen abgesehen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

Im Ausgangspunkt verkennt das Gericht nicht, dass soweit – wie hier – die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 BKatV vorliegen, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Erziehungsmaßnahme angeordnet werden soll, grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen ist. Die Gerichte haben diese Vorbewertung des Verordnungsgebers zu beachten. Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Der Tatrichter ist in diesen Fällen gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen. Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots wegen Wegfalls des Erfolgs- oder Handlungsunwerts kommt nur dann in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat (z. B. atypischer Rotlichtverstoß wegen Ausschlusses einer Gefahrenlage) oder in der Persönlichkeit des Betroffenen (z. B. Augenblicksversagen beim Rotlichtverstoß) offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt (vgl. nur KG Berlin, Beschl. v. 02.08.2018 – 3 Ws [B] 202/18 -, juris).

Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung ergänzend anerkannt (vgl. nur OLG Dresden, Beschl. v. 11.03.2019 – OLG 23 Ss 80/19 [B] -, juris), dass das Fahrverbot nach § 25 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion hat. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt. Von ihm soll eine warnende Wirkung auf den Betroffenen ausgehen und ihn anhalten, sich künftig verkehrsordnungsgemäß zu verhalten. Das Fahrverbot kann deshalb u. a. seinen Sinn verlieren, wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände auch außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr festgestellt worden ist.

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass allein die erhöhte Geldbuße ausreichen wird, den Betroffenen zu veranlassen, sein Verkehrsverhalten in Zukunft zu verändern und Geschwindigkeitsbeschränkungen genauer zu beachten. Der festgestellte Geschwindigkeitsverstoß liegt über ein Jahr und vier Monate zurück und der Betroffene ist weder zuvor noch danach straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Als vordringlicher Grund zum Absehen vom Regelfahrverbot wirkt sich hier zugunsten des Betroffenen aus, dass er seinen Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt hat, dem nach Auffassung des Gerichts nicht nur Geständnisfiktion und Schuldeinsicht zukommt (vgl. nur OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.01.2006 – 1 Ss 5/06 -, BeckRS 2006, 1865 zur Rechtsfolgenbeschränkung im Strafbefehlsverfahren).

Vielmehr schließen sich im vorliegenden Fall an eine Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen durchgreifende verfahrensökonomische Erwägungen an. Denn ein Tatnachweis wäre anderenfalls allenfalls durch die Einholung eines kosten- und zeitintensiven Sachverständigengutachtens zu führen gewesen, da bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier zum Einsatz gekommenen Messgerät LEIVTEC XV3 nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann.

Das Gericht schließt sich insoweit den Entscheidungen des Bayrischen Obersten Landgerichts (Beschl. v. 12.08.2021 – 202 ObOWi 880/21 -, juris) sowie der Oberlandesgerichte Stuttgart (Beschl. v. 10.06.2021 – 6 Rb 26 Ss 133/21 -, BeckRs 2021, 14050), Celle (Beschl. v. 18.06.2021 – 2 Ss [OWi] 69/21 -, juris), Oldenburg (Beschl. v. 19.07.2021 – 2 Ss [OWi] 170/21 und Beschl. v. 26.08.2021 – 2 Ss [OWi] 199/21 -, beide juris) und Hamm (Beschl. v. 16.09.2021 – III-1 Rbs 115/21 -, BeckRS 2021, 28656) an. Das Messgerät bietet nach den Erkenntnissen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (vgl. Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät LEIVTEC XV3 [Stand: 09.06.2021/Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin – DOI: 10.7795/520.20210609]) nicht mehr die Gewähr dafür, dass es bei Beachtung der Vorgaben für seine Bedienung zu hinreichend zuverlässigen Messergebnissen kommt. Vielmehr haben die Überprüfungen durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) ergeben, dass es bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät zu unzulässigen Messwertabweichungen auch zu Ungunsten Betroffener u. a. wegen des Auftretens sog. Stufenprofil-Fehlmessungen (vgl. hierzu näher Kugele/Gut/Hähnle, VKU 2021 [Heft 3], 88 ff.) kommen kann und deshalb nicht länger von einem vereinheitlichten technischen Verfahren auszugehen ist, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Die hiervon abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein (Beschl. v. 17.08.2021 – II OLG 26/21 -, juris) überzeugt aus den im Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26.08.2021 genannten Gründen nicht.

Die genannten Feststellungen und Wertungen rechtfertigen nach Auffassung des Gerichts jedenfalls in ihrer Gesamtschau eine Ausnahme von der Anordnung des Regelfahrverbots. Das Gericht ist sich hierbei bewusst, dass hier nicht der „klassische“ Wegfall des Erfolgs- oder Handlungsunwerts aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls in Betracht kommt. Vielmehr liegt den vorstehenden Erwägungen die Annahme zugrunde, dass die überragende Mehrzahl an Geschwindigkeitsverstößen in der Praxis, für die der Verordnungsgeber die Regelfahrverbotsanordnung vorsehen hat, mittels Geschwindigkeitsmessgeräten festgestellt werden, auf die grundsätzlich die Vorgaben eines standardisierten Messverfahrens angewendet werden können. Soweit aber wie hier mit der LEIVTEC XV3 ein Geschwindigkeitsmessgerät ubiquitär in der Praxis zum Einsatz kommt, bei dem nicht mehr von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen werden kann, gerät die Ahndbarkeit der insgesamt hiermit festgestellten Verstöße an seine Grenzen und es bedarf aus Sicht des Gerichts im Interesse der Gleichbehandlung der sich Geschwindigkeitsüberschreitungsvorwürfen ausgesetzten Betroffenen einerseits und mit Blick auf die Ressourcen an technischen Sachverständigen sowie unter Beachtung verfahrensökonomischer Erwägungen andererseits einer folgenorientierten Abwägung. Vor diesem Hintergrund versteht sich die Rechtsprechungspraxis am hiesigen Gericht, Betroffene, die in derartigen Fällen mit ihrer Einspruchsbeschränkung auf die Rechtsfolgen Schuldeinsicht zeigen und hiermit das andernfalls erforderliche Sachverständigengutachten nicht zum Tragen lassen kommen, nicht mit der Regelfahrverbotsanordnung zu überziehen, sondern es als verkehrserzieherisch ausreichend zu erachten, die ohne Fahrverbot als tat- und schuldangemessen anzusehende Geldbuße angemessen zu erhöhen.

Angesichts dessen, dass der voreintragungsfreie Betroffene einerseits über zwei Kinder verfügt, denen er zum Unterhalt verpflichtet ist, und er anderseits in beruflicher Hinsicht angestellter Bereichsleiter im Anlagenbau für Heizung/Sanitär- und Haustechnik ist, der nach eigenen Angaben in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, ist es aus Sicht des Gerichts angezeigt, im Ausgangspunkt die für seine Verfehlung vorgesehene Regelgeldbuße anzusetzen und diese in Anwendung von § 4 Abs. 4 BKatV zu verdoppeln.“

Na ja, zumindest etwas 🙂   aber wegen des Fahrverbots falsch. Schöne Formulierung, dass der Betroffene über „zwei Kinder verfügt“.

OWi II: Die Entscheidung im Beschlussverfahren, oder: Anforderungen an die Beschlussbegründung

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandemburg, Beschl. v. 22.09.2021 – 2 OLG 53 Ss-OWi 373/21 – geht es noch einmal um die Begründung des im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG ergangenen Beschlusses. Das OLG hat die amtsgerichtliche Entscheidung aufgehobe, weil der Beschluss keine Begründung enthielt, die Voraussetzungen für ein Absehen von der Begründung gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG mangels Verzichtserklärung der Staatsanwaltschaft nicht vorlagen und eine Nachholung der Gründe gemäß § 72 Abs. 6 OWiG nach Zustellung des nicht mit Gründen versehenen Beschlusses an die Verfahrensbeteiligten nicht mehr zulässig war. Dazu nimmt es auf die Stellungnahme der GStA Bezug:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:

“ (…) Der angefochtene Beschluss vom 25. Januar 2021 ist auf die erhobene Sachrüge hin schon deshalb aufzuheben, weil er die nach § 72 Abs. 4 Sätze 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht enthält. Danach muss die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG, mit dem eine Geldbuße festgesetzt wird, im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die gemäß § 71 Abs. 2 OWiG i. V. mit § 267 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO an die Begründung eines nicht freisprechenden Urteils gestellt werden (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 18. Februar 2008, Az.: 1 Ss (OWi) 266 B/07, in: juris; KK-OWiG /Senge, 5. Auflage, 2018, § 72, Rn. 66 m. w. N.). Der am 1. März 2021 zu den Akten gelangte begründete Beschluss war insoweit für das weitere Verfahren — trotz Einhaltung der 5-Wochen-Frist nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG — unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt bereits ein unter Verstoß nach § 72 Abs. 6 S. 1, S. 2 OWiG den Verfahrensbeteiligten als endgültige Fassung zugestellter Beschluss mit Übersendungsverfügung vom 25. Januar 2021 u.a. unter Bezugnahme auf § 41 StPO vorlag (BI. 88 d. A.). Ausweislich BI. 91 d. A. ist die Akte auch der Staatsanwaltschaft mit dem abgekürzten Beschluss zugegangen und von dieser mit Rechtsmittelverzicht zurückgesandt worden (BI. 92 d. A.), Der Beschluss ist auch dem Verteidiger am 3. Februar 2021 (BI. 97 d. A.) zugestellt worden. Wird ein nicht mit Gründen versehenes Urteil nach § 41 StPO zugestellt, obwohl die Voraussetzungen des § 77b Abs. 1 OWiG nicht vorgelegen haben, ist eine nachträgliche Ergänzung auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen nicht möglich (vgl. Brandenburger Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. November 2011, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 446/11 (244/11), in: juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Januar 2013, Az.: 111-5 RBs 181/12, in: juris; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013, Az.: 4 StR 336/12, in: BGHSt 58, 243-253). Entsprechendes gilt für fehlende Beschlussgründe unter Verstoß des § 72 Abs. 6 OWiG (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2020, Az.: (1 B) 53 Ss-OWI 110/20 (70/20), in: juris). Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Ergänzung des Beschlusses nach § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG lagen indes nicht vor. Für das Absehen von einer Beschlussbegründung bedarf es nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG eines Verzichts aller Verfahrensbeteiligten, also auch der Staatsanwaltschaft (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. Januar 2009, Az.: 1 Ss (OWi) 242 B/08). Ein solcher Verzicht muss eindeutig, vorbehaltlos und ausdrücklich erklärt werden (vgl. Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 16. Auflage, 2020, § 72 Rn. 63a). Die Staatsanwaltschaft hat – anders als der Betroffene laut Hauptverhandlungsprotokoll vom 4. Dezember 2020 (BI. 84 d. A.) – nicht auf eine Begründung des nach § 72 OWiG ergangenen Beschlusses verzichtet. Die dem Beschluss vom 25. Januar 2021 vorangegangene Erklärung der Staatsanwaltschaft, einer Entscheidung durch Beschluss nicht zu widersprechen, enthält nicht zugleich die Erklärung, es werde auch auf die Begründung eines Beschlusses nach § 72 OWiG verzichtet (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. Oktober 2019, Az.: Ss Bs 58/2019 (62/19 OWi), in: BeckRS 2019, 25067).

Das Fehlen von Gründen in einem Strafurteil zwingt in der Regel schon zur Urteilsaufhebung auf die Sachrüge hin (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000, Az.: 4 StR 354/00, in: BGHSt 46, 204; OLG Hamm, Beschluss vom 19. August 2010, Az.: 3 RVs 69/10, in: NStZ 2011, 238; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, 2020, § 338 Rn. 52 m. w. N.). Auch ein Bußgeldurteil ist beim unzulässigen Fehlen von Urteilsgründen in der Regel schon auf die zulässig erhobene Sachrüge hin aufzuheben, weil dem Rechtsbeschwerdegericht in diesem Fall eine Nachprüfung auf sachlich-rechtliche Fehler nicht möglich ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011 — 311 SsRs 126/11 —, juris OLG Bamberg, Beschluss vom 10. November 2011, Az.: 3 Ss OWi 1444/11, in: juris; Rn. 2 ff.; Göhler/Seitz/Bauer, a. a. 0., § 77b Rn. 8 m. w. N.; KK-Senge, OWiG, a. a. 0.; § 77b Rn. 17). Ebenso unterliegt ein nach § 72 OWiG ergangener Beschluss beim Fehlen einer Begründung auf eine zulässig erhobene Sachrüge hin der Aufhebung im Rechtsbeschwerdeverfahren, wenn die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG nicht vorlagen, etwa weil — wie hier — nicht alle Verfahrensbeteiligten hierauf verzichtet haben (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. März 2020, Az.: (1 B) 53 Ss-OWi 110/20 (70/20), in: juris). Enthält das Urteil oder der Beschluss verfahrenswidrig keine beachtlichen Gründe, kann das Rechtsbeschwerdegericht dieses auch keiner Prüfung auf seine materiell-rechtliche Richtigkeit unterziehen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 16. Dezember 2008, Az.: 3 Ss OWi 1060/08, in: juris; vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30. August 2011, Az.: 311 SsRs 126/11, in: NZV 2012, 45; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Februar 2010, Az.: 1 RBs 188/09, in: BeckRS 2010, 21267; OLG Hamm, Beschluss vom 4. Juni 2012, Az.: 3 RBs 156/12, in: juris).

Dieser Begründungsmangel ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil der Betroffene im Vorfeld auf eine Begründung verzichtet hatte. Dies lässt sich ohne weiteres der Bestimmung des § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG entnehmen, der gerade eine Begründungspflicht für den Fall der Anfechtung der getroffenen Entscheidung trotz vorhergehenden Verzichts auf die Begründung durch die Beteiligten normiert. (…)“

Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage trifft zu. Die nachträgliche Begründung des Beschlusses nach § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG war unzulässig, weil die Voraussetzungen für ein Absehen einer Begründung des Beschlusses gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWG nicht vorlagen. Die zugrunde liegende Regelung würde weitgehend leerlaufen, wenn das Gericht die Begründung unabhängig vom Vorliegen eines Verzichts aller Verfahrensbeteiligten in zulässiger Weise nachholen könnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. August 2021 — IV-2 RBs 141/21, zit. nach Juris).“