Archiv für den Monat: Juni 2021

Erstattung der Verfahrensgebühr für die Revision, oder: Die heilige Kuh der OLG

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Ich habe ja schon einige Male über die falsche Rechtsprechung der OLG betreffend Erstattung der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren (Nr. 4130 VV RVG), wenn die Staatsanwaltschaft vor Begründung ihres Rechtsmittels dieses zurücknimmt. Das ist eine der gebührenrechtlichen „heiligen Kühe der OLG“. Die OLG meinen nämlich, dass in dem Fall die entstandene Verfahrensgebühr nicht zu erstatten sei. Diese Auffassung ist falsch, denn die Gebühr ist entstanden – schon damit haben die OLG zum Teil Probleme – und sie ist auch zu erstatten, da muss man nichts von einem „verständigen Rechtsanwalt“ schreiben, der nach Auffassung der OLG wohl kostenlos tätig werden soll. Aber: Man kann schreiben, was man will, die OLG sehen es anders und decken damit die StA, die ohne Kostenrisiko Rechtsmittel einlegen und zurücknehmen kann. Und natürlich braucht der Beschuldigte auch in der Phase Betratung usw.

Zu der Problematik gibt es jetzt eine weitere OLG-Entscheidung, nämlich den OLG Celle, Beschl. v. 28.04.2021 – 2 Ws 122/21. Da geht es aber nicht um das Rechtsmittel der StA, sondern um das der Nebenklägerin. Das OLg gewährt aber mit der gleich falschen Begründung die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG nicht:

„Die Frage, ob eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG bereits dann entstanden ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter gegen ein erstinstanzliches Urteil nach § 333 StPO Revision einlegt und diese noch vor Einreichung einer Revisionsbegründung wieder zurückgenommen hat, wird von der überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte für den Fall der Re-vision der Staatsanwaltschaft verneint. Dies wird damit begründet, dass gerade in dem auf eine reine Rechtsprüfung beschränkten Revisionsverfahren aus der maßgebenden Sicht eines verständigen Rechtsanwalts erst nach der Begründung des Rechtsmittels gemäß § 344 StPO Umfang und Zielrichtung der Anfechtung auch für die Verteidigung überschaut und eine sach-dienliche Tätigkeit im Rechtsmittelverfahren vorbereitet werden könne. Das durchaus nach-vollziehbare Interesse eines Angeklagten, die Erfolgsaussichten einer von der

Staatsanwaltschaft eingelegten Revision zu erfahren, beschränke sich vor deren Begründung auf ein rein subjektives Beratungsbedürfnis, wohingegen objektiv eine Beratung weder erforderlich noch sinnvoll sei. Soweit der Verteidiger den Angeklagten in Bezug auf das Revisions-verfahren nach der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft beraten habe, könne sich eine solche Beratung lediglich auf den gesetzlich vorgesehenen Ablauf des weiteren Verfahrens beziehen. Solche Besprechungen vor Begründung des Rechtsmittels durch die Staats-anwaltschaft gehörten allerdings noch nicht zum Revisionsverfahren, sondern seien mit den in der Vorinstanz angefallenen Gebühren abgegolten (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 27.01.202 – 1 Ws 214/19 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.08.2017 – 2 Ws 176/17 –, juris; OLG Koblenz, Beschl. v. 21.08.2014 – 2 Ws 376/14 –, juris; OLG Bremen, Beschl. v. 14.06.2011 – Ws 61/11 –, juris; OLG Rostock, Beschl. v. 13.07.2009 – 1 Ws 192/09 -, juris). Der Senat tritt diesen Erwägungen bei. Er legt sie auch der hier zu entscheidenden Frage der Entstehung einer Verfahrensgebühr nach § 48 Abs. 1 RVG, Nr. 4130 VV RVG für den Beistand eines Nebenklägers bei einer Revision des Angeklagten zu Grunde. Denn die noch vor Einreichung ihrer Begründung erfolgte Rücknahme der Revision eines Angeklagten ist mit dem oben erörterten Sachverhalt der Einlegung und Rücknahme einer Revision durch die Staatsanwaltschaft ohne weiteres vergleichbar.

Eine andere Beurteilung ist im vorliegenden Fall auch nicht etwa deshalb veranlasst, weil der Beistand der Nebenklägerin nach Kenntniserlangung von der Einlegung der Revision durch den Angeklagten mit der Nebenklägerin nicht nur den möglichen weiteren Verfahrensgang, sondern auch das Für und Wider eines Aufschubs des Beginns der von der Nebenklägerin angestrebten Behandlungstherapie erörtert hat. Denn auch diese Erörterungen wurden nicht unmittelbar durch die Revisionseinlegung veranlasst. Vielmehr sind sie als Gegenstand der Darstellung des im Falle einer Revisionseinlegung allgemein zu erwartenden weiteren Verfahrensablaufs anzusehen. Diese Darstellung ist – wie oben bereits ausgeführt – dem Beistand eines Nebenklägers bereits während des erstinstanzlichen Verfahrens, jedenfalls aber nach der Verkündung eines Urteils ohne Weiteres möglich. Entsprechende Beratungsleistungen sind daher mit den im erstinstanzlichen Verfahren angefallenen anwaltlichen Gebühren hinreichend abgegolten.“

Schlicht falsch und gebührenrechtlich nicht haltbar.

Pflichti III: „Wahlpflichtverteidiger“ fehlt in der HV, oder: Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts?

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Und zum Schluss der heutigen „Pflichtverteidigungsreihe“ dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 16. 02. 2021 – III – 5 RVs 3/21. Thematik: Rechtsmittelverzicht in Abwesenheit des „Wahlpflichtverteidigers“.

Das AG hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. In der Hauptverhandlung war der vom Angeklagten gewählte Pflichtverteidiger nicht anwesend. Das AG  hat daher – gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Angeklagten – diesem einen Sicherungsverteidiger beigeordnet. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung erklärt der Angeklagte dann, dass er auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil verzichtet. Später dann die Sprungrevision, die Erfolg hatte:

„1. Die form- und fristgerecht erhobene Revision des Angeklagten ist trotz des von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts (§ 302 Abs. 1 StPO) zulässig, da dieser wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam ist. .

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsmittelverzicht wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam, wenn er auf einer vom Gericht zu verantwortenden unzulässigen Einwirkung mit: solchen Beeinflussungsmitteln beruht, die nicht von § 136a StPO verboten sind (BGH, Beschluss vom 24.07.2019 – 3 StR 214/19, Rn. 22, 23, juris; BGH, Urteil vorn 21.04.1999 – 5 StR 714/98, juris). Eine derartige Einwirkung kommt insbesondere, dann in Betracht, wenn dem Angeklagten vom Gericht, eine Erklärung über den Rechtsmittelverzicht abverlangt wird, ohne ihm zunächst Gelegenheit zu geben, sich dazu erst nach einer Beratung mit -seinem Verteidiger zu äußern, der Rechtsmittelverzicht mithin praktisch unter Umgehung oder Ausschaltung des Verteidigers erwirkt wird (BGH, Beschluss vom 24.07.2019 – 3-StR 214/19 -,Rn. 30 – 31, juris; BGH, Urteil vom 17:09.1963 – 1 StR 301/63,.juris).

Ausgehend von diesem Maßstab ist vorliegend eine unzulässige Beeinflussung seitens des Gerichts anzunehmen. Ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des erstinstanzlichen Richters ist der Angeklagte nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich von ihm danach befragt worden, ob er auf Rechtsmittel verzichten wollte. Gelegenheit, diese Fragestellung vor Abgabe der betreffenden Erklärung mit, dem von ihm gewählten, und im Hauptverhandlungstermin nicht anwesenden Pflichtverteidiger zu erörtern, ist ihm hierbei nicht eingeräumt worden. Der Angeklagte konnte vielmehr ausschließlich Rücksprache, mit dem weiteren Verteidiger nehmen. Diese Beratungsmöglichkeit ist indes nicht ausreichend, da die Bestellung von pp. zum sogenannten Sicherungsverteidiger (§ 144 StPO) nicht nur gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Angeklagten; sondern auch verfahrensfehlerhaft erfolgte. Bleibt – wie vorliegend – der Verteidiger im Falle der notwendigen Verteidigung in der Hauptverhandlung aus, ist dem Angeklagten vor der Bestellung eines neuen Verteidigers Gelegenheit zu geben, einen Vorschlag zu unterbreiten. Dieses Vorschlagsrecht dient dem Recht des Angeklagten auf den Verteidiger seines Vertrauens-sowie der effektiven Verteidigung und gilt-unabhängig davon, ob – wie vorliegend – die Bestellung auf § 144, StPO oder – wie an sich zutreffend – auf § 145 StPO gestützt wird (Thomas/Kämpfer, in: MünchKomm, 1. Aufl. 2014, § 145 StPO Rn. 8; Krawczyk, in: BeckscherOK, Stand: 01.10:2020, § 145 StPO Rn. 6). Einer Entscheidung, ob überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines neuen Verteidigers gegeben wären, bedurfte es daher nicht. Denn bei beiden Vorgehensweisen besteht aus den genannten Gründen zunächst ein Auswahlrecht des Angeklagten (Thomas/Kämpfer, in: MünchKomm, a.a.O., § 145 StPO Rn. 8). Da dieses Auswahlrecht seitens des Gerichts übergangen wurde, ist dem Angeklagten die Möglichkeit genommen worden, die Frage des Rechtsmittelverzichts mit dem Verteidiger seines Vertrauens zu beraten. Die unzureichende Beratungsmöglichkeit ist daher-durch die Justiz zu vertreten, so dass ein Rechtsmittelverzicht nicht vorliegt.

2. Die Revision ist ferner begründet, weil der Angeklagte durch die gegen seinen Willen erfolgte Beiordnung des Sicherungsverteidigers Rechtsanwalt pp.in erheblicher Weise in seinen Verteidigungsrechten (§ 338 Nr. 8 StPO) eingeschränkt worden ist.

a) Die diesbezügliche Verfahrensrüge des Angeklagten genügt den Begründungsanforderungen des § 344 Abs.-2 Satz 2 StPO und ist damit zulässig erhoben.

b) Sie hat ferner auch in der Sache Erfolg. Hierbei kann erneut offenbleiben, ob die tatbestandlichen Vorrausetzungen der §§ 144, 145 StPO für die Bestellung eines weiteren Verteidigers gegeben waren. Denn durch die Missachtung des Auswahlrechtes des Angeklagten wäre dieser nicht hinreichend verteidigt. Insofern wird auf die Ausführungen zur Unzulässigkeit des Rechtsmittelverzichts verwiesen.“

Pflichti II: Beiordnungsgründe, oder: Noch einmal Gesamtstrafe und „Nebenstrafrecht“

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Im zweiten Posting stelle ich dann zwei Beschlüsse des LG Magdeburg vor, bei befassen sich mit den Beiordnungsgrunden, und zwar:

Im LG Magdeburg, Beschl. v. 21.04.2021 – 21 Qs 10/21– nimmt das LG noch einmal zur Beiordnung in den Gesamtstrafenfällen Stellung. Der Beschluss bringt nichts wesentlich Neues. Interessant aber, dass und wie das LG noch „offene Verfahren“ in seine Bewertung einbezieht.

In der zweiten Entscheidung, dem LG Magdeburg, Beschl. v. 04.05.2021 – 21 Qs 14/21 – hat das LG noch einmal zur Schwierigkeit der Rechtslage Stellung genommen und meint:

Es liegt eine schwierige Rechtslage gemäß § 140 Abs. 2 StPO vor, wenn es maßgeblich auf die Auslegung von Begriffen aus dem Nebenstrafrecht und dabei insbesondere auch auf die – stellenweise auch für erfahrene Rechtsanwender – unübersichtlichen Normen und Anlagen des SprengG, vor allem aber des WaffG, ankommt.

Die Entscheidung hat auch eine „schöne“ Frist-/Zustellungsproblematik und beweist einmal mehr, warum man als Verteidiger eben keine schriftliche Vollmacht vorlegt. Muss man ja auch nicht 🙂 .

Pflichti I: Und immer wieder nachträgliche Beiordnung, oder: Was heißt „unverzügliche“ Antragsweiterleitung?

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Heute dann wieder Pflichtverteidigungsentscheidungen. Der Strom von Entscheidungen reißt nicht ab – auf das die Sammlung anwächst.

Ich stelle dann zunächt wieder einige Entscheidungen zur rückwirkenden Bestellung vor. Zunächst weise ich hin auf den LG Halle, Beschl. v. 15.4.2021 – 3 Qs 41/21. Das LG teilt der Staatsanwaltschaft mehr als deutlich mit, was es davon hält, wenn ein Beiordnungsantrag nicht „unverzüglich“ an das Gericht weitergeleitet wird und wann eine Weiterleitung nicht mehr „unverzüglich“ ist, nämlich:

Die Weiterleitung eines Antrags auf Beiordnung als Pflichtverteidiger drei Wochen nach Antragstellung – ist auch unter Berücksichtigung einer Prüfungs- und Überlegungsfrist nicht unverzüglich im Sinne von §§ 141 Abs. 1, 142 Abs. 1 Satz 2 StPO.

Ebenso deutlich der LG Halle, Beschl. v. 20.04.2021 – 10a Qs 42/21. Auch da hatte die StA den Beiordnungsantrag rund sechs Wochen liegen lassen und dann eingestellt. Das LG meint: So nicht. Und dann – aller guten Dinge sind drei – noch einmal das LG Halle im LG Halle, Beschl. v. 20.04.2021 – 10a Qs 43/21. In allen drei Beschlüssen weist das LG übrigens darauf hin, dass auch die Regelung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO, wonach eine Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, zu keinem anderen Ergebnis führt. Diese Regelung gilt nur für den Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers ohne Antrag nach § 141 Abs. 2 StPO.

Richtig wird dann aber nicht nur in Halle entschieden, sondern auch beim LG Hamburg, wie sich aus dem LG Hamburg, Beschl. v. 21.05.2021 -601 Qs 18/21 – ergibt. Das LG macht es – zumindest teilweise anders – als das „überordnete“ OLG.

Anders als die wohl zumindest h.M. in der landgerichtlichen Rechtsprechung macht es das LG Bonn im LG Bonn, Beschl. v. 18.05.2021 – 63 Qs 41/21. Das sieht die nahcträgliche Beiordnung als unzulässig an und bemüht mal wieder das Kostenargument. Dabei wird m.E. immer übersehen, dass es letztlich nicht auf die Frage der „Bedürftigkeit“ des Beschuldigten ankommen kann. Denn der muss ja nach Nr. 9007 KV GKG die Kosten des Pflichtverteidigers tragen, wenn er verurteilt wird.

StGB III: Bezeichnung eines Mannes als „Schwuchtel“ und/oder „Pussy“, oder: Beleidigung

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Und als dritte und letzte Entscheidung des Tages stelle ich dann noch das AG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.01.2021 – 907 Cs 7680 Js 229740/19 -, über das ja auch schon an anderer Stelle berichtet worden ist.

Das AG hat den Angeklagten wegen Beleidigung (§ 185 StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt. Dazu hat das AG folgende Feststellungen getroffen:

„Der Geschädigte pp. kaufte im Januar 2019 von dem Angeklagten Produkte der Marke Audemars Piquet zu einem Preis von 580 €. Nach Überweisung des Geldes und Zusendung der Ware, kam es zu einem Streit über die Vollständigkeit der Lieferung bzw. Mangelfreiheit der Ware. Nachdem der Geschädigte dem Angeklagten eine Teilrückzahlung von 100 € vorschlug, antwortete der Angeklagte per SMS mit: „kleine pussy,lass dir einen blasen“. Als der Geschädigte seinen Unmut über die aus seiner Sicht beleidigende Äußerung zum Ausdruck brachte und unter anderem erklärte, dass er Strafanzeige stellen werde, antworte der Angeklagte mit: „mach das, schwuchtel“, „dein anwalt wird dich einliefern lassen !“ sowie „in der norderstrasse in hh-aktona nehmen sie so pussys wie dich gerne auf !“. Der Geschädigte fühlte sich durch die Äußerungen des Angeklagten in seiner Ehre verletzt, was der Angeklagte auch beabsichtigte.“

Das AG geht von Beleidigung aus:

2. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich jedenfalls bei der Bezeichnung des Geschädigten als „Schwuchtel“ durch den Angeklagten um eine Formalbeleidigung, bei der es einer Abwägung der widerstreitenden Interessen ausnahmsweise nicht bedarf.

a) Um Fälle der Formalbeleidigung kann es sich etwa bei mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung verwendeten, nach allgemeiner Auffassung besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern – etwa aus der Fäkalsprache – handeln. In diesen Fällen ist das Kriterium der Strafbarkeit nicht der fehlende Sachbezug einer Herabsetzung, sondern die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische Form dieser Äußerung. Dem liegt zugrunde, dass die Bezeichnung anderer Personen mit solchen Begriffen sich gerade ihrer allein auf die Verächtlichmachung zielenden Funktion bedient, um andere unabhängig von einem etwaigen sachlichen Anliegen herabzusetzen. Sie ist daher in aller Regel unabhängig von den konkreten Umständen als Beleidigung zu werten (BVerfG, a.a.O., Rz.21).

b) Aus Sicht des Gerichts handelt es sich bei der Bezeichnung „Schwuchtel“ um eine solche Formalbeleidigung (so auch: AG Berlin-Tiergarten; Beschluss vom 19.11.2013 – 279 Ds 222 Js 1201/13, BeckRS 2015, 19213). Dabei ist nicht die damit verbundene Bezeichnung einer Person als homosexuell als ehrenrührig zu betrachten (vgl. LG Tübingen, Urteil vom 18.07.2012 – 24 Ns 13 Js 10523/11NStZ-RR 2013, 10). Vielmehr handelt es sich um eine Bezeichnung, die ihrem Ursprung nach Männer wegen ihrer (vermeintlichen) Homosexualität abwerten sollte und mittlerweile zum Teil auch ganz unabhängig von der Anknüpfung an die Sexualität als Beleidigung für männliche Personen verwendet wird. Die Bezeichnung als „Schwuchtel“ ist dabei gerade deshalb besonders zu missbilligen, weil mit ihr die Herabwürdigung einer Person alleine anknüpfend an ihre (vermeintlichen) sexuellen Präferenzen erfolgen soll und damit zugleich eine Geringschätzung homosexueller Männer im Allgemeinen einhergeht. Denn wer eine andere Person als „Schwuchtel“ betitelt, bringt damit in der Regel zum Ausdruck, dass ein anderer Mann homosexuell ist oder jedenfalls sein Verhalten darauf hindeutet und dass genau dieser Umstand diese Person geringwertiger macht.

Der Angeklagte hat, wie aus dem Kontext seiner Aussage ersichtlich wird, auch genau die üblicherweise mit der Bezeichnung einhergehende Geringschätzung durch die Verwendung des Begriffs „Schwuchtel“ zum Ausdruck gebracht. Er hat den Begriff nicht etwa ironisch oder in einer anderen die beleidigende Wirkung situationsbedingt entkräftenden Art und Weise verwendet. Vielmehr schrieb er, nachdem der Geschädigte ausführte, Strafanzeige zu stellen: „mach das, schwuchtel“. Der Angeklagte wollte den Geschädigten in dieser Situation erkennbar herabwürdigen und ihm zu verstehen geben, dass es ihn nicht interessiere, wenn der Geschädigte sich durch seine Äußerungen beleidigt fühle. Unter diesen Umständen sind keine Gründe erkennbar, wegen derer ausnahmsweise das Vorliegen einer Formalbeleidigung zu verneinen wäre.

c) Selbst wenn man die Bezeichnung „Schwuchtel“ nicht als Formalbeleidigung einordnen würde, kommt das Gericht auch bei hilfsweiser Abwägung zwischen Meinungsfreiheit des Angeklagten und Persönlichkeitsrecht des Geschädigten zur Einschätzung, dass vorliegend der Tatbestand des § 185 StGB verwirklicht wurde. Dafür spricht, dass die Bezeichnung als „Schwuchtel“ aus Sicht des Gerichts aufgrund oben aufgeführter Umstände als erheblich ehrschmälernd einzuschätzen ist. Der damit einhergehende abschätzige Inhalt bezieht sich auf den Geschädigten als ganzen und nicht lediglich auf einzelne Verhaltensweisen oder Tätigkeiten. Die Äußerung hat erkennbar alleine das Ziel, den Geschädigten herabzuwürdigen und leistet keinen Beitrag zu einer Sachdiskussion bzw. zu einer sachlichen Auseinandersetzung. Da die Äußerung schriftlich erfolgt ist, konnte von dem Angeklagten auch ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden, als dies bei einer mündlich kundgegebenen Äußerung der Fall wäre. Zwar erfolgte die Äußerung erkennbar als Reaktion auf die Ankündigung des Geschädigten Strafanzeige zu erstatten, so dass auf Seiten des Angeklagten durchaus zu berücksichtigen ist, dass er sich jedenfalls subjektiv durch diese Ankündigung provoziert fühlte und folglich ein aus seiner Sicht bestehender Anlass für die Äußerung zumindest grundsätzlich nicht abzusprechen ist. Unter einer Abwägung sämtlicher einzubeziehender Umstände führt dieser zugunsten der Meinungsfreiheit einzubeziehende Umstand jedoch nicht dazu, dass das Interesse des Angeklagten an der sanktionsfreien Äußerung gegenüber dem Persönlichkeitsrechtsschutz des Geschädigten überwiegen würde.

Im Ergebnis stellt sich die Bezeichnung als „Schwuchtel“ somit auch bei Abwägung der widerstreitenden Interessen als strafbare Beleidigung dar.

Auch die Äußerungen „kleine pussy,lass dir einen blasen“, „dein anwalt wird dich einliefern lassen !“ sowie „in der norderstrasse in hh-aktona nehmen sie so pussys wie dich gerne auf !“ erfüllen vorliegend zur Überzeugung des Gerichts den Tatbestand des § 185 StGB. Zwar erkennt das Gericht bei keiner dieser Äußerungen eine Formalbeleidigung, Schmähung oder einen Angriff auf die Menschenwürde. Allerdings spricht bei allen Äußerungen eine Abwägung für ein Überwiegen des Persönlichkeitsrechtsschutzes des Geschädigten gegenüber der Meinungsfreiheit des Angeklagten.

a) Aus Sicht des Gerichts stellt sich die Äußerung „kleine pussy,lass dir einen blasen“ unter Abwägung sämtlicher Umstände als strafbare Beleidigung dar. Zugunsten der Meinungsfreiheit des Angeklagte ist hier zwar zu berücksichtigen, dass es sich, wie sich in der Hauptverhandlung herausstellte, offensichtlich um die alltägliche Sprache des Angeklagten handelt. Denn der Angeklagte wiederholte immer wieder, dass die Bezeichnung als „Pussy“ in Frankfurt ein Begriff und nicht beleidigend sei. Tatsächlich handelt es sich, wie bereits ausgeführt, auch aus Sicht des Gerichts dabei um keine Formalbeleidigung, die grundsätzlich und unabhängig von den Einzelfallumständen ohne jegliche Abwägung als strafbar einzustufen ist. Allerdings handelt es sich dabei durchaus um eine Bezeichnung, die einen Angriff auf das Ehrgefühl darstellen kann. Das mag zwar zum Beispiel dann nicht der Fall sein, wenn der Begriff „Pussy“ unter Bekannten und Freunden in einer neckenden Art verwendet wird. Vorliegend liegen solche Umstände jedoch nicht vor. Vielmehr war der Angeklagte ganz offensichtlich genervt davon, dass der Geschädigte in Bezug auf das vorgenommene Geschäft weiterhin Beanstandungen hatte und eine Teilrückzahlung vorschlug. Der Angeklagte wollte dem Geschädigten somit sein Missfallen über dessen Vorschlag mit Nachdruck zum Ausdruck bringen und entschied sich dabei zu einer vulgären und objektiv die Ehre angreifenden Äußerung. Da die Äußerungsumstände weder eine ironische Kundgabe erkennen lassen, noch aus sonstigen Gründen zu erkennen wäre, dass der Angeklagte nicht wirklich seine Abneigung gegenüber dem Geschädigten zum Ausdruck bringen wollte, ist die Erklärung im Ergebnis als ehrenrührig einzustufen. Unerheblich ist dabei, dass der Angeklagte die Äußerung offensichtlich nicht als Beleidigung empfindet, da bei der Erfassung des Sinngehalts einer Äußerung weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums anzunehmende Sinngehalt maßgeblich ist (BVerfG Beschl. v. 10.10.1995 – 1 BvR 102/92, NJW 1995, 3303).

Das gilt gleichermaßen für die Erklärung „lass dir einen blasen“. Soweit der Angeklagte dazu erklärt, er wisse nicht, was das für eine Beleidigung sein solle, sind aus Sicht des Gerichts auch hier die Gesamtumstände bei der Auslegung entscheidend. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Äußerung selbst ihrem Inhalt nach bei strenger Betrachtung einen logischen Sinn erkennen lässt. Denn bei derartiger Auslegung dürfte auch eine anerkannte Beleidigung wie „fick dich“ nicht als Beleidigung zu qualifizieren sein. Jedenfalls aus dem Kontext und insbesondere der vorherigen Bezeichnung als „kleine pussy“ ist der folgende Satz „lass dir einen blasen“ bei verständiger Betrachtung in der konkreten Situation als ehrenrührig einzuordnen. Dafür spricht insbesondere, dass der Angeklagte plötzlich und als Reaktion auf einen sachlichen Vorschlag des Geschädigten zu vulgärer Sprache übergegangen ist.

Bei der vorzunehmenden Abwägung spricht, wie bereits ausgeführt, für die Meinungsfreiheit des Angeklagten, dass es sich offensichtlich für ihn um Alltagssprache handelt. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass bei ihm eine beschränkte Ausdrucksfähigkeit oder sonstige soziale Bedingtheit der Sprache vorläge, bei der aufgrund der Sozialisation festzustellen wäre, dass der Angeklagte nicht in der Lage wäre zu erkennen, dass andere Menschen sich durch seine Äußerung in ihrer Ehre angegriffen fühlen können. Das Gericht erkennt auch nicht, dass die Bezeichnung als „Pussy“ – wie der Angeklagte mehrfach betont hat – örtlich im Frankfurter Raum normal und keine Beleidigung sei. Alleine, dass der Angeklagte offensichtlich regelmäßig solche Begriffe verwendet und gegebenenfalls auch selbst oft so betitelt wird, führt nicht dazu, dass man in der Bezeichnung schon grundsätzlich keinen beleidigenden Inhalt erkennen könnte. Für die Meinungsfreiheit des Angeklagten ist weiterhin anzuführen, dass die Äußerung des Angeklagten die Reaktion auf eine geschäftliche Auseinandersetzung und die vorgeschlagene Teilrückzahlung war und der Angeklagte somit zumindest auch zum Ausdruck bringen wollte, dass er den Vorschlag ablehnt. Gegen die Meinungsfreiheit des Angeklagten ist einzuwenden, dass für den Angeklagten durchaus Möglichkeiten bestanden, seine Äußerung weniger angreifend vorzunehmen, indem er zum Beispiel hätte schreiben könne, dass der Geschädigte aufhören solle zu heulen bzw. zu jammern oder, soweit es um die Ablehnung der vorgeschlagenen Teilrückzahlung geht, indem er einfach „Nein“ geschrieben hätte. Die Sanktionierung der Wortwahl führt somit nicht dazu, dass der Angeklagte seine Meinung insgesamt nicht hätte zum Ausdruck bringen können. Ferner ist die schriftliche Kundgabe zulasten der Meinungsfreiheit einzubeziehen, da insoweit ein höheres Maß an Bedacht und Zurückhaltung erwartet werden kann, als dies bei einer mündlich kundgegebenen Äußerung der Fall wäre. Nicht zuletzt spricht maßgeblich für das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten, dass die Äußerung in keiner Weise zu einer sachlichen Auseinandersetzung beiträgt, sondern eine solche sogar bewusst beendet. Denn der Geschädigte hatte zuvor grundsätzlich in sachlicher Weise einen Vorschlag unterbreitet. Durch die Äußerung des Angeklagten hat dieser die Diskussion erkennbar auf eine andere, nämlich beleidigende, Ebene versetzt und damit jegliche Auseinandersetzung über das abgeschlossene Geschäft bewusst zu Nichte gemacht.

Unter Abwägung sämtlicher Umstände sieht das Gericht hier keine Anhaltspunkte dafür, dass die Freiheit zur Äußerung für den Angeklagten gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten als schutzwürdiger einzustufen wäre. Mithin ist hierdurch der Tatbestand des § 185 StGB erfüllt.

b) Das gilt gleichermaßen für die weiteren Äußerungen „dein anwalt wird dich einliefern lassen !“ sowie „in der norderstrasse in hh-aktona nehmen sie so pussys wie dich gerne auf !“.

Durch die Erklärung, der Geschädigte werde von seinem Anwalt eingeliefert, will der Angeklagte bei verständiger Auslegung dem Geschädigten eine schwere psychische Störung bescheinigen, die dazu führt, dass dieser in eine psychiatrische Einrichtung eingeliefert werden muss. Die Äußerung gibt ihrem objektiven Sinngehalt nach somit zu verstehen, dass der Geschädigte aus Sicht des Angeklagten geistig derart starke Auffälligkeiten vorweist, dass er für jeden erkennbar von der Gesellschaft ferngehalten werden muss. Dieser eindeutig erkennbare objektive Sinngehalt der Äußerung stellt sich ohne Frage als Angriff auf die Ehre dar.

Bei der Abwägung ist dabei ergänzend zulasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass ihm aufgrund der vorherigen Ankündigung des Geschädigten Strafanzeige zu stellen, bewusst war, dass der Geschädigte nicht seine eigene Vorstellung von normaler Sprache teilte und ihm somit auch klar sein musste, dass der Geschädigte sich durch die Erklärung in seiner Ehre verletzt fühlen würde. Zudem ist die Äußerung in Hinblick auf den Angriff auf den geistigen Zustand des Geschädigten auch durchaus eine schwerwiegende Ehrverletzung. Auch hier erfolgte die Äußerung schriftlich und ohne jeglichen Beitrag zu einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern schlichtweg mit dem Ziel des Ausdrucks von Missachtung. Auch bei Berücksichtigung, dass solche Ausdrücke durchaus auch zum typischen Jargon vom Angeklagten zählen können, überwiegt bei der Abwägung sämtlicher Umstände das Persönlichkeitsrecht des Geschädigten, so dass insofern gleichfalls eine strafbare Beleidigung vorliegt.

Gleiches gilt für die erneute Verwendung des Wortes „Pussy“, wobei hierbei auf obige Ausführungen Bezug genommen werden kann. Dabei ist erschwerend für den Angeklagten einzubeziehen, dass er jedenfalls bei der erneuten Verwendung des Begriffs wusste, dass der Geschädigte sich dadurch beleidigt fühlen würde, da er dies zu dem Zeitpunkt bereits zum Ausdruck gebracht und auch Strafanzeige angekündigt hatte. Die Einlassung des Angeklagten, es handle sich dabei nicht um eine Beleidigung, kann insofern jedenfalls bei der erneuten Verwendung nicht mehr zugunsten der Meinungsfreiheit berücksichtigt werden, da ihm mittlerweile klar war, dass der Geschädigte sich durch die Bezeichnung durchaus in seiner Ehre verletzt fühlte. Auch dem Angeklagten musste und muss klar sein, dass es für die Beurteilung der Entscheidung, ob eine Äußerung als Beleidigung zu qualifizieren ist, nicht alleine auf seine eigene Einschätzung bzw. vermeintliche sprachliche Gewohnheiten im Frankfurter Raum ankommt.“