Heute dann ein Tag mit StPO-Entscheidungen. Alle drei haben eine Thematik, die mit der Berufung im Straverfahren zusammenhängt.
„2. Die Revisionen dringen bereits mit der Verfahrensrüge durch, mit der die Angeklagten beanstanden, dass das Urteil nicht auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhe.
a) Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist durch den Angeklagten W. zulässig erhoben. Die Inbegriffsrüge entspricht den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wenn mit den Mitteln des Revisionsrechts ohne Rekonstruktion der Beweisaufnahme der Nachweis geführt werden kann, dass eine im Urteil getroffene Feststellung nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel und auch sonst nicht aus zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehörenden Vorgängen gewonnen worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 17; OLG Koblenz NStZ-RR 2011, 352; KG Berlin, Beschluss vom 18. April 2012 – (4) 121 Ss 53/12 (91/12) –juris Rn. 5). Die Revision des Angeklagten W. hat unter Mitteilung der maßgeblichen Urteilsgründe und der notwendigen Aktenteile ausreichend dargelegt, dass die kleine Strafkammer die Aussage des Zeugen Pr. anhand seiner Angaben in erster Instanz gewürdigt habe, ohne diese in prozessordnungsgemäßer Weise in die Hauptverhandlung einzuführen. Dass die Revisionsbegründung der Angeklagten P. demgegenüber versäumt hat, den relevanten Wortlaut des Hauptverhandlungsprotokolls wiederzugeben (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 15. April 2016 – III-2 RBs 61/16 –, juris), ist unschädlich, weil sich die Wirkung des § 357 StPO nicht nur auf Mitangeklagte erstreckt, die keine Revision eingelegt haben, sondern auch auf solche, die mit ihrer Revision deshalb nicht durchdringen könnten, weil sie unzureichend begründet ist (vgl. Gericke in KK-StPO 8. Aufl. 2019, § 357 Rn. 12 mwN).
b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft führt hierzu Folgendes aus:
„Als Inbegriff der Hauptverhandlung darf nach einem der wesentlichen Grundsätze des Strafverfahrens, der seine gesetzliche Ausprägung namentlich in § 261 StPO findet, nur das verwertet und zur gerichtlichen Überzeugungsbildung herangezogen werden, was zum Gegenstand der Verhandlung gemacht worden ist; inhaltlich dürfen nur Beweiserhebungen zur Urteilsgrundlage gemacht werden, die in einer vom Gesetz vorgeschriebenen Form in das Verfahren eingeführt worden sind.
Das Landgericht hat bei der Würdigung der Frage, ob es die Angabe des Zeugen Pr., die es – im Zusammenhang mit erhobenen Urkundsbeweisen – als Grundlage der Verurteilung der Angeklagten herangezogen hat, als glaubhaft angesehen hat, maßgeblich darauf abgestellt, dass diese gegenüber seinen Angaben in erster Instanz im Wesentlichen konstant waren (UA S. 6). Diesbezüglich bemängeln die Revisionen indes zutreffend, dass die Angaben, die der Zeuge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung getätigt hatte, zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der Beweisaufnahme vor dem Landgericht waren. Entsprechend sei die Strafkammer aus Rechtsgründen gehindert gewesen, einen Vergleich der jeweiligen Aussagen des Zeugen vor Amts- bzw. Landgericht und damit eine Überprüfung von deren möglicher Konstanz anzustellen. Diesem Vorbringen kann sich die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils nicht verschließen. Das Sitzungsprotokoll der Berufungshauptverhandlung (dort S. 2) weist zwar aus, dass gemäß dem gesetzlichen Gang der Berufungshauptverhandlung (§ 324 StPO) das erstinstanzliche Urteil – auszugsweise – verlesen worden ist. Dies ist aber – selbst wenn es sich vorliegend auch auf die Angaben des Zeugen Pr. erstreckt hätte – schon nach Auslegung des Gesetzeswortlautes des § 324 StPO (dort Inhalt des Abs. 2 im Anschluss an Abs. 1 Satz 2 der Norm) nicht Teil der Beweisaufnahme bzw. -erhebung und damit nicht als Urkundsbeweis verwertbar (vgl. KG StV 2013, 433 f., juris Rn. 8). Kommt es inhaltlich darauf an, was Angeklagte oder Zeugen vor dem erstinstanzlichen Spruchkörper ausgesagt haben, muss das Urteil (nochmals) nach § 249 StPO verlesen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 249 Rn. 21). Dies ist jedoch, worauf die Revisionen zu Recht hinweisen, nicht erfolgt; die stattgefundene Verlesung hat sich auf die Passagen zu den Lebensläufen der Angeklagten beschränkt. Die vorgeschriebene Verknüpfung zwischen dem Inbegriff der Hauptverhandlung und der Entscheidungsfindung des Gerichts ist damit in diesem Punkt nicht gegeben.
Dieser Rechtsfehler hat auch zur Aufhebung des Urteils zu führen, da das Beruhen des Urteils hierauf anzunehmen ist, jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Die Strafkammer hat, wie ausgeführt, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen Pr., auf denen die Überzeugung des Gerichts ,insbesondere‘ begründet (UA S. 5), maßgeblich an deren Konstanz festgemacht. Die diesbezügliche Prüfung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung anzustellen, war ihr jedoch aus den genannten Gründen nicht möglich.“
Diese Ausführungen treffen zu und zwingen zur Aufhebung des gesamten Urteils.“