Und dann hier die zweite Berufungsentscheidung, nämlich der KG, Beschl. v. 04.04.2025 – 3 Ws 11/25 – zur Wiedereinsetzung in die Versäumung der Berufungshauptverhandlung wegen Säumnis infolge mäßig hohen Fiebers.
Das AG die Angeklagte wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt. Auf ihre hiergegen eingelegte Berufung hat die Vorsitzende der Berufungskammer Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 05.03.2025 um 9.30 Uhr anberaumt. Durch an diesem Tag um 6.52 Uhr beim LG eingegangenes Schreiben hat der Verteidiger beantragt, den Termin aufzuheben, weil die Angeklagte an Gürtelrose erkrankt sei und an starken Schmerzen, Fieber, Juckreiz und Abgeschlagenheit leide. Beigefügt war ein ärztliches „Besuchsprotokoll“, in welchem u. a. „starke Herpes am Geses“ bescheinigt worden ist.
Das LG hat den Antrag abgelehnt und die Berufung der Angeklagten nach § 329 StPO verworfen. In den schriftlichen Urteilsgründen heißt es, das Besuchsprotokoll, das vom 21.02.2025 stamme und keine Diagnose enthalte, könne nichts über den gegenwärtigen Zustand aussagen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 8. März 2025 hat die Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erklärt, sie habe am Terminstag wegen Gürtelrose Fieber und starke Beschwerden gehabt. Dem Gesuch war ein ärztliches „Besuchsprotokoll“ des Allgemeinmediziners pp. vom 05.03.2025 beigefügt („Ankunft 7.30 Uhr, Abfahrt 8.50 Uhr“), in welchem der Angeklagten bei einer Körpertemperatur von 38,7 Grad Herpes Zoster bescheinigt wird. Lesbar sind weiter: „… Schmerzen li Lendenwirbelbereich mit blasige Ausschlag. Letzte Tage Simpotome stärker geworden. (Fieber, Schmerzen)“.
Den Wiedereinsetzungsantrag hat das LG verworfen. Zur Begründung heißt es u. a., die Angeklagte sei nach dem um 8.50 Uhr beendeten Arztbesuch ersichtlich nicht gehindert gewesen, ihr Ausbleiben noch genügend zu entschuldigen. Auch enthalte das am Terminstag ausgestellte Besuchsprotokoll keine Diagnose und sei im Übrigen „nicht gut genug lesbar, als dass das Gericht sich eine genügende Überzeugung von einer Verhandlungsunfähigkeit bilden könnte“. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde.
Das Rechtsmittel hat Erfolg:
„1. Das statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt, und es ist auch im Übrigen zulässig. Auch wenn sich das Verwerfungsurteil bereits mit Entschuldigungsvorbringen der Angeklagten auseinandersetzt, ist dieses nicht in dem Sinne „verbraucht“, dass es im Wiedereinsetzungsverfahren nicht mehr gewürdigt werden könnte. Die Wiedereinsetzung ist nämlich nur dann ausgeschlossen, wenn das Entschuldigungsvorbringen bereits Gegenstand der gerichtlichen Würdigung – im Sinne einer tatsächlichen inhaltlichen Auseinandersetzung – war (vgl. KG StV 2020, 855; NStZ-RR 2006, 183; Beschluss vom 23. August 2007 – 2 Ws 520/07 -; LG Berlin VRS 121, 366; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl., § 329 Rn. 42; Paul in Karlsruher Kommentar, StPO 7. Aufl., § 329 Rn. 23). Eine derartige Auseinandersetzung hat hier jedenfalls in Bezug auf das nur etwa eine Stunde vor der Hauptverhandlung attestierte Fieber nicht stattgefunden. Dieser für die Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit wichtige Um-stand war der Strafkammer im Zeitpunkt des Urteilserlasses noch nicht bekannt.
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Denn die Angeklagte war nach den nun bekannten und glaubhaft gemachten Umständen im Sinne der §§ 329 Abs. 7, 44, 45 StPO ohne Verschulden daran gehindert, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen. Sie war verhandlungsunfähig.
a) In der Regel reicht ein zeitnahes ärztliches Attest, das Art und Schwere der Erkrankung mit-teilt, aus, um die Verhandlungsunfähigkeit zu prüfen und ggf. den Schluss zu rechtfertigen, dem Angeklagten sei es jedenfalls wegen seiner Erkrankung nicht zuzumuten gewesen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen (vgl. KG Beschluss vom 29. Januar 1999 – 5 Ws 35-36/99 – [juris]; OLG Karlsruhe NJW 1995, 2571). Das von der Angeklagten übermittelte Attest stammt vom Terminstag, es wurde nur etwa eine Stunde vor dem Aufruf der Strafsache erstellt. Indem es der Angeklagten neben anderen etwas vage bleibenden Symptomen Fieber in Höhe von 38,7 Grad bescheinigt, offenbart es auch einen Umstand, der sie – jedenfalls im beschriebenen Gesamtbild der Symptomatik – als verhandlungsfähig erscheinen lässt. Der Senat hat erwogen, ob die katastrophale Orthographie und Grammatik in den ärztlichen „Besuchsprotokollen“ vom 22. Februar und 5. März 2025 (etwa “geses“ für Gesäß; „Röttung“; „mit blasige Ausschlag“; „Simpotome“) nachteilige Schlüsse auf die Qualifikation des Erstellers und die inhaltliche Richtigkeit des Bescheinigten, insbesondere von Anamnese und Diagnose, zulässt, dies allerdings verworfen. Belastbar wäre eine solche Bewertung nicht.
b) Die Überlegung des Landgerichts, „in Zeiten der digitalen Kommunikation … wäre es ein Leichtes gewesen, das Besuchsprotokoll rechtzeitig vor dem Termin an den Verteidiger zu übermitteln“, ist sachlich nachzuvollziehen, geht aber an dem hier anzuwendenden Prüfungs-maßstab vorbei. Denn es kommt im Wiedereinsetzungsverfahren darauf an, ob der Angeklagte genügend entschuldigt ist, nicht aber darauf, ob er sich genügend entschuldigt hat (vgl. für viele KG OLGSt StPO § 329 Nr. 40 [Volltext bei juris]); Beschluss vom 29. Januar 1999 – 5 Ws 35-36/99 – [juris]). Dass die Angeklagte hier ersichtlich zumindest nachlässig kommuniziert hat, berührt die Frage, ob sie objektiv entschuldigt war, nicht. Bedeutung könnte dem allenfalls in Bezug auf die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens und die Echtheit des eingereichten Attests beigemessen werden. Derartige Zweifel hat das Landgericht offenbar gehabt, ohne sie klar zu benennen und ausdrücklich niederzulegen. Auch der Senat erkennt die Unklarheiten, hat aber keine belastbaren Hinweise darauf, dass das Attest inhaltlich falsch ist oder nicht von einem approbierten Arzt stammt.“



