Archiv für den Monat: November 2018

Gebühren für Einsicht im Bußgeldverfahren, oder: An Lächerlichkeit nicht zu überbieten

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Heute eröffne ich am „Money-Friday“ mit dem LG Wuppertal, Beschl. v. 06.11.2018 – 26 Qs 210/18 -, den mir der Kollege Geißler aus Wuppertal übersandt hat. Der Kollege hat den Betroffenen in einem Bußgeldverfahren verteidigt, in dem dem Betroffenen ein Rotlichtverstoß zur Last gelegt worden ist. Der Kollege hat für den Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Im Zwischenverfahren beantragte der Kollege in die Bußgeldakte inklusive der gesamten Messreihe. Letzteres verweigerte ihm die Stadt Wuppertal, woraufhin der Betroffene durch seineden Kollegen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellt. Das AG Wuppertal hat der Stadt Wuppertal aufgegeben, dem Kollegen die angeforderte Messreihe zur Verfügung zu stellen. Dies erfolgte im September 2017. In der Folge stellte die Stadt Wuppertal das Bußgeldverfahren gegen den Betroffenen dann gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO ein und legte die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Stadtkasse auf.

Und dann geht es los 🙂 . Der Betroffene hat Gebühren und Auslagen seines Verteidigers in Höhe von 2.263,85 € brutto geltend gemacht. In der Kostenaufstellung war u.a. enthalten eine „Erledigungsgebühr Nr. 5151 VV RVG“ sowie eine Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG sowie eine außergerichtliche und gerichtliche Auslagenpauschale. Die Stadt Wuppertal hat die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Betroffenen auf 542,76 € festgesetzt und im Übrigen den Festsetzungsantrag zurückgewiesen. Hierbei hat die Stadt Wuppertal die geltend gemachte Erledigungsgebühr als nicht erstattungsfähig angesehen. Zudem sei die Auslagenpauschale nur einmalig ansetzbar und die Kosten für die Tätigkeit eines Privatsachverständigen seien nicht erstattungsfähig, da dieser zum Ausgang des Verfahrens nichts beigetragen habe. Hiergegen hat der Betroffene dann (erneut) Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das AG Wuppertal hat den zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner sofortigen Beschwerde, die überwiegend Erfolg hatte. Das LG Wuppertal hat die dem Betroffenen zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 2.044,77 € festgesetzt.

Interessant zunächst, aber auch Wuppertla nichts Neues: Das LG hat die Kosten des Sachverständigen als grudnsätzlich erstattungsfähig angesehen. Es bestätigt dann seine Rechtsprechung aus dem LG Wuppertal, Beschl. v. 08.02.2018 – 26 Qs 214/17 und dazu Erstattung der SV-Kosten im Bußgeldverfahren, oder: Was haben Gebühren mit Messungen zu tun?). Insoweit verweise ich auf den Volltext.

Interessant dann die Ausführungen des LG zur Erledigungsgebühr Nr. 5115 VV RVG:

„aa) Die Kürzung der angesetzten Erledigungsgebühr in Höhe von 160,00 € netto, mithin 190,40 € brutto ist zu Unrecht erfolgt.

Die Stadt Wuppertal hat lediglich darauf abgestellt, dass es die angesetzte Gebührenziffer 5151 VV RVG nicht gebe. Dies ist zwar zutreffend. Offenkundig hat es sich hierbei jedoch nur um einen Schreibfehler gehandelt. Die Erledigungsgebühr nach Ziffer 5115 VV RVG entsteht dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde endgültig erledigt wird, was vorliegend der Fall ist [Anm. (1) Nr. 1 zu Ziffer 5115 VV RVG]. Die Feststellung einer Kausalität der Maßnahmen des Verteidigers für den Eintritt der Erledigung bedarf es hierfür nicht. Vielmehr besteht eine Vermutung für die Ursächlichkeit [Gürtler, in: Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, Vor § 105, Rn. 42e]. Das Entstehen der Zusatzgebühr ist nur dann ausgeschlossen, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit des Verteidigers nicht ersichtlich ist [Anm. (2) zu Ziffer 5115 VV RVG], Vorliegend ist der Verteidiger des Betroffenen nach außen hin tätig geworden, sodass er sich auf die Vermutungswirkung berufen kann.“

Und ebenso interessant das, was das LG zu den beiden Auslagenpauschalen und der Verfahrensgebühr Nr. 5109 VV RVG schreibt:

„Demgegenüber kann der Betroffene die Auslagenpauschale nach Ziffer 7002 VV RVG im vorliegenden Fall nur einmal geltend machen. Der Abzug in Höhe von 20,00 netto, mithin 23,80 € brutto ist daher zu Recht erfolgt.

Gemäß § 17 Nr. 11 RVG stellen das Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und das nachfolgende gerichtliche Verfahren verschiedene Angelegenheiten dar, sodass dann die Auslagenpauschale doppelt anfällt. Das Zwischenverfahren gehört dabei nach der Vorbemerkung 5.1.2. Abs. (1) VV RVG zu dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Die Einlegung des Rechtsbehelfs nach § 62 OWiG im Zwischenverfahren gehört daher ebenso entsprechend § 19 Abs. 1 Nr. 10a RVG zu der Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und begründet keine weitere Angelegenheit.

cc) Darüber hinaus kann der Betroffene die Verfahrensgebühr nach Ziffer 5109 VV RVG in Höhe von 160,00 netto, mithin 190,40 E brutto nicht verlangen. Das Verbot der Schlechterstellung greift im Beschwerdeverfahren nicht, sodass diese Gebühr entgegen der Entscheidung der Stadt Wuppertal nicht festgesetzt werden kann.“

Dazu folgende Anmerkungen:

Es ist zutreffend, wenn das LG die Tätigkeiten des Verteidigers in Zusammenhang mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 62 OWiG gegen die Nichtherausgabe der Messserie dem bußgeldrechtlichen Zwischenverfahren i.S. des § 69 OWiG zuordnet und (noch) nicht dem gerichtlichen Verfahren (vgl. dazu eingehend meine Beiträge Burhoff RVGreport 2013, 212, in, VRR 2013, 213, und in , StRR 2013, 294). Der Kollege wird das nicht so gern gelesen haben, weil das LG nämlich die festgesetzte Gebühr Nr. 5109 VV RVG wieder abgesetzt hat. Auch das war zutreffend, da das Verschlechterungsverbot im Beschwerdeverfahren nicht gilt.

Hinsichtlich der Erledigungsgebühr Nr. 5115 VV RVG muss ich vorsichtig sein, was ich schreibe. Zutreffend ist es, dass das LG die festgesetzt hat. Und dann: Vorsicht! Die Ablehnung der Festsetzung der vom Verteidiger zur Erstattung angesetzten Gebührenziffer – als „5151 VV RVG“ bezeichnet – durch die Stadt Wuppertal allein mit der Begründung, dass es diese Gebührenziffer nicht gebe, ist in meinen Augen lächerlich, fast hätte ich geschrieben dämlich. Der Schreibfehler bzw. Zahlendreher war und ist offensichtlich. Man fragt sich, was solche Spielereien/Mätzchen sollen. Sie erklären sich allenfalls daraus, dass man dem Kollegen, der im Zweifel der Stadt viel Arbeit macht, mal eins auswischen wollte. Solche Dinge sind aber mehr als überflüssig und machen nur unnötige Arbeit. Das sollte auch eine Stadtverwaltung wissen und über den Dingen stehen. Keep cool?

OWi III: Kein Absehen vom Fahrverbot beim Hoteldirektor, oder: „Von oben herab“ jedes Schlupfloch zumachen

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Und als letzte Entscheidung dann das AG Dortmund, Urt. v. 03.07.2018 – 729 OWi-267 Js 924/18 -145/18. Es geht u.a. um das Absehen von einem Fahrverbot nach einem Rotlichtverstoß. Der Betroffene hatte u.a. berufliche Gründe geltend gemacht, die das Absehen vom Fahrverbot begründen sollten. Das AG hat die nicht bzw. als nicht „durchgreifend“ angesehen:

„Das Gericht hat dann weiter gefragt zu wirtschaftlichen und persönlichen Härten des Betroffenen durch ein ihm drohendes Fahrverbot.

Der Betroffene erklärte hierzu, er habe mit seinem Arbeitgeber noch nicht über ein ihm drohendes Fahrverbot gesprochen. Der Betroffene erklärte zu seiner beruflichen Situation, dass er Hoteldirektor in Düsseldorf sei und monatlich etwa 3.000,00 EURO netto verdiene. Auch seine Ehefrau arbeite im Hotelbereich. Sie sei aber derzeit mit Kindeserziehung beschäftigt, nachdem vor drei Monaten das gemeinsame Kind geboren sei. Wegen der Kindesgeburt und dem nachfolgenden Umzug zum 01.06.2018 in eine für die Familie geeignetere Wohnung habe er mittlerweile seinen Jahresurlaubsanspruch nahezu gänzlich aufgebraucht. Im Übrigen benötige er für das von ihm geführte 4 Sterne-Hotel und die Hinfahrt zur Arbeit einen Führerschein. Er könne auf seinen Führerschein für die Dauer eines Fahrverbotes nicht verzichten. Morgens habe er um 07:30 Uhr Dienstbeginn in Düsseldorf. Er habe dort 52 Mitarbeiter zu führen. Das Hotel habe zweiundzwanzig Konferenzräume. Er arbeite fünf bis sechs Tage pro Woche 10-12 Stunden täglich. Sein Arbeitgeber könne ihm nicht kostenfrei ein Zimmer in dem Hotel unter der Woche anbieten.

Auf die Frage des Gerichts, ob er denn nicht unter der Woche einfach sich selbst ein Zimmer in seinem Hotel nehmen könne für die Dauer des Fahrverbotes erklärte der Betroffene, dass das eher unüblich sei. Das Gericht hält dies jedoch durchaus angesichts der beruflichen Tätigkeit des Betroffenen für zumutbar. Der Betroffene hat geltend gemacht, er müsse teilweise für das Hotel auch noch einmal Besorgungen erledigen in Düsseldorf. Er tue dies dann per PKW. Derartige Fahrten innerhalb Düsseldorfs können während des Fahrverbots ggf. Mitarbeiter des Hotels auf Weisung des Betroffenen als Hotelchef oder auch der Betroffene selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln/per Taxi erledigen.

Das Gericht hat dem Betroffenen dann vorgehalten, dass dem Gericht durchaus bekannt sei, dass vom Hauptbahnhof Dortmund aus täglich auch Züge nach Düsseldorf zum dortigen Hauptbahnhof fahren würden.

Der Betroffene erklärte, dass er das für sich für unzumutbar halte. Er müsse ja dann morgens auch noch zum Bahnhof hinkommen. Das Gericht hält es durchaus für die Dauer eines 1-Monats-Fahrverbots zumutbar für einen Dortmunder Bürger, per Bus, per Taxi, mit dem Fahrrad oder gar zu Fuß zum Dortmunder Hauptbahnhof zu kommen, um von dort einen Zug nach Düsseldorf zu nehmen.

Dementsprechend konnte das Gericht keine über das gesetzgeberisch gewünschte Maß hinaus drohenden beruflichen oder persönlichen Härten feststellen, die fahrverbotsrelevant wären.

Angesichts der erheblichen materiellen und auch körperlichen Schäden der Geschädigten hielt das Gericht ein Absehen vom Fahrverbot unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße unter Anwendung des § 4 Abs. IV BKatV nicht für angezeigt. Dem Gericht war die Existenz dieser Vorschrift jedoch bewusst.“

Also: Anwendung der „Schlupflochtheorei“ = ich mache jedes Schlupfloch zu, durch das Betroffene schlüpfen könnte, damit kein Fahrverbot festgesetzt werden muss. Und dann mit dieser in meinen Augen „Von oben Herab-Art“, wenn es denn heißt: „durchaus bekannt“ oder „oder gar zu Fuß“. Ich frage mich immer, ob das eigentlich sein muss.

OWI II: Vorsätzliche Trunkenheitsfahrt, aber nicht allein wegen eines „Fluchtversuchs“

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Als zweite Entscheidung aus dem OWi-Bereich dann der OLG Bamberg, Beschl. v. 23.10.2018 – 2 Ss OWi 1379/18. Er behandelt die Annahme einer vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt nach § 24a Abs. 1 StVG durch das AG, und zwar aufgrund eines „Fluchtversuchs“ des Betroffenen. Das – so sagt das OLG – geht nicht:

a) Zutreffend hat das AG zwar erkannt, dass Bezugspunkt der Schuld bei § 24a I StVG das bloße Erreichen der darin genannten Grenzwerte ist und Vorsatz voraussetzt, dass der Betr. zumindest mit einer Atem- bzw. Blutalkoholkonzentration in der in § 24a I StVG genannten Höhe rechnet und diese, für den Fall, dass sie vorliegt, billigend in Kauf nimmt (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.01.1989 – 1 Ss 275/88 = VRS 76 [1989], 453 = DAR 1989, 310; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. § 24a Rn. 25, 25a und 26). Auch ist das AG zutreffend davon ausgegangen, dass allein aus der Höhe der festgestellten AAK nicht auf Vorsatz geschlossen werden kann; insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 316 StGB (Burhoff [Hrsg.]/Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 5. Aufl. Rn. 3595 f. unter Hinweis insbesondere auf BGHSt 60, 227 sowie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; vgl. zuletzt etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 RVs 18/17 = ZfS 2017, 590 = BA 54 [2017], 382 = StV 2018, 445). Danach hat die Vorsatzbeurteilung, wenn es an einem Geständnis fehlt, auf der Grundlage einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Fahrt zu erfolgen. Von Bedeutung können hier etwa einschlägige Vorverurteilungen sein, desgleichen dem Täter bewusst gewordene Ausfallerscheinungen während der Fahrt bzw. grobe Fahrfehler, die Flucht vor einer Polizeikontrolle sowie Verschleierungsversuche wie beispielsweise das Nutzen von „Schleichwegen“ (Freymann/Wellner/Görlinger jurisPK-Straßenverkehrsrecht [2016] § 316 StGB Rn. 49; Königa.O. Rn. 26 mit krit. Hinweis auf OLG Celle NZV 1997, 320; umfassend zu möglichen Beweisanzeichen und deren Gewichtung LK/König StGB 12. Aufl. § 316 Rn. 190 ff.; Hentschel DAR 1993, 449 ff.; vgl. auch OLG Hamm ZfS 1999, 217; BA 37 [2000], 116; BA 41 [2004], 538).

b) Soweit jedoch das AG die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung allein darauf gestützt hat, dass sich der Betr. bei zunächst unauffälligem Fahrverhalten innerorts auf einer Strecke von etwa 2 km zwischen dem ersten polizeilichen Anhalteversuch und der letztendlich erfolgreichen Anhaltung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der polizeilichen Kontrolle zu entziehen versuchte, tragen diese Feststellungen nicht hinreichend den vom AG gezogenen Schluss, dass der Betr. zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass er nach dem Alkoholkonsum den in § 24a I StVG genannten Grenzwert überschreiten würde, und daher eine mögliche Überprüfung der Blut- oder Atemalkoholkonzentration im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle gefürchtet hat. Denn auch in Fällen bewusster Fahrlässigkeit hat der Täter die Möglichkeit der Überschreitung des gesetzlichen Grenzwertes erkannt, aber zu Unrecht darauf vertraut, einen solchen Zustand noch nicht erreicht zu haben. Dass ihm bei einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Verkehrskontrolle insoweit erneut Zweifel kommen, die ihn zu einem Fluchtversuch veranlassen, erscheint jedenfalls nicht fernliegend (Hentschela.O. S. 452). Mag ein solches Verhalten damit auch von schlechtem Gewissen zeugen und dahinter die Befürchtung stehen, den gesetzlichen Grenzwert überschritten zu haben, so genügt dies aber für die Annahme von Vorsatz bei Fahrtantritt oder während der Fahrt in der Regel noch nicht. Der von dem AG festgestellte Fluchtversuch lässt damit für sich allein noch keinen tragfähigen Rückschluss auf den Vorsatz des Betr. zu.

OWi I: Rechtsprechungsübericht zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Neues zur „Kakophonie der Judikative“.

Heute dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit Entscheidungen zur Akteneinsicht. Zuletzt hatte ich darüber im August berichtet (vgl. OWi I: Rechtsprechungsmarathon zur Einsicht in Messunterlagen, oder: Der Kampf geht weiter). Ich hatte in dem Bitrag ja schon darauf hingewiesen, dass ich wegen der Fülle des Materials nicht mehr alle Entscheidungen verlinke, sondern zum Teil auf dejure und den Verkehrrechtsblog des Kollegen Gratz verweise, der nach wie vor ja unermüdlich Entscheidungen online stellt und über sie berichtet.

M.E. bewegt sich bei dem Thema derzeit nichts. Es stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber und jedes wartet darauf, dass es den Lorbeerkranz des Siegers umgehängt bekommt. Wem er gebührt, ist m.E. klar.  Das ist das Lager derjenigen, die wie der VerfGH Saarland (vgl. den VerfG Saarland, Beschl. v. 27.04.2018) von einerm weiten „Einsichtsrecht“ ausgeht und die sich Cierniak und Niehaus in ihren Beiträgen angeschlossen haben. Aber: Wie man – aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreiesen hört 🙂 – ist die Lösung oder das Ende des Streits vielleicht ja gar nicht mehr so weit. Denn beim BVerfG sind zwei Verfassungsbeschwerden zu diesen Fragen anhängig, beide gegen Entscheidungen des OLG Bamberg, darunter auch der unfassbare OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – – 3 Ss OWi 626/18. Und das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden zugestellt. Das ist doch schon mal was. Man darfa also gespannt sein.

Bis dahin geht es weiter im Kampf und dazu dann folgende Rechtsprechungsübersicht von Entscheidungen der letzten Zeit:

KG, Beschl. v. 06.08.2018 – 3 Ws (B) 168/18 Rügt die Rechtsbeschwerde, keinen Zugang zur sog. Lebensakte und den Rohmessdaten erhalten zu haben, so hat sie substantiiert vorzutragen, was sich aus diesen Unterlagen ergeben hätte. Sollte ihr dies nicht möglich sein, weil ihr die Unterlagen noch immer nicht vorliegen, so muss sich der Rechtsbeschwerdeführer bis zum Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen substantiiert dartun.
LG Baden-Baden, Beschl. v. 14.09.2018 – 2 Qs 104/18 Im Hinblick auf die Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (zfs 2018, 471), wonach es Ausfluss des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK) ist, dass dem Betroffenen auf seinen Antrag hin auch nicht bei den Akten befindliche amtliche Unterlagen, die er für die Prüfung des Tatvorwurfs benötige, zur Verfügung zu stellen sind, sind dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger die Daten derjenigen Messreihe, die den begangenen Verkehrsverstoß des Betroffenen erfasst hat, – ggf. in anonymisierter Form –zugänglich zu machen.
LG Weiden, Beschl. v. 05.09.2018 – 2 Qs 50/18 OWi Eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines nach Abgabe des Bußgeldverfahrens an das AG beim AG erneut gestellten Antrags auf „Einsicht“ in Messdaten ist wegen § 305 Satz 1 StPO unzulässig . Die gegenteilige, vom LG Trier (NZV 2017, 589 ) und in der Literatur vertretene Auffassung überzeugt nicht.
AG Freising, Beschl. v. 05.07. 2018 – 3 OWi 30/18 Der Verteidiger hat im Bußgeldverfahren keinen Anspruch auf Einsicht in Messunterlagen, wie z.B., das Originalbeweisfoto und das Originalvideo, das Messprotokoll, den Eichschein des Messgerätes und die Lebensakte des Messgerätes. Diese gehören nämlich regelmäßig nicht zum Inhalt der dem Gericht vorliegenden Akten.
AG Köln, Beschl. v. 22.10.2018 – 814 OWi 210/18 (b) Dem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger oder einem von diesem beauftragten Sachverständigen Einsicht in die komplette Messreihe vorn Tattag (inkl. Token) zu gewähren.
AG Landsberg, Beschl. v. 23.07.2018 – 3 OWi 92/18 Der Betroffene hat im Bußgeldverfahren keinen Anspruch auf Herausgabe der Messdatei als digitale Kopie, der Lebensakte des Messgerätes, der Konformitätserklärung und Konformitätsbescheinigung und des Schulungsnachweises des verantwortlichen Messbeamten sowie Name und Schulungsbescheinigung des Auswertebeamten.
AG Mayen, Beschl. v. 31.07.2018 – 3 OWi 171/18 Bei Geschwindigkeitsmessungen ist dem Verteidiger auch Einsicht in alle Rohmessdaten der Messreihe, die Statistikdatei und – bei ESO 3.0 – den Public Key des Messgeräts zu gewähren. Die angeforderten Daten müssen weder Aktenbestandteil sein noch stehen die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens der Einsicht entgegen.
AG Mayen, Beschl. v. 03.07.2018 – 3 OWi 160/18 Beim Abstandsmessverfahren VKS 3.0 hat der Verteidiger ein Einsichtsrecht in die Videoaufzeichnung vom Tattag, in das Referenzvideo mit Protokoll betreffend die Einrichtung der Messstelle sowie Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme des Messgeräts und, soweit vorhanden, in Lebensakte, Geräteakte, Gerätebegleitkarte etc.
AG München, Beschl. v. 16.08.2018 – 953 OWi 155/18 Es besteht kein „erweitertes“ Akteneinsichtsrecht des Verteidigers. Die Rechtsprechung des VerfG Saarland hat darauf keinen Einfluss.
AG Neuburg an der Donau, Beschl. v. 01.08.2018 – 3 OWi 75/18 Der Verteidiger des Betroffenen ist Akteneinsicht in die Messdatei als digitale Kopie im eso-Format, die gesamte Messreihe in elektronischer Form, die Lebensakte des Gerätes, die Schulungsbescheinigung des Auswertebeamten, die Schulungsbescheinigung des Messbeamten, den Beschilderungsplan und die Konformitätsbescheinigung und Konformitätserklärung zu gewähren.
AG Remscheid, Beschl. v. 06.11.2018 – 63 OWi 270/18 (b) Dem Verteidiger sind die angeforderten Rohmessdaten (Messfilm) zur Verfügung zu stellen.
AG Saarburg, Beschl. v. 22.08.2018 – 8 OWi 8112 Js 16807/18 Endgültige Rückgabe des Verfahrens an die Verwaltungsbehörde wegen nicht ausreichender Ermittlungen.
AG Siegen, Beschl. v. 09.08.2018 – 430 OWi 1508/18 Das Gericht schließt sich der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung an, wonach die Herausgabe der kompletten Messrohdaten einer Messserie über die die Messung des betroffenen Kraftfahrer hinausgehenden Messrohdaten nicht erforderlich ist. Der VerfG Saarland (vgl. VA 18, 122) hat zudem übersehen, dass das von ihm angenommene Einsichtsrecht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG führt, da sich eine umfassende Begutachtung einer kompletten Messserie durch einen Sachverständigen immer nur ein Teil der Bevölkerung leisten kann.
AG Weiden i. d. OPf., Beschl. v. 10.7.2018 – 311 OWi 287/18 Die Nichtüberlassung von Messdaten, Messreihe oder Lebensakte (Gerätestammkarte) verstößt weder gegen das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren noch auf rechtliches Gehör. Es ist ausreichend, die Ermittlungsakte einzusehen, amtlich verwahrte Beweisstücke zu besichtigen und in der Hauptverhandlung Zeugen und Sachverständige zu befragen.
AG Wittlich, Beschl. v. 06.08.2018 – 36b OWi 8011 Js 21030/18 jug  Der Verteidiger hat im Bußgeldverfahren Anspruch auf Einsicht in die gesamten digitalen Falldaten im gerätespezifischen Format für die gesamte Messreihe inklusive der Rohmessdaten, in die Statistikdatei/Gase-List der Messreihe, in alle Wartungs- und Instandsetzungsnachweise für das gegenständliche Messgerät seit der letzten Eichung vor der gegenständlichen Messung, die Eichnachweise des Messgeräts seit der ersten Inbetriebnahme sowie in die Baumusterprüfbescheinigung und Konformitätsbewertung des Messgeräts
AG Wuppertal, Beschl. v. 20.09.2018 – 26 OWi 154/18 [b] Dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger ist Einsicht in die gesamte Messreihe zu gewähren. Ist der Betroffene nämlich dazu gezwungen, relevante Tatsachen, die die Ordnungsgemäßheit eines im standardisierten Messverfahren gewonnenen Ergebnisses erschüttern können, selbst vorzutragen, muss er in die Lage versetzt werden, an derartige Informationen zu gelangen.

Ist wieder eine ganze Menge, was da so in den letzten Monaten angefallen ist. Über den ein oder anderen „bemerkenswerten“ Beschluss hatte ich ja auch schon berichtet, so z.,B. über den AG München, Beschl. v. 16.08.2018 – 953 OWi 155/18 (siehe hier: Erweiterte (Akten)Einsicht im Bußgeldverfahren, oder: Wenn das AG München dem VerfG Saarland die Leviten liest).

Bemerkenswert – auch der LG Weiden i.OPf, Beschl. v. 12.09.2018 – 2 Qs 50/18 -, in dem das LG die Beschwerdemöglichkeit gegen eine die Einsicht ablehnende Einsicht des Gerichts verneint. Darin findet man dann abschließend folgende Passage:

„Mit der Entscheidung ist auch keine besondere – durch Urteil oder Urteilsanfechtung nicht behebbare – Beeinträchtigung verbunden (a.A. LG Trier, Beschluss vom 14. September 2017- 1 Qs 46/17 -, juris). Es trifft zwar zu, dass in der obergerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Streit darüber besteht, ob der Betroffene in einem Bußgeldverfahren einen Anspruch auf die auch hier begehrten Unterlagen unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs oder der fairen Verfahrensgestaltung hat (OLG Bamberg Beschluss vom 13.6.2018- 3 Ss OWi 626/18 -, BeckRS 2018, 11527; VerfGH Saarland, Beschluss vom 27.4.2018 – Lv 1/18 -, NZV 2018, 275). Dies ändert aber nichts daran, dass die Frage, ob ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf faire Verfahrensgestaltung vorliegt, grundsätzlich der Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren zugänglich ist (vgl. OLG Bamberg, aaO). Damit ist mit der Entscheidung aber keine nicht durch Urteilsanfechtung behebbare Beeinträchtigung verbunden. Besteht nämlich kein Anspruch, liegt auch keine Beeinträchtigung vor. Besteht ein Anspruch, ist dies der Prüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren zugänglich. Es besteht deshalb keine Veranlassung, dass die Landgerichte als weitere Entscheidungsebene in der „Kakophonie der Judikative“ zum strittigen Anspruch „mitmischen“ (a.A. Krenberger, NZV 2017, 589).“

Ja richtig gelesen: „Kakophonie der Judikative“ zum strittigen Anspruch „mitmischen“. Egal, dass es sich bei dieser Wortwahl um ein Zitat aus einer Anmerkung des Kollegen Krenberger zum LG Trier, Beschl. v. 14.09.2017 1 Qs 46/17,es ist schon „bemerkeneswert, dass ein LG meint, diese Formulierung in seinen Beschluss übernehmen zu müssen. Das zeitg,w as man im Grunde genommen von den Rechten des Betroffenen  hält. Nämlich nichts. Hoffen wir, dass Karlsruhe das anders sieht.

Und <<Werbemodus ein >> und <<Werbemodus<< aus. Hier geht es zur Bestellseite. Das abgebildete Verkehrsrechtspaket gibt es derzeit mit einem erheblichen Preisnachlass für sog. Mängelexemplare (vgl. auch Sale/Preiskracher/Sonderverkauf, oder: Weihnachten steht vor der Tür).

„Trunkenheitsfahrt“ mit 0,88 Promille, oder: Wenn die Ausfallerscheinungen „nicht reichen“

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Und die dritte und letzte Entscheidung des Tages kommt auch aus Berlin, allerdings nicht aus der Elßholzstraße, also vom KG, sondern vom AG Tiergarten. Es ist das AG Tiergarten, Urt. v. 31.08.2018 – 343 Cs) 3034 Js 7166/18 (112/18).

Angeklagt war eine Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB, das AG hat den Angeklagten aber nur wegen eines Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG verurteilt. Grund: Keine ausreichenden Feststellungen zur relativen Fahruntüchtigkeit – der Angeklagte hat eine BAK von 0,88 Promille – möglich:

„II.

Am 11.05.2018 gegen 03:13 Uhr befuhr der Angeklagte mit dem Pkw Porsche, amtliches Kennzeichen, den Olivaer Platz und den Kurfürstendamm in Berlin. Er wies dabei infolge Alkoholgenusses eine Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille auf, was er bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt als Kraftfahrzeugführer hätte erkennen können und müssen. Alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, die eine Fahruntüchtigkeit des Angeklagten begründen könnten, ließen sich zur Überzeugung des Gerichts nicht feststellen.

III.

Die vorstehenden Feststellungen ergeben sich zur Überzeugung des Gerichts aus der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung.

Der vertretungsbevollmächtigte Verteidiger, welcher für den abwesenden Angeklagten auftrat, trug zu dessen persönlichen Verhältnisse vor und gab zum Anklagevorwurf keine Einlassung ab. Dass der Angeklagte nicht vorbestraft ist, ergab sich aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen, ihn betreffenden Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 16.05.2018, welcher keine Eintragungen enthält.

Aus den Schilderungen der Polizeibeamten H. und R. ließ sich zur Überzeugung des Gerichts die Fahrereigenschaft des Angeklagten feststellen und das in der Hauptverhandlung verlesene Gutachten des Landeskriminalamtes vom 14.05.2018 belegte die Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 04:30 Uhr. Da über den Zeitpunkt des Trinkendes beziehungsweise der Resorptionsphase keine Feststellungen getroffen werden konnten, war zu Gunsten des Angeklagten von einer Blutalkoholkonzentration von 0,88 Promille zur Tatzeit auszugehen. Darüber hinausgehende alkoholbedingte Fahrfehler beziehungsweise körperliche Ausfallerscheinungen im Hinblick auf eine relative Fahrunsicherheit ließen sich nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.

Die Zeugen R.und H. berichteten übereinstimmend von ihrer Streifenfahrt, die sie zur Tatzeit auf den Kurfürstendamm in nordöstlicher Richtung geführt habe, als ihnen in Höhe der Kreuzung Kurfürstendamm / Olivaer Platz ein schwarzer Porsche (ppp.) mit lauten Motorengeräuschen und überhöhter Geschwindigkeit entgegengekommen sei. Sie hätten gewendet, die Verfolgung aufgenommen und kurz vor der Kreuzung Kurfürstendamm / Lewishamstraße zu dem Porsche aufgeschlossen. Der Porsche habe nun ohne zu blinken gewendet und sei zurück in Richtung Olivaer Platz gefahren, wo er in die Konstanzer Straße abbog. Der Streifenwagen habe direkt zu dem Porsche aufschließen können, als dieser erneut ohne zu blinken wendete. Bei diesem Wendemanöver hätten die Zeugen bei guter Straßenbeleuchtung erkennen können, dass der Fahrer allein im Fahrzeug gewesen sei. Die Zeugin H. habe den Fahrer in dieser Situation als einen südländisch wirkenden Typ, mit dunklem Hemd und leicht zurückgegelten Haaren wahrgenommen. Übereinstimmend bezeugten beide, es habe sich dabei um die später kontrollierte Person, den hier Angeklagten, gehandelt.

Im Anschluss an dieses Wendemanöver habe der Porsche stark beschleunigt, sei erneut in den Kreuzungsbereich Kurfürstendamm / Olivaer Platz eingefahren und anschließend ohne zu blinken in die Giesebrechtstraße eingebogen. Der Streifenwagen habe nun Probleme gehabt zu folgen, jedenfalls hätten die Zeugen noch erkennen können, wie der Porsche am Ende der Giesebrechtstraße in die Clausewitzstraße eingebogen sei. Selbst mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 bis 80 km/h sei es ihnen nicht möglich gewesen, aufzuschließen. Sie hätten den Porsche für rund 10 Sekunden aus den Augen verloren, seien dann ohne Sichtkontakt die Clausewitzstraße Richtung Kurfürstendamm gefahren und dort nach rechts eingebogen. Nach einer nur kurzen Wegstrecke sei den Zeugen auf Höhe Kurfürstendamm Nr. 69 auf der dort befindlichen Parkinsel der Porsche wieder aufgefallen. Als sie sich ihm genähert hätten, sei die Person ausgestiegen, die sie bei dem Wendemanöver in der Konstanzer Straße als Fahrer wahrgenommen hätten. Andere Personen hätten sie im Umfeld des Porsches nicht wahrnehmen können. Bei dem kontrollierten habe es sich um den Angeklagten gehandelt, der beim Aussteigen aus dem Porsche seine Jacke vom Beifahrersitz gegriffen und beim Anziehen derselben erheblich Probleme gehabt habe, den Arm einzufädeln. Der Angeklagte habe eine kräftige Statur gehabt und die Jacke sei eng gewesen. Während des Gesprächs mit dem Angeklagten habe dieser undeutlich, leicht lallend gesprochen und man habe Alkoholgeruch wahrnehmen können.

Die Schilderungen der Zeugen belegen zur Überzeugung des Gerichts die Fahrereigenschaft des Angeklagten. Sie hatten beim Wendemanöver in der Konstanzer Straße beide die Möglichkeit, den Innenraum des Porsches wahrnehmen zu können und erkannten aus kurzer Distanz den später kontrollierten Angeklagten als den Fahrer. Dem steht auch nicht die kurze Zeit entgegen, in dem die Zeugen den Sichtkontakt zum Porsche verloren. Diese Phase war lediglich etwa 10 Sekunden lang und als die Zeugen den Porsche auf der Parkinsel wieder entdeckten, stieg der Angeklagte gerade aus und zog sich anschließend die Jacke. Es ist weder vorgetragen worden noch ansatzweise wahrscheinlich, dass in der kurzen Phase der Sichtunterbrechung ein Fahrerwechsel stattgefunden haben könnte. Da die Zeugen beim Wendemanöver im Porsche lediglich einen Fahrzeuginsassen wahrnahmen, hätte der etwaige Fahrertausch zudem mit einer Person außerhalb des Fahrzeugs stattfinden müssen.

Eine (relative) Fahrunsicherheit des Angeklagten können die Schilderungen der Zeugen hingegen nicht tragen. Bei einer Alkoholisierung von 0,88 Promille müssen aufgrund des Abstands zu der in der Rechtsprechung anerkannten Grenze zur absoluten Fahrunsicherheit (ab 1,1 Promille) zusätzliche Umstände hinzukommen, die einen Rückschluss auf die Fahrunsicherheit nahelegen. Die beschriebene Fluchtfahrt mit lauten Motorengeräuschen, überhöhter Geschwindigkeit und fehlender Anzeige von Wende- beziehungsweise Abbiegmanöver kann zur Überzeugung des Gerichts nicht mit der erforderlichen Sicherheit als alkoholbedingte Ausfallerscheinung gewertet werden. Sofern man sich – aus welchen Gründen auch immer – einer Verkehrskontrolle entziehen will und versucht, dem Streifenwagen zu entfliehen, ist eine solche Fahrweise nachvollziehbar auf die Fluchtintention und nicht unbedingt auf die Alkoholisierung zurückzuführen. Dies muss umso mehr berücksichtigt werden, wenn lediglich eine bußgeldbewehrte Alkoholisierung (0,88 Promille) erreicht wurde und im Übrigen keinerlei Fahrunsicherheiten wie Schlangenlinien oder ähnliches wahrgenommen werden konnten. Auch die während der Kontrollsituation wahrgenommenen Auffälligkeiten rechtfertigen die Annahme einer Fahrunsicherheit nicht. Die Schwierigkeiten des Angeklagten, die Jacke anzuziehen können plausibel mit seiner kräftigen Statur und der eng geschnittenen Jacke in Verbindung gebracht werden. Der Alkoholgeruch deutet lediglich auf die tatsächlich vorhandene Alkoholisierung hin und die undeutliche Aussprache kann bei dem türkischen Angeklagten herkunftbedingt veranlagt sein und lässt für sich genommen keinen sicheren Rückschluss auf eine Fahrunsicherheit zu.“

Also mit einem blauen Auge davon gekommen. Das Urteil ist übrigens rechtkräftig. Die StA Berlin hat, wie mir der Kollege Kroll aus Berlin, von dem die Einsendung stammt, mitgeteilt hat, die von der Amtsanwaltschaft eingelegte Berufung zurückgenommen.