Archiv für den Monat: Juli 2018

Wanderer kommst du nach Zwickau, oder: Igel in der Tasche….

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Ich hatte im April 2018 über den AG Plauen, Beschl. v. 22.03.2018 – 7 OWi 440 Js 18243/16 – berichtet (Im Bußgeldverfahren immer die Mittelgebühr, oder: Burhoff sagt das auch) und mich über den „gefreut“. Aber: Zu früh gefreut bzw. nicht bedacht, dass über die Beschwerde das LG Zwickau entscheiden muss und da hat man, was ich übersehen habe, den berühmt berüchtigten „Igel in der Tasche“. D.h. man sieht die Frage der Höhe der Gebühren des Verteidigers in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen sehr/viel zu eng.

So dann auch mal wieder im LG Zwickau, Beschl. v. 27.06.2018 – 1 Qs 90/18, den mir der Kollege P. Schlegel aus Greiz dann auch geschickt hat. Ich erinnere: Der Verteidiger – ihm folgend das AG Plauen – war bei allen Gebühren von der Mittelgebühr ausgegangen. Das LG Zwickau – dem Bezirksrevisort folgend – sieht das bei der Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG sowie den Verfahrensgebühren nach Nrn. 5103 und 5109 VV RVG anders:

„Nach wie vor hält die Beschwerdekammer an ihrer Auffassung fest, wonach sich in Verfahren nach Verkehrsordnungswidrigkeiten dann eine Festsetzung der anwaltlichen Vergütungsansprüche im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens ergibt, wenn unter strikter Beachtung der Umstände des Einzelfalles und unter Zugrundelegung der Gebührenbemessungskriterien aus § 14 RVG davon auszugehen ist, dass insgesamt eine Angelegenheit von unterdurchschnittlicher Bedeutung vorliegt. So wird in einfach gelagerten Verfahren im Regelfall davon auszugehen sein, dass sich Gesamtgebührenansprüche des Verteidigers ergeben, die der Höhe nach im unteren Drittel des zur Verfügung stehenden Gebührenrahmens angesiedelt sind. So liegt der Fall auch hier. Es liegt ein einfacher Sachverhalt vor. Es geht lediglich um einen Geschwindigkeitsverstoß. Zu keinem Zeitpunkt bestand die Gefahr der Verhängung eines Fahrverbotes oder des drohenden Verlustes der Fahrerlaubnis.

Bis zum Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bemisst sich die Akte auf gerade einmal 15 Seiten einschließlich der Postzustellungsurkunde. Der Betroffene hat sich im vorgerichtlichen Bußgeldverfahren weder eingelassen, noch hat sein Verteidiger Ausführungen vorgelegt.

Unter Berücksichtigung aller vorgenannten Umstände war die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV RVG auf 55,00 Euro und die Verfahrensgebühren nach Nrn. 5103 und 5109 VV RVG jeweils auf 90,00 Euro herabzusetzen.

Soweit der Verteidiger zur Vorbereitung eines möglichen Termins vorgetragen und mehrfach um Terminsverlegung nachgesucht hat, ist dies mit der Gebühr nach Nrn. 5115, 5109 VV RVG abgegolten. Die Gebühr für die Mitwirkung am Verfahren zur Vermeidung der Hauptverhandlung wurde antragsgemäß mit der Mittelgebühr abgegolten. Letztlich haben die Anträge des Verteidigers dazu geführt, dass die Sache wegen Verjährung eingestellt werden musste.

In meinen Augen unfassbar, was die Beschwerdekammer da dem Kollegen zugemutet hat. Liegt es vielleicht daran, dass, wenn ich den GVP des LG Zwickau richtig lese, die Kammer sonst (auch) Schwurgerichtssachen macht? Da verschiebt sich schon mal die Sichtweise. Oder ist es eine Retourkutsche, weil „letztlich die Anträge des Verteidigers dazu geführt [haben ], dass die Sache wegen Verjährung eingestellt werden musste.“? Denn der Satz erschließt sich mir nicht so richtig. Jedenfalls hätte ich mir aber mal eine Reflexion der Kammer über die eigene Rechtsprechung gewünscht. Nur ein „Das haben wir immer schon so gemacht“, ist mir zu wenig.

Akteneinsicht in sieben Umzugskartons binnen einer Woche, oder: Kopie der gesamten Verfahrensakte erstattungsfähig

Als erstes „normales Posting (vgl. zum „unnormalen“ Burhoff im “Yellow-Press-Teil” der NJW, oder: “Schreiber aus Leidenschaft – Anwalt als Telefonjoker”) heute dann natürlich ein Posting zu Gebühren, und zwar zum OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 Ws 92/18. Den hat mir der Kollege W.Siebers aus Braunschweig geschickt, der ihn auch „erstritten“ hat. Es geht mal wieder um die Frage der Erstattung von Kopien, eine „unendliche Geschichte“. Der Kollege war Pflichtverteidiger. Er hat Festsetzung seiner Gebühren im Vorschussweg beantragt, darunter eine Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 VV RVG für 17.497 angefertigte Kopien in Höhe von 2.642,05 €. Daraufhin wurde ihm eine Abschlagszahlung zunächst ohne Berücksichtigung der beantragten Dokumentenpauschale gewährt.

Zu Dokumentenpauschale teilte der Verteidiger mit, dass ihm im Mai 2017 ((im Originalbeschluss steht „12. Mai 2017“, muss dann wohl 2014 heißen) sieben Umzugskartons mit Akten zugegangen seien, die vollständig durchkopiert worden seien, da er seinerzeit noch mit Papierakten gearbeitet habe. Er versicherte, dass die Kopien ausschließlich Verteidigungszwecken gedient hätten. Die Bezirksrevisorin beim Landgericht vertrat dazu die Ansicht, der Verteidiger habe sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, indem er die gesamte Akte kopiert habe. Das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten der gesamten Verfahrensakte sei nicht erforderlich gewesen, da die Akten regelmäßig für die Verteidigung in jedem Fall irrelevante Dokumente enthielten. Der Kollege hat sich dann auf Nachfrage der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit einem Abzug von 10 % der ursprünglich beantragten Kopieauslagen als mögliche, nicht zur Verteidigung notwendige Kopien, einverstanden erklärt. Die sind festgesetzt worden. Dagegen (natürlich) die Erinnerung der Staatskasse. Ergebnis: Kein Erfolg beim LG und bei auch nicht beim OLG:

„Von den 17.497 Kopien, die bei der Fertigung einer Kopie der Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 angefallen sind, waren insgesamt 15.748 zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten.

Grundsätzlich obliegt der Staatskasse der Nachweis, dass die vom Verteidiger geltend gemachten Auslagen zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. Daher ist die Notwendigkeit von Kopierkosten im Zweifel anzuerkennen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn gewichtige Gründe dafür ersichtlich sind, nach denen einzelne Auslagen unnötig verursacht wurden und zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache nicht erforderlich waren. In diesem Fall muss der Pflichtverteidiger die Erforderlichkeit der Auslagen belegen, wobei ihm ein gewisser Ermessensspielraum verbleibt, er aber gleichzeitig gegenüber der Staatskasse grundsätzlich zur kostensparenden Prozessführung verpflichtet ist (OLG Koblenz, Beschl. vom 16. November 2009, 2 Was 526/09, Rn. 8, zitiert nach juris). Ausgehend von diesen Grundsätzen wird – worauf die Bezirksrevisorin grundsätzlich zutreffend hinweist – in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten einer gesamten Akte stelle keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Verteidigers mehr dar, da Kopien nur in dem Rahmen abrechnungsfähig seien, in dem sie aus der ex-ante Sicht des Rechtsanwaltes zu fertigen gewesen wären (OLG Koblenz, a.a.O., OLG Köln, Beschl. vom 16. Juli 2012,  III – 2  Ws 499/12, Rn. 7, zitiert nach juris). Maßgeblich ist die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Verteidigers, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können (BGH, Beschluss-vom 30. Mai 2017, X ZB 17/04, Rn. 1, zitiert nach juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe war vorliegend jedoch eine Kopie der gesamten Verfahrensakte 16 KLS 411 Js 22675/10 grundsätzlich erforderlich.

Dem von dem Verteidiger vertretenen Angeklagten werden zum Teil täterschaftlich, zum Teil mittäterschaftlich mit weiteren Angeklagten begangene Taten zur Last gelegt. Es ist daher aus Sicht des Verteidigers nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass auch andere Taten als die von ihm vertretenen Angeklagten alleine zur Last gelegten sich für seine Verteidigung als bedeutsam erweisen.

Darüber hinaus war dem Verteidiger, dem die Akte nur für 1 Woche, mithin 5 Arbeitstage, überlassen worden war, und der im Übrigen auch etwaige Haftungsrisiken im Blick behalten musste, eine nähere inhaltliche Durchsicht der Akte, die aus zahlreichen Bänden bestand und insgesamt 7 Umzugskartons füllte, nicht zuzumuten. Die Ersparnis stünde in keinem Verhältnis zum Aufwand, so dass ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (NK-GK/Stollenwerk„ 2. Aufl., VV RVG Nr. 7000, R 11). Soweit sich die Bezirksrevisorin des Landgerichts auf verschiedene anderslautende Gerichtsentscheidungen bezieht, verkennt sie, dass bei den diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten jeweils ein deutlich geringerer Aktenumfang als im hiesigen Verfahren bestand.

Soweit die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle davon pauschal 10 % in Abzug gebracht hat, war dies im vorliegenden Fall angemessen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung, dass jedenfalls Dokumente wie Aktendeckel, Empfangsbekenntnisse, Kassenanordnungen, Zwischenentscheidungen, Anklageschriften oder eigene Schriftsätze des Verteidigers für eine sachgerechte Verteidigung regelmäßig irrelevant sind und sich die Fertigung von Kopien insoweit nicht als erforderlich darstellt (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juli 1999, 4 Ws 163 99, Rn. 5, zitiert nach juris).“

Wenn die Justiz so „unsinnig“ Akteneinsicht gewährt – in sieben Umzugskartons binnen 1 Woche = 5 Arbeitstage, dann muss man auch die finanziellen Folgen ohne Murren tragen….

Burhoff im „Yellow-Press-Teil“ der NJW, oder: „Schreiber aus Leidenschaft – Anwalt als Telefonjoker“

So, es ist mal wieder Zeit für einen Beitrag außer der Reihe. Und der regelmäßige Blogleser/-besucher weiß: Wenn es bei Burhoff einen „Beitrag außer der Reihe“ gibt, dann gibt es Besonderes zu berichten. Und das stimmt auch heute. Es gibt Besonderes, und zwar aus dem „Quasi-Privat-Bereich“. Und zwar:

Vor ein paar Wochen hat mich Prof. Dr. Joachim Jahn, Mitglied der Schriftleitung der NJW aus Frankfurt, angemailt und gefragt, ob ich nicht Interesse an einem Interview für die NJW habe. Man wolle dort ein „Porträt“ über mich bringen. Seine „Chef“ habe ihn gefagt/ihm gesagt: „Was ist der Burhoff eigentlich: Anwalt, Richter oder (nur) Autor? Klären Sie das bitte und dann bringen wir ein Porträt von ihm.“ Ich räume ein, ich habe mich über die Anfrage gefreut. Einmal weil es die NJW war, die „Mutter aller Zeitschriften“ und dazu dann gedacht: So kommst du auf deine alten Tage eben noch in die NJW. Zwar nicht in den „hochwissenschaftlichen Teil“ – dafür reicht es nicht, aber der bringt ja nun auch wenig Straf(verfahrens)recht -, aber zumindest in den „Yellow-Press-Teil“ 🙂 . Und das ist vielleicht ja mal auch wirklich etwas Besonderes. Denn „hochwissenschaftlich“ kann jeder 🙂 .

Prof. Jahn und ich haben dann schnell einen Termin hier in meiner Heimatstadt Münster gefunden und wir haben uns an einem Morgen in meinem „geräumigen Wohnzimmer in einer schönen Ecke von Münster“ zusammen gesetzt, meine „resolute Gattin“ hat uns Kaffee gekocht – wahrscheinlich schreien jetzt alle weiblichen Leserinnen auf, aber so ist das nun mal, wenn man „seit 45 Jahren verheiratet“ ist – und er hat gefragt und ich habe geantwortet bzw. ein wenig von mir erzählt und meinen -beruflichen und privaten – Lebensweg erzählt. Dann haben wir noch einen (kleinen) Spaziergang durch die Altstadt gemacht, haben  ganz gut im „Caputos“ gegessen und Prof. Jahn ist wieder nach Frankfurt gefahren.

Dort hat er dann das, was ich ihm über mich erzählt habe, zusammengefasst und seit gestern steht es nun in „NJW-aktuell 30/2018“ in der Rubrik „Im Profil. Aufmerksam geworden bin ich auf das Porträt durch einen Tweet von Prof. Jahn gestern morgen. in dem es u.a. hieß: „Wer ist eigentlich dieser @burhoff, der in Juristenkreise bekannt ist wie ein bunter Hund und omnipräsent in Netz und Buch? Warum er einst nach einem Streit den Dienst am OLG quittierte, steht in meinem Porträt….„. Ein sehr schöner „Eyecatcher“, der natürlich sofort zu einer Mail von mir mit der Bitte um Überlassung eines PDF des Porträts geführt hat, was ich dann auch problemlos bekommen habe. Und ich habe auch die „Veröffentlichungserlaubnis“ auf meiner Homepage – trotz der sonst bei C.H.Beck bestehenden „Schamfrist“. Und „wegen der regen Nachfrage“ steht es inzwischen bei Beck auch (irgendwo) im „Gratis-Netz“ – das ich das noch erlebe :-).

Ich mache es mir und den Lesern meines Blogs aber dann einfach und stelle es hier ein – besten Dank an C.H.Beck. Überschrieben ist das Ganze mit „Schreiber aus Leidenschaft – Anwalts als Telefonjoker„“. Das passt, und ich kann nur sagen: Prof. Jahn hat das, was ich ihm erzählt habe, sehr schön auf den berühmten Punkt gebracht. Die Familie hat es heute abgenickt. Denn ich war „unterwegs“, allerdings nicht (mehr) auf Seminartour, sondern zum Familienbesuch. Denn der Satz aus dem Porträt: „Die einzige Frau, die es geschafft hat, Dich von der Arbeit abzuhalten, ist Deine Enkelin“.“ stimmt – mit dem Zusatz: „deine Enkelinnen“ 🙂 . Und wenn ich die besuche, gibt es – bis auf Hin- und Rückfahrt kein bzw. fast kein Internet. Und wer sich fragt: Warum dieser Beitrag erst heute kommt und nicht schon gestern on gegangen ist: Da ist die Antwort. Es war gestern ein „regelmäßiger“Oma- und Opa-Tag“ bei der Familie im Norden :-).

Zum Schluss: Besten Dank an Prof. Jahn für das m.E. schöne und treffende Porträt und C.H.Beck für den Abdruck und die VÖ-Erlaubnis. Ich werde mich allerdings noch mal melden wegen der Passage „Der frühere Anflug von „Streitlust“, sagen Weggefährten, habe sich längst abgeschliffen….“. Ich wüsste doch zu gern, wer die „Weggefährten“ sind/waren 🙂 …..

Vollmacht III: Was darf der Verteidiger ohne Vertretungsvollmacht?, oder: Eigene Anträge stellen darf er..

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Und als dritte Entscheidung, dann noch eine weitere Entscheidung vom KG 🙂 und ebenfalls zur Vertretung in der Hauaptverhandlung. Nun aber nicht zur Berunfungshauptverhandlung, sondern zur Vertretung in der Hauptverhandlung im Bußgeldverfahren, und zwar zur Frage der Befugnisse des Verteidigers ohne Vertretervollmacht bei erlaubter Abwesenheit des Betroffenen. Es handelt sich um den KG, Beschl. v. 02.03.2018 – 3 Ws (B) 71/18 .

Dazu „klarstellend“ das KG:

„Allerdings ist die Auffassung des Amtsgerichts unzutreffend, der Rechtsanwalt, der seine Vertretungsvollmacht nicht nach § 73 Abs. 3 OWiG schriftlich nachweisen könne, sei in der Hauptverhandlung zur Stellung von Anträgen nicht befugt. Zutreffend ist, dass er den Betroffenen in der Abwesenheitsverhandlung nicht vertreten kann, d.h. er kann für diesen keine Erklärungen abgeben und entgegennehmen. Der mit der Verteidigung beauftragte Rechtsanwalt hat aber sämtliche dem Verteidiger zustehenden Befugnisse (vgl. Senat, Beschluss vom 2. September 2015 – 3 Ws (B) 447/15 – [juris]; BayObLG VRS 61, 39; Senge in Karlsruher Kommentar, OWiG 4. Aufl., § 73 Rn. 42). Dazu gehört auch das Recht, in der Hauptverhandlung im eigenen Namen Anträge zu stellen.“

Ok, ok…. „Vollmacht“ passt nicht so ganz, aber der Zusammenhang passt 🙂 .

Vollmacht II: Erlöschen der Vertretungsvollmacht, oder: Verteidiger aufgepasst.

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich vorstelle, handelt es sich um den OLG Köln, Beschl. v. 12.06.2018 – 1 RVs 107/18. Der behandelt zwei Fragen, die von Bedeutung sind. Ich greife heute die „Vollmachtsfrage“ auf, auf die andere Frage komme ich dann noch einmal zurück. Auch insoweit geht es um die Frage der Verwerfung einer Berufung nahc § 329 Abs. 1 StPO. Der Verteidiger hatte dazu nahc Auffassung des OLG in seiner Verfahrensrüge nicht ausreichend vorgetragen. In der Begründung seiner Verwerfungsentscheidung weist das OLg auf einen Umstand hin, der leider häufig übersehen wird:

„b) Mit der Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger endet das Mandat und damit auch die (etwa) erteilte Vertretungsvollmacht. Das folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 168 BGB, wonach die Vollmacht mit dem ihr zugrunde liegenden Rechtsgeschäft erlischt (SenE v. 15.04.2016 – III-1 RVs 55/16 -; SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; OLG Hamm B. v. 14.06.2012 – III-1 RVs 41/12 und B. v. 03.04.2014 – III-5 RVs 11/14 [= ZfS 2014, 470] – bei Juris und jeweils unter Bezugnahme auf BGH NStZ 1991, 94; OLG München B. v. 14.07.2010 – 4 StRR 93/10 = BeckRS 2010 18330; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rz. 7; MüKo-StPO-Thomas/Kämpfer, § 141 Rz. 14 aE; HK-StPO-Julius, 5. Auflage 2012, § 141 Rz. 16). Bei fortbestehendem Willen des Angeklagten, sich von dem nunmehrigen Pflichtverteidiger vertreten zu lassen, ist die Erteilung einer neuen, den Anforderungen des § 329 StPO genügenden Vollmacht vonnöten (SenE a.a.O.). Aus diesem Grund setzt die formgerechte Ausführung der Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO  – neben einer Darstellung des genauen Inhalts der Vollmacht – Vortrag dazu voraus, ob und bejahendenfalls zu welchem Zeitpunkt der Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist (SenE v. 08.07.2016 – III-1 RVs 129/16; SenE v. 10.10.2017 – III-1 RVs 238/17). Nur so wird der Senat in die Lage versetzt zu prüfen, ob ein Fall wirksamer Vertretung in der Berufungshauptverhandlung vorliegt.

Entsprechenden Vortrag lässt die Revisionsbegründung vermissen. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass dem Verteidiger die in der Berufungshauptverhandlung vorgelegte (erste) Vollmacht am 20. Januar 2017 erteilt worden ist. Zu einer Bestellung als Pflichtverteidiger und deren Zeitpunkt verhält sie sich nicht. Soweit man der mit der Revisionsbegründung (dort S. 3) mitgeteilten Terminsladung, ausweislich derer „L, U (Pflicht-Vert. zu Besch 1)“ zum Termin vom 13. September 2017 geladen wurde, eine entsprechende Stellung des Verteidigers entnehmen wollte, ist die Terminsladung am 8. Mai 2017 und mithin nach Erteilung der Vollmacht verfügt und schließt damit eine nach Vollmachterteilung erfolgte Bestellung zum Pflichtverteidiger gerade nicht aus. Es kann daher  – ungeachtet insoweit bestehender weiterer Bedenken (dazu vgl. die Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 329 StPO BT-Drs. 18/3562 S. 68; OLG Hamburg B. v. 25.07.2017 – 1 Rev 37/17 = BeckRS 2017 110201, freilich – in Abgrenzung zu der Entscheidung BayObLG NStZ 2002, 277 – zu einer mündlichen Ermächtigung) – auch nicht beurteilt werden, ob der Verteidiger zur Ausstellung einer (weiteren) Vollmacht, wie sie im Termin zur Berufungshauptverhandlung von diesem namens des Angeklagten gefertigt worden ist, ermächtigt war.“

Und:

„Ob die Vollmacht vom 20. Januar 2017, ausweislich derer der Verteidiger befugt war „in allen Instanzen zu verteidigen bzw. zu vertreten, und zwar auch bei meiner (scil.: des Angeklagten) Abwesenheit“ den Anforderungen an eine gerade für die Berufungshauptverhandlung erteilten Vertretungsvollmacht erfüllt (zu dieser Frage zuletzt KG B. v. 01.03.2018 – (5) 121 Ss 15/18 (11/18) = BeckRS 2018 5556; OLG Oldenburg B.. v. 20.12.2016 – 1 Ss 178/16 = BeckRS 2016 124738; OLG Hamm B. v. 24.11.2016 – 5 RVs 82/16 = BeckRS 2016 111318; OLG Hamm, B v. 06.11.2016 – 4 RVs 96/16, StRR 2016, Nr. 11, 2), bedarf danach keiner Entscheidung.“