Archiv für den Monat: Juni 2018

Entziehung der Fahrerlaubnis?, oder: Unfallflucht mit einem Carsharing-Pkw

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Und die letzte Entscheidung im „Verkehrsrechtstrio“ kommt dann heute auch aus Berlin. Es handelt sich um den AG Tiergarten, Beschl. v. 21.03.2018 – (297 Gs) 3012 Js 1679/18 (47/18) , ergangen in einem Verfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB). Es geht um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und in dem Zusammenhang um den Begriff des „bedeutenden Schadens“ i.S. v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Schaden war nämlich nur an dem vom Beschuldigten selbst geführten Pkw entstanden. Den hatte der Beschuldigte im Rahmen von Carsharin gemietet. Das AG sagt/meint: Das reicht aus:

„Dem steht nicht entgegen, dass nach den bisherigen Erkenntnissen ein Schaden nur an dem von dem Beschuldigten selbst geführten PKW entstanden ist. Denn der Beschuldigte ist nicht Eigentümer, sondern Mieter des geführten Fahrzeugs und unterliegt daher gegenüber dem Vermieter der sich aus § 142 StGB ergebenden Feststellungspflicht (OLG Celle NdsRpfl 1977, 250; LG Darmstadt MDR 1988, 1072 – jeweils nach juris -). Teilweise wird in der Literatur die Auffassung vertreten, in Fällen des berechtigten Führens eines im fremden Eigentum stehenden Fahrzeugs reiche ein Schaden an diesem Fahrzeug für eine Strafbarkeit nach § 142 StGB und eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht aus (Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 69 Rdnr. 27) und dies solle auch bei einem gemieteten Fahrzeug gelten (Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht (MüKoStVR)/Schwerdtfeger, StGB, § 142 Rdnr. 28; Geppert in: Laufhütte u.a. StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2009, § 142 Rdnr. 72). Dieser Auffassung mag in Fällen der klassischen Autovermietung zuzustimmen sein, in denen der Vermieter das Fahrzeug mangelfrei an den Mieter übergibt und bei jeder Rückgabe kontrolliert, ob das Fahrzeug mangelfrei zurückgegeben wird. Die Fälle des „Carsharing“ unterscheiden sich davon jedoch in dem entscheidendem Punkt, dass hier gerade keine Kontrolle des Zustandes des Fahrzeugs bei dessen Rückgabe stattfindet, denn das Fahrzeug wird nach Ende der Nutzung durch den Mieter irgendwo stehen gelassen und dort irgendwann von einem späteren Mieter übernommen, ohne dass irgendwelche Zustandskontrollen durch den Vermieter stattfinden. In derartigen Fällen ist die Zuordnung eines (irgendwann) festgestellten Schadens zu einem bestimmten Mieter dem Vermieter nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten möglich. Aus diesem Grund erstreckt sich der Schutzbereich des § 142 StGB jedenfalls in Fällen des „Carsharing“ auch auf den Vermieter des Fahrzeugs. Da der Schaden im vorliegenden Fall nach den bisherigen Erkenntnissen 8.177,95 Euro netto beträgt und bereits von den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten auf ca. 5.000,00 Euro geschätzt wurde, bestehen dringende Gründe für die Annahme der späteren Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB).“

Trunkenheitsfahrt, oder: Waren die „Schlangenlinien“ alkoholbedingt?

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um das AG Tiergarten, Urt. v. 30.04.2018 – 312 Cs 3014 Js 13969/17 (13/18). Angeklagt war der Angeklagte wegen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB). Verurteilt worden ist er wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG. Das AG hat zwar eine BAK von 1,0 Promille zur Tatzeit festgestellt, das hat aber nicht gereicht. Denn: Das AG konnte keine alkoholbedingten Fahrfehler feststellen. Es hatte zwar Folgendes feststellen können:

„Der Angeklagte war während der Fahrt auf der mehrspurigen Straße Alt-Mahlsdorf mindestens zweimal um mindestens 1 m nach rechts in die rechts neben ihm befindliche, etwa 3,5 Meter breite Fahrspur gefahren und hatte sodann zügig, aber ohne Verreißen des Steuers, zurück in seine Spur gelenkt. Auch in dieser Spur bewegte er sich teilweise geringfügig nach rechts oder links, ohne jedoch die Spurbegrenzungslinien zu überfahren. Darüber hinaus bremste der Angeklagte sein Fahrzeug an der Kreuzung zur Hultschiner Straße bei eingetretenem Rotlicht der Lichtzeichenanlage relativ spät ab, ohne jedoch die Haltelinie zu überfahren. Nach Anhalten des Angeklagten durch die Zeugen M. und M. konnten diese lediglich aus dem Fahrzeug heraus Alkoholgeruch (ohne Zuordnung zu einer konkreten Person) und bei dem Angeklagten gerötete Bindehäute feststellen. Weitere alkoholtypische Ausfallerscheinungen zeigte der Angeklagte hingegen nicht.“

Das hat dem AG nach einer umfangreicheren Beweiswürdigung nicht gereicht:

„Insoweit hat die Zeugin M. zwar angegeben, von alkoholbedingten Fahrfehlern während der Nachfahrt ausgegangen zu sein und klassisches Schlangenlinienfahren wahrgenommen zu haben. Diese Einschätzung ist jedoch nach den berichteten Fahrfehlern nicht tragfähig. Ein zwei- bis dreimaliges Überfahren der Spurbegrenzungslinie auf einer Strecke von mehreren Kilometern sowie ein problemloses und zügiges Zurücklenken in die eigene Fahrspur stellen eben kein klassisches Schlangenlinienfahren dar. Dazu wäre ein deutlich häufigeres Überfahren der Spurbegrenzungslinien sowie ein entweder sehr langsames oder ein ruckartiges Zurücklenken zu erwarten gewesen. Auch das nach der subjektiven Einschätzung des Zeugen M. gegebene, einmalige späte Bremsen bzw. vermeintlich zügige anfahren des Angeklagten belegen keine alkoholbedingten Fahrfehler. Dabei ist schon zu berücksichtigen, dass die entsprechenden Einordnungen eine Wertung darstellen und von dem Zeugen M. nicht konkretisiert werden konnten. Dabei hat er zu den Abständen zu Haltelinie bei Eintritt der Bremsung bzw. des Beschleunigungszeitraums bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/h nichts ausführen können.

Darüber hinaus wäre auch ein spätes Bremsen durch die Müdigkeit des Angeklagten bzw. dessen Abgelenktheit erklärbar. Ob ein (vermeintlich) zügiges Anfahren der allgemeinen Fahrgewohnheit des Angeklagten entspricht, ist ebenso unbekannt.“

Schöner Erfolg für den Kollegen Kroll aus Berlin, der das Urteil erstritten hat. Und für seinen Mandanten sicherlich/hoffentlich ein Warnschuß.

Rücksichtsloses Überholen, oder: Wenn der Überholte schneller ist…

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Heute mache ich dann mal wieder einen „Verkehrsrechtstag“. Und den eröffnet der OLG Koblenz, Beschl. v. 19.12.2017 – 2 OLG 6 Ss 138/17 -, der eine Verurteilung wegen Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) zum Gegenstand hat. Es geht um rücksichtsloses Überholen, und zwar wie folgt: Der Angeklagte fährt zunächst mit seinem Pkw, einm Skoda Fabia RS, dessen Dieselmotor eine Leistung von 96 kW bzw. 130 PS, schön brav hinter einem BMW 328, der über eine Leistung von 142 kW bzw. 193 PS verfügt auf einer Landstraße im bereich eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h. Und dann:

Unmittelbar nach Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h setzte der Angeklagte, der sich alleine in seinem Fahrzeug befand, zum Überholen des vor ihm fahrenden Fahrzeugs des Zeugen …[A] an. Hierbei war dem Angeklagten nicht nur bewusst, dass er die vom (Anm. des Senats: gemeint ist „von ihm“) benötigte Überholstrecke von 300 – 330 m nicht annähernd einsehen konnte, da die Sicht maximal 250 m betrug, sondern auch, dass das Fahrzeug des Zeugen …[A] über eine erhebliche Beschleunigung verfügen musste. In seiner höchst eigensinnigen Art, die grundsätzlich dadurch gekennzeichnet wird, dass der Angeklagte meint, sich über Interessen anderer Verkehrsteilnehmer hinwegsetzen zu dürfen, aber auch um des schnelleren Fortkommens willens (Anm. des Senats: richtig: willen), überholte der Angeklagte das Fahrzeug des Zeugen …[A]. Dies stellte sich allerdings als schwierig dar, da auch der Zeuge …[A] zum Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung sein Fahrzeug voll beschleunigte. Obwohl der Angeklagte dies zwanglos erkannte, setzte er seinen Überholvorgang munter unter Außerachtlassung jedweder Sorgfalts- und Rücksichtspflichten fort und versuchte weiterhin das Fahrzeug des Zeugen …[A] „auf Teufel komm raus“ zu überholen, wobei der Angeklagte Bedenken gegen seine Fahrweise nicht aufkommen ließ. Nach ca. 200 m erkannte der Angeklagte, dass ihm Gegenverkehr entgegenkam und er daher den Überholvorgang nicht fortsetzen konnte, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. All dies interessierte den Angeklagten jedoch nicht. Er beabsichtigte weiterhin, sein vermeintliches Überholrecht durchzusetzen und dem Zeugen …[A] in selbstsüchtiger und bedenkenloser Manier mit aller Gewalt zu zeigen, wie er, der Angeklagte, den Überholvorgang eiskalt und berechnend ohne Rücksicht auf Verluste fortsetzt und schneller als der Zeuge vorankommt. Der Angeklagte zog daher mit seinem Fahrzeug in Kenntnis der absoluten Gefährlichkeit seines Tuns nach rechts auf die Fahrspur des Zeugen herüber. Hierbei war dem Angeklagten nicht nur bewusst, dass (Anm. des Senats: zu ergänzen ist „er“) das Fahrzeug des Zeugen schneiden musste, um nach rechts ziehen zu können, sondern auch dass der Zeuge durch das Lenkmanöver gezwungen sein würde, sein Fahrzeug nach rechts zu ziehen und abzubremsen. Der Angeklagte zog wie von ihm beabsichtigt in der vorbeschriebenen Art brutal und bedenkenlos nach rechts, so dass der Zeuge …[A] durch des Lenkmanövers (Anm. des Senats: gemeint ist „das Lenkmanöver“) des Angeklagten gezwungen wurde, sein Fahrzeug weiter nach rechts zu lenken und darüber hinaus, um dem Angeklagten ein Einscheren zu ermöglichen, sein Fahrzeug unverzüglich sehr stark auf ca. 30 km/h abzubremsen. Dies tat der Zeuge auch. Wäre der Zeuge …[A] unvermindert weitergefahren, wäre es zwangsläufig zu einem Zusammenstoß nicht nur mit dem entgegenkommenden Fahrzeug, sondern auch mit dem Fahrzeug des Zeugen …[A] gekommen, wobei neben erheblichen Sachschäden auch Personenschäden (Zeuge …[A] und seine damalige Ehefrau als Beifahrerin) zu erwarten gewesen wären.“

AG und LG haben den Angeklagten wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung „infolge grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen falschen Überholens mit fahrlässiger Herbeiführung der Gefahr“ verurteilt und ihm für die Dauer eines Monats untersagt, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen (§§ 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 2, 44 StGB).

Das OLG hebt auf die Revision des Angeklagten hin auf un verweist zurück. Die Leitsätze der recht umfangreichen  Entscheidung betreffend § 315c StGB:

1. Eine konkrete Gefährdung des Straßenverkehrs ist anzunehmen, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund objektiv nachträglicher Prognose die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache von bedeutendem Wert durch das Verhalten des Täters so stark beeinträchtigt ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob die Rechtsgutverletzung eintritt oder nicht.
2. Wegen ungenügender Aussagekraft reichen zur Feststellung wertende Begriffe wie z.B. „Notbremsung“, „Vollbremsung“ oder „scharfes Abbremsen“ nicht aus.
3. Nach der Rechtsprechung handelt rücksichtslos im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen darüber hinwegsetzt, oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt, Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise darauf losfährt.
4. In subjektiver Hinsicht darf die Rücksichtslosigkeit des Täters nicht allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen werden. Bedeutung gewinnen können der Grad der objektiven Verkehrswidrigkeit, vorangehendes oder nachfolgendes Verhalten des Täters und der Ausschluss entlastender subjektiver Faktoren, wie ein mögliches Augenblicksversagen, Schreck, Eile aus nachvollziehbaren Gründen.

M.E. nichts Neues, ruft aber noch einmal ins Gedächtnis, worauf man achten muss…..

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Kann ich eine zusätzliche VG wie nach RB-Aufhebung abrechnen?

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Am Freitag hatte ich die Frage: Ich habe da mal eine Frage: Kann ich eine zusätzliche VG wie nach RB-Aufhebung abrechnen?, vorgestellt.

Der Kollege hatte meine Rückfrage: “Was heißt: ” das LG hat durch Beschluß Verfahren fortgesetzt”? Also Einstellungsentscheidung aufgehoben?” ja bestätigt, was dann zu folgender Antwort auf seine Frage geführt hat:

„Hallo,

sorry, aber das gibt keine zusätzlichen Gebühren.

Es bleibt dieselbe Angelegenheit. Bei Rechtsbeschwerde/Revision/Berufung ist es etwas anderes. Da war die Sache in einem anderen Rechtszug. Sie können dazu im RVG-Kommentar bei Teil A Rdn 2274 ff. lesen.“

Verstoß gegen nemo-tenetur, oder: Wenn der Polizeibeamte die Schuhsohlen sehen will

entnommen wikimedia.org
Urheber Anmab82

Und als Mittagsentscheidung dann ein kleines Schmankerl vom BGH, nämlich den BGH, Beschl. v. 11.04.2018 – 5 StR 609/17. Gerügt worden war in der Revision gegen ein Urteil (wohl) wegen Wohnungseinbruchdiebstahls mit der Verfahrensrüge ein Verst0ß gegen § 163a StPO, also ein Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit (nemo-tenetur-Grundsatz). Dazu vom BGH nur:

„Zur Verfahrensrüge einer Verletzung des § 163a Abs. 4 StPO bemerkt der Senat:

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Selbstbelastungsfreiheit überhaupt berührt ist. Jedenfalls besteht kein Beweisverwertungsverbot, da das Anheben der Füße zum Anfertigen von Lichtbildern der Schuhsohlen eine Mitwirkungshandlung von allenfalls geringer Intensität ist und die Erlangung des Beweismittels auch auf strafprozessual unangreifbare Weise möglich war.“

Na ja. Da fragt man sich natürlich, was ist bei größerer Intensität und wer legt den Grad der Intensität fest? Und wenn „die Erlangung des Beweismittels auch auf strafprozessual unangreifbare Weise möglich war„, warum schlägt man dann den Weg nicht ein?