Archiv für den Monat: Juni 2018

Vorfinanzierung von 9.500 EUR Schaden bei 800 EUR Rente?, oder: Schadensminderungspflicht des Unfallgeschädigten)

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Aktueller ist dann OLG Celle, Urt. v. 15.05.2018 – 14 U 179/17. Es behandelt eine Frage in Zusammenhang mit der den Geschädigten nach einem Verkehrsunfall treffenden Schadensminderungspflicht, nämlich die Frage, wann der Unfallgeschädigte die Reparatur seines Fahrzeugs vorzufinanzieren muss, um hinsichtlich der Dauer der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs seiner Schadenminderungspflicht zu genügen. Im vom OLG Celle entschiedenen Fall hatte der geschädigte Kläger zeitnah nach dem Verkehrsunfall der beklagten Haftpflichtversicherung mitgeteilt, dass er die Reparaturkosten nicht vorfinanzieren könne. Er nimmt dann einen Mietwagen und macht gegen die Beklagte Mietwagenkosten in Höhe von 3.564,22 € gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 ff. BGB geltend.

Dass die Versicherung die nicht freiwillig zahlt, liegt auf der Hand. Das OLG Celle sagt aber: Sie muss. Die Begründung macht es sich dann aber einfach und verweist dazu (nur) auf das OLG Naumburg, Urt. v. 15.06.2017 – 9 U 3/17. Und ich mache es mir daher auch einfach und verweise auf den Volltext der Entscheidung, der sich dahin zusammen fassen lässt:

  • Da der Kläger nur ein Renteneinkommen von 800 € monatlich hatte, wäre der Erhalt eines Darlehens in Höhe der Reparaturkosten von rund 9.500 € unwahrscheinlich, eine Darlehensaufnahme ihm aber jedenfalls nicht zumutbar gewesen.
  • Der Kläger war auch nicht gehalten, seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen.

Rettungswagen gegen Linksabbieger, oder: Wer haftet wie?

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Author Soenke Rahn

Mit den Hinweisen auf interessante verkehrszivilrechtliche Entscheidungen hinke ich ja immer ein wenig hinterher. Aber da ich die nur an Samstagen im „Kessel Buntes“ bringe, ist dafürt nicht so vile Raum und es kommt zu „Verzögerungen“. So auch beim OLG München, Urt. v. 12.01.2018 – 10 U 2135/17, der mal wieder eine „Sonderrechtsproblematik“ zum Gegenstand hat, und zwar Überholen bei unklarer Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Dazu die Leitsätze aus der Entscheidung:

1. Für die im Rahmen von § 35 Abs. 5a StVO erforderliche Beurteilung, ob höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, kommt es nicht auf eine Betrachtung ex post, sondern darauf an, ob sich der Einsatzfahrer nach der ihm bekannten Lage für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte in Anspruch zu nehmen (Anschluss OLG Düsseldorf Beschluss vom 06.01.2010, Az.: IV – 3 RBs 95/09). Die Darlegungs- und Beweislast trägt insoweit derjenige, der sich auf die Sonderrechte beruft.

2. Der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn darf an einer ampelgeregelten Kreuzung darauf vertrauen, dass die anderen Verkehrsteilnehmer, für die Grünlicht gilt, dem bei Rotlicht die Kreuzung überquerenden Einsatzfahrzeug freie Bahn gewähren, wenn sie ihr Tempo hinreichend reduzieren (vgl. BGH Urt. v. 17.12.1974 – VI ZR 207/73).
3. Demgegenüber darf der Fahrer eines Einsatzfahrzeugs trotz aktiviertem Blaulicht und Martinshorn nicht darauf vertrauen, dass ein Linksabbieger, der vor dem Abbiegen sein Tempo reduziert oder anhält, insbesondere wenn der linke Fahrtrichtungsanzeiger nicht abgestellt wird, das von hinten kommende Einsatzfahrzeug noch vor dem Abbiegen überholen lässt (entgegen LG Saarbrücken LG Saarbrücken Urt. v. 1.7.2011 – 13 S 61/11). Überholt der Fahrer des Einsatzfahrzeugs den Linksabbieger dennoch, kann darin ein Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO liegen.
4. Kollidiert ein Einsatzfahrzeug mit aktiviertem Blaulicht und Martinshorn mit einem von ihm unter Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO überholten, seinerseits gegen § 9 Abs. 1 S. 4, § 38 Abs. 1 S. 2 StVO verstoßenden Linksabbieger, so kommt eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zulasten des Linksabbiegers in Betracht.“
Die Leitsätze stammen von der Seite „Bayern-Recht“. Ich habe die Beck-RS-Fundstellen aufgelöst. M.E. eine Unsitte der entsprechenden Seiten mit Bezahlfundstellen zu arbeiten. Was macht der, der dorthin keinen Zugang hat. Er darf suchen….

Ich habe da mal eine Frage: Gerichtskostenrechnung nach Einspruchsrücknahme, richtig?

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Schon etwas älter ist der Hinweis/die Frage eines Kollegen, den/die ich heute hier im Rätsel vorstellen möchte.

Ausgangslage ist folgende: Der Kollege verteidigt den Mandanten in einem Bußgeldverfahren. Es wird gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt. Das AG beraumt Hauptverhandlung an. Der Einspruch wird zurückgenommen. Nun erhält der Mandant wegen der Rücknahme des Einspruchs eine Gerichtskostenrechnung.

Richtig oder falsch?

Zusätzliche Gebühr für Revisionsrücknahme, oder: Wenigstens begründet muss die Revision sein

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Als zweite gebührenrechtliche Entscheidung folgt heute der LG Limburg, Beschl. v. 23.03.2018 – 1 Ks-2 Js 52458/16. Er stammt aus dem Reservoir der zahlreichen Entscheidungen zur Nr. 4141 Vv RVG, und zwar zu der Problematik: Entstehen der zusätzlichen Gebühr durch Rücknahme der Revision. Eine in Rechtsprechung und Literatur heftig umstrittene Frage, in der die h.M. dazu m.E. falsch ist.

Auf den Streit kam es hier aber nicht an. Denn der Verteidiger hatte gegen das Urteil der Kammer des LG Revision eingelegt, das Rechtsmittel  aber noch vor dessen Begründung zurückgenommen. Die Gebühr gemäß Nr. 4141 VV RVG ist nicht festgesetzt worden. Das LG sagt: Zu Recht:

„Das Entstehen der Gebühr gemäß VV Nr. 4141 RVG hat als übergreifende Voraussetzung für alle Tatbestandvarianten nach Abs. 1 Nr. 1-4, dass die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich wird. Die Gebühr entsteht danach nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre (vgl. OLG München, NStZ-RR 2013, 64; Kroiß, in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., Nrn. 4141-4147 VV Rn. 11; BeckOK RVG/Kotz, 38. Ed. 15.7.2015, RVG Rn. 40 ff.). So liegt der Fall hier aber schon deshalb nicht, weil die Revision noch nicht gemäß § 344 StPO begründet worden ist. Zum Zeitpunkt der Rücknahme lag demnach noch kein Rechtsmittel vor, das alle Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt. Bei einer unzulässigen Revision ist jedoch mit einer Entscheidung ohne Revisionshauptverhandlung gemäß §§ 346 Abs. 1, 349 Abs. 1 StPO zu rechnen (vgl. OLG München, NStZ-RR 2013, 64; BeckOK RVG/Kotz, 38. Ed. 15.7.2015, RVG Rn. 37 f.).“

Also: Man muss als Verteidiger die Revision zumindest begründet haben, wenn man überhaupt Aussicht auf die Gebühr Nr. 4141 Anm. 1 Satz 1 Ziff. 3 VV RVG haben will.

„Kostenloser Opferanwalt“?, oder: Kein Automatismus bei der Bestellung

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Am gebührenrechtlichen Freitag heute zunächst der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 07.06.2018 – 3 StR 149/18. Ja, BGH, allerdings nicht unmittelbar zu Gebühren, aber mittelbar. Es geht nämlich um den sog. kostenlosen Opferanwalt/Verletztenbeistand, also um eine Beiordnung nach § 397a Abs. 1 StPO in einem beim BGH anhängigen Revisionsverfahren. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ein Urteil des OLG Stuttgart, mit welchem der Angeklagte wegen Beihilfe zu einem mit erpresserischem Menschenraub, versuchter schwerer räuberischer Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen und schwerer Freiheitsberaubung tateinheitlich zusammentreffenden Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist. Gegen dieses Urteil wendet sich der GBA, der mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten als Täter der schweren Freiheitsberaubung und damit auch des Kriegsverbrechens erstrebt.

Der BGH hat die beantragte Bestellung eines kostenlosen Opferanwalts abgelehnt,

„weil die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 Nr. 3 und 5 StPO nicht gegeben sind.

1. Die vom Nebenkläger vorgetragenen Beeinträchtigungen, insbesondere die posttraumatische Belastungsstörung, stellen keine schweren seelischen Schäden im Sinne des § 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO dar.

Zur Gewährung eines kostenlosen Opferanwalts nach § 397a Abs. 1 Nr. 3 StPO ist es – über die in § 395 Abs. 3 StPO genannten „schweren Folgen der Tat“ hinausgehend – erforderlich, dass schwere körperliche oder seelische Schäden eingetreten oder zu erwarten sind (vgl. LR/Wenske, StPO, 26. Aufl., § 397a Rn. 4). Dabei orientiert sich die Regelung vor allem am Schweregrad der in den §§ 226 und 239 Abs. 3 Nr. 2 StGB genannten Folgen der Tat, d. h. es muss in körperlicher Hinsicht eine schwere bzw. erhebliche und dauerhafte Gesundheitsschädigung eingetreten oder zu erwarten sein, in psychischer Hinsicht eine erhebliche Schädigung von ebensolchem Gewicht (vgl. BT-Drucks. 16/12098, S. 33).

Dies ist beim Nebenkläger nicht der Fall. Bei dieser wertenden Betrachtung ist auch zu berücksichtigen, dass der Nebenkläger als „Dritter“ im Sinne des § 239a Abs. 1 StGB zwar Verletzter im Sinne des § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist (KK-Senge, StPO, 7. Aufl., § 395 Rn. 3). Er ist aber nicht unmittelbares Opfer der aggressiven Komponente der Tat. Diese richtete sich vielmehr gegen das Entführungsopfer. Aus den vom Gesetzgeber als Leitbild in Bezug genommenen §§ 226 und 239 Abs. 3 Nr. 2 StGB (s. hierzu: BT-Drucks. 16/12098, S. 9 und 33) ergibt sich indes, dass das Gesetz primär Opfer im Blick hat, die sich – im Zwei-Personen-Verhältnis – gegen sie gerichteten Aggressionsdelikten ausgesetzt sahen. Die posttraumatische Belastungsstörung des Nebenklägers stellt sich allerdings als lediglich mittelbare Folge eines gegen eine andere Person gerichteten Aggressionsdelikts dar.

Unmittelbar aus dem Gesetz ergibt sich des Weiteren, dass nicht jede „geistige Krankheit“ im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch einen „schweren seelischen Schaden“ im Sinne des § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO darstellt, denn sonst hätte der Gesetzgeber auf die Aufnahme dieser zusätzlichen Voraussetzung verzichtet. Dafür, dass die vom Nebenkläger behauptete posttraumatische Belastungsstörung eine solche – über den Schweregrad von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB und § 395 Abs. 3 StPO hinausgehende – Dimension erreicht hätte, reichen die vom Nebenkläger dargelegten Symptome und Beeinträchtigungen, wie etwa Schlafstörungen, Albträume, Motivationsschwierigkeiten etc. nicht aus.

Schließlich ist vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Nebenkläger aufgrund seiner Teilnahme am Vietnam-Krieg bereits vor der gegenständlichen Tat – seit 40 Jahren – an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, fraglich, ob die durch die Tat gegebenenfalls eingetretene Verschlechterung seines Zustands als „schwerer seelischer Schaden“ quantifiziert werden kann.

2. Auch eine Unfähigkeit zur ausreichenden Wahrnehmung der eigenen Interessen, wie sie § 397 Abs. 1 Nr. 5 StPO verlangt (s. dazu Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., § 397a Rn. 3 und 9) liegt nicht vor.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass es der Zweck der Nebenklage ist, dem Nebenkläger Gelegenheit zu geben, im Verfahren seine persönlichen Interessen auf Genugtuung zu verfolgen, insbesondere durch aktive Beteiligung das Verfahrensergebnis zu beeinflussen und sich gegen die Leugnung oder Verharmlosung seiner Verletzungen zu wehren (Meyer-Goßner aaO, Vor § 295 Rn. 1). Der Nebenkläger trägt hierzu im Wesentlichen vor, dass es ihm seine fehlenden Sprachkenntnisse aufgrund der Besonderheiten einer Revisionshauptverhandlung unmöglich machten, seine Interessen ausreichend wahrzunehmen. In der Revisionsverhandlung gehe es nur um Rechtsfragen, die er selbst nicht ausreichend interessensgerecht wahrnehmen könne.

Diese Argumentation verfängt nicht. Wie sich auch aus § 397 Abs. 3 StPO ergibt, begründet die Tatsache, dass der Nebenkläger der deutschen Sprache nicht mächtig ist, grundsätzlich keine Unfähigkeit zur Interessenswahrnehmung. Warum dies in der Revisionshauptverhandlung anders sein soll, erschließt sich nicht, zumal es sich hier um eine Revision des Generalbundesanwalts handelt, der mit seiner allgemeinen Sachrüge eine Verurteilung des Angeklagten als Täter der (schweren) Freiheitsberaubung erstrebt. Die Freiheitsberaubung berechtigt den Nebenkläger allerdings nicht zur Nebenklage; deren alleiniges Opfer ist der Geschädigte C. . Eine Wahrnehmung der Interessen des Nebenklägers in der (weiteren) Verhandlung ist daher nicht mehr erforderlich, weswegen die Bestellung eines Beistands auch aus teleologischen Gründen nicht in Betracht kommt (vgl. LR/Wenske aaO, § 397a Rn. 19).“

Also: Automatismus bei der Bestellung gibt es nicht.