Archiv für den Monat: März 2018

Pflichti II: Im Strafbefehlsverfahren braucht man keinen Pflichtverteidiger, meint das AG, oder: So nicht….

© fotomek – Fotolia.comDie zweite „Pflichtverteidigerentscheidung“ stammt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der „nachträglichen Beiordnung. das AG Bad Saulgau hatte in einem Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, in dem der Rechtsanwalt rechtzeitig vor Verfahrensende einen Beiordnungsantrag – gestützt auf § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gestellt hatte, die Beiordnungschließlich abgelehnt. Begründung: Es war ja nur ein Strafbefehlsverfahren. Dem erteilt der LG Ravensburg, Beschl.  v. 13.02.2018 – 2 Qs 14/18 – eine Abfuhr und ordnet nachträglich bei:

„Die Beschwerdekammer schließt sich der herrschenden Rechtsprechung der Landgerichte an, wonach eine nachträglich Beiordnung jedenfalls dann zu erfolgen hat, wenn der Beiordnungsantrag – wie vorliegend – bereits vor Verfahrensbeendigung gestellt worden ist und die Voraussetzungen für eine Beiordnung zu diesem Zeitpunkt vorlagen, eine Entscheidung über die Beiordnung jedoch auf Grund gerichtsinterner Vorgänge unterblieben ist (zum Stand der Rechtsprechung: Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, StPO, § 141 Rn. 11, Fußnote 46). Stellt ein Rechtsanwalt namens eines Angeklagten einen Antrag auf Bestellung zum Pflichtverteidiger, so entsteht daraus ein Anspruch auf zeitnahe Bescheidung. Unterlässt der Vorsitzende eine und entscheidet dann dennoch den Rechtszug abschließend in der Hauptsache, so lässt sich dies mit dem Fairnessgebot nach Art. 6 EMRK nicht in Einklang bringen (OLG Stuttgart, Verfügung vom 28. Juni 2010 — 4 Ss 313/10 —, zitiert nach juris).

Hier waren die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt des Antrags gem.  § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gegeben. Die Auffassung des Ausgangsgerichts, wonach eine zeitnahe Entscheidung hierüber nicht veranlasst gewesen sei, weil es sich um ein Strafbefehls und nicht um ein Anklageverfahren gehandelt habe, vermag nicht zu überzeugen. Die Möglichkeit einer Einspruchsrücknahme oder einer „anderen Verfahrenslösung“, die eine Hauptverhandlung noch entbehrlich machen würde, lässt den unverteidigten Angeklagten im Falle der notwendigen Verteidigung sogar noch schutzwürdiger erscheinen, da er nur bei entsprechender anwaltlicher Beratung sachgerecht über derartige vereinfachte Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung entscheiden kann. Dementsprechend wird in der Rechtsprechung hinsichtlich der Gebotenheit einer nachträglichen Beiordnung nicht zwischen Anklage- und Strafbefehlsverfahren unterschieden (LG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Januar 2009 — 11 Qs 2/09 —, Rn. 5; LG Frankenthal, Beschluss  vom 19. Januar 2007 – III Qs 20/07 -, Rn. 4; LG Erfurt, Beschluss vom 27. Februar 2006 – 6 Qs 29/06 —, Rn. 13, jeweils zitiert nach juris).“

Auf die Argumentation des AG muss man ja erst mal kommen……

Pflichti I: Vollstreckung in Frankreich steht im Raum, dann gibt es einen Pflichtverteidiger

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Urheber: SKopp

So, heute dann mal wieder ein paar Entscheidungen zur Pflichtverteidigerbestellung. Zunächst zum Auftakt den LG Beschluss, Beschl. v. 02.02.2018 – 8 KLs 46 Js 244/15 – 24/17 – ergangen im Vollstreckungsverfahren. Kurz und zackig sagt das LG:

„…. als Pflichtverteidiger beigeordnet, soweit es die laufenden Verfahren auf Gewährung von Strafaufschub und auf Übertragung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil der Kammer vom 10.07.2017 auf die Französische Republik betrifft.

Gründe:

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist erforderlich, weil nicht gewährleistet ist, dass die Verurteilte, die mit den gesetzlichen Regelungen über einen Strafaufschub sowie über die Vollstreckung eines deutschen Strafurteils im Ausland kaum vertraut sein wird, ihre Rechte trotz Schwangerschaftskomplikationen und sprachlicher Defizite auch ohne anwaltliche Hilfe sachgemäß wahrnehmen kann. Bei dieser Sachlage ist eine Pflichtverteidigerbestellung im Vollstreckungsverfahren zulässig und geboten, § 140 Abs. 2 StPO analog (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 140 Rn. 33). Jedoch war die Beiordnung auf den gegenwärtigen Vollstreckungsabschnitt zu beschränken (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 Rn. 33a).“

 

ihre Rechte trotz Schwangerschaftskomplikationen und sprachlicher Defizite auch ohne anwaltliche Hilfe sachgemäß wahrnehmen kann..“ ist wohl anders gemeint 🙂 .

Selbstleseverfahren, oder: Wie geht man damit um – zwei Anfänger?

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Frankfurt, Beschl. v. 20.12.2017 – 1 Ss 174/17. Der ist in doppelter Hinsicht von Interesse, ich stelle heute zunächst mal die verfahrensrechtliche Problematik vor, und zwar geht es um die Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen die Vorschriften über das Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) geltend gemacht wird.

Insoweit hatte die Sprungrevision keinen Erfolg:

„1. Soweit eine Verletzung von § 249 Abs. 2 StPO gerügt wird, ist dies unzulässig, da keine vorherige Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erfolgte.

Für eine Beanstandung der Anordnung des Selbstleseverfahrens ist ein vorheriger Widerspruch nach § 249 Abs. 2 S. 2 StPO erforderlich. Soweit die Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens betroffen ist, hat grundsätzlich eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO zu erfolgen (BGH NStZ 2011, 300 f.; Meyer Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 249 Rn. 32). Zur Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens gehört auch die faktische Nichtdurchführung des Verfahrens nach vorheriger Anordnung. Das Gericht muss den Prozessbeteiligten Gelegenheit zur Selbstlesung geben (Meyer Goßner/Schmitt aaO., § 249 Rn. 23). Damit wird diese Gelegenheit Teil des durchzuführenden Verfahrens. Wird eine solche Gelegenheit nicht gewährt, so ist die Art der Durchführung des Verfahrens betroffen.

Zwar wurde vorliegend keine Gelegenheit zur Selbstlesung gewährt, aber dies wurde auch nicht nach § 238 Abs. 2 StPO beanstandet, weshalb die Revision nicht hierauf gestützt werden kann.“

Auch das ist m.E. ein Punkt, den man als Verteidiger „auf dem Schirm haben sollte“. Oder besser: „….. haben muss“. Allerdings: Als Gericht sollte man wissen, dass Gelegenheit zum Selbstlesen gewährt werden muss……

Und nochmals: Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags, oder: Anfänger auf Verteidigerseite

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Nach dem Anfänger in der Berufungskammer beim LG Braunschweig, dann zum Ausgleich 🙂 ein Anfänger – jedenfalls m.E. – auf der „anderen Seite“, nämlich als Verteidiger. Es geht mal wieder um die ausreichende Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags. Versäöumt worden ist die Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde. Es wird ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt. Der ist dann aber unzulässig, weil (mal wieder) nicht ausreichend begründet, so jedenfalls der OLG Bamberg, Beschl. v. 24.10.2017 – 3 Ss OWi 1254/17:

„Der Antrag des Betr. auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Einlegung des Antrags auf Zulassung der Rechts­beschwerde ist ebenso wie die Zulassungsrechtsbeschwerde selbst als unzulässig zu verwerfen.

1. Nachdem das Urteil vom 30.05.2017 zwar in (erlaubter) Abwesenheit des Betr., jedoch in Anwesenheit des wirksam unterbevollmächtigten Verteidigers des Betr. verkündet wurde, endete die Wochenfrist des § 341 I StPO zur Einlegung der Zulassungsrechtsbeschwerde hier gemäß §§ 73 III, 79 IV [letzter Halbs.] i.V.m. § 80 III Satz 1 OWiG ohne weiteres bereits mit Ablauf des 06.06.2017 (vgl. schon OLG Bamberg, Beschl. v. 29.05.2006 – 3 Ss OWi 430/06 = NStZ 2007, 180; ferner u.a. Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 73 Rn. 26 f. u. § 79, Rn. 30a, jeweils m.w.N.), so dass die Einlegung der Rechtsbeschwerde erst am 21.06.2017 verspätet erfolgte. Dies verkennt die Verteidigung, wenn sie aus nicht nachvollziehbaren Gründen und noch nach Gewährung von Akteneinsicht durch den Senat irrig von einem mit ihrem Rechtsmittel angefochtenen „Abwesenheitsurteil“ auszugehen scheint.

2. Eine Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die voraussetzt, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO), kommt nicht in Betracht, weil das Gesuch bereits unzulässig ist.

a) Der Antrags auf Wiedereinsetzung ist nicht nur binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 I Satz 1 StPO), vielmehr handelt es sich bei den für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlichen Angaben ebenso wie hinsichtlich ihrer Glaubhaftmachung um Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags (vgl. zuletzt nur BGH, Beschl. v. 12.07.2017 – 1 StR 240/17 [bei juris] m.w.N.). Darzulegen und glaubhaft zu machen sind folglich auch diejenigen Umstände, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller ohne eigenes Verschulden gehindert war, die versäumte Rechtsmittelfrist einzuhalten. Dazu gehört der Vortrag eines Lebenssachverhalts, der das fehlende Verschulden an der Säumnis belegt und Alternativen ausschließt, die der Wiedereinsetzung sonst entgegenstehen (BGH a.a.O.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 45 Rn. 5, jeweils m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt das Wiedereinsetzungsgesuch allerdings schon deshalb nicht, weil die Ausführungen der Verteidigung nicht erkennen lassen, dass der Betroffene sie überhaupt mit der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des AG vom 30.05.2017 beauftragt und die Verteidigung dem Betr. gegenüber dies auch zugesagt hatte, was aber für eine unverschuldete Säumnis des Betr. erste und unabdingbare Voraussetzung wäre (st.Rspr.; vgl. neben BGH a.a.O u.a. BGH, Beschl. v. 14.01.2015 – 1 StR 573/14 = NStZ-RR 2015, 145, 146; BGH, Beschl. v. 23.09.2015 – 4 StR 364/15 = NStZ 2017, 172 = AnwBl 2016, 73 und schon BGH, Beschl. v. 05.08.2008 – 5 StR 319/08 = NStZ-RR 2009, 375 = StraFo 2008, 431; siehe zuletzt auch schon OLG Bamberg, Beschl. v. 23.03.2017 – 3 Ss OWi 330/17 [bei juris] und BGH, Beschl. v. 13.07.2017 – 1 StR 283/17 = StraFo 2017, 418; BeckOK/Cirener StPO [27. Edit.] § 44 Rn. 24a m.w.N.).“

Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung stehen in jedem Kommentar und7oder in jedem Handbuch. Man muss die Bücher aber nicht nur kaufen, sondern auch lesen/gebrauchen.

„Brauchst nicht zu kommen, ich verwerfe dann eben“, oder: Anfänger?

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Urheber Photo: Andreas Praefcke

Das hatten wir im Bußgeldverfahren auch schon. Der Betroffene wird von der Anwesenheitspflicht entbunden. Er erscheint nicht und sein Einspruch wird nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Jetzt gibt es dazu eine vergleichbare Entscheidung aus dem Strafverfahren. Da war der Einspruch einer Angeklagten gegen einen Strafbefehl verworfen worden. Das LG Braunschweig bestimmt Termin zur Hauptverhandlung auf den 03.02.2016 und ordnete das persönliche Erscheinen der Angeklagten an. Nachdem die Angeklagte am 27.01.2016 über ihren Verteidiger dem Gericht mitgeteilt hatte, dass sie in einem anderen beim LG anhängigen Strafverfahren ein ärztliches Attest über ihre Verhandlungsunfähigkeit eingereicht habe, entbindet das LG mit Beschluss vom 27.01.2016 die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom 03.02.2016 und weistsie drauf hin, dass für den Fall ihres Ausbleibens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit verhandelt werden könne. Am 03.02.2016 erscheint die Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht. Das LG Braunschweig verwarf daraufhin die Berufung der Angeklagten.

Das OLG Braunschweig sagt im OLG Braunschweig, Beschl. v. 18.05.2016 – 1 Ss 27/16 – also schon etwas älter, aber gerade erst im StV veröffentlicht: Geht (natürlich) nicht:

„Die Voraussetzungen einer Berufungsverwerfung lagen nicht vor. Eine solche kann gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO nur dann erfolgen, wenn eine nicht genügend entschuldigte Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung ausbleibt oder kein Verteidiger mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht auftritt. Unabhängig von der Frage, ob die Angeklagte aufgrund etwaiger Erkrankung möglicherweise ausreichend entschuldigt war, kann nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dann nicht mehr verfahren werden, wenn die Angeklagte von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 233, § 332 StPO) (so Brunner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 2. Aufl., 2016, § 329, Rn. 9). Im Falle der Entbindung vom persönlichen Erscheinen kann eine Entscheidung nur noch nach § 329 Abs. 2 StPO ergehen, sofern dessen weitere Voraussetzungen vorliegen. Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Beschluss vom 27.01.2016 von ihrer Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden und sie mit diesem Beschluss darauf hingewiesen, dass im Falle ihres Nichterscheinens gem. § 329 Abs. 2 StPO in ihrer Abwesenheit entschieden werde. Eine Berufungsverwerfung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO war dem Landgericht Braunschweig somit verwehrt.

Ob das angefochtene Urteil darüber hinaus auch gegen § 338 Nr. 5 StPO verstößt, weil das Landgericht Braunschweig nach der Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung dann auch ohne den gem. § 140 Abs. 2 StPO beigeordneten Verteidiger verhandelt hat, konnte aufgrund des bereits feststehenden Verstoßes gegen § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dahin stehen.“

Manche Entscheidungen verstehe ich beim besten Willen nicht. Gemeint ist nicht die des OLG, sondern die des LG. Da sitzen doch keine Anfänger in einer Berufungsstrafkammer……..oder vielleicht doch?