Archiv für den Monat: September 2017

Aussage-gegen-Aussage beim sexuellen Missbrauch, oder: Beweiswürdigung beim/mit einem SV-Gutachten

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Der BGH, Beschl. v. 13.06.2017 – 2 StR 94/16 – befasst sich (noch einmal) in einem Verfahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. mit der Beweiswürdigungin den Fällen der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation und einem eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachten-

Angeklagt war ein Lehrer an einer Grundschule für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Er war Klassenlehrer der am 23. Juni 2002 geborenen Nebenklägerin L. . Diese litt an Entwicklungsverzögerungen und besuchte als „Integrations-kind mit besonderem Förderbedarf“ die Grundschule. Er nutzte sich bietende Gelegenheiten zu sexuellen Handlungen mit der Nebenklägerin.

Bei einem Aufenthalt der Schulklasse in einer Jugendherberge veranlasste der Angeklagte die Nebenklägerin dazu, in sein Zimmer zu kommen. Er zog Hose und Unterhose aus und legte sich auf das Bett. Er wies die Nebenklägerin an, ihren Badeanzug auszuziehen, dann fasste er sie an der Hüfte, setzte sie auf seinen Penis und hob sie auf und ab. Als ein Schüler an der Zimmertür klopfte, hob der Angeklagte sie herunter und befahl ihr schnell ins Bad zu gehen, sich dort anzuziehen und leise zu verhalten (Fall II.1. der Urteilsgründe).

Am 7. Mai 2013 sollte die Nebenklägerin eine weiterführende Schule kennen lernen. Sie fuhr mit dem Schulbus dorthin, während ihre Mutter K. L. mit dem Angeklagten in dessen Auto folgte. Nach Ende der Vorstel-lung fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin und ihrer Mutter zurück, setzte die Mutter an deren Wohnung ab und nahm die Nebenklägerin mit. Weil noch Zeit bis zum Unterrichtsbeginn war, hielt der Angeklagte an seinem Haus und ging mit ihr in das Schlafzimmer. Dort entkleidete er sich und die Nebenkläge-rin, legte sich auf das Bett und hob sie auf seinen Schoß. Er setzte sie auf sei-nen Penis und hob sie hoch und herunter. Währenddessen sah er immer wie-der auf die Uhr, um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Nach den sexuellen Handlungen frühstückten beide, gingen mit dem Hund des Angeklagten spazieren und fuhren dann zur Grundschule (Fall II.2. der Urteilsgründe).

An einem Tag im vierten Schuljahr der Nebenklägerin unterrichtete der Angeklagte sie im „Differenzierungsraum“, während die weitere Klassenlehrerin die anderen Schüler im Klassenraum unterrichtete. Der Angeklagte zog die Ho-se der vor ihm stehenden Nebenklägerin herunter, schob die Unterhose beisei-te und führte einen Finger in die Scheide ein. Als die Lehrerkollegin an der Tür klopfte, um zu signalisieren, dass das Ende der Schulstunde nahe, rief der An-geklagte mit Verzögerung „komm rein“. In der Zwischenzeit zog er den Finger aus der Scheide der Nebenklägerin und diese zog ihre Hose hoch. Der Ange-klagte befahl der Nebenklägerin, sich wieder an den Tisch zu setzen und ihre Stifte einzuräumen, damit die Lehrerin keinen Verdacht schöpfe (Fall II.3. der Urteilsgründe).“

Das LG hat sein Urteil, der aussagepsychologischen Sachverständigen folgend, auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt.Dem BGh gefällt das nicht. Denn:

2. Diesen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden.

a) Die Erwägungen zur Aussageentstehung sind lückenhaft.

Die Beschuldigung des Angeklagten ist erstmals geäußert worden, nachdem die Freundin der Nebenklägerin beim Aufrufen von Sexfilmen im Internet angetroffen worden war und ihrer Mutter erklärt hatte, sie sei von der Nebenklägerin darüber instruiert worden, worauf die Nebenklägerin von beiden Müttern zur Rede gestellt wurde. Sie befand sich dabei unter dem erheblichen Druck einer nachhaltigen Befragung über ein sonst als Tabu behandeltes The-ma. Insbesondere die Mutter der Nebenklägerin habe „nicht locker gelassen“.

Dazu hat die vom Landgericht vernommene aussagepsychologische Sachverständige erläutert, die Nebenklägerin besitze „keine erhöhte Anfälligkeit dafür, Suggestiveinflüssen zu folgen. Sie habe sowohl bei der gutachterlichen Exploration als auch bei den anderen Vernehmungen Suggestivfragen oftmals nicht gemäß der Suggestion beantwortet.“ Ihre Angaben sprächen auch nicht dafür, dass sie „durch den Druck im Gespräch mit ihrer Mutter und der Zeugin A. dazu motiviert gewesen sein könne, eine bewusste Falschaussa-ge gegen den Angeklagten vorzubringen, um dadurch ihre eigene Schuld zu vermindern und ihre Mutter in der Diskussion wegen des Aufrufens der Sexsei-ten im Internet milde zu stimmen. Aus aussagepsychologischer Sicht sei es äu-ßerst unwahrscheinlich, insbesondere auch aufgrund der vorhandenen Entwicklungsverzögerungen der Zeugin, dass L. eine qualitativ so hochwertige Lüge hätte spontan vorbringen können.“

Das Landgericht hat sich insgesamt dem Ergebnis der Sachverständigen angeschlossen, dass die Angaben der Nebenklägerin „mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisbasiert und glaubhaft“ seien. Es hat aber nicht selbst überprüft, ob die Nebenklägerin unter dem Druck der intensiven Befragung und mit Blick auf ihr Anschauungsmaterial aus Filmdarstellungen im Internet das Bild von sexuellen Handlungen mit Erlebnissen aus dem Alltag in der Grund-schule verknüpft haben könnte, um dem Druck zu entweichen.

Bei weiteren Befragungen der Nebenklägerin sind nach der Bemerkung der Sachverständigen auch Suggestivfragen vorgekommen, deren Art und Be-deutung im Urteil nicht näher erläutert werden. Der Hinweis der Sachverständigen darauf, dass die Nebenklägerin auf Suggestivfragen oft nicht im Sinne der Erwartungshaltung der Fragesteller geantwortet habe, reicht nicht aus, um nachvollziehbar zu begründen, dass es sich bei den tatbezogenen Aussagen der Nebenklägerin um nicht aufgrund von suggestiven Einflüssen entstandene Schilderungen gehandelt hat.

b) Es fehlt auch die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte. ………“

„Fischer-Bereinigungs-Beschluss“ (?), oder: Einsicht beim Zwang zur Herausgabe von Betäubungsmitteln als Vermögensschaden

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Die Woche eröffne ich mit einer – ich will sie mal so nennen – „Fischer-Bereinigungs-Entscheidung“ des 2. Strafsenats des BGH, und zwar mit dem BGH, Urt. v. 16.08.2017 – 2 StR 335/15. Das ist das Verfahren, in dem es den Anfragebeschluss des BGH v. 01.06.2016 gegeben hat (Schon wieder: Anfragebeschluss des 2. Ss des BGH – Nötigung zur Herausgabe von BtM) mit der Frage:

„Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die Nötigung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln richtet sich nicht gegen das Vermögen des Genötigten und erfüllt daher nicht den Tatbestand der Erpressung.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob sie dem zustimmen oder an etwa entgegenstehender Rechtsprechung festhalten.“

Die Geschichte hat sich nun endgültig erledigt. Denn der 2. Strafsenat teilt jetzt mit:

I. Der Senat hat die Sache am 24. September 2015 erstmals beraten und hiernach am 9. März und 1. Juni 2016 eine Revisionshauptverhandlung durchgeführt, wobei er die Hauptverhandlung zur Durchführung eines Anfrageverfahrens gemäß § 132 Abs. 2 GVG unterbrochen hat. Er beabsichtigte – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung – zu entscheiden, die Nöti-gung zur Herausgabe von Betäubungsmitteln richte sich nicht gegen das Vermögen des Genötigten und erfülle daher nicht den Tatbestand einer Er-pressung (Senat, Beschluss vom 1. Juni 2016 – 2 StR 335/15, NStZ 2016, 596 ff. mit Anm. Krell, ebenda, und Ladiges, wistra 2016, 479 ff.). Der strafba-re Besitz von Betäubungsmitteln sei kein durch Strafrecht zu schützendes Rechtsgut. Die gleichzeitige Strafdrohung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und gegen denjenigen, der dem Besitzer diesen unerlaubten Besitz durch Nötigung (§§ 253, 255 StGB) entziehe, stelle einen Widerspruch dar. Damit fehle es an einer Legitimation des Staates zur Bestrafung unter dem Gesichtspunkt eines Vermögensdelikts.

Der Senat hat deshalb bei den anderen Strafsenaten des Bundesge-richtshofs angefragt, ob sie ihm darin folgen.

II. Die anderen Strafsenate sind dem entgegengetreten und haben er-klärt, an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten (BGH; Beschluss vom 21. Februar 2017 – 1 ARs 16/16, NStZ-RR 2017, 112 f.; Beschluss vom 15. November 2016 – 3 ARs 16/16, NStZ-RR 2017, 244 ff.; Beschluss vom 10. November 2016 – 4 ARs 17/16, NStZ-RR 2017, 44 f.; Beschluss vom 7. Februar 2017 – 5 ARs 47/16, NStZ-RR 2017, 110).
III. Der erkennende Senat sieht von einer Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen ab und hält ebenfalls an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. auch Senat, Urteile vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, BGHSt 61, 263, 264, und vom 7. Dezember 2016 – 2 StR 522/15, NStZ-RR 2017, 111 f.).“

Also: Endgültig keine Rückkehr zum „zivilistischen Denken“ im Strafrecht.

Sonntagswitz: Heute (natürlich) zur (Bundestags)Wahl

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Heute ist Bundestagswahl (nicht vergessen, wählen zu gehen 🙂 ). Da bieten sich Witze zur Wahl an, und zwar:

Treffen sich zwei Informatiker, der eine hat ein neues Fahrrad. Meint der andere: „Tolles Fahrrad, was hat denn das gekostet?“
„War kostenlos.“
„Erzähl mal!“
„Naja, gestern bin ich hier durch den Park gegangen, da kommt eine Frau auf dem Fahrrad vorbei, hält an, zieht sich die Kleider aus, und meint, ich solle mir alles nehmen, was ich will.“
„Echt gute Wahl, die Kleider hätten Dir wahrscheinlich eh nicht gepasst.“


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Entschuldigung, Dein Passwort darf keine Satzzeiten enthalten. JetztWerdIchLangsamRichtigSauer 50VerfickteGeschaelteAnanas
DieIchDirInDenArschSchiebe WennDuNichtEndlichDas VerficktePasswortNimmst

Entschuldigung, das Passwort ist schon in Benutzung. Wähle ein anderes!


Nach der letzten Präsidentenwahl in den USA. Im Wahlbüro des neuen Präsidenten Donald Trump gehen immer mehr Gratulations-Telegramme und E-Mails aus der ganzen Welt ein: England, Deutschland, Frankreich, Brasilien, China …

Schließlich fragt Trump seinen Sekretär: „Hat Moskau schon geschrieben?“

Antwortet der Sekretär: „Mr. President, die Russen haben schon gestern gratuliert.“


Und wenigstens einer zur Bundestagswahl:

Unterhalten sich zwei Geschäftsleute über die Bundestagswahl.
Fragt der eine: „Was hast du gewählt?“
Antwortet der andere: „Natürlich wieder Rot. Das ist gut fürs Geschäft: Zu Kohls Zeiten hatte ich 15 Konkurrenten, nachdem ich damals dann „Rot“ gewählt habe, waren es nur noch 5!“


 

Wochenspiegel für die 38. KW., das war Bullensohn, Parkscheibe, Oktoberfest, StPO 2017 und RVG-Kommentar

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So, das war dann die 38. KW. des Jahres 2017, die letzte KW. der 18. Legislaturperiode, nun ja noch nicht ganz, denn nach Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG endet eine Legislaturperiode mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages und der muss spätestens 30 Tage nach der Wahl erstmals zusammentreten. Aber wir sind durch mit dem Gesetzesprogramm der 18. Legislaturperiode.

Und für die 38. KW. weise ich heute hin auf folgende Beiträge:

  1. Bullensohn,
  2. OLG Koblenz zu Geschwindigkeitsverstoß: Digitaltacho/Head-Up-Display als Indiz für Vorsatz?,
  3. Erstattung der Anwaltskosten bei Unfallschadensregulierung,
  4. Wenn das Auto auf dem Gelände des Arbeitgebers zerstört wird…,
  5. LG Saarbrücken zum Nutzungsausfall: Auch bei 130 %-Schaden kein Warten auf Haftungsanerkenntnis,
  6. So geht’s richtig (falsch) – eine kleine Handreichung für die Parkscheibe,
  7. Oktoberfest: (K)eine rechtsfreie Zone – Einige Merksätze für ein rechtssicheres Feiern –
  8. und dann noch einmal: StPO-Reform 2017: Änderungen im Ermittlungsverfahren ,
  9. und dann noch – aus dem eigenen Repertoire: Gestern im Bundesrat: teures Handy, teure Rettungsgasse, teure Raser und Live aus dem Gericht usw.,
  10. und ganz zum Schluss <<Werbung>>: Sondermeldung: Wir haben fertig, oder Burhoff/Volpert, RVG, 5. Aufl. geht in die Auslieferung.

Wenn der Fußgänger unachtsam die Fahrbahn überquert, oder: Alleinhaftung.

entnommen wikimedia.org
Author: MarianSigler

Im Straßenverkehrsrecht ist es grds. ja so, dass der Kfz-Führer gegenüber einem „schwächeren“ Verkehrsteilnehmern, wie z.B. Fußgängern oder Radfahrern, zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet ist. Der Kfz-Führer bleibt dahher dann bei einem Unfall meist auf seiner Betriebsgefahr sitzen. Anders hat vor einiger Zeit das OLG Dresden im OLG Dresden, Urt. v. 09.05.2017 – 4 O 1596/16 – entschieden. Da hatte ein Fußgänger aus Sicht des Kraftfahrzeugführers von links die Straße unmittelbar vor zwei weiteren sich im Gegenverkehr befindlichen Pkw unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO überquert und war beim Erreichen der Gegenfahrbahn vom Fahrzeug des beklagten Pkw-Führer erfasst worden.

Das OLG Dresden ist von Alleinhaftung des Fußgängers ausgegangen. Das OLG sagt: Den Unfall hat er Fußgänger durch sein „grob fahrlässiges Verhalten allein verschuldet. Ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 1 lässt sich nicht feststellen. Die Haftung der Beklagten zu 2. und 3. aus Betriebsgefahr des Fahrzeugs und die Haftung des Beklagten zu 1. für vermutetes Verschulden tritt hinter dem grob schuldhaften Verhalten des Klägers zurück, denn die sorglose Fahrbahnüberquerung des Klägers durch „Hindurchschlängeln“ durch den zügig fließenden Fahrzeugverkehr stellt ein besonders grobes Eigenverschulden dar.“

Das OLG weiter: Ein Fußgänger darf die Fahrbahn nur dann betreten, wenn er sich zuvor vergewissert hat, dass er keinem Fahrzeug in den Weg tritt. Die Fahrbahn dient in erster Linie dem Fahrzeugverkehr. Wenn ein Fußgänger auf den Fahrzeugverkehr nicht entsprechend achtet, handelt er in der Regel grob fahrlässig. Das sorglose Überqueren der Fahrbahn ist ein besonders grobes Eigenverschulden dar, welches die Haftung des Kraftfahrzeugführers für vermutetes Verschulden aus der Betriebsgefahr vollständig zurücktreten lässt.