Archiv für den Monat: April 2016

Akteneinsicht a la AG Kempten: Und ist die Verwaltungsbehörde nicht willig, gibt es die Akten zurück

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

© Avanti/Ralf Poller – Fotolia.com

Im Grunde genommen ist das (m.E.) mit der (Akten)Einsicht ganz einfach. Der Verteidiger/Betroffene hat einen Anspruch vollständige Akteneinsicht. Und wenn der nicht erfüllt wird, greifen dann eben die Regeln über das standardisierte Messverfahren nicht und das AG kann ggf. von § 69 Abs. 5 OWiG  Gebrauch machen. So jetzt vor kurzem auch das AG Kempten Allgäu in zwei Beschlüssen, die mir der Kollege Werne aus Memmingen übersandt hat, und zwar:

Zunächst der AG Kempten (Allgäu), Beschl. v. 29.01.2016 – 24 OWi 420 Js 1322/16, in dem es heißt:

„Das Bayerische Polizeiverwaltungsamt – Zentrale VOWi-Stelle- wird angewiesen, dem Verteidiger vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Dies schließt die Übersendung der Originalbilder der Messung des Betroffenen (tatsächliches, unbearbeitetes Originalbild), Originalbilddatei bei Digitalbildern (Rohformat), Printer- oder Hochglanzfoto mit allen vier Bildrändern ein.“

und als dann nichts passiert der AG Kempten (Allgäu), Beschl. v. 18.03.2016 – 24 OWi 420 Js 1322/16:

„Das Verfahren wird mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Kempten gemäß § 69 V1 OWiG an die Verwaltungsbehörde zurückverwiesen.

Gründe:

Mit Beschluss vom 29.1.2016 hat das AG Kempten das Bayrische Polizeiverwaltungsamt – Zentrale VOWi -Stelle- angewiesen, dem Verteidiger vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Dies schließt die Übersendung der Originalbilder der Messung des Betroffenen (tatsächliches, unbearbeitetes Originalbild), Originalbilddatei bei Digitalbildern (Rohformat), Printer und Hochglanzfoto mit allen 4 Bildrändern ein. Dem ist das Polizeiverwaltungsamt nicht nachgekommen, sodass der dem Bußgeldbescheid zugrundeliegende Sachverhalt bisher nicht hinreichend aufgeklärt ist (§ 69 V OWiG).“

Jetzt wird es gefährlich. 🙂 Ähnlich übrigens der AG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 26.01.2016 – 13 OWi 516/15 (gefunden hier beim Kollegen Gratz Vom Saulus zum Paulus? AG Dessau-Roßlau ver­pflich­tet Behörde zur Herausgabe der ES 3.0-Messdaten).

Also: ist doch wirklich einfach, auch wenn manches OLG das anders sieht (vgl.„Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei).

„Logik ist Ansichtssache“, oder: Zirkelschluss beim OLG Bamberg zur Einsichtnahme in die Messdatei bei ESO 3.0

entnommen wikimedia.org Urheber Jepessen

entnommen wikimedia.org
Urheber Jepessen

Mit den Fragen betreffend (Akten)Einsicht in die digitale Messdatei bei standardisierter Messung ist es so ähnlich wie mit dem Böhmermann/Erdogan/Gate. Man hat das Gefühl, es ist alles schon mal gesagt. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings kommen nun die OLG, nachdem bislang die Diskussion von den AG beherrscht wurde.

Nun hat sich auch das OLG Bamberg in einem fulminanten Beschluss zu Wort gemeldet und im Rahmen einer Rechtsbeschwerde Ausführungen zu den anstehenden Fragen gemacht. Ich stelle diesen OLG Bamberg, Beschl. v. 04.04.2016 – 3 Ss OWi 1444/15 – hier nicht in Auszügen ein, das mag man in der Verlinkung nachlesen. Ich nehme nur den Leitsatz dieses Beschlusses, mit dem das standardisierte Messverfahren mal wieder mit „Zähnen und Klauen“ verteidigt wird:

„Hat sich der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung davon überzeugt, dass die Voraussetzungen eines sog. standardisierten Messverfahrens (BGHSt 39, 291; 43, 277) eingehalten wurden, verstößt die Ablehnung eines Antrags der Verteidigung auf Einsichtnahme in die digitale Messdatei und deren Überlassung einschließlich etwaiger sog. Rohmessdaten nicht gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens).“

M.E. ist das falsch und führt erst recht zu einem Zirkelschluss, zumal hier der Amtsrichter über die Frage: Standardisiert, ja oder nein?, entscheidet, ohne dass der Betroffene überhaupt eine Möglichkeit der Prüfung hatte. Ich verstehe den BGH anders, aber ich bin ja auch nicht (mehr) OLG.

Aber zum Glück bin ich nicht allein. Denn, der Kollege, der den Beschluss für die Mai-Ausgabe des VRR aufbereitet hat, sieht es genau so. Und daher stelle ich hier mal dessen Stellungnahme ein:

„1.  Logik ist Ansichtssache. Diese Schlussfolgerung löst die Lektüre des vorliegenden Beschlusses aus. Denn trotz der deutlichen Wortwahl des OLG („gänzlich unhaltbar“, „ad absurdum“) besteht die Logik in genau umgekehrter Richtung. Das im Grundsatz sinnvolle Institut des standardisierten Messverfahrens führt zu einem Regel-Ausnahme-Verhältnis: Liegen die Voraussetzungen dafür vor (Bauartzulassung, Eichung, Beachtung der Bedienungsanleitung, geschultes Personal), ist grundsätzlich von einem zutreffenden Messergebnis auszugehen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler oder einen Gerätefehler vorliegen. Trotz der Ausführungen des Senats zur fehlenden rechtlichen Mitwirkungsobliegenheit des Betroffenen kann in einer derartigen Situation faktisch nur der Betroffene solche konkreten Anhaltspunkte vorbringen, denn sonstige erkennbare Aufhänger für ein fehlerhaftes Messergebnis sind kaum denkbar. Ein solches Vorbringen erfordert wiederum die Einsicht in die digitale Messdatei einschließlich unverschlüsselter Rohmessdaten, um eine Überprüfung durch einen Sachverständigen des Betroffenen zu ermöglichen. Diese sich meines Erachtens aufdrängende Logik führt das standardisierte Messverfahren nicht ad absurdum, sondern setzt sein Regel-Ausnahmeverhältnis rechtsstaatsgemäß um. Die vom OLG hier vehement verteidigte Linie der Obergerichte stellt trotz entgegengesetzter Behauptung einen Zirkelschluss dar, weil sie dem Betroffenen beim Vorliegen der Regelvoraussetzungen des standardisierten Messverfahrens bereits die bloße Möglichkeit des Vorbingens substanzieller Einwände abschneidet.

2. Gleichwohl: Angesichts der Verfestigung jener Position bei den Obergerichten müssen sich Verteidiger auf diese Sachlage einstellen.“

Ich hoffe, dass irgendwann endlich der BGH Gelegenheit bekommt, dazu etwas zu sagen. Vielleicht sind wir dann ja schlauer…

Sonntagswitz: Heute dann zu Erdogan …..

© Teamarbeit - Fotolia.com

© Teamarbeit – Fotolia.com

Hallo, richtig gelesen. Ich bin so mutigfrei und mache dann heute mal Erdogan-Witze, ich wollte das Thema ja an sich nicht aufgreifen (vgl. hier: Wochenspiegel für die 15.KW, nein nicht Erdogan (!!), sondern das Plumpsklo, beA und eine frische Leiche), aber an dieser Stelle reizte es mich dann doch. Gefunden habe ich dann u.a.:

https://youtu.be/gRagDAYz4yQ?t=29

Wochenspiegel für die 15.KW, nein nicht Erdogan (!!), sondern das Plumpsklo, beA und eine frische Leiche

© Aleksandar Jocic - Fotolia.com

© Aleksandar Jocic – Fotolia.com

Der Wochenspiegel für die 15. KW. steht an. Und natürlich hat es in der vergangenen Woche ein beherrschendes Thema gegeben, nämlich das „BEG“, das „Böhmermann/Erdogan/Gate“. Ich habe überlegt, ob ich dazu wieder – in der vorigen Woche – hatte ich einige Beiträge zusammengestellt – etwas bringe. Aber: Ich habe mich dagegen entschieden. Denn nach gefühlt 25.000 Beiträgen zu dem Thema – nur die „Bäckerblume“ und die „Apothekerzeitung“ haben noch nichts dazu geschrieben – ist das Thema für mich so ausgekaut und ausgelutscht, dass jedenfalls ich derzeit nichts mehr dazu lesen mag.

Nach der Entscheidung der Bundesregierung vom Freitag nehmen die Dinge dann jetzt ja auch ihren Lauf. Und das ist auch gut so. Da ja sowohl Herr Böhmermann als auch Herr Erdogan „durchfechten“ wollen, werden die anstehenden Fragen dann irgendwann vom BVerfG – oder vielleicht sogar dem EGMR? – entschieden und das kann dauern. Ich werde in diesem Jahr 66 Jahre alt. Bei der vorauszusehenden Verfahrensdauer kann es sein, dass ich das Verfahrensende nicht mehr erlebe, Herr Erdogan ist immerhin auch schon 62, er also vielleicht auch nicht. Das erste täte mir leid, das zweite wäre mir ziemlich egal. Ich hoffe nur, dass die zuständige Staatsanwaltschaft vielleicht von § 24 Abs. 2 Nr. 3 GVG Gebrauch macht und Anklage beim LG erhebt. Dann geht es schneller und es muss sich nicht ein „armer“ Amtsrichter mit den beiden Kontrahenten herumschlagen; wegen der Auswirkungen der Tat würde ich das Opfer laden 🙂 .

So, das vorab und dann zu den anderen Themen der Woche. Das waren:

  1. So mancher Anwalt träumt von einem Stundenhonorar iHv 450,- Euro….
  2. Vom Saulus zum Paulus? AG Dessau-Roßlau ver­pflich­tet Behörde zur Herausgabe der ES 3.0-Messdaten,
  3. Die spinnen, die Bayern!,
  4. „…wie das Loch vom Plumpsklo.“, „Am liebsten hätten Sie mich vergast…“,
  5. AG Halle (Saale): Rückt die Behörde die Messdaten nicht her­aus, wird die Sache zu­rück­ver­wie­sen,
  6. Per Haftbefehl gesuchter Straftäter beantragt Sozialhilfe,
  7. Rettungssanitäter beklaut bewusstlosen Patienten – Kündigung!,
  8. beA startet zum 29. September 2016!,
  9. Die Selbstaufopferung im Straßenverkehr (angelehnt an: BGH VI ZR 217/61),
  10. und dann war da noch: Frau darf Leiche ihres Mannes nicht frisch halten.

Sachverständigenkosten, oder: Wie werden sie erstattet?

© Thaut Images Fotolia.com

© Thaut Images Fotolia.com

Ein weiterer Streitpunkt der Unfallschadenregulierung sind häufig die Sachverständigenkosten (zu den Mietwagenkosten s. vorhin den OLG Hamm, Urt. v. 18.03.2016 – 9 U 142/15 und dazu Fracke, oder: Wie schätze ich Mietwagenkosten?). Dazu verweise ich auf das LG Mannheim, Urt. v. 05.02.2016 – 1 S 119/15 -, das dazu mit folgenden Leitsätzen Stellung nimmt:

1. Auch wenn der – von der Geschädigten nicht beglichenen – Rechnung eine Indizwirkung für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zukommt, steht dem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für das Schadensgutachten zu, wenn und soweit diese nicht deutlich überhöht sind und dies für den Geschädigten erkennbar ist. Gibt es selbst für den Fachmann keine verlässlichen Größenordnungen, ist für einen Geschädigten regelmäßig nicht zu erkennen, wann die Honorarsätze „die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen“. Deshalb wird die vom Geschädigten vorgelegte Rechnung des Sachverständigen in der Regel zu erstatten sein.

2. Etwas anderes ist hingegen dann anzunehmen, wenn es zwischen dem Sachverständigen und dem Geschädigten weder eine konkrete Honorarvereinbarung gegeben hat, noch der Geschädigte die Sachverständigenkosten beglichen hat. Wird keine Vereinbarung über die Höhe der Vergütung getroffen, gilt § 632 Abs. 2 BGB mit der Folge, dass die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist, die in jedem Fall zu erstatten ist.

3. Eine Erstattung der Sachverständigenkosten kommt nur insoweit in Betracht, als die Geschädigte auch zur Zahlung des Sachverständigenhonorars verpflichtet ist. Ein Anspruch des Sachverständigen auf Begleichung unnötiger Kosten besteht daher nicht. Bei der Frage, wie viele Lichtbilder für die Begutachtung des Schadens erforderlich sind, steht dem Sachverständigen grundsätzlich ein Ermessen zu.“